MLWerke | <- | Inhalt | -> | Marx/Engels

Seitenzahlen nach: Karl Marx/ Friedrich Engels - Werke. Herausgegeben vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED. Band 20. Berlin/DDR. 1962. »Dialektik der Natur«, S. 456-471.
1. Korrektur
Erstellt am 10.10.1999

Friedrich Engels - Dialektik der Natur

[Aus der Geschichte der Wissenschaft]


*

|456| Die sukzessive Entwicklung der einzelnen Zweige der Naturwissenschaft zu studieren. - Zuerst Astronomie - schon der Jahreszeiten halber für Hirten- wie Ackerbauvölker absolut nötig. Astronomie kann sich nur entwickeln mit Hülfe der Mathematik. Diese also ebenfalls in Angriff genommen. - Ferner auf einer gewissen Stufe des Ackerbaus und in gewissen Gegenden (Wasserhebung zur Bewässerung in Ägypten) und namentlich mit der Entstehung der Städte, der großen Bauwerke und der Entwicklung der Gewerbe die Mechanik. Bedürfnis bald auch für Schiffahrt und Krieg. - Auch sie braucht die Hülfe der Mathematik und treibt so zu deren Entwicklung. So schon von Anfang an die Entstehung und Entwicklung der Wissenschaften durch die Produktion bedingt.

Eigentliche wissenschaftliche Untersuchung bleibt während des ganzen Altertums auf diese 3 Fächer beschränkt, und zwar als exakte und systematische Forschung auch erst in der nachklassischen Periode (die Alexandriner, Archimedes etc.). In Physik und Chemie, die in den Köpfen noch kaum getrennt (Elementartheorie, Abwesenheit der Vorstellung eines chemischen Elements), in Botanik, Zoologie, Anatomie des Menschen und der Tiere konnte man bis dahin nur Tatsachen sammeln und sie möglichst systematisch ordnen. Die Physiologie war ein bloßes Raten, sowie man sich von den handgreiflichsten Dingen - Verdauung und Exkretion z.B. - entfernte, wie das nicht anders sein konnte, solange selbst die Zirkulation nicht erkannt. - Am Ende der Periode erscheint die Chemie in der Urform der Alchimie.

Wenn nach der finstern Nacht des Mittelalters auf einmal die Wissenschaften neu und in ungeahnter Kraft erstehn und mit der Schnelle des Mirakels ernporwachsen, so verdankten wir dies Wunder wieder - der Pro- |457| duktion. Erstens war seit den Kreuzzügen die Industrie enorm entwickelt und hatte eine Menge neuer mechanischer (Weberei, Uhrmacherei, Mühlen), chemischer (Färberei, Metallurgie, Alkohol) und physikalischer Tatsachen (Brillen) ans Licht gebracht, und diese gaben nicht nur ungeheures Material zur Beobachtung, sondern lieferten auch durch sich selbst schon ganz andre Mittel zum Experimentieren als bisher und erlaubten die Konstruktion neuer Instrumente; man kann sagen, daß eigentlich systematische Experimentalwissenschaft jetzt erst möglich geworden. Zweitens entwickelte sich jetzt ganz West- und Mitteleuropa inkl. Polen im Zusammenhang, wenn auch Italien kraft seiner altüberkommenen Zivilisation noch an der Spitze stand. Drittens eröffneten die geographischen Entdeckungen - rein im Dienst des Erwerbs, also in letzter Instanz der Produktion gemacht - ein endloses bis dahin unzugängliches Material in meteorologischer, zoologischer, botanischer und physiologischer (des Menschen) Beziehung. Viertens war die Presse da.{1}

Jetzt - von Mathematik, Astronomie und Mechanik abgesehn, die schon bestanden - scheidet sich die Physik definitiv von der Chemie (Torricelli, Galilei - ersterer in Abhängigkeit von industriellen Wasserbauten studiert zuerst die Bewegung der Flüssigkeiten, siehe Clerk Maxwell). Boyle stabiliert die Chemie als Wissenschaft, Harvey durch die Entdeckung der Zirkulation die Physiologie (des Menschen, resp. der Tiere). Zoologie und Botanik bleiben zunächst Sammelwissenschaften, bis die Paläontologie hinzutritt - Cuvier - und bald darauf die Entdeckung der Zelle und die Entwicklung der organischen Chemie. Damit vergleichende Morphologie und Physiologie möglich, und von da an beide wahre Wissenschaften. Ende vorigen Jahrhunderts die Geologie gegründet, neuerdings die schlecht sog. Anthropologie - Vermittlung des Übergangs von Morphologie und Physiologie des Menschen und seiner Rassen zur Geschichte. Weiter zu studieren im Detail und zu entwickeln.

Naturanschauung der Alten

(Hegel, »Geschichte der Philosophie«, Bd. I. - Griechische Philosophie)

|458| Von den ersten Philosophen sagt Aristoteles (»Metaphysik«, I, 3), sie behaupten,

»woraus alles Seiende ist, und woraus es als aus dem Ersten entsteht, und worein als in das Letzte es zugrunde geht, das als die Substanz (ουσία) immer dasselbe bleibt und nur in seinen Bestimmungen (πάδεσι) sich ändert, dies sei das Element (στοιχειον) und dies das Prinzip (αρχη) alles Seienden. Deshalb halten sie dafür, daß kein Ding werde (οϋτε γίγνεσδαι ουδέν) noch vergehe, weil dieselbe Natur sich immer erhält« (p. 198).

Hier also schon ganz der ursprüngliche, naturwüchsige Materialismus, der ganz natürlich in seinem Anfang die Einheit in der unendlichen Mannigfaltigkeit der Naturerscheinungen als selbstverständlich ansieht und in etwas Bestimmt-Körperlichem, einem Besonderen sucht, wie Thales im Wasser.

Cicero sagt:

»Thales |Hervorhebung von Engels| aus Milet ... erklärte das Wasser für den Urstoff der Dinge, die Gottheit aber für einen Geist, der aus dem Wasser alles bilde« (»De Natura Deorum« I, 10).

Hegel erklärt dies ganz richtig für einen Zusatz des Cicero und fügt hinzu:

»Allein diese Frage, ob Thales noch außerdem an Gott geglaubt, geht uns hier nichts an; es ist nicht von Annehmen, Glauben, Volksreligion die Rede ... und ob er von Gott als dem Bildner aller Dinge aus jenem Wasser gesprochen, so wüßten wir damit nichts mehr von diesem Wesen ... es ist leeres Wort ohne seinen Begriff.« [S.] 209 (ca. 600 [v.u.Z.]).

Die ältesten griechischen Philosophen gleichzeitig Naturforscher: Thales, Geometer, bestimmte das Jahr auf 365 Tage, soll eine Sonnenfinsternis vorhergesagt haben. - Anaximander machte eine Sonnenuhr, eine Art Karte (περίμετρον) des Landes und Meeres und verschiedne astronomische Instrumente. - Pythagoras Mathematiker.

Anaximander aus Milet läßt, nach Plutarch (»Quaest[iones] convival[es]«, VIII, 8) »den Menschen aus einem Fisch werden, hervorgehen aus |459| dem Wasser auf das Land« |Hervorhebung von Engels| ([S.] 213). Für ihn die αρχη και στοιχειον το απεισον |Anfang und Urelement sei des Unbegrenzte (Hervorhebung von Engels)| ohne es als Luft oder Wasser oder etwas andres zu bestimmen (διορίζων) (Diogenes Laertius, II, § 1). Dies Unendliche von Hegel (p. 215) als »die unbestimmte Materie« richtig wiedergegeben (ca. 580).

Anaximenes aus Milet setzt die Luft als Prinzip und Grundelement, die unendlich sei (Cicero »De Natura Deorum«, I, 10) und

»aus ihr trete alles hervor, und in sie löse alles sich wieder auf« (Plutarch »De placitis philos[ophorum]«), I, 3).

Dabei die Luft αηρ = πνευμα |Hauch = Geist|.

»Wie unsre Seele, die Luft ist, uns zusammenhält, so hält auch die ganze Welt ein Geist und Luft zusammen; Geist und Luft ist gleichbedeutend« (Plutarch) [S. 215/216].

Seele und Luft als allgemeines Medium gefaßt (ca. 555).

Aristoteles schon sagt, daß diese älteren Philosophen das Urwesen in eine Weise der Materie setzen: Luft und Wasser (und vielleicht Anaximander in ein Mittelding zwischen beiden), später Heraklit ins Feuer, aber keiner in die Erde wegen ihrer vielfachen Zusammensetzung (δια την μεγαλομέρειαν), »Metaphysik«, I, 8 (S. 217).

Von ihnen allen sagt Aristoteles richtig, daß sie den Ursprung der Bewegung unerklärt lassen. ([p.] 218 ff.)

Pythagoras aus Samos (ca. 540): Die Zahl ist das Grundprinzip:

»daß die Zahl das Wesen aller Dinge, und die Organisation des Universums überhaupt in seinen Bestimmungen ein harmonisches System von Zahlen und deren Verhältnissen ist« |Hervorhebung von Engels| (Aristoteles, »Metaphysik«, I, 5 passim).

Hegel macht mit Recht aufmerksam auf

»die Kühnheit einer solchen Rede, die alles, was der Vorstellung als seiend und wesenhaft (für wahr) gilt, auf einmal so niederschlägt und das sinnliche Wesen vertilgt« [p.237/238] und das Wesen in eine, wenn auch noch so sehr beschränkte und einseitige Gedankenbestimmung setzt.

Wie die Zahl bestimmten Gesetzen unterworfen, so auch das Universum; seine Gesetzmäßigkeit hiermit zuerst ausgesprochen. Pythagoras wird die Reduzierung der musikalischen Harmonien auf mathematische Verhältnisse zugeschrieben.

|460| Ebenso:

»In die Mitte haben die Pythagoräer das Feuer gesetzt, die Erde aber als einen Stern, der sich um diesen Zentralkörper im Kreise herumbewegt« (Aristoteles »De coelo«, II, 13 [p. 265]).

Dieses Feuer aber nicht die Sonne; immer die erste Ahnung, daß die Erde sich bewegt.

Hegel über das Planetensystem:

» ...das Harmonische, wodurch sich die Abstände [zwischen den Planeten] bestimmen - dafür hat alle Mathematik noch keinen Grund anzugeben vermocht. Die empirischen Zahlen kennt man genau; aber alles hat den Schein der Zufälligkeit, nicht der Notwendigkeit. Man kennt eine ungefähre Regelmäßigkeit der Abstände und hat so zwischen Mars und Jupiter mit Glück noch Planeten da geahnt, wo man später die Ceres, Vesta, Pallas usw. entdeckt hat; aber eine konsequente Reihe, worin Vernunft, Verstand ist, hat die Astronomie noch nicht darin gefunden. Sie sieht vielmehr mit Verachtung auf die regelmäßige Darstellung dieser Reihe; für sich ist es aber ein höchst wichtiger Punkt, der nicht aufzugeben ist.« ([p.] 267[/268].)

Bei aller naiv-materialistischen Gesamtauffassung der Kern der spätern Spaltung bereits bei den ältesten Griechen. Die Seele ist schon bei Thales etwas Besondres, vom Körper Verschiednes (wie er auch dem Magnet eine Seele zuschreibt), bei Anaximenes ist sie Luft (wie in der Genesis), bei den Pythagoräern ist sie bereits unsterblich und wandernd, der Körper für sie rein zufällig. Auch bei den Pythagoräern ist die Seele »ein Splitter des Äthers (απόσπασμα αιθέροσ)« (Diogenes Laertius, VIII, 26-28), wo der Äther - der kalte - die Luft, der dicke das Meer und die Feuchtigkeit ist. [p. 279/280.]

Aristoteles wirft auch den Pythagoräern richtig vor:

Mit ihren Zahlen »sagen sie nicht, wie die Bewegung wird, und wie, ohne Bewegung und Veränderung, Entstehen und Vergehen ist, oder die Zustände und Tätigkeiten der himmlischen Dinge« (»Metaphysik«, I, 8 [p.277]).

Pythagoras soll erkannt haben die Identität des Morgen- und Abendsterns, daß der Mond sein Licht von der Sonne bekommt. Endlich den pythagoräischen Lehrsatz.

»Pythagoras soll eine Hekatombe geschlachtet haben bei Findung dieses Satzes ... Und merkwürdig mag es wohl sein, daß seine Freude so weit gegangen, deshalb ein großes Fest anzuordnen, wo die Reichen und das ganze Volk eingeladen waren; der Mühe wert war es. Es ist Fröhlichkeit, Freude des Geistes (Erkenntnis) - auf Kosten der Ochsen.« (S. 279.)

Eleaten.

|461| Leukipp und Demokrit.

»Leukippos aber und sein Schüler Demokritos setzen als Element das Volle und das Leere, womit sie das Seiende und das Nichtseiende meinen, indem sie hier unter dem Vollen und dem Festen« (nämlich τα ατομα |den Atomen|) »das Seiende, dagegen unter dem Leeren und dem Hohlen das Nichtseiende verstehen. Darum lassen sie auch das Seiende um nichts mehr existieren als das Nichtseiende ... Diese Elemente sind ihnen aber Seinsgründe in Weise der Materie. Und wie diejenigen, welche die zugrunde liegende Substanz« (die Materie) »als eins setzen, das andere durch ihre Eigenschaften erzeugen .... ganz in gleicher Weise bezeichnen auch diese die Unterschiede« (nämlich der Atome) »als Ursache des übrigen. Solcher Unterschiede aber nehmen sie drei an: Gestalt, Ordnung und Lage ... So unterscheidet sich A von N durch die Gestalt, AN von NA durch die Ordnung und Z von N durch die Lage.« (Aristoteles, Metaphysik«, Buch I, Kapitel 4.) [266]

»Er« (Leukippos) »hat zuerst Atome als das Ursprüngliche hingestellt ..., mit welchen Ausdrücken er die Elemente bezeichnet. Daraus entstehen unzählige Welten und lösen sich auch wieder in die Elemente auf. Die Welten aber entstehen auf folgende Weise: Nach Maßgabe der Ablösung von dem Unendlichen bewegen sich zahlreiche Körper von mannigfachster Gestaltung in den großen leeren Raum hinein, die zusammengeballt einen einzigen großen Wirbel ausmachen, durch den sie, gegeneinander stoßend und mannigfach im Kreise sich umschwingend, in der Weise gesondert werden, daß sich das Gleiche zum Gleichen gesellt. Wenn sie nun nach hergestelltem Gleichgewicht sich wegen der Menge nicht mehr im Kreise umschwingen können, entweichen die feineren (leichteren) in der Richtung nach dem äußeren Leeren, als wären sie durchgesiebt, die übrigen bleiben beisammen, halten, sich miteinander verflechtend, die gleiche Bahn ein und bilden so die erste kugelförmige Massengestaltung.« (Diogenes Laertius, Buch IX, Kapitel 6.)

Folgendes über Epikur:

»Die Atome bewegen sich aber unablässig. Weiter unten aber sagt er, daß sie sich auch gleich schnell bewegen, da der leere Raum die gleiche Nachgiebigkeit zeigt sowohl gegen das leichteste wie gegen das schwerste Atom ... Die Atome besäßen auch keine Qualitäten, sondern nur Gestalt, Größe und Schwere ... Auch komme ihnen nicht jede beliebige Größe zu. Wenigstens wurde noch niemals ein Atom durch Sinneswahrnehmung erschaut.« (Diogenes Laertius, Buch X, § 43-44.) »Ferner kommt den Atomen notwendig die gleiche Geschwindigkeit zu, wenn sie bei ihrer Bewegung durch den leeren Raum auf keinen Widerstand stoßen. Denn weder werden die schweren sich schneller bewegen als die kleinen und leichten, wenigstens wenn ihnen kein Hindernis entgegentritt, noch werden die kleinen den großen vorauseilen, obschon sie überall bequemen Durchgang finden; nur darf den großen kein Widerstand entgegentreten.« (Ebenda, § 61 .)

|462| »Daß also das Eins in jeder Gattung [der Dinge] eine bestimmte Natur ist, und bei keinem eben dies, das Eins, seine Natur ist, leuchtet ein« (Aristoteles, »Metaphysik«, Buch IX, Kapitel 2).

*

Aristarch von Samos 270 v. Chr. hatte schon die Kopernikanische Theorie von Erde und Sonne (Mädler, [S.] 44; Wolf [S.] 35-37).

Demokrit hatte schon vermutet, die Milchstraße werfe uns das vereinigte Licht zahlloser kleiner Sterne zu (Wolf, [S.] 313).

*

Unterschied der Lage bei Ende der Alten Welt ca. 300 - und Ende des Mittelalters - 1453

1. Anstatt eines dünnen Kulturstreifens entlang der Küste des Mittelmeers, der seine Arme sporadisch ins Innere und bis an die Atlantische Küste von Spanien, Frankreich und England ausstreckte und so leicht von den Deutschen und Slawen von Norden und Arabern von Südosten durchbrochen und aufgerollt werden konnte - jetzt ein geschlossenes Kulturgebiet - ganz Westeuropa mit Skandinavien, Polen und Ungarn als Vorposten.

2. Anstatt des Gegensatzes von Griechen resp. Römern und Barbaren, jetzt 6 Kulturvölker mit Kultursprachen, die skandinavischen etc. nicht gezählt, die alle soweit entwickelt waren, daß sie den gewaltigen Literaturaufschwung des 14. Jahrhunderts mitmachen konnten und eine weit größere Vielseitigkeit der Bildung garantierten als die Ende des Altertums bereits verfallene und absterbende griechische und lateinische Sprache.

3. Eine unendlich höhere Entwicklung der industriellen Produktion und des Handels, geschaffen durch das mittelalterliche Bürgertum; einerseits die Produktion vervollkommneter, mannigfacher und massenhafter, andrerseits der Handelsverkehr weit stärker, die Schiffahrt seit der Sachsen-, Friesen- und Normannenzeit unendlich kühner, und andrerseits die Menge Erfindungen und Import von orientalischen Erfindungen, die den Import und Verbreitung der griechischen Literatur, die See-Entdeckungen und die bürgerliche religiöse Revolution nicht nur erst möglich machten, sondern ihnen auch ganz andre und raschere Tragweite gaben, und obendrein eine Masse wissenschaftlicher Tatsachen, wenn auch noch ungeordnet, lieferten, |463| wie sie dem Altertum nie vorgelegen (Magnetnadel, Druck, Lettern, Leinenpapier - von Arabern und spanischen Juden seit dem 12. Jahrhundert gebraucht, Baumwollpapier seit dem 10. Jahrhundert allmählich aufkommend, im 13. und 14. Jahrhundert schon verbreiteter, Papyrus seit den Arabern in Ägypten ganz eingegangen) - Schießpulver, Brillen, mechanische Uhren, großer Fortschritt sowohl der Zeitrechnung wie auch der Mechanik.

(Erfindungen siehe N°. 11){2}

Dazu der Reisestoff (Marco Polo ca. 1272 etc.).

Viel verbreitetere allgemeine Bildung, wenn auch noch schlechte, durch die Universitäten.

Mit der Erhebung von Konstantinopel und dem Fall Roms schließt die alte Zeit, mit dem Fall von Konstantinopel ist das Ende des Mittelalters unlösbar verknüpft. Die neue Zeit fängt an mit der Rückkehr zu den Griechen. - Negation der Negation!

Historisches. - Erfindungen

Vor Chr.
Feuerspritze, Wasseruhr ca. 200 v. Chr., Straßenpflaster (Rom).
Pergament ca. 160.

Nach Chr.
Wassermühlen an der Mosel, ca. 340, in Deutschland zu Karls des Großen Zeit.
Erste Spur von Glasfenstern. Straßenbeleuchtung in Antiochien ca. 370.
Seidenwürmer aus China ca. 550 in Griechenland.
Schreibfedern im 6. Jahrhundert.
Baumwollpapier aus China zu den Arabern im 7. Jahrhundert, im 9. in Italien.
Wasserorgeln in Frankreich im 8. Jahrhundert.
Silbergruben am Harz bearbeitet seit 10. Jahrhundert.
Windmühlen gegen 1000.
Noten, Tonleiter des Guido von Arezzo gegen 1000.
Seidenzucht nach Italien gegen 1100.
Uhren mit Rädern - do.
Magnetnadel von den Arabern zu den Europäern ca. 1180.
Straßenpflaster in Paris 1184.

|464| Brillen in Florenz. Glasspiegel. } Zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts.
Heringeinsalzen. Schleusen.
Schlaguhren. Baumwollpapier in Frankreich.

Lumpenpapier Anfang 14. Jahrhundert.
Wechsel - Mitte do.
Erste Papiermühle in Deutschland (Nürnberg) 1390.
Straßenbeleuchtung in London Anfang 15. Jahrhundert.
Post in Venedig - do.
Holzschnitt und Druck - do.
Kupferstecherkunst - Mitte do.
Reitende Posten in Frankreich 1464.
Erzgebirgisch-Sächsische Silbergruben 1471.
Pedalklavier erfunden 1472.
Taschenuhren. Windbüchsen. Flintenschloß - Ende 15. Jahrhundert.
Spinnrad 1530.
Taucherglocke 1538.

*

Historisches

Die moderne Naturwissenschaft - die einzige, von der qua |als| Wissenschaft die Rede sein kann gegenüber den genialen Intuitionen der Griechen und den sporadisch zusammenhangslosen Untersuchungen der Araber - beginnt mit jener gewaltigen Epoche, die den Feudalismus durch das Bürgertum brach - im Hintergrund des Kampfs zwischen Städtebürgern und Feudaladel die rebellischen Bauern und hinter den Bauern die revolutionären Anfänge des modernen Proletariats, schon die rote Fahne in der Hand und den Kommunismus auf den Lippen, zeigte -, die großen Monarchien in Europa schuf, die geistige Diktatur des Papstes brach, das griechische Altertum wieder heraufbeschwor und mit ihm die höchste Kunstentwicklung der neuen Zeit, die Grenzen des alten Orbis |Orbis terrarum - des Erdkreises| durchbrach und die Erde erst eigentlich entdeckte.

Es war die größte Revolution, die die Erde bis dahin erlebt hatte. Auch die Naturwissenschaft lebte und webte in dieser Revolution, war revolutionär durch und durch, ging Hand in Hand mit der erwachenden modernen Philosophie der großen Italiener, und lieferte ihre Märtyrer auf die Scheiter- |465| haufen und in die Gefängnisse. Es ist bezeichnend, daß Protestanten wie Katholiken in ihrer Verfolgung wetteiferten. Die einen verbrannten Servet, die andern Giordano Bruno. Es war eine Zeit, die Riesen brauchte und Riesen hervorbrachte, Riesen an Gelehrsamkeit, Geist und Charakter, die Zeit, die die Franzosen richtig die Renaissance, das protestantische Europa einseitig borniert die der Reformation benannten.

Auch die Naturwissenschaft hatte damals ihre Unabhängigkeitserklärung, die freilich nicht gleich im Anfang kam, ebensowenig wie Luther der erste Protestant gewesen. Was auf religiösem Gebiet die Bullenverbrennung Luthers, war auf naturwissenschaftlichem des Kopernikus großes Werk, worin er, schüchtern zwar, nach 36jährigem Zögern und sozusagen auf dem Totenbett, dem kirchlichen Aberglauben den Fehdehandschuh hinwarf. Von da an war die Naturforschung von der Religion wesentlich emanzipiert, obwohl die vollständige Auseinandersetzung aller Details sich noch bis heute hingezogen und in manchen Köpfen noch lange nicht fertig ist. Aber von da an ging auch die Entwicklung der Wissenschaft mit Riesenschritten, sie nahm zusozusagen im quadratischen Verhältnis der zeitlichen Entfernung von ihrem Ausgangspunkt, gleichsam als ob sie der Welt zeigen wollte, daß für die Bewegung der höchsten Blüte der organischen Materie, den Menschengeist, das umgekehrte Gesetz gelte wie für die Bewegung unorganischer Materie.

Die erste Periode der neueren Naturwissenschaft schließt - auf dem Gebiet des Unorganischen - mit Newton ab. Es ist die Periode der Bewältigung des gegebnen Stoffs, und sie hatte im Bereich des Mathematischen, der Mechanik und Astronomie, der Statik und Dynamik, Großes geleistet, besonders durch Kepler und Galilei, aus denen Newton die Schlußfolgerungen zog. Auf dem Gebiete des Organischen aber war man nicht über die ersten Anfänge hinaus. Die Untersuchung der historisch aufeinanderfolgenden und sich verdrängenden Lebensformen sowie die der ihnen entsprechenden wechselnden Lebensbedingungen - Paläontologie und Geologie - existierten noch nicht. Die Natur galt überhaupt nicht für etwas, das sich historisch entwickelt, das seine Geschichte in der Zeit hat; bloß die Ausdehnung im Raum kam in Betracht; nicht nacheinander, nur nebeneinander waren die verschiedenen Formen gruppiert worden; die Naturgeschichte galt für alle Zeiten, wie die Ellipsenbahnen der Planeten. Es fehlten für alle nähere Untersuchung der organischen Gebilde die beiden ersten Grundlagen, die Chemie und die Kenntnis der wesentlichen organischen Struktur, der Zelle. Die anfangs revolutionäre Naturwissenschaft stand vor einer durch und durch konservativen Natur, in der alles noch |466| heute so war wie von Anfang der Welt an, und in der bis zum Ende der Welt alles so bleiben werde, wie es von Anfang an gewesen.

Es ist bezeichnend, daß diese konservative Naturanschauung sowohl im Anorganischen wie im Organischen [...]{3}

Astronomie
Mechanik
Mathematik
Physik
Chemie
Geologie
Paläontologie
Mineralogie
Pflanzenphysiologie
Tierphysiologie
Anatomie
Therapeutik
Diagnostik.

1te Bresche: Kant und Laplace. 2te: Geologie und Paläontologie (Lyell, langsame Entwicklung). 3te: organische Chemie, die organische Körper herstellt und die Gültigkeit der chemischen Gesetze für die lebenden Körper darstellt. 4te: 1842, mechanische [Theorie der] Wärme, Grove. 5te: Darwin, Lamarck, Zelle etc. (Kampf, Cuvier und Agassiz). 6te: das vergleichende Element in Anatomie, Klimatologie (Isothermen), Tier- und Pflanzengeographie (wissenschaftliche Reiseexpeditionen seit Mitte 18. Jahrhunderts), überhaupt physikalischer Geographie (Humboldt), das Zusammenbringen des Materials in Zusammenhang. Morphologie (Embryologie, Baer){4}

Die alte Teleologie ist zum Teufel, aber fest steht jetzt die Gewißheit, daß die Materie in ihrem ewigen Kreislauf nach Gesetzen sich bewegt, die auf bestimmter Stufe - bald hier, bald da - in organischen Wesen den denkenden Geist mit Notwendigkeit produzieren.

Die normale Existenz der Tiere gegeben in den gleichzeitigen Verhältnissen, worin sie leben und denen sie sich adaptieren - die des Menschen, sobald er sich vom Tier im engern Sinn differenziert, sind noch nie dagewesen, erst durch künftige historische Entwicklung herauszuarbeiten. Der Mensch ist das einzige Tier, das sich aus dem bloß tierischen Zustand herausarbeiten kann - sein Normalzustand ein seinem Bewußtsein angemessener, von ihm selbst zu schaffender.

Ausgelassenes aus »Feuerbach«

[Die vulgarisierenden Hausierer, die in den fünfziger Jahren in Deutschland in Materialismus machten, kamen in keiner Weise über diese Schran- |467| ken ihrer Lehrer |der französischen Materialisten des 18. Jahrhunderts| hinaus. Alle seitdem gemachten Fortschritte der Naturwissenschaft dienten ihnen nur] als neue Argumente gegen den Glauben an den Weltschöpfer; und in der Tat lag es ganz außerhalb ihres Geschäfts, die Theorie weiterzuentwickeln. Der Idealismus war durch 1848 schwer getroffen, aber der Materialismus in dieser seiner erneuten Gestalt war noch tiefer heruntergekommen. Daß Feuerbach die Verantwortlichkeit für diesen Materialismus ablehnte, darin hatte er entschieden recht; nur durfte er die Lehre der Reiseprediger nicht mit dem Materialismus überhaupt zusammenwerfen.

Um dieselbe Zeit aber nahm die empirische Naturwissenschaft einen solchen Aufschwung und erreichte so glänzende Resultate, daß dadurch nicht nur eine vollständige Überwindung der mechanischen Einseitigkeit des 18. Jahrhunderts möglich wurde, sondern auch die Naturwissenschaft selbst durch den Nachweis der in der Natur selbst vorhandenen Zusammenhänge der verschiednen Untersuchungsgebiete (der Mechanik, Physik, Chemie, Biologie etc.) aus einer empirischen in eine theoretische Wissenschaft und bei der Zusammenfassung des Gewonnenen in ein System der materialistischen Naturerkenntnis sich verwandelte. Die Mechanik der Gase; die neugeschaffene organische Chemie, die einer sogenannten organischen Verbindung nach der andern den letzten Rest der Unbegreiflichkeit abstreifte, indem sie sie aus anorganischen Stoffen herstellte; die von 1818 datierende wissenschaftliche Embryologie; die Geologie und Paläontologie; die vergleichende Anatomie der Pflanzen und Tiere - sie alle lieferten neuen Stoff in bisher unerhörtem Maß. Von entscheidender Wichtigkeit aber waren drei große Entdeckungen.

Die erste war der von der Entdeckung des mechanischen Äquivalents der Wärme (durch Robert Mayer, Joule und Colding) sich herleitende Nachweis der Verwandlung der Energie. Alle die zahllosen wirkenden Ursachen in der Natur, die bisher als sogenannte Kräfte ein geheimnisvolles, unerklärtes Dasein führten - mechanische Kraft, Wärme, Strahlung (Licht und strahlende Wärme), Elektrizität, Magnetismus, chemische Kraft der Verbindung und Trennung -, sind jetzt nachgewiesen als besondre Formen, Daseinsweisen einer und derselben Energie, d.h. Bewegung; wir können nicht nur ihre in der Natur stets vorgehende Verwandlung aus einer Form in die andre nachweisen, sondern sie selbst im Laboratorium und in der Industrie vollführen, und zwar so, daß einer gegebnen Menge von Energie in der einen Form stets eine bestimmte Menge von Energie in dieser oder jener |468| andern Form entspricht. Wir können so die Wärmeeinheit in Kilogramm-Metern, und die Einheiten oder beliebigen Mengen von elektrischer oder chemischer Energie wieder in Wärmeeinheiten ausdrücken und umgekehrt; wir können ebenso den Energieverbrauch und die Energiezufuhr eines lebendigen Organismus messen und in einer beliebigen Einheit, z.B. in Wärmeeinheiten, ausdrücken. Die Einheit aller Bewegung in der Natur ist nicht mehr eine philosophische Behauptung, sondern eine naturwissenschaftliche Tatsache.

Die zweite - der Zeit nach frühere - ist die Entdeckung der organischen Zelle durch Schwann und Schleiden, der Zelle als der Einheit, aus deren Vervielfältigung und Differenzierung alle Organismen mit Ausnahme der niedrigsten entstehen und herauswachsen. Erst mit dieser Entdeckung erhielt die Untersuchung der organischen, lebendigen Naturprodukte - sowohl die vergleichende Anatomie und Physiologie wie die Embryologie - einen festen Boden. Der Entstehung, dem Wachstum und der Struktur der Organismen war das Geheimnis abgestreift; das bisher unbegreifliche Wunder hatte sich aufgelöst in einen nach einem für alle vielzelligen Organismen wesentlich identischen Gesetz sich vollziehenden Prozeß.

Aber noch blieb eine wesentliche Lücke. Wenn alle vielzelligen Organismen - Pflanzen wie Tiere mit Einschluß des Menschen - aus je einer Zelle nach dem Gesetz der Zellspaltung herauswachsen, woher dann die unendliche Verschiedenheit dieser Organismen? Diese Frage wurde beantwortet durch die dritte große Entdeckung, die Entwicklungstheorie, die zuerst von Darwin im Zusammenhang dargestellt und begründet wurde. So manche Umwandlungen diese Theorie auch noch im einzelnen durchmachen wird, so löst sie im ganzen und großen schon jetzt das Problem in mehr als genügender Weise. Die Entwicklungsreihe der Organismen von wenigen einfachen zu stets mannigfacheren und komplizierteren, wie wir sie heute vor uns sehn, und bis zum Menschen herauf, ist in den großen Grundzügen nachgewiesen; es ist damit nicht nur die Erklärung ermöglicht für den vorgefundnen Bestand an organischen Naturprodukten, sondern auch die Grundlage gegeben für die Vorgeschichte des Menschengeistes, für die Verfolgung seiner verschiednen Entwicklungsstufen vom einfachen strukturlosen, aber Reize empfindenden Protoplasma der niedrigsten Organismen bis zum denkenden Menschenhirn. Ohne diese Vorgeschichte aber bleibt das Dasein des denkenden Menschenhirns ein Wunder.

Mit diesen drei großen Entdeckungen sind die Hauptvorgänge der Natur erklärt, auf natürliche Ursachen zurückgeführt. Nur eines bleibt hier noch zu tun: die Entstehung des Lebens aus der unorganischen Natur zu |469| erklären. Das heißt auf der heutigen Stufe der Wissenschaft nichts andres als: Eiweißkörper aus unorganischen Stoffen herzustellen. Dieser Aufgabe rückt die Chemie immer näher. Sie ist noch weit von ihr entfernt. Wenn wir aber bedenken, daß erst 1828 der erste organische Körper, der Harnstoff, von Wöhler aus unorganischem Material dargestellt wurde, und wie unzählige sogenannte organische Zusammensetzungen jetzt künstlich ohne irgendwelche organische Stoffe dargestellt werden, werden wir der Chemie kein Halt! vor dem Eiweiß gebieten wollen. Bis jetzt kann sie jeden organischen Stoff darstellen, dessen Zusammensetzung sie genau kennt. Sobald die Zusammensetzung der Eiweißkörper einmal bekannt ist, wird sie an die Herstellung von lebendigem Eiweiß gehn können. Daß sie aber von heute auf morgen das leisten soll, was der Natur selbst nur unter sehr günstigen Umständen auf einzelnen Weltkörpern nach Millionen Jahren gelingt - das hieße ein Wunder verlangen.

Somit steht die materialistische Naturanschauung heute auf ganz anders festen Füßen als im vorigen Jahrhundert. Damals war nur die Bewegung der Himmelskörper und die von irdischen festen Körpern unter dem Einfluß der Schwere einigermaßen erschöpfend verstanden; fast das ganze Gebiet der Chemie und die ganze organische Natur blieben unverstandne Geheimnisse. Heute liegt die ganze Natur als ein wenigstens in den großen Grundzügen erklärtes und begriffenes System von Zusammenhängen und Vorgängen vor uns ausgebreitet. Allerdings heißt materialistische Naturanschauung weiter nichts als einfache Auffassung der Natur so, wie sie sich gibt, ohne fremde Zutat, und daher verstand sie sich bei den griechischen Philosophen ursprünglich von selbst. Aber zwischen jenen alten Griechen und uns liegen mehr als zwei Jahrtausende wesentlich idealistischer Weltanschauung, und da ist die Rückkehr auch zum Selbstverständlichen schwerer, als es auf den ersten Blick scheint. Denn es handelt sich keineswegs um einfache Verwerfung des ganzen Gedankeninhalts jener zwei Jahrtausende, sondern um seine Kritik, um die Losschälung der innerhalb der falschen, aber für ihre Zeit und den Entwicklungsgang selbst unvermeidlichen idealistischen Form gewonnenen Resultate aus dieser vergänglichen Form. Und wie schwer das ist, beweisen uns jene zahlreichen Naturforscher, die innerhalb ihrer Wissenschaft unerbittliche Materialisten sind, außerhalb derselben aber nicht nur Idealisten, sondern selbst fromme, ja orthodoxe Christen.

Alle diese epochemachenden Fortschritte der Naturwissenschaft gingen an Feuerbach vorüber, ohne ihn wesentlich zu berühren. Es war dies nicht so sehr seine Schuld als die der elenden deutschen Verhältnisse, kraft deren |470| die Lehrstühle der Universitäten von hohlköpfigen, eklektischen Flohknackern in Beschlag genommen wurden, während Feuerbach, der sie turmhoch überragte, in einsamer Dorfabgeschiedenheit fast verbauern mußte. Daher kommt es, daß er über die Natur - bei einzelnen genialen Zusammenfassungen - soviel belletristisches Stroh dreschen muß. So sagt er:

»Das Leben ist allerdings nicht Produkt eines chemischen Prozesses, nicht Produkt überhaupt einer vereinzelten Naturkraft oder Erscheinung, worauf der metaphysische Materialist das Leben reduziert, es ist ein Resultat der ganzen Natur«.

Daß das Leben ein Resultat der ganzen Natur ist, widerspricht keineswegs dem Umstand, daß das Eiweiß, welches der ausschließliche selbständige Träger des Lebens ist, unter bestimmten, durch den ganzen Naturzusammenhang gegebnen Bedingungen entsteht, aber eben als Produkt eines chemischen Prozesses entsteht. <Hätte Feuerbach unter Umständen gelebt, die ihm erlaubten, die Entwicklung der Naturwissenschaft auch nur oberflächlich zu verfolgen, so würde er nie in den Fall gekommen sein, von einem chemischen Prozeß zu sprechen als von der Wirkung einer vereinzelten Naturkraft.>{5} Derselben Vereinsamung ist es zuzuschreiben, wenn Feuerbach sich in eine Reihe unfruchtbarer und sich im Kreise drehender Spekulationen über das Verhältnis des Denkens zum denkenden Organ, dem Gehirn, verliert - ein Gebiet, worauf ihm Starcke mit Vorliebe folgt.

Genug, Feuerbach sträubt sich gegen den Namen Materialismus. Und nicht ganz mit Unrecht; denn er wird den Idealisten nie ganz los. Auf dem Gebiet der Natur ist er Materialist; aber auf dem Gebiet der menschlichen [...]{6}

*

Gott wird nirgends schlechter behandelt als bei den Naturforschern, die an ihn glauben. Die Materialisten explizieren einfach die Sache, ohne auf solche Phrasen einzugehn, sie tun dies erst, wenn zudringliche Gläubige ihnen den Gott aufdrängen wollen, und da antworten sie kurz, sei es wie Laplace: Sire, je n'avais etc., sei es derber in der Art der holländischen Kaufleute, die deutsche Handelsreisende bei Aufdrängung ihrer Schund- |471| fabrikate mit den Worten abzuweisen pflegen: Ik kan die zaken niet gebruiken, und damit ist's abgetan. Aber was hat Gott von seinen Verteidigern erdulden müssen! In der Geschichte der modernen Naturwissenschaften wird Gott von seinen Verteidigern behandelt wie Friedrich Wilhelm III. in der Kampagne von Jena von seinen Generalen und Beamten. Ein Armeeteil nach dem andern streckt das Gewehr, eine Festung nach der andern kapituliert vor dem Anmarsch der Wissenschaft, bis zuletzt das ganze unendliche Gebiet der Natur von ihr erobert und keine Stätte mehr in ihr ist für den Schöpfer. Newton ließ ihm noch den »ersten Anstoß«, verbat sich aber jede fernere Einmischung in sein Sonnensystem. P[ater] Secchi komplimentiert ihn, zwar mit allen kanonischen Honneurs, aber darum nicht weniger kategorisch, aus dem Sonnensystem ganz heraus und erlaubt ihm nur noch in Beziehung auf den Urnebel einen Schöpfungsakt. Und so auf allen Gebieten. In der Biologie mutet ihm sein letzter großer Don Quixote, Agassiz, sogar positiven Unsinn zu: Er soll nicht nur die wirklichen Tiere, sondern auch abstrakte Tiere, den Fisch als solchen schaffen! |Siehe S. 477| Und zuletzt verbietet ihm Tyndall gar den Zutritt zur Natur total und verweist ihn in die Welt der Gefühlsbewegungen und läßt ihn nur zu, weil es doch jemand geben muß, der von allen diesen Dingen (der Natur) mehr weiß als J. Tyndall! Welch ein Abstand vom alten Gott - Schöpfer Himmels und der Erden, Erhalter aller Dinge, ohne den kein Haar vom Haupt fallen kann!

Das emotionale Bedürfnis Tyndalls beweist nichts. Der Chevalier des Grieux hatte auch das emotionale Bedürfnis, die Manon Lescaut zu lieben und zu besitzen, die sich und ihn einmal über das andre Mal verkaufte, er wurde ihr zuliebe Falschspieler und Maquereau, und wenn Tyndall ihm dann Vorwürfe machen will, so antwortet er mit seinem »emotionalen Bedürfnis«!

Gott = nescio |ich weiß es nicht|; aber ignorantia non est argumentum |Unwissenheit ist kein Beweisgrund| (Spinoza).


{1} Am Rande des Manuskripts ist gegenüber diesem Absatz geschrieben: »Bisher nur geprahlt, was die Produktion der Wissenschaft verdankt, aber die Wissenschaft verdankt der Produktion unendlich mehr«. <=

{2} Engels meint das 11. Blatt seiner Notizen. Die auf diesem Blatt niedergeschriebene chronologische Tabelle der Erfindungen wird weiter unten wiedergegeben. <=

{3} Der Satz ist unvollendet geblieben. <=

{4} Bis hierher ist der gesamte Text der Notiz im Manuskript, als von Engels im ersten Teil der »Einleitung« benutzt, mit einem senkrechten Strich durchstrichen (siehe S. 311-320). Weiter folgen noch zwei Absätze, die teilweise im zweiten Teil der »Einleitung« (S. 320-327) benutzt wurden, aber im Manuskript nicht gestrichen sind. <=

{5} Dieser Satz ist im Manuskript gestrichen. <=

{6} Hier endet S. 19 des ursprünglichen Manuskripts »Ludwig Feuerbach«. Das Ende dieses Satzes befindet sich auf der folgenden Seite, die nicht erhalten ist. Auf Grund des gedruckten Textes des »Ludwig Feuerbach« kann man annehmen, daß der zweite Teil des letzten Satzes so lautete: »aber auf dem Gebiet der menschlichen Geschichte ist er Idealist«. <=


Pfad: »../me/me20«
Verknüpfte Dateien: »../../format.htm«


MLWerke | <- | Inhalt | -> | Marx/Engels