MLWerke Marx/Engels - Werke Artikel und Korrespondenzen 1882

Seitenzahlen verweisen auf:    Karl Marx/Friedrich Engels - Werke. (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 19, 4. Auflage 1973, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1962, Berlin/DDR. S. 312-314.
Korrektur:    1
Erstellt:    18.07.1999

Friedrich Engels

Wie der Pindter flunkert

Geschrieben Ende Oktober 1882.


["Der Sozialdemokrat" Nr. 45 vom 2. November 1882]

|312| Die "Norddeutsche Allgemeine Zeitung", das Leiborgan des Fürsten Bismarck, ist vermöge ihrer Stellung nicht bloß über alle Regeln des Anstandes, sondern auch der Logik und des gesunden Menschenverstandes erhaben. Sie hat das Privileg, zu schimpfen, zu verleumden, zu lügen und staatsmännischen wie unstaatsmännischen Unsinn zu schreiben. Mit Ausnahme einiger Lakaien mit und ohne Uniform, welche die Expektorationen und Exkremente des Dalai Lama als Ausflüsse der Gottheit zu verehren und, wenn es sein muß, auch aufzuspeisen pflegen, weiß jedermann, daß dieses Blatt das Asyl aller Niederträchtigkeit und Dummheit ist.

Wenn es gilt, einen Gegner zu beschmutzen, eine recht dicke Lüge, eine recht saftige Verleumdung in die Welt zu schicken und recht tief in den Straßenkot zu greifen - dann ist es die "Norddeutsche Allgemeine", die für dieses Ehrenamt ausersehen wird. Und sie verrichtet es mit sichtbarem Wohlgefallen.

In jüngster Zeit hat das saubere Blatt, da es wegen seiner Ungeschicklichkeit und allzu großen Verrufenheit im Landtagswahlkampf nicht verwandt werden konnte, sich mit besonderer Vorliebe darauf verlegt, die Sozialdemokratie zu beschmutzen und die tollsten Lügen über sie zu verbreiten.

Gewisse Vorgänge in Frankreich werden in der groteskesten Weise entstellt und aus den grellsten Farben haarsträubende Schauergemälde zusammengekleckst, welche der schaudernden Menschheit zeigen sollen, daß die Sozialdemokraten Räuber, Mörder, Brandstifter und der Himmel weiß was sonst noch sind, und daß die französische Republik notwendig zugrunde gehen muß, weil sie außerstande ist, sich solcher Scheusale zu erwehren - wozu natürlich nur eine Monarchie mit einem Majordomus (Hausmeier) à la Bismarck fähig ist.

|313| Bei dem Wiener "Raubmordattentat" war es die n Norddeutsche", welche am unverfrorensten dasselbe der Sozialdemokratie in die Schuhe schob und die schuftigsten Denunziationen anknüpfte.

Als vor 14 Tagen eine österreichische Staatsanwaltschaft die kretinhafte Unverschämtheit beging, die ungarischen Judenkrawalle auf geheime Machinationen der Sozialdemokratie zurückzuführen, war die "Norddeutsche Allgemeine" das einzige Blatt, welches diesem ebenso dummen als gemeinen Streich zujubelte und dem Idioten von Staatsanwalt sekundierte, obgleich sie ganz genau weiß - aus ihrer nächsten Nahe und durch ihre eigene persönliche Erfahrung weiß -, daß die sogenannte "antisemitische Bewegung" in den Sozialdemokraten ihre entschiedensten Gegner hat und in Deutschland, speziell in Berlin, trotz eifrigster Unterstützung seitens des Patrons |Bismarck| der "Norddeutschen Allgemeinen", an der Haltung der Sozialdemokraten gescheitert ist.

Die neueste Lügenleistung der "Norddeutschen" besteht in einer längeren Notiz, dahingehend, daß die Frage der Verlängerung des, Sozialistengesetzes einen "heftigen Streit" unter der deutschen Sozialdemokratie hervorgerufen habe.

Die "Liebknechtsche Gruppe" sei der Ansicht, daß die Fortdauer des Sozialistengesetzes im Interesse der Partei liege, von anderen (Gruppen?) würde diese Anschauung als Politik der "Phrase" bekämpft, "und daß der so entstandene Streit innerhalb der sozialdemokratischen Partei mit den gröbsten Waffen geführt werde, verstehe sich von selbst". Die Leser des "Sozialdemokrat" wissen, was es mit dieser Flunkerei auf sich hat. Sowenig es innerhalb der sozialdemokratischen Partei "Gruppen" im Sinne der "Norddeutschen" gibt, gibt's einen "Streit" über irgendeine Frage, und nun gar über die der Verlängerung oder Nichtverlängerung des Sozialistengesetzes.

Wir sind zu gute "Realpolitiker", um uns um ungelegte Eier zu bekümmern, und stehen dieser Frage mit dem Gefühle absolutester "Wurstigkeit" gegenüber. Wird das Sozialistengesetz abgeschafft, so wissen wir, daß es nicht aus Liebe zu uns abgeschafft wird, und wir bleiben, was wir sind; und wird es nicht abgeschafft, so bleiben wir erst recht, was wir sind. Daß das Sozialistengesetz für die Schulung und Festigung unserer Partei unbezahlbar gewesen ist und überhaupt eine treffliche erzieherische Wirkung gehabt hat, darin stimmen übrigens alle Sozialdemokraten ohne Ausnahme überein.

|314| Die Frage, ob die Verlängerung oder Nichtverlängerung des Sozialistengesetzes wahrscheinlich sei, ist allerdings im Parteiorgan - und nur hier - behandelt worden, jedoch, wie das in der Natur des Themas liegt, ganz akademisch. Und wo ist, so fragen wir, der "Streit", der "mit so groben Waffen geführt" worden sein soll? Auch nicht ein Wort, das die Behauptung der "Norddeutschen" rechtfertigte. Das Bismarcksche Leibblatt kennt offenbar noch nicht die für Lügner von Profession so unentbehrliche Regel, daß man wahr lügen muß, d.h., daß die Lüge einer Beimischung von Wahrheit bedarf, um flügge zu werden,

Beiläufig hat sich die "Norddeutsche" von der "Liberalen Correspondenz" sagen lassen müssen, daß sie mit dieser ihrer Notiz eine kolossale Dummheit gemacht. Denn ein besseres Argument für die Aufhebung des Sozialistengesetzes könne es doch nicht geben, als daß dessen Fortdauer von den Sozialdemokraten gewünscht werde. So weit hatten die Verstandeskräfte des Bismarckschen Leibblattes allerdings nicht gereicht.


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