MLWerke Marx/Engels - Werke Artikel und Korrespondenzen 1881

Seitenzahlen verweisen auf:    Karl Marx/Friedrich Engels - Werke. (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 19, 4. Auflage 1973, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1962, Berlin/DDR. S. 291/292.
Korrektur:    1
Erstellt:    18.07.1999

Friedrich Engels

Jenny Marx, geb. v. Westphalen

["Der Sozialdemokrat" Nr. 50 vom 8. Dezember 1881]


|291| Wiederum hat der Tod sich ein Opfer geholt aus den Reihen der alten Garde des proletarischen, revolutionären Sozialismus.

Am 2. Dezember d.J. starb in London, nach langer schmerzhafter Krankheit, die Gattin von Karl Marx.

Sie war geboren in Salzwedel. Ihr Vater, bald darauf als Regierungsrat nach Trier versetzt, wurde dort eng befreundet mit der Familie Marx. Die Kinder wuchsen zusammen heran. Die beiden hochbegabten Naturen fanden sich. Als Marx die Universität bezog, war die Gemeinsamkeit ihrer künftigen Geschicke schon entschieden.

1843, nach der Unterdrückung der ersten, eine Zeitlang von Marx redigierten "Rheinischen Zeitung", war die Hochzeit. Von da an hat Jenny Marx die Schicksale, die Arbeiten, die Kämpfe ihres Mannes nicht bloß geteilt, sie hat daran mit dem höchsten Verständnis, mit der glühendsten Leidenschaft Anteil genommen.

Das junge Paar ging nach Paris, in ein freiwilliges Exil, das nur zu bald ein wirkliches wurde. Die preußische Regierung verfolgte Marx auch da. Alexander v. Humboldt gab sich dazu her, bei der Erwirkung eines Ausweisungsbefehls gegen Marx mit tätig zu sein. Die Familie wurde nach Brüssel getrieben.

Es kam die Februarrevolution. Während der in ihrem Gefolge auch in Brüssel ausbrechenden Unruhen wurde nicht bloß Marx verhaftet. Die belgische Polizei ließ es sich nicht nehmen, auch seine Frau ohne allen Anlaß ins Gefängnis zu werfen.

Der revolutionäre Aufschwung von 1848 brach schon im nächsten Jahre zusammen. Neues Exil, zuerst in Paris, dann, infolge erneuerter Einmischung der französischen Regierung, in London. Und diesmal war es in |292| der Tat für Jenny Marx ein Exil mit allen seinen Schrecken. Den materiellen Druck, unter dem sie ihre beiden Knaben und ein Töchterchen ins Grab sinken sah, hätte sie trotzdem verwunden. Aber daß Regierung und bürgerliche Opposition, von der vulgär-liberalen bis zur demokratischen, sich zusammentaten zu einer großen Verschwörung gegen ihren Mann; daß sie ihn mit den elendesten, niederträchtigsten Verleumdungen überschütteten; daß die gesamte Presse sich ihm verschloß, ihm jede Verteidigung abschnitt, so daß er momentan wehrlos dastand vor Gegnern, die er und sie verachten mußten - das hat sie tief getroffen. Und das dauerte sehr lange.

Aber nicht für immer. Das europäische Proletariat kam wieder in Existenzbedingungen, in denen es sich einigermaßen selbständig bewegen konnte. Die Internationale wurde gestiftet. Von Land zu Land drang der Klassenkampf des Proletariats, und unter den Vordersten kämpfte ihr Mann, der Vorderste. Da begann für sie eine Zeit, die manche harte Leiden aufwog. Sie erlebte es, daß die Verleumdungen, die hageldicht auf Marx herabgeregnet, wie Spreu vor dem Winde zerstoben, daß seine Lehren, die zu unterdrücken alle reaktionären Parteien, Feudale wie Demokraten, so ungeheure Mühe aufgewendet, nun von den Dächern gepredigt wurden in allen zivilisierten Ländern und in allen gebildeten Sprachen. Sie erlebte es, daß die proletarische Bewegung, mit der ihr ganzes Sein verwachsen war, die alte Welt von Rußland bis Amerika in ihren Fugen erschütterte und allem Widerstand zum Trotz immer siegesgewisser vorwärts drang. Und eine ihrer letzten Freuden war noch der schlagende Beweis unverwüstlicher Lebenskraft, den unsere deutschen Arbeiter in den letzten Reichstagswahlen gegeben.

Was eine solche Frau, mit so scharfem, kritischem Verstande, mit solch politischem Takt, mit solcher Energie und Leidenschaft des Charakters, mit solcher Hingabe für ihre Kampfgenossen, in der Bewegung während fast vierzig Jahren geleistet, das hat sich nicht an die Öffentlichkeit vorgedrängt, das steht nicht in den Annalen der zeitgenössischen Presse verzeichnet. Das muß man selbst miterlebt haben. Aber das weiß ich: wenn die Frauen der Kommuneflüchtlinge ihrer noch oft gedenken werden, so werden wir andern noch oft genug ihren kühnen und klugen Rat vermissen - kühn ohne Prahlerei, klug, ohne der Ehre je etwas zu vergeben.

London, den 4. Dezember 1881

Friedrich Engels


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