MLWerke Marx/Engels - Werke Artikel und Korrespondenzen 1881

Seitenzahlen verweisen auf:    Karl Marx/Friedrich Engels - Werke. (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 19, 4. Auflage 1973, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1962, Berlin/DDR. S. 270-272.
Korrektur:    1
Erstellt:    18.07.1999

Friedrich Engels

Amerikanische Lebensmittel und die Bodenfrage

Geschrieben Ende Juni 1881.
Aus dem Englischen.


["The Labour Standard" Nr. 9 vom 2. Juli 1881, Leitartikel]

|270| Seit Herbst 1837 haben wir uns an den Import von Geldpaniken und Handelskrisen aus New York nach England gewöhnt. Mindestens die Hälfte der alle zehn Jahre wiederkehrenden industriellen Krisen brachen in Amerika aus. Aber daß Amerika auch die altehrwürdigen Verhältnisse in der englischen Landwirtschaft auf den Kopf stellen, die seit unvordenklichen Zeiten bestehenden feudalen Beziehungen zwischen Grundherrn und Pächter revolutionieren, die Rente in England zugrunde richten und den Ruin der Farmen in England herbeiführen sollte - dieses Schauspiel blieb dem letzten Viertel des 19. Jahrhunderts vorbehalten.

Und doch ist dem so. Der jungfräuliche Boden der Prärien des amerikanischen Westens - der jetzt unter den Pflug kommt, und zwar nicht in vereinzelten kleinen Parzellen, sondern in Tausenden von Quadratmeilen - beginnt jetzt den Weizenpreis und folglich auch den Pachtpreis für Weizenland zu bestimmen. Und kein alter Boden kann mit ihm konkurrieren. Es ist vortreffliches Land, eben oder leicht gewellt, durch keine jähen Bodenerhebungen unterbrochen, noch genau in dem gleichen Zustand, in dem es sich auf dem Grunde eines tertiären Ozeans allmählich ablagerte, frei von Steinen, Felsen, Bäumen, ohne vorbereitende Arbeit zu sofortigem Anbau geeignet. Weder Rodung noch Entwässerung ist erforderlich; man bearbeitet es mit dem Pflug, und schon ist es zur Aufnahme der Saat bereit und wird zwanzig bis dreißig Weizenernten nacheinander ohne Düngung bringen. Es ist ein Boden, der sich für Ackerbau im größten Maßstab eignet, und tatsächlich wird er im größten Maßstab betrieben. Die englischen Landwirte pflegten stolz zu sein auf die Größe ihrer Güter, im Gegensatz zu den kleinen Höfen der selbständigen Bauern auf dem Kontinent; aber was sind die |271| größten Güter des Vereinigten Königreichs im Vergleich mit den Farmen der amerikanischen Prärie, die 40.000 Acres und mehr umfassen und durch regelrechte Armeen von Männern, Pferden und Geräten bearbeitet werden, von Männern, die wie Soldaten gedrillt, kommandiert und organisiert werden?

Diese amerikanische Revolution des Ackerbaus ermöglicht es, zusammen mit der Revolutionierung der Transportmittel, wie sie die Amerikaner erfunden haben, den Weizen zu so niedrigen Preisen nach Europa zu bringen, daß kein europäischer Landwirt konkurrieren kann - zumindest, solange man von ihm erwartet, daß er Pacht zahle. Man erinnere sich des Jahres 1879, als sich das zum erstenmal fühlbar machte. Die Ernte war in ganz Westeuropa schlecht; in England gab es eine Mißernte. Dennoch blieben dank dem amerikanischen Getreide die Preise fast unverändert. Zum erstenmal hatte der englische Pächter gleichzeitig eine schlechte Ernte und niedrige Weizenpreise. Damals begannen sich die Pächter zu rühren und die Grundbesitzer gerieten in Unruhe. Im nächsten Jahre, als die Ernte besser war, fielen die Preise noch mehr. Den Getreidepreis bestimmen jetzt die Produktionskosten in Amerika zuzüglich der Transportkosten. Und das wird von Jahr zu Jahr mehr der Fall sein, in dem Maße, in dem neues Prärieland unter den Pflug genommen wird. Die dafür erforderlichen Armeen von Landarbeitern liefern wir selbst aus Europa, indem wir Auswanderer hinüberschicken.

Früher konnten Pächter und Grundbesitzer sich damit trösten, wenn schon Getreide nichts einbrachte, daß wenigstens Fleisch sich bezahlt machte. Das Ackerland wurde in Weideland verwandelt, und alles war wieder in schönster Ordnung. Heute ist aber auch dieser Ausweg abgeschnitten. In ständig wachsenden Mengen werden amerikanisches Fleisch und amerikanisches Vieh herübergeschickt. Und das ist noch nicht alles. Es gibt zum mindesten zwei große Länder mit Viehzucht, die eifrig nach Mitteln und Wegen suchen, wie sie ihren riesigen Überschuß an Fleisch, der jetzt unausgenutzt bleibt, nach Europa und besonders nach England ausführen können. Bei dem gegenwärtigen Stande der Wissenschaft und dem raschen Fortschritt in ihrer praktischen Anwendung können wir sicher sein, daß spätestens in ein paar Jahren australisches und südamerikanisches Rind- und Hammelfleisch in tadelloser Frische und in riesigen Mengen herübergeschickt werden wird. Was soll dann aus dem Wohlstand des britischen Pächters werden, was aus den hohen Einkünften des britischen Grundbesitzers? Es ist zwar recht gut, Stachelbeeren, Erdbeeren etc. zu ziehen - der Markt ist aber schon jetzt zur Genüge damit versorgt. Kein |272| Zweifel, daß der britische Arbeiter ein gut Teil mehr von diesen Leckerbissen konsumieren könnte - aber dann erhöhe man erst seinen Lohn.

Es braucht kaum gesagt zu werden, daß die Auswirkungen dieser neuen amerikanischen landwirtschaftlichen Konkurrenz auch auf dem Kontinent fühlbar sind. Der meist bis über die Ohren in Hypothekenschulden steckende kleine, selbständige Bauer, der an Stelle der Pacht, die der englische und irische Bauer entrichtet, Zinsen und Prozeßkosten zu zahlen hat, fühlt sie genauso. Es ist eine eigentümliche Wirkung dieser amerikanischen Konkurrenz, daß durch sie nicht nur das große Grundeigentum nutzlos wird, sondern auch das kleine, indem sie beides unrentabel macht.

Man könnte einwenden, daß das System des Raubbaus am Boden, wie es jetzt im Fernen Westen gehandhabt wird, nicht ewig weitergehen kann, und daß die Dinge sich schließlich wieder einrenken müssen. Natürlich kann es nicht ewig dauern; aber es gibt genug jungfräulichen Boden, um diesen Prozeß noch ein Jahrhundert fortzusetzen. Außerdem gibt es andere Länder, die ähnliche Vorteile bieten. Da ist die ganze südrussische Steppe, wo ja Geschäftsleute Boden aufgekauft haben und dieselben Methoden anwenden. Es gibt die riesigen Pampas der Argentinischen Republik und noch andere Gebiete; sämtlich Land, das sich gleichfalls für das moderne System der landwirtschaftlichen Riesenbetriebe und der billigen Produktion eignet. Deshalb wird dieses System, bis es abgewirtschaftet hat, lange genug bestanden haben, um sämtliche Grundbesitzer Europas, große und kleine, wenigstens zweimal zu erledigen.

Nun, und das Ende von alledem? Das Ende wird und muß sein, daß wir zur Nationalisierung des Grund und Bodens und zu seiner genossenschaftlichen Bearbeitung unter der Kontrolle des Volkes gezwungen sein werden. Dann, und nur dann, wird sich die Bearbeitung wieder lohnen, sowohl für die Bebauer wie für die ganze Nation, gleichgültig, was auch der Preis des amerikanischen oder irgendwelchen anderen Getreides und Fleisches sein mag. Und sollten die Grundbesitzer inzwischen, wozu sie mehr oder weniger geneigt zu sein scheinen, wirklich nach Amerika gehen, so wünschen wir ihnen glückliche Reise.


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