MLWerke | Marx/Engels - Werke | Artikel und Korrespondenzen 1878 | ||
Seitenzahlen verweisen auf: | Karl Marx/Friedrich Engels - Werke. (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 19, 4. Auflage 1973, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1962, Berlin/DDR. S. 117-137. | |
Korrektur: | 1 | |
Erstellt: | 18.07.1999 |
Geschrieben Mitte Februar bis Mitte März 1878.
Veröffentlicht in "The Labor Standard", New York, wie folgt:
I - 3. März 1878
II. - 10. März 1878
III. - 17. März 1878
IV - 24. März 1878
V - 31. - März 1878
Aus dem Englischen.
I
|119| Das abgelaufene Jahr war für die europäische Arbeiterklasse reich an Ereignissen und Erfolgen. Große Fortschritte wurden in fast allen Ländern hinsichtlich der Organisation und Ausbreitung einer Arbeiterpartei gemacht; die Einigkeit, die eine Zeitlang durch eine kleine, aber aktive Sekte bedroht war, ist im wesentlichen wiederhergestellt; die Arbeiterbewegung ist mehr und mehr in den Vordergrund aller Tagespolitik getreten, und - ein sicheres Zeichen des nahendes Sieges - gleichgültig welche Wendung die politischen Ereignisse nahmen, erwiesen sie sich auf diese oder jene Weise als günstig für das Vorwärtsschreiten dieser Bewegung.
Gleich zu Anfang wurde das Jahr 1877 eingeleitet von einem der größten Siege, der je von Arbeitern errungen wurde. Am 10. Januar fanden die alle drei Jahre auf Grund des allgemeinen Wahlrechts sich wiederholenden Wahlen für das deutsche Parlament (Reichstag |Reichstag: in "The Labor Standard" deutsch|) statt; Wahlen, die schon seit 1867 der deutschen Arbeiterpartei Gelegenheit gegeben haben, ihre Kräfte zu messen und vor der Welt Heerschau zu halten über ihre gut organisierten und stets wachsenden Bataillone. Im Jahre 1874 erhielten die Kandidaten der Arbeiterpartei 400.000 Stimmen. 1877 mehr als 600.000. Zehn Abgeordnete wurden am 10. Januar gewählt, während über weitere 24 bei den Stichwahlen abgestimmt wurde, welche 14 Tage später stattfanden. Von diesen 24 wurden tatsächlich nur einige gewählt, da alle anderen Parteien sich gegen sie zusammengeschlossen hatten. Aber die bedeutungsvolle Tatsache blieb bestehen, daß in allen großen Städten und Industriezentren des Reichs die Arbeiterbewegung mit Riesenschritten vorwärts gekommen war, und daß ihr alle diese Wahlkreise mit Sicherheit bei den nächsten Wahlen 1880 zufallen werden. Berlin, Dresden, die |120| gesamten sächsischen Industriebezirke und Solingen waren erobert worden; in Hamburg, Breslau, Nürnberg, Leipzig, Braunschweig, in Schleswig-Holstein und den Industriebezirken Westfalens und des Niederrheins hatte eine Koalition aller anderen Parteien mit Müh und Not ausgereicht, die Arbeiterkandidaten mit knapper Mehrheit zu schlagen. Die deutsche Sozialdemokratie erwies sich als eine Macht, und als eine schnell wachsende Macht, mit der künftig alle anderen Mächte des Landes, die regierenden oder die sonstigen, zu rechnen haben würden. Die Wirkung dieser Wahlen war gewaltig. Die Bourgeoisie wurde von einer schrecklichen Panik ergriffen, um so mehr, als ihre Presse beständig die Sozialdemokratie so hingestellt hatte, als schrumpfe sie zur Bedeutungslosigkeit zusammen. Die Arbeiterklasse, stolz auf ihren Sieg, setzte den Kampf mit erneuter Kraft und auf jedem sich bietenden Schlachtfeld fort, während die Arbeiter der anderen Länder, wie wir sehen werden, den Sieg der Deutschen nicht nur als ihren eigenen Sieg feierten, sondern sich durch ihn auch zu frischen Anstrengungen anspornen ließen, um in dem Wettlauf für die Emanzipation der Arbeit nicht zurückzubleiben.
Der rasche Fortschritt der Arbeiterpartei in Deutschland wird nicht erkauft ohne beträchtliche Opfer auf Seiten derer, die dabei eine recht aktive Rolle spielen. Verfolgungen durch die Regierung, Geld- und noch öfter Gefängnisstrafen hageln auf sie nieder, und sie haben sich schon längst dazu entschließen müssen, den größeren Teil ihres Lebens im Gefängnis zu verbringen. Obgleich es sich meistens um kürzere Gefängnisstrafen handelt, von ein paar Wochen bis zu drei Monaten, so sind doch lange Haftzeiten keineswegs eine Seltenheit. So wurden kürzlich, um das wichtige Bergbau- und Industriegebiet von Saarbrücken vor der Ansteckung mit dem sozialdemokratischen Gift zu bewahren, zwei Agitatoren zu je zweieinhalb Jahren verurteilt, weil sie sich auf dieses verbotene Gebiet gewagt hatten. Die elastischen Reichsgesetze bieten für solche Maßregelungen eine Fülle von Vorwänden, und wo sie nicht ausreichen, sind die Richter meist gern bereit, sie bis zu dem Punkt auszudehnen, der für eine Verurteilung erforderlich ist.
Ein großer Vorteil für die deutsche Bewegung ist, daß die Gewerkschaftsorganisation mit der politischen Organisation Hand in Hand arbeitet. Die unmittelbaren Vorteile, die die Gewerkschaften gewähren, ziehen viele sonst Gleichgültige in die politische Bewegung hinein, während die Gemeinsamkeit der politischen Aktion die sonst isolierten Gewerkschaften zusammenhält und ihnen gegenseitige Unterstützung gewährleistet.
Der Erfolg, den unsere deutschen Freunde bei den Reichstagswahlen |121| erzielten, hat sie ermutigt, ihr Glück auch auf anderen Wahlebenen zu versuchen. So ist es ihnen in zwei Landtagen der kleineren Staaten des Reichs geglückt, die Wahl von Arbeitern durchzusetzen, und auch in zahlreiche Stadtparlamente sind sie eingedrungen; in den sächsischen Industriegebieten wird so manche Stadt von einem sozialdemokratischen Gemeinderat geleitet. Da das Wahlrecht bei diesen Wahlen beschränkt ist, so darf kein großer Erfolg erwartet werden; aber jedes errungene Mandat hilft, den Regierungen und der Bourgeoisie zu beweisen, daß sie künftig mit den Arbeitern zu rechnen haben.
Jedoch der beste Beweis für den raschen Fortschritt der Organisation klassenbewußter Arbeiter ist die wachsende Zahl ihrer periodischen Presseorgane. Und hierbei müssen wir die Grenzen von Bismarcks "Reich" überschreiten, denn Einfluß und Aktion der deutschen Sozialdemokratie wird durch diese keineswegs begrenzt. Am 31. Dezember 1877 wurden in deutscher Sprache nicht weniger als 75 Zeitungen und Zeitschriften im Dienst der Arbeiterpartei veröffentlicht. Davon im Deutschen Reich 62 (darunter 35 Organe von ebenso vielen Gewerkschaften), in der Schweiz 3, in Österreich 3, in Ungarn 1, in Amerika 6, insgesamt 75, das sind mehr als sämtliche Arbeiterblätter in allen anderen Sprachen zusammen.
Nach der Schlacht bei Sedan im September 1870 erklärte der Vorstand der deutschen Arbeiterpartei seinen Wählern, daß durch das Kriegsergebnis der Schwerpunkt der europäischen Arbeiterbewegung von Frankreich nach Deutschland verlegt worden und daß den deutschen Arbeitern dadurch eine höhere Aufgabe und neue Verantwortung zugefallen sei, die von ihnen weitere Anstrengungen fordere. Das Jahr 1877 war Beweis dafür und bestätigte zugleich, daß das deutsche Proletariat durchaus fähig ist, die ihm auferlegte zeitweilige Führerschaft zu übernehmen. Welche Fehler einige ihrer Führer auch immer begangen haben mögen - und sie sind zahlreich und mannigfach -, die Massen selbst sind entschlossen, ohne Zögern und auf dem richtigen Wege vorwärtsmarschiert. Ihre Haltung, ihre Organisation und Disziplin bilden einen merklichen Gegensalz zu der Schwäche, Unentschlossenheit, Unterwürfigkeit und Feigheit, die in Deutschland für alle Bewegungen der Bourgeoisie so charakteristisch sind. Aber während die deutsche Bourgeoisie ihre Laufbahn damit beschloß, in eine mehr als byzantinische Verherrlichung "Wilhelms des Siegreichen" hinabzusinken und, an Händen und Füßen gebunden, sich dem eigensinnigen Willen des einen Bismarck auslieferte, marschiert die Arbeiterklasse von Sieg zu Sieg, gefördert und gestärkt gerade durch die Maßnahmen, welche Regierung und Bourgeoisie ersinnen, um sie zu unterdrücken.
II
|122| So groß auch die Wirkung der deutschen Wahlen im Lande selbst war, weit größer war sie noch im Ausland. Und vor allem stellte sie in der europäischen Arbeiterbewegung jene Harmonie wieder her, die während der letzten sechs Jahre gestört worden war durch die Anmaßungen einer kleinen, aber äußerst geschäftigen Sekte.
Diejenigen unserer Leser, die die Geschichte der Internationalen Arbeiterassoziation verfolgt haben, werden sich erinnern, daß unmittelbar nach dem Fall der Pariser Kommune innerhalb der großen Arbeiterorganisation Meinungsverschiedenheiten auftraten, die auf dem Haager Kongreß 1872 zu offener Spaltung und darauf folgender Auflösung führten. Diese Meinungsverschiedenheiten wurden von einem Russen, Bakunin, und seinem Anhang verursacht, die mit sauberen und unsauberen Mitteln die Herrschaft über eine Körperschaft erlangen wollten, von der sie nur eine kleine Minderheit ausmachten. Ihre Universalmedizin war eine prinzipielle Ablehnung jeglicher politischen Aktion der Arbeiterklasse; dies ging so weit, daß in ihren Augen die Teilnahme an einer Wahl einem Verrat an den Interessen des Proletariats gleichkam. Nichts als handgreifliche, gewaltsame Revolution wollten sie als Mittel der Aktion zulassen. Von der Schweiz aus, wo diese "Anarchisten", wie sie sich selbst nannten, zuerst Wurzel geschlagen hatten, verbreiteten sie sich nach Italien und Spanien, wo sie eine Zeitlang tatsächlich die Arbeiterbewegung beherrschten. Innerhalb der Internationale wurden sie mehr oder weniger von den Belgiern unterstützt, die sich, obgleich aus andern Gründen, ebenfalls für politische Abstention aussprachen. Nach der Spaltung hielten sie einen Schein von Organisation aufrecht und veranstalteten Kongresse, auf denen ein paar Dutzend Menschen, immer die gleichen, als angebliche Vertreter der Arbeiterklasse ganz Europas in deren Namen ihre Dogmen verkündigten. Doch schon die deutschen Wahlen von 1874 und der große Vorteil, den die deutsche Bewegung durch die Anwesenheit von neun ihrer aktivsten Mitglieder im Parlament erfuhr, hatten Elemente des Zweifels unter die "Anarchisten" geworfen. Politische Ereignisse hatten die Bewegung in Spanien unterdrückt, sie verschwand dort, fast ohne eine Spur zurückzulassen. In der Schweiz wurde die Partei, die für politische Aktion eintrat und mit den Deutschen Hand in Hand arbeitete, mit jedem Tag stärker und übertraf bald die wenigen Anarchisten im Verhältnis von 300 zu 1. Nach einem kindischen Versuch der Anarchisten, eine "soziale Revolution" durchzuführen (Bologna 1874), wobei sich weder ihr Verstand noch ihr Mut von |123| einer vorteilhaften Seite zeigte, begann das wirkliche Arbeiterelement in Italien sich nach vernünftigeren Mitteln der Aktion umzuschauen. In Belgien war die Bewegung durch die Abstentionspolitik ihrer Führer, die die Arbeiterklasse ohne jedes wirkliche Betätigungsfeld ließen, auf einem toten Punkt angelangt. Während die Deutschen ihre politische Aktion von Erfolg zu Erfolg führte, erlitt die Arbeiterklasse der Länder, wo Abstention die Losung des Tages war, tatsächlich Niederlage auf Niederlage und wurde einer Bewegung überdrüssig, die keine Erfolge aufweisen konnte; ihre Organisationen fielen in Vergessenheit, ihre Presseorgane verschwanden eins nach dem anderen. Der vernünftigere Teil dieser Arbeiter konnte nicht umhin, von diesem Kontrast beeindruckt zu werden; die Empörung gegen die "anarchistische" und abstentionistische Lehre brach in Italien sowohl wie in Belgien aus, und man begann sich selbst und anderen die Frage zu stellen, weshalb man einem sinnlosen Dogmatismus zuliebe der Anwendung gerade der Aktionsmittel beraubt sein sollte, die sich als die wirksamsten von allen erwiesen hatten.
So war der Stand der Dinge, als der große Wahlsieg der Deutschen allen Zweifeln ein Ende machte, alles Zögern überwand. Kein Widerstand war möglich gegen eine solche hartnäckige Tatsache. Italien und Belgien sprachen sich für politische Aktion aus; die Überreste der italienischen Abstentionisten, zur Verzweiflung getrieben, versuchten noch einen Aufstand in der Nähe von Neapel; einige dreißig Anarchisten proklamierten die "soziale Revolution", wurden aber schleunigst von der Polizei m Gewahrsam genommen. Alles was sie erreichten, war der völlige Zusammenbruch ihrer eigenen sektiererischen Bewegung in Italien. So war die anarchistische Organisation, die den Anspruch auf die Leitung der Arbeiterbewegung von einem Ende Europas bis zum andern erhoben hatte, wieder auf ihren ursprünglichen Kern reduziert, etwa 200 Leute im Schweizer Jura, wo sie aus der Einsamkeit ihrer Bergabgeschiedenheit zu protestieren fortfahren gegen die siegreiche Ketzerei der übrigen Welt und die wahre Orthodoxie hochhalten, wie sie von dem jetzt verstorbenen Kaiser Bakunin niedergelegt wurde. Und als im letzten September der Sozialistische Weltkongreß in Gent in Belgien zusammentrat - ein Kongreß, den sie selbst einberufen hatten -, bildeten sie dort eine unbedeutende Minderheit gegenüber den Delegierten der vereinigten und einmütigen großen Organisationen der Arbeiterklasse Europas. Obwohl der Kongreß energisch ihre lächerlichen Lehren und ihre vermessenen Anmaßungen zurückwies und keinen Zweifel daran ließ, daß er bloß eine kleine Sekte zurückwies, gewährte er ihnen am Ende großmütige Duldung.
|124| So wurde nach vier Jahren innerer Kämpfe die völlige Einigkeit der Aktion der Arbeiterklasse Europas wiederhergestellt, und die Politik, die von der Mehrheit des letzten Kongresses der Internationale proklamiert worden war, wurde völlig gerechtfertigt durch die Ereignisse. Nun hatte man wieder eine Grundlage gewonnen, auf der die Arbeiter der verschiedenen europäischen Länder aufs neue entschlossen zusammen vorgehen und einander jene gegenseitige Unterstützung gewähren konnten, die die Hauptstärke der Bewegung ausmacht. Die Existenz der Internationalen Arbeiterassoziation war unmöglich gemacht worden [...] |In "The Labor Standard" fehlen hier ein oder zwei Zeilen| die den Arbeitern dieser Länder verboten, in irgendeinen derartigen internationalen Bund einzutreten. Die Regierungen hätten sich alle diese Mühe ersparen können. Die Arbeiterbewegung war nicht bloß über die Notwendigkeit, sondern sogar über die Möglichkeit irgendeines derartigen formellen Bundes hinausgewachsen; aber das Werk jener großen proletarischen Organisation ist nicht nur völlig erfüllt, sie selbst setzt ihr Leben fort, mächtiger als je in dem weit stärkeren Bund der Einigkeit und Solidarität, in der Gemeinsamkeit der Aktion und der Politik, die jetzt die Arbeiterklasse ganz Europas beseelt und die unbestreitbar ihre eigene und größte Leistung ist. Es gibt eine Fülle verschiedener Auffassungen bei den Arbeitern der einzelnen Länder und sogar innerhalb der einzelnen Länder selbst, aber es gibt keine Sekten mehr, keine Ansprüche auf dogmatische Orthodoxie und doktrinäre Obergewalt, und es gibt einen gemeinsamen Aktionsplan, der ursprünglich von der Internationale entworfen, heute jedoch allgemeine Annahme gefunden hat, weil er überall, bewußt oder sporadisch, aus dem Kampf, aus den Erfordernissen der Bewegung herausgewachsen ist; ein Plan, der, obwohl er sich den verschiedenartigen Bedingungen jeder Nation und jedes Ortes frei anpaßt, dennoch überall in seinen Grundzügen derselbe ist und so Gewähr gibt für einheitliche Absichten und allgemeine Übereinstimmung in den Mitteln, die man anwendet, um das gemeinsame Ziel - die Emanzipation der Arbeiterklasse durch die Arbeiterklasse selbst - zu erreichen.
III
In dem vorhergehenden Artikel haben wir schon die wichtigsten Tatsachen erwähnt, die im Zusammenhang mit der Geschichte der Arbeiterbewegung in Italien, Spanien, der Schweiz und Belgien von Interesse sind. Doch bleibt noch einiges, das berichtet werden muß.
|125| In Spanien hatte sich die Bewegung zwischen 1868 und 1872, als die Internationale sich mehr als 30.000 zahlender Mitglieder rühmte, rasch ausgedehnt. Aber all das war mehr Schein als Wirklichkeit, mehr das Ergebnis momentaner Erregung, verursacht durch den unsicheren politischen Zustand des Landes als von einem wirklich geistigen Fortschritt. Die spanische Internationale, die in den kantonalistischen (föderalistisch-republikanischen) Aufstand verwickelt war, wurde zusammen mit diesem unterdrückt. Eine Zeitlang bestand sie noch fort in Gestalt einer Geheimgesellschaft, von der ohne Zweifel ein Kern immer noch vorhanden ist. Da sie aber niemals ein Lebenszeichen von sich gegeben hat, außer der Entsendung von drei Delegierten zum Genter Kongreß, so sind wir zu der Folgerung genötigt, daß diese drei Delegierten die spanische Arbeiterklasse ungefähr auf dieselbe Weise vertreten wie weiland die drei Schneider von Tooley-Street das Volk von England vertraten. Und wenn einmal eine politische Erschütterung den Arbeitern Spaniens wieder die Möglichkeit zu aktivem Auftreten geben wird, so können wir mit Sicherheit voraussagen, daß der neue Aufbruch nicht von diesen "anarchistischen" Schwätzern ausgehen wird, sondern von der kleinen Schar intelligenter und energischer Arbeiter, die 1872 der Internationale treu blieben und die jetzt ihre Zeit abwarten, statt geheime Verschwörungen zu betreiben.
In Portugal blieb die Bewegung immer frei von der "anarchistischen" Ansteckung und schritt auf derselben vernünftigen Bahn vorwärts wie in den meisten anderen Ländern. Die portugiesischen Arbeiter besaßen zahlreiche Sektionen der Internationale und Gewerkschaften; sie hielten im Januar 1877 einen sehr erfolgreichen Kongreß ab und hatten ein ausgezeichnetes Wochenblatt, "O Proteste" (Der Protest). Doch waren auch sie gefesselt durch ungünstige Gesetze, die die Presse und die Vereins- und Versammlungsfreiheit beschränkten. Sie setzten den Kampf trotz alledem fort und halten jetzt in Oporto einen neuen Kongreß ab, der ihnen Gelegenheit geben wird, der Welt zu zeigen, daß die Arbeiterklasse Portugals ihren gebührenden Anteil nimmt an dem großen weltweiten Kampf für die Befreiung der Arbeit.
Auch die Arbeiter Italiens sind in ihrer Aktion sehr behindert durch die bürgerliche Klassengesetzgebung. Eine Anzahl von Sondergesetzen, die eingeführt wurden unter dem Vorwand, das Räuberunwesen und weit verbreitete geheime Räuberorganisationen zu unterdrücken, Gesetze, die der Regierung ungeheure willkürliche Befugnisse geben, werden skrupellos angewandt gegen die Arbeitervereine; ihre hervorragenden Mitglieder werden gleich Räubern ohne Richter oder Geschworene unter polizeiliche |126| Bewachung gestellt und verbannt. Dennoch geht die Bewegung vorwärts und - das beste Lebenszeichen - ihr Schwerpunkt hat sich aus den ehrwürdigen und halbverödeten Städten der Romagna in die lebhaften Industrie- und Fabrikstädte des Nordens verlagert, eine Änderung, die den echten Arbeiterelementen den Vorrang sicherte vor dem Haufen "anarchistischer" Eindringlinge bürgerlichen Ursprungs, der vorher die Führung innehatte. So oft die Arbeiterklubs und Gewerkschaften auch von der Regierung zerschlagen und aufgelöst werden, sie bilden sich immer wieder unter neuen Namen. Die proletarische Presse, obgleich viele ihrer Organe nur kurzlebig sind wegen der Verfolgungen, Geld- und Gefängnisstrafen, welche über die Herausgeber verhängt werden, entsteht immer wieder neu nach jeder Niederlage, und allen Hindernissen zum Trotz bestehen mehrere Zeitungen schon verhältnismäßig lange. Einige dieser Organe, meist solche von nur kurzer Lebensdauer, bekennen sich noch zu "anarchistischen" Lehren, aber diese Fraktion hat alle Ansprüche aufgegeben, die Bewegung zu beherrschen und stirbt allmählich ab ebenso wie die Mazzinische oder bürgerlich-republikanische Partei, und jeder Zoll an Boden, den diese beiden Fraktionen verlieren, bedeutet ebensoviel Bodengewinn für die echte und intelligente Arbeiterbewegung.
Auch in Belgien hat sich der Schwerpunkt der Aktion der Arbeiterklasse verlagert, und diese Aktion selbst hat infolgedessen eine wichtige Veränderung erfahren. Bis 1875 lag der Schwerpunkt in dem französisch sprechenden Teil des Landes einschließlich des halb französischen und halb flämischen Brüssel; während dieser Periode wurde die Bewegung stark von proudhonistischen Doktrinen beeinflußt, die ebenfalls die Abstention von politischer Einmischung, namentlich bei Wahlen, vorschreiben. Es blieben also nichts als Streiks übrig, die in der Regel durch blutiges Einschreiten des Militärs unterdrückt wurden, und Versammlungen, in denen der alte Phrasenvorrat ständig wiederholt wurde. Die Arbeiter wurden dessen überdrüssig, und die ganze Bewegung schlief nach und nach ein. Aber seit 1875 nahmen die Fabrikstädte des flämisch sprechenden Teils den Kampf auf mit einem entschlosseneren und, wie sich bald zeigen sollte, neuen Geist. In Belgien gibt es überhaupt keine Fabrikgesetze, die die Arbeitszeit der Frauen oder Kinder beschränken; und so forderten die Arbeiterwähler von Gent und Umgegend als erstes Schutz für ihre Frauen und Kinder, die fünfzehn und mehr Stunden täglich in den Baumwollfabriken fronden mußten. Die Opposition der proudhonistischen Doktrinäre, die solche Nichtigkeiten der Aufmerksamkeit von Männern, die sich mit transzendentem Revolutionarismus beschäftigten, nicht für wert hielten, war |127| wirkungslos und wurde schrittweise überwunden. Die Forderung nach gesetzlichem Schutz für die in Fabriken beschäftigten Kinder wurde einer der Punkte im Programm der belgischen Arbeiterklasse, und damit war der Zauber gebrochen, der bis dahin die politische Aktion in die Acht getan hatte. Das Beispiel der Deutschen tat ein übriges, und wie die Arbeiter Deutschlands, der Schweiz, Dänemarks, Portugals, Ungarns, Österreichs und eines Teiles von Italien, schließen sich die belgischen Arbeiter jetzt zu einer politischen Partei zusammen - die sich von allen anderen politischen Parteien unterscheidet und in Opposition zu ihnen steht - mit dem Ziel, ihre Emanzipation durch jede politische Aktion, die die jeweilige Lage erfordern mag, zu erringen.
Die große Masse der Schweizer Arbeiter - der deutsch sprechende Teil von ihnen - hatte sich seit einigen Jahren in einem "Arbeiterbund" zusammengeschlossen, dem Ende 1876 über 5.000 zahlende Mitglieder angehörten. Neben ihm gab es noch eine andere Organisation, den Grütlibund, der ursprünglich von den bürgerlichen Radikalen geschaffen wurde für die Ausbreitung des Radikalismus unter Arbeitern und Bauern; aber allmählich drangen sozialdemokratische Gedanken in diese weitverzweigte Vereinigung ein und eroberten sie schließlich. 1877 schlossen diese beiden Gesellschaften ein Bündnis, das beinahe einer Verschmelzung gleichkam, zum Zweck der Organisierung einer schweizerischen politischen Arbeiterpartei, und sie gingen mit solcher Energie vor, daß sie bei der Volksabstimmung das neue Schweizer Fabrikgesetz durchbrachten, das von allen existierenden Fabrikgesetzen das für die Arbeiter günstigste ist. Jetzt sind sie dabei, eine sorgfältige Überwachung zu organisieren, um seine genaue Durchführung gegen den laut verkündeten Unwillen der Fabrikanten zu sichern. Die "Anarchisten" sind von ihrem überlegenen revolutionären Standpunkt aus natürlich heftige Gegner all dieser Aktionen und erklären sie für ein Stück direkten Hochverrats gegen das, was sie die "Revolution" nennen - aber da ihre Anzahl höchstens 200 beträgt, und sie hier wie anderwärts nur ein Generalstab von Offizieren ohne Heer sind, war dies von keiner Bedeutung.
Das Programm der Schweizer Arbeiterpartei ist fast identisch mit dem der deutschen, ja, eigentlich zu identisch, da es sogar einige seiner unvollkommenen und verwirrten Stellen übernommen hat. Aber der bloße Wortlaut des Programms bedeutet wenig, solange der Geist, der die Bewegung beherrscht, von der richtigen Art ist.
Die dänischen Arbeiter traten um 1870 in die Schranken und machten zuerst sehr rasche Fortschritte. Durch ein Bündnis mit der Partei der Klein- |128| bauern, unter denen sie mit Erfolg ihre Ansichten verbreiteten, erreichten sie so beträchtlichen politischen Einfluß, daß die "Vereinigte Linke", deren Kern die Bauernpartei ausmachte, für eine Reihe von Jahren die Mehrheit im Parlament besaß. Aber dieses schnelle Wachstum der Bewegung war mehr Schein als Wirklichkeit. Eines Tages wurde entdeckt, daß zwei der Führer verschwunden waren, nachdem sie das Geld durchgebracht hatten, das für Parteizwecke unter den Arbeitern gesammelt worden war. Der Skandal, der dadurch hervorgerufen wurde, war sehr groß, und die dänische Bewegung hat sich von der darauf folgenden Entmutigung noch nicht erholt. Immerhin, wenn die dänische Arbeiterpartei jetzt zurückhaltender vorgeht als zuvor, so besteht doch jeder Grund zu der Annahme, daß sie nach und nach die kurzlebige und scheinbare Herrschaft über die Massen, die sie jetzt verloren hat, durch einen realeren und dauernderen Einnuß ersetzt.
In Österreich und Ungarn hat die Arbeiterklasse mit den größten Schwierigkeiten zu kämpfen. Hier steht die politische Freiheit, soweit sie Presse, Versammlungen und Vereine betrifft, auf der niedrigsten Stufe, die mit einer scheinkonstitutionellen Monarchie überhaupt vereinbar ist. Eine Gesetzgebung von unerhörter Dehnbarkeit setzt die Regierung in die Lage, selbst gegen die zahmste Äußerung von Forderungen und Interessen der Arbeiterklasse Verurteilungen zu erzielen. Und dennoch geht die Bewegung hier ebenso wie anderswo unaufhaltsam vorwärts. Die Hauptzentren sind die Fabrikdistrikte von Böhmen, Wien und Pest. Arbeiterzeitungen werden in deutscher, tschechischer und ungarischer Sprache veröffentlicht. Von Ungarn hat die Bewegung sich nach Serbien ausgedehnt, wo vor dem Kriege eine Wochenschrift in serbischer Sprache erschien, die aber bei Kriegsausbruch einfach unterdrückt wurde.
So ist überall, wohin wir in Europa blicken, nicht nur ein günstiges, sondern sogar ein schnelles Vorwärtsschreiten der Arbeiterbewegung zu bemerken und, was mehr bedeutet, überall in demselben Geist. Eine vollständige Übereinstimmung ist wiederhergestellt und dadurch auf die eine oder andere Weise eine ständige und regelmäßige Verbindung zwischen den Arbeitern der verschiedenen Länder. Die Männer, die 1864 die Internationale Arbeiterassoziation gründeten, die ihr Banner hoch hielten während der Jahre des Kampfes, zuerst gegen äußere, dann gegen innere Feinde, bis politische Notwendigkeiten mehr noch als innere Streitigkeiten zum Bruch und zum scheinbaren Rückzug führten - diese Männer können jetzt stolz ausrufen: "Die Internationale hat ihr Werk vollbracht, sie hat ihr großes Ziel völlig erreicht - den Zusammenschluß des Proletariats der ganzen Welt zum Kampf gegen seine Unterdrücker."
IV
|129| Unsere Leser werden bemerkt haben, daß in den drei vorangegangenen Artikeln eines der wichtigsten Länder Europas kaum erwähnt wurde, nämlich Frankreich, und zwar aus folgendem Grunde: In den Ländern, mit denen wir uns bisher beschäftigten, ist die Aktion der Arbeiterklasse, obgleich sie ihrem Wesen nach eine politische ist, nicht eng verflochten mit der allgemeinen oder sozusagen offiziellen Politik. Die Arbeiterklasse Deutschlands, Italiens, Belgiens etc. ist noch keine politische Macht im Staate; sie ist eine politische Macht nur im Hinblick auf die Zukunft, und wenn die offiziellen Parteien in einigen dieser Länder, Konservative, Liberale oder Radikale, mit ihr zu rechnen haben, so bloß darum, weil ihr schneller Aufstieg es offensichtlich macht, daß in sehr kurzer Zeit die proletarische Partei stark genug sein wird, um ihren Einfluß fühlbar zu machen. Aber in Frankreich liegt es anders. Die Arbeiter von Paris, unterstützt von denen der großen Provinzialstädte, sind immer seit der großen Revolution eine Macht im Staate gewesen. Sie haben seit beinahe neunzig Jahren das kämpfende Heer des Fortschritts gebildet; bei jeder großen Krisis der französischen Geschichte gingen sie auf die Straßen, bewaffneten sich so gut sie konnten, errichteten Barrikaden und forderten zum Kampf heraus, und ihr Sieg oder ihre Niederlage entschied über Frankreichs Zukunft auf Jahre hinaus. Von 1789 bis 1830 wurden die Revolutionen der Bourgeoisie von den Pariser Arbeitern ausgefochten; sie waren es, die 1848 die Republik erkämpften. Nachdem sie irrtümlich geglaubt hatten, daß diese Republik Befreiung der Arbeit bedeute, wurden sie grausam enttäuscht durch die Niederlage, die ihnen im Juni desselben Jahres beigebracht wurde; sie leisteten auf den Barrikaden dem Staatsstreich Louis-Napoleons 1851 Widerstand und wurden wiederum besiegt; sie fegten im September 1870 das überlebte Kaiserreich hinweg, das die bürgerlichen Radikalen anzurühren zu feige waren. Thiers' Versuch im März 1871, ihnen die Waffen wegzunehmen, mit denen sie Paris gegen die feindliche Invasion verteidigt hatten, zwang sie in die Revolution der Kommune und den langen Kampf hinein, der mit ihrer blutigen Ausrottung endete.
Eine nationale Arbeiterklasse, die so seit fast einem Jahrhundert nicht nur bei jeder Krisis in der Geschichte des eigenen Landes eine entscheidende Rolle gespielt, sondern gleichzeitig immer die Vorhut der europäischen Revolution gebildet hat, solch eine Arbeiterklasse kann nicht das verhältnismäßig abgeschiedene Leben führen, das noch das eigentliche Aktionsgebiet der übrigen Arbeiter auf dem Kontinent ausmacht. Eine |130| Arbeiterklasse wie die französische, ist an und durch ihre Geschichte gebunden. Ihre Geschichte, nicht weniger als ihre bewährte entscheidende Kampfkraft hat sie in unlöslicher Weise mit der allgemeinen politischen Entwicklung des Landes verknüpft. Und so können wir keinen Rückblick auf die Aktion der französischen Arbeiterklasse geben, ohne auf die französische Politik im allgemeinen einzugehen.
Ob die französische Arbeiterklasse ihren eigenen Kampf oder den der liberalen, radikalen oder republikanischen Bourgeoisie ausfocht, auf jede Niederlage, die sie erlitt, folgte bisher eine drückende politische Reaktion, die ebenso gewaltsam war wie sie lange andauerte. So schlossen sich an die Niederlagen des Juni 1848 und Dezember 1851 die achtzehn Jahre des bonapartistischen Kaiserreichs; in dieser Zeit war die Presse geknebelt, das Vereins- und Versammlungsrecht unterdrückt und folglich die Arbeiterklasse aller Mittel beraubt, um miteinander Verbindung aufrechtzuhalten und sich zu organisieren. Das unvermeidliche Ergebnis war, daß, als die Revolution im September 1870 ausbrach, die Arbeiter keine anderen Männer in die Ämter einsetzen konnten als jene bürgerlichen Radikalen, die unter dem Kaiserreich die offizielle parlamentarische Opposition gebildet hatten, und die selbstverständlicherweise die Arbeiter und ihr Land verrieten. Nach der Zerschlagung der Kommune hatte die Arbeiterklasse - in ihrer Kampfkraft auf Jahre hinaus geschwächt - nur das eine unmittelbare Interesse: Die Wiederkehr solch einer erneuten Unterdrückungsperiode zu verhindern, damit sie nicht wieder gezwungen ist, anstatt für ihre eigene unmittelbare Befreiung, erst für eine Ordnung zu kämpfen, die ihr ermöglicht, sich für den endgültigen Befreiungskampf zu rüsten. Jetzt gibt es in Frankreich vier große Parteien: drei monarchistische, die Legitimisten, Orleanisten und Bonapartisten, jede mit ihrem eigenen Kronprätendenten, und die republikanische Partei. Wer von den drei Prätendenten auch auf den Thron steigen würde, er würde in jedem Fall nur die Unterstützung einer kleinen Minderheit des Volkes finden, er würde infolgedessen sich nur auf die Gewalt verlassen können. Daher wäre die Herrschaft der Gewalt, die Unterdrückung aller öffentlichen Freiheiten und persönlichen Rechte, die die Arbeiterklasse zu vermeiden suchen muß, die notwendige Begleiterscheinung jeder monarchistischen Restauration. Auf der anderen Seite ließe die Aufrechterhaltung der bestehenden republikanischen Regierung ihr wenigstens die Aussicht, einen solchen Grad persönlicher und öffentlicher Freiheit zu erlangen, der ihr erlauben würde, eine Arbeiterpresse, eine Agitation durch Versammlungen und eine Organisation als unabhängige politische Partei zu begründen; darüber hinaus würde der |131| Arbeiterklasse die Erhaltung der Republik die Notwendigkeit ersparen, eine besondere Schlacht für ihre künftige Wiedereroberung schlagen zu müssen.
Es war also ein neuer Beweis der hohen instinktiven politischen Intelligenz der französischen Arbeiterklasse, daß, sobald am letzten 16. Mai die große Verschwörung der drei monarchistischen Fraktionen der Republik den Krieg erklärte, die Arbeiter wie ein Mann die Aufrechterhaltung der Republik zu ihrer wichtigsten unmittelbaren Aufgabe machten. Zweifellos handelten sie dabei als der Schwanz der bürgerlichen Republikaner und Radikalen, aber eine Arbeiterklasse, die weder über eine Presse noch über Versammlungsmöglichkeiten, noch über Klubs oder politische Verbände verfügt, was kann sie anderes sein als der Schwanz der bürgerlich-radikalen Partei? Was kann sie anderes tun, um ihre politische Unabhängigkeit zu erlangen, als die einzige Partei zu unterstützen, die verpflichtet ist, dem Volk im allgemeinen und damit auch den Arbeitern solche Freiheiten zu sichern, die ihnen eine unabhängige Organisation gestatten? Manche behaupten, die Arbeiter hätten bei den letzten Wahlen ihre eigenen Kandidaten aufstellen sollen. Aber selbst an solchen Orten, wo sie das mit Erfolg hätten tun können, wo gab es Arbeiterkandidaten, die in ihrer eigenen Klasse bekannt genug waren, um die notwendige Unterstützung zu finden? Nicht umsonst hat die Regierung seit der Kommune so gut Sorge dafür getragen, jeden Arbeiter, der sich auch nur durch private Agitation in seinem eigenen Pariser Bezirk bekannt machte, als Teilnehmer an jenem Aufstand zu verhaften.
Der Sieg der Republikaner bei den Wahlen im letzten November war bezeichnend. Auf ihn folgten noch bezeichnendere Siege bei den nachfolgenden Departements-, Munizipal- und Ergänzungswahlen. Die monarchistische Verschwörung hätte das alles vielleicht nicht durchgehen lassen, aber ihre Hand war gelähmt durch die nicht mißzuverstehende Haltung der Armee. Es gab nicht nur zahlreiche republikanische Offiziere, besonders unter den Subalternoffizieren, sondern, was entscheidender war, die Masse der Soldaten weigerte sich, gegen die Republik zu marschieren. Das war das erste Ergebnis der Heeresreorganisation, durch die die bezahlten Ersatzleute abgeschafft und das Heer in eine wahre Vertretung der jungen Männer aus allen Klassen verwandelt wurde. So brach die Verschwörung in sich zusammen, ohne daß man Gewalt gegen sie hätte anwenden müssen. Und auch das lag sehr im Interesse der Arbeiterklasse, die, noch zu schwach nach dem Aderlaß von 1871, nicht den Wunsch hegen kann, aufs neue ihr Größtes, ihre Kampfkraft zu verschwenden in Kämpfen zugunsten anderer |132| oder verwickelt zu werden in eine Reihe gewaltsamer Zusammenstöße, bevor sie ihre volle Stärke wiedererlangt hat.
Aber dieser republikanische Sieg hat noch eine andere Bedeutung. Er beweist, daß seit 1870 die ländliche Bevölkerung einen großen Schritt vorwärts getan hat. Bisher wurde jeder Sieg, den die Arbeiterklasse in Paris erzielte, kurze Zeit danach zunichte gemacht durch den reaktionären Geist des Kleinbauerntums, das die große Masse der französischen Bevölkerung bildet. Seit dem Anfang dieses Jahrhunderts war das französische Bauerntum bonapartistisch gewesen. Die Zweite Republik, von den Pariser Arbeitern im Februar 1848 eingesetzt, war kassiert worden durch die sechs Millionen bäuerlicher Stimmen, die Louis-Napoleon im folgenden Dezember erhielt. Aber die preußische Invasion von 1870 hat den Glauben an das Kaisertum bei der Bauernschaft erschüttert, und die Wahlen im vergangenen November beweisen, daß die Masse der Landbevölkerung republikanisch geworden ist. Das aber ist eine Veränderung von höchster Wichtigkeit. Es bedeutet nicht nur, daß von nun an jede monarchistische Restauration in Frankreich aussichtslos geworden ist. Es bedeutet auch das Herannahen des Bündnisses zwischen den Arbeitern in den Städten und den Bauern auf dem Lande. Die Kleinbauern, die die große Revolution hervorbrachte, sind nur dem Namen nach Eigentümer des Bodens. Ihre Höfe sind Wucherern verpfändet, ihre Ernte geht hin für die Bezahlung von Zinsen und Rechtsgebühren; der Notar, der Anwalt, der Gerichtsvollzieher, der Auktionator stehen dauernd drohend vor ihren Türen. Ihre Lage ist genauso schlecht wie die der Arbeiter und fast ebenso unsicher. Und wenn diese Bauern sich jetzt vom Bonapartismus der Republik zuwenden, so zeigen sie damit, daß sie eine Besserung ihrer Lage nicht länger von jenen kaiserlichen Wundern erhoffen, wie sie Louis-Napoleon immer versprach und niemals vollbrachte. Thiers' Glaube an die mystischen Heilsmächte, über die ein "Bauernkaiser" verfügte, ist vom Zweiten Kaiserreich grausam zerstört worden. Der Zauber ist gebrochen. Die französische Bauernschaft ist schließlich vernünftig genug gesonnen, um sich nach den wirklichen Gründen der chronischen Not und nach den praktischen Mitteln, sie zu beseitigen, umzuschauen, und wenn sie einmal zu denken anfängt, muß sie bald herausfinden, daß das einzige Heilmittel für sie in einem Bündnis mit der einzigen Klasse liegt, die aus ihrer gegenwärtigen erbärmlichen Lage keinen Nutzen zieht; das ist die Arbeiterklasse in den Städten.
So verächtlich demnach die gegenwärtige republikanische Regierung Frankreichs sein mag, die endgültige Festigung der Republik hat den französischen Arbeitern wenigstens den Boden geschaffen, auf dem sie sich als |133| unabhängige politische Partei organisieren und ihre künftigen Schlachten, nicht zum Vorteil anderer, sondern zu ihrem eigenen, ausfechten können; zugleich den Boden, auf dem sie sich mit der ihnen bisher feindlichen Masse der Bauern verbünden und so künftige Siege nicht bloß wie bisher zu kurzfristigen Triumphen von Paris über Frankreich machen, sondern zu endgültigen Triumphen aller unterdrückten Klassen Frankreichs unter Führung der Arbeiter von Paris und der großen Provinzstädte.
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Es ist noch ein anderes wichtiges europäisches Land zu betrachten - Rußland. Nicht, daß es in Rußland eine erwähnenswerte Arbeiterbewegung gibt. Aber die inneren und äußeren Umstände, in denen Rußland sich befindet, sind von ganz besonderer Art und tragen in ihrem Schoß Ereignisse von höchster Bedeutung hinsichtlich der Zukunft nicht nur der Arbeiter Rußlands, sondern der Arbeiter ganz Europas.
Im Jahre 1861 führte die Regierung Alexanders II. die Befreiung der Leibeigenen durch, die Verwandlung der ungeheuren Mehrheit des russischen Volkes aus Leibeigenen, die an die Scholle gebunden und der Zwangsarbeit für den Gutsbesitzer unterworfen waren, in freie Bauern. Diese Veränderung, deren Notwendigkeit seit langem klar war, wurde auf solche Weise durchgeführt, daß weder die früheren Gutsbesitzer noch die früheren Leibeigenen Nutzen daraus zogen. Die Bauerndörfer empfingen Bodenanteile, die künftig ihr Eigentum sein sollten, während die Gutsbesitzer entschädigt werden sollten für den Wert des Landes, das sie so an die Dörfer abtraten, und in einem gewissen Ausmaß auch für den Anspruch, den sie bis dahin auf die Arbeitskraft des Bauern besessen hatten. Da die Bauern offensichtlich nicht das Geld besaßen, die Gutsbesitzer zu bezahlen, schaltete sich der Staat ein. Ein Teil dieser Bezahlung erfolgte dadurch, daß den Gutsbesitzern ein Teil des Landes übertragen wurde, das die Bauern bis dahin auf eigene Rechnung bestellt hatten; der Rest wurde in Gestalt von öffentlichen Schuldverschreibungen bezahlt, die der Staat vorschoß und die ihm von den Bauern mit Zinsen in jährlichen Raten zurückgezahlt werden sollten. Die Mehrheit der Gutsbesitzer verkaufte diese Schuldscheine und verausgabte das Geld; sie sind so nicht bloß ärmer als früher, sondern sie können auch keine Landarbeiter finden, um ihre Grundstücke zu bestellen, da die Bauern es jetzt ablehnen, dort zu arbeiten und ihre eigenen Felder unbebaut zu lassen. Was die Bauern betrifft, so waren |134| ihre Landanteile nicht nur im Verhältnis zu ihrem früheren Ausmaß verkleinert worden, und sehr oft so weitgehend, daß sie unter russischen Verhältnissen nicht mehr ausreichten, eine Familie zu unterhalten; diese Anteile bestanden in den meisten Fällen aus den allerschlechtesten Teilen der Gutsländereien, aus Sümpfen oder anderem unfruchtbaren Boden, während das gute Land, das bis dahin den Bauern gehört hatte und durch ihre Arbeit verbessert worden war, auf die Gutsbesitzer übertragen worden war. Unter diesen Umständen waren auch die Bauern beträchtlich schlechter dran als zuvor; aber außerdem erwartete man von ihnen, daß sie der Regierung jedes Jahr die Zinsen und einen Teil des Kapitals zurückzahlten, das der Staat ihnen vorgestreckt hatte, um sie loszukaufen, und darüber hinaus wuchsen die ihnen auferlegten Steuern von Jahr zu Jahr. Sodann hatten die Bauern vor der Befreiung gewisse gemeine Rechte an dem Gutsland gehabt, Weiderechte für ihr Vieh, Recht zum Hauen von Holz für Bauten und andere Zwecke etc. Diese Rechte wurden ihnen ausdrücklich durch. die Neuordnung genommen; wenn sie sie wieder ausüben wollten, so mußten sie mit ihrem früheren Gutsherrn darüber verhandeln.
Während so die Mehrheit der Gutsbesitzer infolge der Veränderung noch mehr verschuldete als es vorher der Fall gewesen war, so wurde die Bauernschaft in eine Lage heruntergedrückt, in der sie weder leben noch sterben konnte. Die große Tat der Emanzipation, die von der liberalen Presse Europas so allgemein gerühmt und gepriesen wurde, hatte nichts geschaffen als die Grundlage und die absolute Notwendigkeit einer künftigen Revolution.
Die Regierung tat alles, was in ihrer Macht lag, um diese Revolution zu beschleunigen: Die Bestechlichkeit, die alle offiziellen Kreise durchdringt und alle guten Vorsätze, die sie noch haben könnten, lahmt - diese traditionelle Bestechlichkeit blieb so schlimm wie nur je und trat grell in jedem öffentlichen Bereich ans Licht beim Ausbruch des türkischen Krieges. Man ließ die Finanzen des Reiches, die beim Ende des Krimkrieges völlig in Unordnung waren, sich immer mehr verschlechtern. Eine Anleihe nach der anderen wurde aufgenommen, bis es keine anderen Mittel mehr gab, die Zinsen der alten Schulden zu bezahlen, als neue Schulden auf sich zu laden. Während der ersten Jahre von Alexanders Herrschaft hatte der alte kaiserliche Despotismus sich ein wenig gelockert; man hatte der Presse mehr Freiheit gelassen, Geschworenengerichte eingeführt und Vertretungskörperschaften, die vom Adel, von den Bürgern der Städte und von den Bauern gewählt wurden, die Erlaubnis gegeben, an der örtlichen und provinziellen Verwaltung einigen Anteil zu nehmen. Sogar mit den |135| Polen hatte ein gewisses Kokettieren stattgefunden. Aber die Öffentlichkeit hatte die wohlwollenden Absichten der Regierung mißverstanden. Die Presse wurde zu deutlich. Die Geschworenen sprachen politische Gefangene tatsächlich frei, während die Regierung erwartet hatte, daß sie sie ohne Beweise verurteilen würden. Die lokalen und provinziellen Körperschaften erklärten insgesamt, daß die Regierung durch ihr Emanzipationsgesetz das Land ruiniert hätte und daß die Dinge auf diesem Wege nicht länger fortgehen könnten. Es wurde sogar auf eine Nationalversammlung als auf das einzige Mittel angespielt, um aus den Schwierigkeiten herauszukommen, die fast unerträglich geworden waren. Und schließlich weigerten sich die Polen, sich mit schönen Worten abspeisen zu lassen und erhoben sich zu einem Aufstand, der alle Kräfte des Reiches und alle Brutalität der russischen Generale erforderte, um ihn in Strömen von Blut zu ersticken. Darauf machte die Regierung kehrt. Wiederum stand die strenge Unterdrückung auf der Tagesordnung. Die Presse wurde geknebelt, die politischen Gefangenen wurden Sondergerichten überantwortet, die sich aus Richtern zusammensetzten, die man für diesen Zweck parteiisch ausgewählt hatte, die lokalen und provinziellen Körperschaften wurden ignoriert. Aber es war zu spät. Nachdem die Regierung einmal Furcht gezeigt hatte, hatte sie ihr Prestige verloren. Mit dem Glauben an ihre Beständigkeit und an ihre Macht, jeden inneren Widerstand gänzlich niederzuschlagen, war es vorbei. Die Keime einer künftigen öffentlichen Meinung waren aufgegangen. Die Kräfte der Gesellschaft konnten nicht zu der früheren gänzlichen Unterwürfigkeit gegenüber dem Diktat der Regierung zurückgeführt werden. Das Diskutieren über öffentliche Angelegenheiten, wenn auch nur in privaten Kreisen, war unter den gebildeten Klassen zur Gewohnheit geworden. Und schließlich wollte die Regierung bei all ihrem Verlangen, zu dem ungezügelten Despotismus der Regierung Nikolaus' zurückzukehren, vor den Augen Europas noch weiter den Schein des Liberalismus aufrechterhalten, den Alexander eingeführt hatte. Die Folge war ein System des Schwankens und Zögerns, von Zugeständnissen, die heute gemacht und morgen zurückgezogen, dann abwechselnd wieder halb gemacht und halb zurückgezogen wurden, eine Politik, die von Stunde zu Stunde wechselte, die für jedermann die innere Schwäche, den Mangel an Einsicht und Willen offenbar werden ließ bei einer Regierung, die nichts war, wenn sie nicht einen Willen hatte und die Mittel, ihn durchzusetzen. Was war natürlicher, als daß mit jedem Tage die Verachtung wachsen mußte, die man für eine Regierung empfand, von der man seit langem wußte, daß sie zum Guten machtlos war und der man nur aus Furcht gehorchte, und die nun bewies, |136| daß sie an ihrer Macht, die eigene Existenz aufrechtzuerhalten, zweifelte, und daß sie zum mindesten ebensoviel Furcht vor dem Volke hatte wie das Volk vor ihr? Es gab für die russische Regierung nur einen Weg der Rettung, den Weg, der sich allen Regierungen anbietet, die sich einem überwältigenden Widerstand des Volkes gegenüber befinden - den Krieg nach außen. Und man entschloß sich zu einem auswärtigen Krieg, zu einem Krieg, von dem man Europa erklärte, daß man ihn unternehme, um die Christen von der langen türkischen Mißherrschaft zu befreien, dem russischen Volk aber sagte man, er würde geführt, um die stammverwandten slawischen Brüder aus der türkischen Knechtschaft in die Gemeinschaft des heiligen russischen Reiches zu bringen.
Nach Monaten ruhmloser Niederlagen ist dieser Krieg jetzt zu einem Abschluß gekommen durch die ebenso ruhmlose Vernichtung des türkischen Widerstandes teils durch Verrat, teils durch ungeheure zahlenmäßige Überlegenheit. Aber die Eroberung des größten Teils der europäischen Türkei durch die Russen ist selbst nur das Vorspiel zu einem allgemeinen europäischen Krieg. Entweder wird Rußland auf der bevorstehenden europäischen Konferenz (wenn diese Konferenz jemals zusammentritt) von seiner jetzt gewonnenen Stellung soweit zurückweichen müssen, daß das Mißverhältnis zwischen den ungeheuren Opfern und den jämmerlichen Ergebnissen die Unzufriedenheit im Volk zum gewaltigen revolutionären Ausbruch bringen muß, oder Rußland wird seine neu eroberte Stellung in einem europäischen Krieg zu behaupten haben. Mehr als zur Hälfte erschöpft, wie das Land jetzt schon ist, kann seine Regierung es ohne bedeutende Zugeständnisse an das Volk nicht durch einen solchen Krieg hindurchbringen - wie immer auch das Endergebnis sein wird. Solche Zugeständnisse angesichts einer Lage wie der hier beschriebenen, das bedeutet den Beginn einer Revolution, Dieser Revolution kann die russische Regierung unmöglich entrinnen, selbst wenn es ihr glücken sollte, ihren Ausbruch ein oder zwei Jahre hinauszuschieben. Aber eine russische Revolution bedeutet mehr als einen bloßen Regierungswechsel in Rußland selbst. Sie bedeutet das Verschwinden einer gewaltigen, aber schwerfälligen Militärmacht, die seit der Französischen Revolution stets das Rückgrat des verbündeten europäischen Despotismus gebildet hat. Sie bedeutet die Befreiung Deutschlands von Preußen, denn Preußen war bisher die Kreatur Rußlands gewesen und hat nur dadurch existiert, daß es sich auf dieses stützte. Sie bedeutet die Befreiung Polens. Sie bedeutet das Erwachen der kleineren slawischen Nationalitäten Osteuropas aus den panslawistischen Träumen, die von der gegenwärtigen russischen Regierung bei ihnen groß- |137| gezogen werden. Und sie bedeutet den Anfang eines aktiven nationalen Lebens innerhalb des russischen Volkes selbst und damit zugleich den Beginn einer wirklichen Arbeiterbewegung in Rußland. Zusammengefaßt bedeutet sie eine solche Veränderung der ganzen Lage Europas, die von den Arbeitern jedes Landes mit Freuden begrüßt werden muß als ein Riesenschritt zu dem gemeinsamen Ziel - der allgemeinen Befreiung der Arbeit.
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