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Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke. (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 18, 5. Auflage 1973, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1962, Berlin/DDR. S. 576-583.

1. Korrektur.
Erstellt am 04.03.1999

Friedrich Engels

Offiziöses Kriegsgeheul


["Der Volksstaat" Nr. 46 vom 23. April 1875]

|576| Die Preßreptilien des Deutschen Reichs haben wieder einmal Befehl erhalten, in die Kriegstrompete zu tuten. Das gottlose verkommene Frankreich will das gottesfürchtige und unter der Herrschaft des Börsenschwindels, der Gründungen und des Krachs so herrlich emporblühende Deutschland nun einmal um keinen Preis in Ruhe lassen. Frankreich rüstet auf kolossalstem Maßstab, und die Hochdruckgeschwindigkeit, mit der diese Rüstungen betrieben werden, ist der beste Beweis, daß es beabsichtigt, womöglich schon im nächsten Jahr über das unschuldige friedfertige Bismarcksche Reich herzufallen, das bekanntlich nie das kleinste Wässerchen getrübt hat, das in einem fort abrüstet und von dem nur die reichsfeindliche Presse die Verleumdung verbreitet, es habe soeben erst durch ein Landsturmgesetz zwei Millionen Bürger in Reservesoldaten verwandelt.

Die Preßreptile haben einen schweren Stand. Während sie im Dienst des Auswärtigen Amtes das Reich als ein Lamm von unerhörter Sanftmut darstellen müssen, findet es das Kriegsministerium in seinem Interesse, dem deutschen Bourgeois verständlich zu machen, daß für sein schweres Steuergeld auch etwas geschieht, daß die beschlossenen Rüstungen auch wirklich ausgeführt, die Festungen gebaut, die Cadres und Mobilmachungspläne für die vielen "Beurlaubten" fertiggemacht werden, daß die Schlagfertigkeit des Heeres sich mit jedem Tage erhöht. Und da die in dieser Beziehung gemachten Mitteilungen authentisch sind und obendrein von sachverständigen Leuten herrühren, so sind wir vollkommen imstande, das Kriegsgeheul der Preßunken zu beurteilen.

Das neue französische Cadresgesetz gibt den Vorwand ab zu dem ganzen Lärm. Vergleichen wir also die dadurch in Frankreich - vorerst |577| noch auf dem Papier - geschaffenen Einrichtungen mit den in Deutschland wirklich bestehenden, und halten wir uns dabei, der Kürze wegen, vorzüglich an die entscheidende Waffe, die Infanterie.

Im ganzen stellt sich heraus, daß das neue französische Gesetz eine bedeutend verschlechterte Ausgabe des preußischen ist.

Die französische Linieninfanterie soll bestehn aus 144 Linien-, 4 Zuaven- und 3 Turkos-Regimentern à 4 Bataillonen, 30 Jägerbataillonen, 4 Fremden- und 5 Strafbataillonen, im ganzen 643 Bataillonen, wogegen die deutsche Linienarmee allerdings nur mit 468 Bataillonen figuriert. Diese Überlegenheit der französischen Linie ist jedoch purer Schein.

Erstens hat das französische Bataillon, wie das preußische, zwar vier Kompanien, aber jede Kompanie nur vier Offiziere statt fünf, und von diesen vieren ist einer ein Reserveoffizier, welche Spezies bis jetzt in Frankreich noch gar nicht existiert. In Frankreich kam bisher auf 35-40 Mann ein Offizier, und bei dem veralteten und umständlichen französischen Exerzierreglement ist das auch nötig, während man in Preußen mit einem Offizier auf 50 Mann ganz gut fertig wurde. Es ist dies aber auch das Maximum, und war man daher auch in dem Ausschuß der Nationalversammlung, der dies Gesetz beriet, darüber einig, daß man höchstens 200 Mann in die Kompanie werde einstellen können. Die französische Kompanie ist also gegen die preußische numerisch um 25 Prozent schwächer, und da der Reserveoffizier vorderhand nicht existiert und auch auf lange Jahre hinaus nicht existieren wird, ihr auch in organisatorischer Beziehung bei weitem nicht gewachsen. Da aber jetzt die Kompanie - durch die Hinterlader - die taktische Einheit im Gefecht geworden ist und das Gefecht der Kompaniekolonnen und der auf sie gestützte Tirailleurkampf starke Kompanien erfordert, so hat die Nationalversammlung hier der französischen Armee den größten Schaden angetan, den sie ihr antun konnte.

Die französische Linie zählt demnach auf dem Kriegsfuß

606 Linienbataillone à 800 Mann

484.800 Mann,

Zuaven, Turkos, Fremdenlegion, Strafbataillone

  46.000 Mann,

zusammen

530.800 Mann,

wovon aber mindestens 40.000 Mann für Algier abgehn, die erst verwendbar werden, sobald neue Formationen imstande sind, sie abzulösen. Es bleiben also zur Eröffnung des Kriegs 490.800 Mann Infanterie. Die 468 Bataillone der deutschen Infanterie zählen jedes 1.050 Mann auf dem Kriegsfuß, zusammen nach offizieller Angabe 490.480 Mann, fast genausoviel wie die französische Linie.

|578| Bis hierher also Gleichheit der Zahl, bessere und stärkere Organisation auf Seite Deutschlands. Jetzt aber kommt der Unterschied.

Auf Seite Frankreichs machen obige 643 schwache Bataillone die gesamte Infanterie aus, für welche überhaupt eine kriegsmäßige Organisation besteht. Allerdings sollen die 318 Depotkompanien der Linie und der Jäger im ganzen 249.480 überzählige Reservisten enthalten (eingeschlossen 50 resp. 40 Offiziere und Unteroffiziere per Kompanie), aber hiervon existieren bisher bloß die Leute, und zwar größtenteils ganz unexerziert, und die Exerzierten mit meist nur sechsmonatlicher Dienstzeit. Von den Offizieren und Unteroffizieren ist höchstens ein Viertel vorhanden. Bis diese 318 Depotkompanien sich in 318 mobile Bataillone verwandeln, kann der ganze Feldzug entschieden sein, und was davon ins Feuer kommt, wird an Qualität die Mobilgarden von 1870 nicht übertreffen. Dann bleibt noch die Territorialarmee, die die Leute vom 30. bis zum 40. Jahr umfaßt und die in 144 Regimentern zu 3 Bataillonen, also 432 Bataillonen, organisiert werden soll. Alles dies besteht nur auf dem Papier. Um eine solche Einrichtung wirklich durchzuführen, braucht man an 10.000 Offiziere und 20.000 Unteroffiziere, von denen bis jetzt fast buchstäblich kein einziger vorhanden ist. Und woher sollen diese Offiziere kommen? Es hat fast zwei Generationen gedauert, bis in Preußen die einjährigen Freiwilligen brauchbare Reserve- und Landwehroffiziere lieferten; noch in den vierziger Jahren wurden sie in fast allen Regimentern als ein Schaden angesehen und demgemäß behandelt. Und in Frankreich, wo eine solche Institution gegen alle Traditionen der revolutionären Gleichheit verstößt, wo die Einjährigen von den Offizieren verachtet und von den Soldaten gehaßt werden, ist mit ihnen erst recht nichts anzufangen. Eine andere Quelle für Reserveoffiziere existiert aber nicht.

Was die Unteroffiziere und Leute angeht, so prahlten bekanntlich die Sieger von Sadowa 1866, daß das lange Bestehen des Landwehrsystems in Preußen ihnen einen Vorsprung von zwanzig Jahren vor jedem andern Land gebe, welches dasselbe System annehme; erst wenn die ältesten Jahrgänge aus gedienten Leuten beständen, trete Gleichheit mit Preußen ein. Das scheint man jetzt vergessen zu haben, wie auch, daß in Frankreich nur die Hälfte des Jahreskontingents wirklich dient, die andere Hälfte nach sechsmonatlichem Dienst (was bei den heutigen pedantischen Reglements gänzlich ungenügend) entlassen wird, Reserve und Landwehr in Frankreich also großenteils, im Vergleich mit der preußischen, aus Rekruten besteht. Und da tut man, als ob man sich vor der jetzigen französischen Territorialarmee fürchte, die aus demselben ungeübten Kanonenfutter be- |579| steht, das 1870 und 1871 an der Loire und bei Le Mans vor halb so starken aber disziplinierten deutschen Abteilungen sich nicht halten konnte!

Damit noch nicht genug. In Preußen hat man, nach bittern Erfahrungen, das Mobilmachen endlich gelernt. In elf Tagen ist die ganze Armee schlagfertig, die Infanterie schon weit früher. Dazu gehört aber, daß alles auf die einfachste Weise eingerichtet und daß namentlich jeder einzelne Beurlaubte schon im voraus dem Truppenteil zugewiesen ist, in den er eintreten soll. Die Grundlage hierzu ist, daß jedes Regiment seinen ständigen Rekrutierungsbezirk hat, aus dem sich auch das entsprechende Landwehrregiment in erster Linie ergänzt. Das neue französische Gesetz dagegen weist die Rekruten und Reservisten demjenigen Regiment zu, das sich bei der Mobilmachung grade im Bezirk befindet. Es geschah dies einer seit Napoleon eingebürgerten Tradition zuliebe, nach der die einzelnen Regimenter abwechselnd in allen Teilen Frankreichs garnisonieren und sich möglichst aus ganz Frankreich rekrutieren sollen. Mußte man das letztere fallenlassen, so beharrte man um so entschiedener auf dem ersteren und machte damit jenen beständigen organischen Zusammenhang zwischen Regimentskommando und Landwehr-Bezirkskommando unmöglich, der in Preußen die Raschheit der Mobilmachung sicherstellt. Wenn diese sinnlose Änderung, die bei den Spezialwaffen noch viel mehr Störungen anrichten muß als bei der Infanterie, bei dieser letzteren die Mobilmachung auch nur um drei Tage verlängern sollte, so sind das, einem aktiven Gegner gegenüber, die drei wichtigsten Tage des ganzen Feldzugs.

Was bedeuten also alle die gewaltigen französischen Rüstungen? Eine der deutschen an Zahl gleiche, aber schlechter organisierte Linieninfanterie, die obendrein, um sich auf Kriegsfuß zu setzen, eine Anzahl Leute von nur sechsmonatlicher Dienstzeit einziehen muß; eine erste Reserve, worin nur sechs Monate gediente Leute vorherrschen und für die höchstens ein Viertel der Offiziere und Unteroffiziere vorhanden ist; eine zweite Reserve von vorwiegend ungedienten Leuten ohne alle und jede Offiziere, und für beide Reserven selbstredend totaler Mangel an festen Cadres. Dabei die sichere Aussicht, daß die fehlenden Offiziere mit den jetzigen Einrichtungen nie zu beschaffen sein werden, so daß beide Reserven im Kriegsfall keiner höheren Leistungen fähig sein werden als die im Herbst und Winter 1870 in der Eile gebildeten Bataillone.

Und nun sehen wir uns einmal das lammfromme Deutsche Reich an, das angeblich keine Zähne hat und noch weniger solche zeigt. Eine Linieninfanterie von 468 Bataillonen mit, auf Kriegsfuß, 490.480 Mann haben wir bereits nachgewiesen. Dazu kommen aber noch folgende Neubildungen:

|580| Man hat seit Anfang 1872 in jedes Bataillon 36 Rekruten mehr eingestellt, macht rund 17.000 Mann jährlich. Ferner hat man nach zweijähriger Dienstzeit ein volles Viertel der Leute entlassen, dafür aber ebenfalls eine gleiche Anzahl neuer Rekruten eingestellt, macht rund 28.000 Mann. Es werden also jährlich im ganzen 45.000 Mann mehr eingestellt und ausgebildet als vorher; macht bis Ende 1875, in drei Jahren, 135.000 Mann, wozu noch 12.000 einjährige Freiwillige (à 4.000 per Jahr) kommen; zusammen 147.000 Mann oder gerade genug, um für jedes der 148 Regimenter ein viertes Bataillon zu bilden. Die überzähligen Ersatzkompanien zu diesem Zweck sind bei allen Linienregimentern bereits seit derselben Zeit "organisatorisch vorbereitet", d.h. die Linien- und Reserveoffiziere und Unteroffiziere, die in diese Bataillone eintreten sollen, sind bereits festgestellt. Die vierten Bataillone können also längstens zwei bis drei Tage nach den ersten dreien sich auf den Marsch begeben und die Armee um 148 Bataillone à 1.050 Mann = 155.400 Mann verstärken. Diese Zahlen aber drücken noch bei weitem nicht den Machtzuwachs aus, den die Feldarmee damit erhält. Wer 1866 die preußischen vierten Bataillone gesehen hat, der weiß, daß sie, vorwiegend aus kräftigen, körperlich gesetzten Leuten von 24-27 Jahren bestehend, die Kerntruppe der Armee ausmachen.

Neben der Bildung der vierten Bataillone geht die Organisation der Ersatzbataillone - 148 an der Zahl, von den Ersatzkompanien der Jäger gar nicht zu sprechen - ihren Gang voran. Sie setzen sich zusammen aus den überzähligen gedienten Reservisten und den ungedienten Leuten der Ersatzreserve. Ihre Stärke wurde 1871 auf 188.690 Mann offiziell angegeben. Dies ist aber so zu verstehn, daß die bereits in Friedenszeiten festgestellten Cadres an Offizieren und Unteroffizieren imstande sind, eine solche Anzahl von Leuten einzuexerzieren, denn die Ersatzreserve allein, in deren erste Klasse jetzt jährlich zirka 45.000 Mann eingestellt werden, liefert auf sieben Jahrgänge weit mehr als obige Anzahl. Die Ersatzbataillone sind nämlich die Behälter, aus denen die im Felde stehenden, durch Kämpfe und mehr noch durch Strapazen geschwächten Bataillone die nötigen Verstärkungen an mehr oder weniger ausgebildeten Leuten erhalten. und die sich dann selbst immer wieder aus der Ersatzreserve ergänzen.

Gleichzeitig mit Linie und Ersatztruppen wird die Landwehr mobil gemacht. Die ebenfalls im Frieden schon festgestellten Cadres der Landwehr umfassen 287 Bataillone (die auf 301 gebracht werden sollen). In den beiden letzten Kriegen wurden die Landwehrbataillone nur auf 800 Mann gebracht; nehmen wir nur diese geringe Sollstärke an, so stellt das Deutsche Reich an Landwehrinfanterie 229.600 Mann organisierter Truppen, wobei |581| aber noch eine jährlich wachsende Zahl Überzähliger zur späteren Verfügung bleibt.

Damit nicht genug, ist denn auch noch der Landsturm wieder ins Leben gerufen worden. Nach offiziösen Nachrichten war Ende 1874 die Kriegsstärke der deutschen Infanterie bereits vermehrt worden um 234 Bataillone Landsturm (à 800 Mann = 187.200 Mann), die Jägerkompanien ungerechnet; was doch nur heißen kann, daß die Cadres für diese Bataillone wenigstens notdürftig festgestellt sind. Damit ist aber der Landsturm noch lange nicht erschöpft, denn nach der triumphierenden Äußerung Voigts-Rhetz's im Reichstage umfaßt er "fünf Prozent der Bevölkerung, zwei Millionen Mann"!.

Wie stellt sich nun die Rechnung?

Frankreich hat an Linieninfanterie, einschließlich der in Algier dienenden Truppen, 530.800 Mann, und das ist seine gesamte organisierte Infanterie. Rechnen wir aber auch noch die ganze erste Reserve hinzu, soweit sie irgendwelche Scheinorganisation besitzt - 254.600 Mann (288 Depotkompanien à 800 Mann, 30 Jägerdepots à 540 Mann und 8.000 überzählige Sträflinge), so gibt das im ganzen nur 785.400 Mann zu Fuß.

Das Deutsche Reich tritt auf, elf Tage nach dem Mobilmachungsbefehl,

mit einer Linieninfanterie von

490 480 Mann,

zwei bis drei Tage später

mit 148 weiteren Bataillonen

155.400 Mann,

nach weiteren vierzehn Tagen

mit 287 Landwehrbataillonen à 800 Mann

229.600 Mann,

und nach noch vierzehn Tagen

mit 234 Landsturmbataillonen à 800 Mann

   187.200 Mann,

zusammen mit einer Infanterie von

1.062.680 Mann,

die bereits in Friedenszeiten fix und fertig organisiert und im voraus mit allem Nötigen versehen ist und die 148 Ersatzbataillone von der Stärke (s. oben) von 188.690 Mann zur Ergänzung der durch den Feldzug verursachten Lücken hinter sich hat. Im ganzen eine organisierte Infanterie-Masse von 1.251.370 Mann.

Glaubt man etwa, wir übertreiben? Keineswegs. Wir bleiben noch hinter der Wahrheit zurück, indem wir verschiedene kleine Faktoren vernachlässigen, die aber bei der Zusammenzählung eine ganz respektable Summe ergeben. Hier der Beweis.

Die "Kölnische Z[ei]t[un]g" vom 27. Dez. 1874 enthält eine aus dem Kriegsministerium stammende "militärische Mitteilung", aus der wir |582| folgendes ersehen: Ende 1873 betrug der Kriegsfuß der deutschen Armee

1.361.400 M[ann], wovon Infanterie

994.900 Mann.

Dazu kamen 1874 die vierten Bataillone

155.400 Mann.

und 234 Bataillone Landsturm

   187.200 Mann.

total Infanterie

1.337.500 Mann,

also noch fast 100.000 Mann mehr als unser Anschlag. Derselbe Artikel berechnet den gesamten Kriegsfuß aller Waffen auf 1.723.148 Mann, worunter 39.948 Offiziere; und die Franzosen haben dagegen höchstens 950.000 Mann im voraus organisierter Truppen, worunter 785.000 Mann Infanterie!

Was die Qualität der Truppen angeht, so ist - gleiche durchschnittliche kriegerische Anlagen bei beiden Nationen angenommen - die der französischen Armee seit dem Krieg sicher nicht gehoben worden. Die Regierung hat alles getan, um die Truppen zu demoralisieren, namentlich durch deren Verlegung in Barackenlager, wo der Soldat im Winter weder exerzieren noch sonst etwas treiben konnte und sozusagen ausschließlich aufs Absinthtrinken angewiesen war. Es fehlt an Unteroffizieren, die Kompanien sind schwach, die Kavallerieregimenter haben lange nicht Pferde genug. Die "Nordd[eutsche] Allg[emeine] Z[ei]t[un]g" hob dies selbst noch am 14. Januar hervor; damals predigte sie noch Frieden!

Aber die neue Armeegesetzgebung stellt dem französischen Kriegsminister zur Verfügung: an Linie 704.714 Mann, Reserve 510.294 Mann, Territorialarmee 582.523 und Reserve derselben 625.633 Mann, zusammen 2.423.164 Mann, die im Notfall auf 2.600.000 Mann gebracht werden können! Allerdings, obwohl General Lewal nach genauer Untersuchung der betreffenden Dokumente erklärt, diese Summe auf 2.377.000 Mann herabsetzen zu müssen. Und auch diese sind noch genug, um dem besten Kriegsminister den Kopf toll zu machen. Was in aller Welt soll er mit dieser Masse zu fast zwei Dritteln ungeübter Menschen anfangen? Wo die Offiziere und Unteroffiziere herbekommen, ohne die er sie nicht einüben, geschweige organisieren kann?

In Deutschland sieht es ganz anders aus. Die Stärke des Kriegsfußes wird schon in den Motiven des Reichsmilitärgesetzes angenommen gleich 1.500.000 Mann. Dazu kommen aber infolge dieses Gesetzes selbst die fünf Jahrgänge der Ersatzreserve, deren Dienstpflicht vom 27. bis zum vollendeten 31. Jahre ausgedehnt wurde - 45.000 Mann jedes Jahr - also zirka 200.000 Mann. Mindestens 200.000 Mann Überzählige über den Kriegs- |583| fuß hinaus waren schon vorher auf den Registern geführt. Und dazu kommt der Landsturm mit vollen zwei Millionen Mann; so daß der deutsche Kriegsminister 3.900.000, wo nicht vier Millionen Mann zu seiner Disposition hat, wobei die Armee, wie der angeführte Offiziöse sagt,

"auch bei einem Aufgebot bis 1.800.000 Mann und darüber, mit Ausnahme der in die Ersatzarmee eingestellten Rekruten, durchgehend aus gedienten und vollkommen militärisch vorgeübten Soldaten bestehen wird, was in Frankreich bis zur Territorialreserve aufwärts erst binnen zwanzig Jahren bewirkt werden möchte".

Man sieht, nicht Frankreich, sondern das Deutsche Reich preußischer Nation ist der wahre Repräsentant des Militarismus. Vier Millionen Soldaten, zehn Prozent der Bevölkerung! Nur zu. Uns kann es ganz recht sein, daß das System bis auf die äußerste Spitze getrieben wird. Nicht von außen durch einen ändern siegreichen Militärstaat, nur von innen, durch seine eignen notwendigen Konsequenzen, kann dies System endgültig gebrochen werden. Und je mehr es übertrieben wird, desto eher muß es zusammenbrechen. Vier Millionen Soldaten! Auch die Sozialdemokratie wird es Bismarck Dank wissen, wenn er die Zahl auf fünf oder sechs Millionen erhöht und dann baldmöglichst auch noch die Mädchen einstellt.

F. E.


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