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Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke. (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 18, 5. Auflage 1973, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1962, Berlin/DDR. S. 322-325.
1. Korrektur.
Erstellt am 04.03.1999
Geschrieben am 2. Mai 1873.
["Der Volksstaat" Nr. 38 vom 10. Mai 1873]
|322| London, 2. Mai 1873
Der "Neue" enthält in Nr. 49 einen Lügenartikel über die letzten Prozesse der Internationale in Frankreich, der seinem Verfasser wohl ein Extra-Douceur aus dem Reptilienfonds eingetragen haben wird, so dick sind die Lügen aufgetragen. Für den Prozeß in Toulouse beruft sich der "Neue" auf einen Artikel der Brüsseler "Internationale"; dieser Artikel ist selbst wieder der "Liberté" entlehnt und rührt her von Herrn Jules Guesde, einem französischen Flüchtling, der seit seiner Ankunft in Genf mit den übrigen Gerngroßmännern der dortigen Emigration stark in die bakunistische Lärmtrompete stieß und auf dem Jurakongreß zu Sonvillier (Nov. 1871) das bekannte Zirkular der Jura-Föderation mit unterzeichnet hat, wodurch die geheime Allianz des Herrn Bakunin der öffentlichen Internationalen den Krieg erklärte. Welche Rolle Herr Guesde in der französischen Internationalen gespielt hat, werden wir gleich sehen. Er nennt Herrn Dentraygues, der in diesem Prozeß seine Mitangeklagten als Mitglieder der Internationalen denunziert hatte, den Generalbevollmächtigten von Marx und will diesem sowie dem Generalrat und der "autoritären Organisation von oben herab" die Schuld an diesem Verrat und an den erfolgten Verurteilungen beimessen.
Hier sind die Tatsachen.
Herr Dentraygues, Zeichner auf dem Eisenbahnbüro zu Pézenas (Dep[artement] Hérault), wandte sich am 24. Dez. 1871 an den Generalrat mit der Anzeige, daß ein radikaldemokratisches Komitee, sieben Gewerkschaften vertretend und dessen Präsident er sei, die Aufnahme in die Internationale verlange. Am 4. Januar schrieb der Sekretär für Frankreich |323| an Calas in Pézenas (jetzt zu 1 Jahr verurteilt), der durch Zeugnis des affiliierten sozialdemokratischen Komitees in Béziers (Hérault) - seine Mitglieder sind ebenfalls verurteilt und waren überdies verschiedenen in London anwesenden Kommunemitgliedern als zuverlässig bekannt - vollkommen beglaubigt war. Am 14. Januar stellte Calas dem Dentraygues das Zeugnis der Zuverlässigkeit aus, sagte, er habe sich mit ihm verständigt, "wir werden einander in die Hände arbeiten". Im März verlegte Dentraygues seinen Wohnsitz nach Toulouse; er war also dort bei seiner Verhaftung volle neun Monate tätig gewesen, und weit entfernt, sich über ihn zu beklagen, hatten die Toulouser Internationalen fortwährend im Einklang mit ihm gelebt und bestätigten dies, indem sie ihn am 18. August in allen vier - zahlreichen - Sektionen einstimmig zum Delegierten auf den Haager Kongreß wählten. Die vier Mandate, nur von den Komiteemitgliedern und Gruppenchefs unterzeichnet, tragen zusammen 67 Unterschriften. Wenn also der Generalrat diesen Mann zu seinem Bevollmächtigten für Toulouse und Umgegend ernannte, so drückte er dadurch nur den Wunsch der dortigen Mitglieder selbst aus.
Nun zu Herrn Guesde.
Am 18. August 1872 erklärte die Sektion Montpellier dem Generalrat, daß Herr Paul Brousse, Korrespondent und Freund des Herrn Guesde, versuche, eine Spaltung in der dortigen Sektion hervorzurufen; er verlange, die Mitglieder sollten die verabredeten Beiträge zu den Reisekosten des Toulouser Delegierten nicht zahlen, überhaupt gar nichts tun, bis der Haager Kongreß entschieden habe. Herr Brousse sei deshalb von der Sektion ausgeschlossen worden; sie verlange, daß der Generalrat ihn von der Internationalen ausschließe. Der Brief war unterzeichnet von Calas und drei andern. Der Generalrat wußte, daß Herr Brousse im Interesse der Sezessionisten der Jura-Föderation dort intrigiere, hielt es aber für überflüssig, dem jungen Mann - er war Student der Medizin - weitere Wichtigkeit zu geben, und ließ ihn laufen. Herr Guesde, damals in Rom, schrieb Anfang Oktober eine Korrespondenz an die "Liberté", worin er das ganz selbstverständliche Verfahren der Sektion Montpellier als "autoritär" anklagt; aber, während er seinen Freund Brousse nur mit dem Anfangsbuchstaben bezeichnet, läßt er den Namen "Calas in Montpellier" vollständig abdrucken. Die französische Polizei ließ sich das nicht zweimal sagen. Ein Brief, um diese Zeit vom Sekretär des Generalrats an Calas abgesandt, wird sofort auf der Post angehalten; in diesem Brief war von Dentraygues viel die Rede; sofort wird Dentraygues verhaftet und bald darauf auch Calas.
Wer war nun der Denunziant, Dentraygues oder Guesde?
|324| Wenn Herr Guesde ferner erzählt, daß die Absendung von missi dominici |Bevollmächtigten| des Generalrats, daß das Kommen und Gehen von Delegierten von außerhalb, deren Signalement der Polizei wohlbekannt, das beste Mittel sei, die Internationale in Frankreich zu verraten, so vergißt er:
1. daß die drei Bevollmächtigten des Generalrats in Frankreich keine von außen zugereisten Weltbeglücker, sondern an den Orten, wo sie beglaubigt, ansässige und durch das Vertrauen der Sektionen selbst bezeichnete Leute waren;
2. daß die einzigen internationalen "Delegierten von außerhalb", die in Südfrankreich vor[igen] Herbst und Winter figuriert haben, nicht vom Generalrat gesandt waren, sondern von den Sezessionisten der Jura-Föderation. Diese Herren polterten auch so laut in öffentlichen Cafés in Toulouse usw. kurz vor den Verhaftungen, daß die Aufmerksamkeit der Polizei dadurch auf unsere Assoziation gelenkt wurde; nur daß, wie überall und immer, auch die wirklichen Internationalen gefaßt wurden, während die anarchistischen Großmäuler sich des besonderen Schutzes der hohen Polizei erfreuen.
Wenn Herr Dentraygues aus persönlichen Motiven und aus Schwäche einige Enthüllungen gemacht hat, so sind Gründe genug vorhanden, die beweisen, daß er bis zu seiner Verurteilung kein Polizeispion war. Unter keinen Umständen haben die Herren von der Allianz, deren Mitstifter der jetzige bonapartistische Agent Albert Richard von Lyon war, Ursache, auf andere Leute Steine zu werfen, und noch weniger der "Neue", dessen polizistische Vergangenheit und Gegenwart den größten Schandfleck der deutschen Arbeiterbewegung ausmacht.
Was den Pariser Prozeß angeht, so steht jetzt fest, daß Heddeghem Polizeispion war. Dieser Mann, von seiner Sektion in Paris zum Sekretär ernannt, berief sich auf das Kommune- und Generalratsmitglied Ranvier, der ihm ein glänzendes Zeugnis der Zuverlässigkeit und Tätigkeit ausstellte; auf dieses hin wurde Heddeghem zugelassen. Wie im ersten Falle, so auch in diesem, hatte also der Generalrat alle ihm zu Gebote stehenden Vorsichtsmaßregeln beobachtet.
Neu ist die Behauptung, daß Bakunin auf dem Haag ausgeschlossen worden sei, weil er "das verdenkliche Treiben der geheimen Verschwörungen beseitigen" will. Die Kommission des Haager Kongresses über die Allianz, der die Statuten dieser bakunistischen geheimen Verschwörung - nicht gegen die Regierungen, sondern gegen die Internationale - vorgelegt wurden, kam zu einem ganz andern Resultat.
|325| Ebenso neu ist die Behauptung, Marx habe "mehr als ein Dutzend Kommunistenprozesse seiner Anhänger erlebt". Die Geschichte weiß nur von dem einen in Köln 1852 verhandelten Kommunistenprozesse; aber der "Neue" wird nicht dafür bezahlt, daß er die Wahrheit sagt. Jedenfalls werden wir seine Schlußwarnung im Gedächtnis halten:
"Das Manöver der Polizeigewalt: dort wo sie einen Tendenzprozeß hervorruft, formell auch ihre geheimen Agenten zu verurteilen, ihnen aber später im Gefängnis ein bequemes Leben zu bereiten."
Dieser aus dem "Leben" des Herrn von Schweitzer gegriffene Passus verdient alle Beherzigung.
"Mögen also die Arbeiter immer die Augen offen haben", wenn die Herren vom "Neuen" zufällig einmal "formell verurteilt" werden sollten!
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