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Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke. (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 18, 5. Auflage 1973, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1962, Berlin/DDR. S. 85-88.

1. Korrektur.
Erstellt am 04.03.1999

Karl Marx

Noch einmal Stefanoni und die Internationale

[Brief an die Redaktion des "Gazzettino Rosa"]

Aus dem Italienischen.


["Gazzettino Rosa" Nr. 148 vom 28. Mai 1872]

|85| London, 23. Mai 1872

Herr Redakteur,

Im "Libero Pensiero" vom 28. März hat Herr Stefanoni mit Recht vorausgesehen, daß ich, trotz seines Mißgeschicks mit Liebknecht, seine ständigen Verleumdungen weiterhin mit Schweigen beantworten würde. Wenn ich heute dieses Schweigen breche, so deshalb, weil Herr Karl Vogt, ein Mann, den ich in Deutschland mit meinem Buch "Herr Vogt" politisch und moralisch erledigt habe, sich nunmehr als Inspirator der Behauptungen seines Gesinnungsgenossen Stefanoni erweist.

Herr Stefanoni zitiert aus dem Buche Vogts, das gegen mich und allgemein gegen die deutsche kommunistische Partei geschrieben wurde, das Märchen über meine Beziehungen zu dem Spitzel Cherval; doch unterdrückt er geflissentlich den Brief von J. Ph. Becker aus Genf, der in humorvollster Weise die plumpen Erfindungen Vogts entlarvt (siehe "Herr Vogt", Seite 21).

Diese Verleumdung und andere ähnlicher Art, mit denen Vogt sein schmutziges Buch füllt, wurden wenige Tage nach ihrer Veröffentlichung von der Berliner "National-Zeitung" abgedruckt. Ich erhob von London aus sofort eine Klage wegen Diffamierung. Entsprechend der preußischen Rechtsordnung mußte ich zuerst über ein Präliminarverfahren gehen, d.h. von den Gerichten die Erlaubnis erhalten, den Redakteur der "National-Zeitung" zu verfolgen. Ich war also gezwungen, die ganze Stufenleiter der Gerichte zu durchlaufen, vom Untersuchungsrichter bis zum Obersten |86| Gericht, um schließlich überhaupt nichts zu erreichen. Mit einem Wort, man verbat mir, einen für Herrn Vogt (der damals gerade in seinen "Politischen Studien" Preußen aufgefordert hatte, sich mit Waffengewalt des übrigen Deutschlands zu bemächtigen) so kompromittierenden Prozeß einzuleiten - aber ebenso kompromittierend für eine Zeitung, die unter der Maske einer angeblichen Opposition die Geschäfte der Regierung besorgte und sich später als das servilste Werkzeug Bismarcks entpuppte -, einen Prozeß schließlich, der vollständige Genugtuung einem Manne geben sollte, der damals auf Befehl von oben von der ganzen käuflichen Presse Deutschlands verleumdet wurde.

Alle Episoden meines Kampfes mit den preußischen Gerichten, zusammen mit den entlastenden Dokumenten, die ich ihnen unterbreitet hatte, liegen in meinem Buch "Herr Vogt" gedruckt vor und müssen daher dem tugendhaften Herrn Stefanoni bekannt sein.

Herr Stefanoni führt auch meine "Enthüllungen über den Kommunisten-Prozeß zu Köln" (1853) an; um was zu beweisen? Daß ich Beziehungen mit den deutschen Kommunisten hatte.

Darauf bin ich stolz. Übrigens war der wahre Grund dieser Veröffentlichung der, zu zeigen, daß der Bund der Kommunisten keine Geheimgesellschaft im Sinne des Strafgesetzbuches war und daß gerade deshalb die preußische Regierung gezwungen war, von dem niederträchtigen Stieber und seinen Helfershelfern eine Reihe von falschen Dokumenten fabrizieren zu lassen, die mir und den Angeklagten zugeschrieben wurden. Heute gibt es niemand in Deutschland, selbst unter den Bismarckianern nicht, der wagen würde, diese Tatsache zu leugnen. Daß der Herr Stefanoni nicht nur mit Vogt, sondern sogar mit Stieber gemeinsame Sache macht, ist zu forte |stark|, selbst für einen esprit fort |Freigeist| vom Schlage Stefanonis.

In seinem Blatt vom 18. April geht Herr Stefanoni erneut zum Angriff über. In meinem Buch hatte ich zur Genüge bewiesen, daß sich Herr Vogt 1859 an Bonaparte verkauft hatte, indem er sich verpflichtete, sein Hauptagent in Deutschland und in der Schweiz zu sein. Zehn Jahre später hat die Indiskretion seiner Freunde Jules Favre und Co. diese Tatsache nur bestätigt.

Es ist absolut falsch, daß ich wegen eines angeblichen deutschen Interesses Österreich gegen Herrn Vogt, diesen mutigen Vorkämpfer Italiens, in Schutz genommen hätte. 1848/49 verfocht ich in der "Neuen Rheinischen Zeitung" die Sache Italiens gegen die Mehrheit des Parlaments |87| und der deutschen Presse. Später, 1853, und zu anderen Zeiten übernahm ich in der "New-York Daily Tribüne" die Verteidigung eines Mannes, mit dem ich mich in bezug auf die prinzipiellen Fragen in einem ständigen Gegensatz befunden hatte - Mazzini |siehe: "Aufruf Mazzinis" und "Mazzini und Napoleon"|. Mit einem Wort, ich stand immer auf der Seite des revolutionären Italiens gegen Österreich.

Aber der Krieg von 1859 war eine ganz andere Sache. Ich prangerte ihn an, weil er die Existenz des bonapartistischen Kaiserreichs für ein weiteres Jahrzehnt verlängern, Deutschland dem Regime des preußischen Klüngels unterwerfen und aus Italien das machen sollte, was es heute ist. Ausnahmsweise war Mazzini meiner Ansicht. (Siehe "Pensiero ed Azione" vom 2. bis 15. Mai 1859.) Zu jener Zeit wurde er ebenso wie ich von dem unvermeidlichen Herrn Vogt angegriffen.

Obwohl ich bereit war, Herrn Vogt als bonapartistischen Agenten anzuprangern, mußte ich dennoch die Vaterschaft eines anonymen Zirkulars ablehnen, das Herr Karl Blind gegen ihn herausgebracht hatte. Herr Stefanoni zitiert nach Vogt die Erklärungen, die sich dieser vom Druckereibesitzer und den Druckern verschafft hatte, um zu beweisen, daß nicht Blind der Verfasser des Zirkulars war und daß es nicht bei diesem Druckereibesitzer gedruckt worden war.

Nun, wenn Herr Stefanoni, wie er es behauptet, mein Buch gelesen hätte, so würde er auf den Seiten 186/187 die vor einem englischen Gericht unter Eid gemachten Erklärungen des angeführten Druckers und eines seiner Kollegen gelesen haben, in denen festgestellt wird, daß gerade Karl Blind der Verfasser des anonymen Zirkulars ist. Von Vogt geht Herr Stefanoni zu Herzen über. Als erstes läßt er Herzen der Versammlung beiwohnen, in der die Internationale gegründet wurde und setzt die Bildung der Assoziation für 1867 fest. Jedermann weiß, daß die Internationale im September 1864 in einer Versammlung in Long Acre gegründet wurde, wo Herzen nicht zugegen war. Der Evangelist des Rationalismus, Herr Stefanoni, behandelt die Chronologie und die Topographie genau so wie es vor achtzehn Jahrhunderten seine Vorgänger beim Neuen Testament getan hatten. Ungefähr zehn Jahre vor der Gründung der Internationale hatte ich mich geweigert, als Redner neben Herrn Herzen, dem russischen Panslawisten, anläßlich einer öffentlichen Kundgebung aufzutreten.

Selbst Herzen wagt nicht, in einem nach seinem Tode erschienenen, von seinem Sohne herausgegebenen Buch, das voller Lügen über mich |88| ist, zu sagen, daß ich ihn als einen russischen Spitzel bezeichnet hätte, wie dies der wahrheitsliebende Herr Stefanoni behauptet. Übrigens brauchen diejenigen, die sich gerne über den Wert, den man dem dilettantischen Sozialisten Herzen beimessen soll, aufklären möchten, nur das Büchlein "Unsere häuslichen Angelegenheiten" von Serno-Solowjewitsch zu lesen.

Ich habe die Ehre zu sein, Herr Redakteur, Ihr ergebenster

Karl Marx


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