Über den Krieg - I | Inhalt | Über den Krieg - III
Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 17, 5. Auflage 1973, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1962, Berlin/DDR. S. 15-18.
Erstellt am 13.12.1998.
1. Korrektur.
["The Pall Mall Gazette" Nr. 1705 vom 1. August 1870]
Am Freitag, dem 29. Juli, morgens, wird der Vormarsch der französischen Armee begonnen haben. In welcher Richtung? Ein Blick auf die Landkarte soll es zeigen.
Das Rheintal wird auf dem linken Ufer nach Westen hin durch die Bergkette der Vogesen, die sich von Belfort bis Kaiserslautern hinzieht, abgeschlossen. Nördlich von Kaiserslautern werden die Hügel immer flacher, bis sie allmählich in die Ebene von Mainz auslaufen.
Das Moseltal bildet in Rheinpreußen einen tiefen und gewundenen Einschnitt, den sich der Fluß durch eine Hochebene gebahnt hat. Diese erhebt sich im Süden des Tales zu einer ansehnlichen Bergkette, die Hochwald genannt wird. Je weiter sich diese Bergkette dem Rhein nähert, desto mehr trägt die Landschaft den Charakter einer Hochebene, bis die letzten Hügel mit den äußersten Ausläufern der Vogesen zusammentreffen.
Weder die Vogesen noch der Hochwald sind für eine Armee gänzlich ungangbar, beide werden von verschiedenen guten Heerstraßen durchquert; aber keines der beiden Gebirge ist ein Gelände, in dem Armeen von 200.000 bis 300.000 Mann vorteilhaft operieren könnten. Dagegen bildet das Gebiet zwischen beiden eine Art weiter Bresche von fünfundzwanzig bis
dreißig Meilen Breite. Es ist ein hügeliges Gelände, das von zahlreichen Straßen in allen Richtungen durchzogen wird und für Bewegungen großer Armeen alle Vorteile bietet. Überdies geht die Straße von Metz nach Mainz durch diesen Einschnitt, und Mainz ist der erste wichtige Punkt, auf den die Franzosen wahrscheinlich marschieren werden.
Hier haben wir also die von der Natur gegebene Operationslinie. Im Falle einer deutschen Invasion in Frankreich - da ja beide Armeen bereitstehen - muß das erste große Treffen in Lothringen stattfinden, östlich der |16| Mosel und nördlich der Eisenbahn Nancy - Straßburg. Wenn eine französische Armee aus ihren Stellungen, in denen sie sich in der letzten Woche
konzentrierte, vorrückt, so wird der erste bedeutende Kampf ungefähr in dieser Bresche oder jenseits von ihr unter den Wällen von Mainz stattfinden.
Die französische Armee wurde wie folgt aufgestellt: drei Korps (das III., IV. und V.) in einer ersten Linie bei Thionville, St. Avold und Bitsch; zwei Korps (das I. und II.) in der zweiten Linie bei Straßburg und Metz und als Reserve die Garde bei Nancy und das VI. Korps bei Châlons. Während der letzten Tage wurde die zweite Linie in die Zwischenräume der ersten vorgeschoben; die Garde rückte nach Metz vor, und Straßburg wurde der Mobilgarde überlassen. Somit wurden die gesamten französischen Kräfte zwischen Thionville und Bitsch konzentriert, das heißt gegenüber dem Eingang des Einschnitts zwischen den Bergen. Der natürliche Schluß aus diesen Voraussetzungen ist, daß die Franzosen dorthinein zu marschieren beabsichtigen.
Die Invasion wird also mit der Besetzung der Übergänge über die Saar und die Blies begonnen haben. Die nächsten Tage werden wahrscheinlich die Besetzung der Linie Tholey - Homburg bringen, dann der Linie Birkenfeld - Landstuhl oder Oberstein - Kaiserslautern und so fort - alles unter der Voraussetzung, daß diese Operationen nicht durch einen Vormarsch der Deutschen unterbrochen werden. Ohne Zweifel werden in den Hügeln flankierende Korps beider Parteien stehen, die auch zu Gefechten vorgehen werden; aber die eigentliche Schlacht wird in dem eben beschriebenen Gebiet zu erwarten sein.
Über die Stellungen der Deutschen wissen wir nichts. Wir vermuten jedoch, daß ihr Aufmarschgebiet - wenn sie beabsichtigen, dem Feind auf dem linken Rheinufer entgegenzutreten - unmittelbar vor Mainz sein wird, also am anderen Ende des Einschnitts. Wenn nicht, so werden sie auf dem rechten Ufer, von Bingen bis Mannheim, bleiben und sich je nach den Umständen oberhalb oder unterhalb von Mainz konzentrieren. Durch die Errichtung einer neuen Linie von detachierten Forts, 4.000 bis 5.000 Yard von den Wällen der Stadt entfernt, scheint Mainz, das in seiner alten Form dem Bombardement durch gezogene Geschütze ausgesetzt war, jetzt ziemlich gesichert zu sein.
Alles deutet darauf hin, daß die Deutschen nur zwei oder drei Tage später als die Franzosen fertig und zum Vorrücken bereit sein werden. In diesem Falle wird es eine Schlacht geben ähnlich der bei Solferino - zwei Armeen, entwickelt in ihrer ganzen Front, marschieren aufeinander los.
|17| Viel ausgeklügelte und übergeschickte Manöver sind nicht zu erwarten. Bei Armeen von solcher Größe ist es schon schwierig genug, sie nach dem vorgesehenen Plan an die Front zu bringen. Welche Seite auch immer gefährliche Manöver versucht, sie wird durch den bloßen Vormarsch der Massen des Feindes vernichtet werden, lange bevor diese Manöver entwickelt sein können.
————— Z.
Ein militärisches Werk über die Rheinfestungen von Herrn von Widdern ist gerade jetzt in Berlin viel besprochen worden. Der Autor sagt, daß der Rhein von Basel bis zur Murg überhaupt nicht befestigt und daß der einzige Schutz Süddeutschlands und Österreichs gegen einen französischen Angriff in dieser Richtung die starke Festung Ulm sei. Diese ist seit 1866 mit einer aus Bayern und Württembergern zusammengesetzten Truppe belegt, die etwa 10.000 Mann beträgt. Die Besatzung könnte im Falle eines Krieges auf 25.000 Mann erhöht werden, und weitere 25.000 könnten in einem verschanzten Lager innerhalb der Wälle der Festung stationiert werden. Rastatt, von dem man annimmt, daß es für einen französischen Vormarsch ein machtvolles Hindernis sein wird, liegt in einem Tal, durch das die Murg fließt. Die Verteidigungswerke der Stadt bestehen aus drei großen Forts, die das umliegende Gebiet beherrschen und durch Wälle verbunden sind. Das südliche und das westliche Fort, "Leopold" und "Friedrich", liegen auf dem linken Ufer der Murg; das nördliche Fort, "Ludwig", auf dem rechten Ufer. Hier befindet sich auch ein verschanztes Lager, in dem 25.000 Mann stationiert werden könnten. Rastatt liegt vier Meilen vom Rhein entfernt, und das dazwischenliegende Land ist bewaldet, so daß die Festung nicht verhindern könnte, daß eine Armee an dieser Stelle den Fluß überschreitet. Die nächste Festung ist Landau, das früher aus drei Forts bestand, einem im Süden, einem im Osten und einem im Nordwesten, von der Stadt durch Sümpfe an den Ufern des kleinen Flusses Queich getrennt. Das südliche und das östliche Fort sind unlängst geschleift worden; das einzige, das noch im Verteidigungszustand erhalten wird, ist das nordwestliche. Die wichtigste und bestgelegene Festung in dieser Gegend ist Germersheim am Rhein. Es beherrscht eine beträchtliche Strecke des Flusses auf beiden Seiten und sperrt diesen praktisch für den Feind bis nach Mainz und Koblenz. Germersheim würde den Vormarsch der Truppen in die Rheinpfalz dadurch sehr erleichtern, wenn außer der bestehenden Schiffsbrücke unter dem Schutze seiner Artillerie noch zwei oder drei Brücken über den Fluß geschlagen werden könnten. Ferner könnte es eine |18| Operationsbasis abgeben für den linken Flügel einer Armee, die entlang der Queich aufgestellt würde. Mainz, eine der wichtigsten Rheinfestungen, wird durch einige angrenzende Hügel beherrscht. Das hat es notwendig gemacht, die Befestigungen in der Stadt zu vermehren, und es gibt infolgedessen kaum genügend Raum für eine große Garnison. Das ganze Gebiet zwischen Mainz und Bingen ist jetzt stark befestigt, und zwischen ihm und der Mainmündung (am gegenüberliegenden Ufer des Rheins) liegen drei große verschanzte Lager. Über Koblenz sagt Herr von Widdern, daß es eine sechsfach stärkere Truppenmacht als seine Garnison erfordern würde, diesen Platz mit Aussicht auf Erfolg zu belagern. Ein Feind würde den Angriff wahrscheinlich beginnen durch Eröffnung des Feuers auf das Fort Alexander von dem Hügel aus, der bekanntlich Kuhkopf heißt, wo seine Truppen durch die Wälder geschützt wären. Der Autor beschreibt auch die Befestigungen von Köln und Wesel, sagt aber darüber nichts, was nicht schon bekannt wäre.