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Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 16, 6. Auflage 1975, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1962, Berlin/DDR. S. 459-498.

1. Korrektur.
Erstellt am .

Friedrich Engels

[Die Geschichte Irlands]

Geschrieben von Mai bis Mitte Juli 1870.
Nach der Handschrift.


Naturbedingungen

|461| An der Nordwestecke Europas liegt das Land, dessen Geschichte uns beschäftigen wird, eine Insel von 1.530 deutschen oder 32.500 englischen Quadratmeilen. Aber zwischen Irland und das übrige Europa legte sich quer die dreimal so große Insel, die wir der Kürze halber gewöhnlich England nennen; sie umfaßt Irland von Nord, Ost und Südost her vollständig und läßt ihm nur in der Richtung nach Spanien, Westfrankreich und Amerika freien Ausblick.

Der Kanal zwischen beiden Inseln, an den schmalsten Stellen im Süden 50-70, an einer Stelle im Norden 13, an einer andern 22 engl. Meilen breit, erlaubte im Norden schon vor dem 5. Jahrhundert den irischen Skoten die Einwanderung in die Nebeninsel und die Begründung des schottischen Reichs. Im Süden war er zu breit für die Boote der Iren und Briten und ein ernsthaftes Hindernis selbst für die flachbodigen Küstenfahrzeuge der Römer. Als aber Friesen, Angeln und Sachsen und nach ihnen Skandinavier mit ihren Kielfahrzeugen sich aufs hohe Meer, außer Sicht des Landes, wagen durften, war dieser Kanal kein Hindernis mehr; Irland verfiel den Raubzügen der Skandinavier und lag den Engländern als offene Beute da. Sobald die Normannen in England eine kräftige, einheitliche Regierung hergestellt, machte sich der Einfluß der größeren Nachbarinsel geltend in damaliger Zeit hieß dies Eroberungskrieg.

Folgte dann im Verlauf des Kriegs eine Periode, wo England die Herrschaft auf dem Meer errang, so war dadurch die Möglichkeit erfolgreicher fremder Einmischung ausgeschlossen.

Wurde endlich die ganze größere Insel zu einem Staat vereinigt, so mußte dieser danach streben, auch Irland sich vollständig zu assimilieren.

Gelang diese Assimilation, so gehört der ganze Verlauf der Geschichte an. Er verfällt ihrem Urteil, aber rückgängig zu machen ist er nicht mehr. Gelang aber die Assimilation nach siebenhundert Jahren des Kampfs nicht, |462| wurde vielmehr jede neue Welle von Eindringlingen, die Irland eine nach der andern überschwemmte, von Irland assimiliert; sind die Irländer auch heute noch ebensowenig zu Engländern, "Westbriten", wie mans nennt, geworden, wie die Polen nach nur hundertjähriger Unterdrückung zu Westrussen; ist der Kampf noch immer nicht ausgekämpft und keine Aussicht da, daß er ausgekämpft werde anders als durch die Ausrottung der unterdrückten Race - so werden alle geographischen Vorwände in der Welt nicht hinreichen, den Beruf Englands zur Eroberung Irlands zu beweisen.

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Um die Bodenbeschaffenheit des heutigen Irlands zu verstehen, müssen wir weit zurückgreifen, nämlich bis auf die Epoche, wo die sogenannte Kohlenformation gebildet wurde.(1)

Die Mitte von Irland, nördl. und südlich von der Linie Dublin - Galway, bildet eine weite Ebene von der Meereshöhe von durchschnittlich 100 bis 300 Fuß. Diese Ebene, sozusagen der Grundplan von ganz Irland, wird gebildet durch die massenhafte Kalksteinschicht, die die mittlere Lage der Kohlenformation bildet (Kohlenkalk, carboniferous limestone) und welcher die kohlenhaltigen Schichten (das eigentliche Kohlengebirge, coal measures) in England und anderswo unmittelbar aufliegen.

Im Süden wie im Norden wird diese Ebene umringt von einem Gebirgskranz, der sich meist der Küste anschließt und fast ausnahmslos aus älteren Gebirgsformationen besteht, die den Kalkstein durchbrochen haben: Granit, Glimmerschiefer, kambrische, kambrosilurische, obere silurische, devonische und der untersten Schicht der Kohlenformation angehörige Tonschiefer und Sandsteine, reich an Kupfer und Blei; außerdem etwas Gold, Silber, Zinn, Zink, Eisen, Kobalt, Spießglanz und Mangan enthaltend.

Nur an wenigen Stellen erhebt sich der Kalkstein selbst zu Bergen: mitten in der Ebene, in Queen's County, bis zu 600 Fuß und im Westen, an der Südküste der Bucht von Galway, bis zu etwas über 1.000 Fuß (Burren Hills).

An mehreren Stellen in der südlichen Hälfte der Kalksteinebene finden sich vereinzelte Gebirge von 700-1.000 Fuß [über der] Meereshöhe und beträchtlichem Umfang, die von den kohlenhaltigen Schichten gebildet |465| werden. Sie liegen in Mulden der Kalksteinfläche, aus der sie sich als Plateau mit ziemlich steilen Rändern erheben.

"Die Abfälle dieser weit voneinander entfernten Striche Kohlengebirge sind sich so ähnlich und die Schichten, aus denen sie bestehen, so vollständig identisch, daß man absolut nicht umhin kann anzunehmen, daß sie früher in zusammenhängenden Lagen über das ganze Zwischenland verbreitet waren, obwohl sie jetzt 60-80 Meilen voneinander entfernt sind. Diese Ansicht wird noch besonders dadurch bestärkt, daß zwischen den noch übrigen Kohlenfeldern sich hier und da kleine, vereinzelte Hügel finden, deren Spitze ebenfalls aus Kohlengebirge besteht, und daß überall, wo die Kalksteinebene sich unter das Niveau der gegenwärtigen Oberfläche senkt, die Vertiefung ausgefüllt ist durch die niedrigsten Schichten des Kohlengebirgs." (Jukes, p. 286.)

Noch andre Umstände, die für uns hier zu sehr ins Detail gehn und die man bei Jukes, p. 286-289, nachlesen kann, machen zur Gewißheit, daß, wie Jukes sagt, die ganze irische Zentralebene durch Denudation entstanden ist; so daß, nachdem das Kohlengebirge und die oberen Kalksteinablagerungen - eine Durchschnittsdicke von mindestens 2.000-3.000, vielleicht 5.000-6.000 Fuß Gestein - weggespült, nun hauptsächlich die unteren Schichten des Kalks zutage treten. Selbst auf dem höchsten Grat der Burren Hills, Grafschaft Clare, die aus purem Kalkstein bestehen und 1.000 Fuß hoch sind, fand Jukes (p. 513) noch einen kleinen Aufwurf von Kohlengebirge.

Es bleiben demnach im Süden Irlands immer noch einige nicht unbedeutende Striche, welche dem Kohlengebirge angehören; darunter aber findet sich nur an einzelnen kleinen Stellen Kohle in hinreichender Dicke, um den Bergbau zu lohnen. Zudem ist die Kohle selbst anthrazitisch, d.h. sie enthält wenig Wasserstoff und ist ohne Zusatz nicht zu allen industriellen Zwecken verwendbar.

Im Norden Irlands kommen auch mehrere nicht sehr ausgedehnte Kohlenfelder vor, deren Kohle bituminös, d.h. wasserstoffreiche, gewöhnliche Steinkohle ist und deren Lagerung nicht ganz mit der der südlicheren Kohlenbezirke stimmt. Daß aber auch hier dieselbe Wegspülung des Kohlengebirgs stattgefunden, geht daraus hervor, daß große Stücke Kohle, begleitet von derselben Schichtenordnung angehörigem Sandstein und blauem Lehm, auf der Oberfläche des südöstlich eines solchen Kohlenfelds nach Belturbet und Mohill zu gelegenen Kalksteintale gefunden werden. Häufig ist man beim Brunnengraben im Drift in dieser Gegend auf große Blöcke Kohle gestoßen; und in einigen Fällen waren die Kohlenmassen so bedeutend, daß man glaubte, tieferes Ausschachten müsse auf ein Kohlenlager führen. (Kane, "Industrial Resources of Ireland", 2. Ausgabe, Dublin 1845, p. 265.)

|466| Man sieht, das Pech Irlands ist uralt; es hebt an unmittelbar nach Ablagerung des Kohlengebirgs. Ein Land, dessen Kohlenlager weggespült sind, dicht neben einem größeren kohlenreichen Land gelegen, war gleichsam schon durch Naturbeschluß diesem, dem künftigen Industrieland, gegenüber auf lange Zeit hinaus zur Rolle des Bauernlands verurteilt. Das Urteil, vor Millionen Jahren gefällt, wurde vollstreckt erst in diesem Jahrhundert. Wir werden übrigens später sehn, wie die Engländer der Natur unter die Arme griffen und fast jeden Keim irischer Industrie sofort gewaltsam zertreten haben.

Jüngere, sekundäre und tertiäre Ablagerungen kommen fast nur im Nordosten vor; uns interessieren dabei hauptsächlich die Keuperschichten in der Gegend von Belfast, die bis zu 200 Fuß Dicke mehr oder weniger reines Steinsalz enthalten (Jukes, p. 554), und die Kreide, die die ganze Grafschaft Antrim bedeckt, selbst aber wieder von einer Basaltlage überdeckt wird. Im ganzen und großen ist die geologische Entwicklungsgeschichte Irlands unterbrochen vom Ende der Kohlenformation an bis auf die Eiszeit.

Man weiß, daß nach dem Ende der tertiären Epoche eine Zeit eintrat, wo die Flachlande der mittleren Breiten Europas unter die Meeresfläche versunken waren und wo eine so kalte Temperatur in Europa herrschte, daß die Täler der noch hervorragenden Berginseln bis an den Meeresspiegel hinab von Gletschern ausgefüllt waren. Die von diesen Gletschern abgelösten Eisberge trugen große und kleine, von den Bergen abgelöste Steinblöcke ins Meer hinaus, bis das Eis schmolz und die Blöcke und was sonst Erdiges vom Eise mitgenommen war, zu Boden fielen, ein Prozeß, der an den Küsten der Polarregionen noch täglich vorgeht.

Zur Eiszeit war auch Irland, mit Ausnahme der Bergkuppen, unter den Meeresspiegel versenkt. Das Maximum der Senkung mag nicht überall gleich gewesen sein, doch darf man es im Durchschnitt auf 1.000 Fuß unter die jetzige Höhe annehmen; die Granitgebirge südlich von Dublin müssen bis über 1.200 Fuß gesunken sein.

Eine Senkung von nur 500 Fuß ließe von Irland nur die Gebirge übrig, welche dann als Inseln in zwei halbkreisförmigen Gruppen um einen breiten, von Dublin nach Galway laufenden Sund herumliegen würden. Eine noch tiefere Senkung würde die Inseln nur verkleinern und ihre Zahl vermindern, bis bei 2.000 Fuß Senkung nur noch die äußersten Bergkuppen aus dem Wasser ragen würden.(2)

|467| Während die Senkung langsam vor sich ging, müssen die Kalksteinebene wie die Bergflanken noch von manchem darüberliegenden älteren Gestein reingefegt worden sein; dann folgte die Ablagerung des der Eiszeit eigentümlichen "Drift" auf dem ganzen, vom Wasser bedeckten Gebiet. Die Produkte der Verwitterung der Berginseln sowie die feinzerrissenen Gesteinteilchen, welche bei der Ausschürfung der Täler durch die in ihnen sich langsam, aber wuchtig fortschiebenden Gletscher abfielen - Erde, Sand, Kies, Steine, glattgeschliffene Blöcke im Eise selbst, scharfkantige auf seiner Oberfläche -, alles das wurde von den am Strand sich loslösenden Eisbergen hinausgetragen ins Meer und fiel dort nach und nach zu Boden. Die hierdurch gebildete Schicht besteht je nach Umständen aus Lehm (von Tonschiefer herrührend), Sand (von Quarz und Granit her rührend), Kalkkies (vom Kalkgebirge geliefert), Mergel (wo fein zerkleinerter Kalk dem Lehm beigemengt) oder aus Mischungen aller dieser Bestandteile; in allen Fällen aber enthält sie eine Menge größerer oder kleinerer, bald abgerundeter, bald scharfkantiger Steine bis zu jenen kolossalen erratischen Blöcken hinauf, die in Irland noch häufiger vorkommen als in der Norddeutschen Ebene oder zwischen Alpen und Jura.

Bei der nachher erfolgten Wiedererhebung des Bodens aus dem Meer erhielt diese neugebildete Oberfläche, im rauhen wenigstens, ihre heutige Gestaltung. In Irland scheint dabei nur wenig Wegspülung stattgefunden zu haben; mit wenig Ausnahmen bedeckt der Drift in dickerer oder dünnerer Lage das ganze ebne Land, zieht sich in den Gebirgen alle Täler hinan und findet sich auch noch häufig hoch an den Bergflanken hinauf. Die darin vorkommenden Steine sind meistens Kalk, weshalb die ganze Schicht hier gewöhnlich den Namen Kalksteinkies (limestone gravel) trägt. Auch große Blöcke Kalkstein sind über das ganze niedere Land massenhaft zerstreut, fast in jedem Felde einer oder mehrere; in der Nähe der Berge finden sich selbstredend neben dem Kalkstein auch die von ihnen herrührenden Lokalgesteine, namentlich der Granit, in großer Menge. Der Granit von der nördlichen Seite der Bucht von Galway kommt in der Ebene nach Südosten bis an die Galton-Berge hin häufig, bis nach Mallow (Gfsch. Cork) vereinzelt vor.

Der Norden des Landes ist bis zur gleichen Meereshöhe ebenso mit Drift bedeckt wie die Zentralebene; der Süden hat, zwischen den verschiedenen mehr oder weniger parallelen Gebirgsreihen, die ihn durchziehen, eine ähnliche, von Lokalgesteinen meist silurischer Formation herrührende Ablagerung aufzuweisen, die namentlich im Tal des Flesk und Laune bei Killarney massenhaft auftritt.

|468| Die Gletscherspuren an den Berghängen und auf den Talsohlen Irlands sind namentlich im Südwesten sehr häufig und unverkennbar. Schärfer ausgeprägte Eisspuren aller Art als bei Killarney (im Black Valley und im Gap of Dunloe) erinnere ich mich nur im Oberhasli und hie und da in Schweden gesehen zu haben.

Die Erhebung des Bodens während oder nach der Eiszeit scheint so stark gewesen zu sein, daß Britannien eine Zeitlang nicht nur mit dem Kontinent, sondern auch mit Irland durch trocknes Land verbunden war. Wenigstens nur so scheint die Gleichheit der Fauna dieser Länder zu erklären. Von großen ausgestorbenen Säugetieren hat Irland mit dem Kontinent gemein: das Mammut, den irischen Riesenhirsch, den Höhlenbären, eine Rentierart usw. In der Tat würde eine Erhebung von weniger als 240 Fuß über das gegenwärtige Niveau hinreichen, um Irland und Schottland, und eine von weniger als 360 Fuß, um Irland und Wales durch breite Landrücken zu verbinden.(3) Daß seit der Eiszeit Irland einmal ein höheres Niveau eingenommen als jetzt, wird bewiesen durch die an der ganzen Küste vorkommenden unterseeischen Torfmoore mit aufrechtstehenden Baumstümpfen und Wurzeln, die in jeder Beziehung identisch sind mit den untersten Schichten der benachbarten binnenländischen Torfmoore.

Der Boden Irlands, soweit er für den Ackerbau in Betracht kommt, wird demnach fast ausschließlich gebildet vom "Drift" der Eisperiode, der hier, dank seiner Herkunft von Schiefer und Kalkgestein, nicht jener öde Sand ist, mit dem die schottischen, skandinavischen und finnländischen Granite einen so großen Teil Norddeutschlands zugedeckt haben, sondern ein äußerst fruchtbarer, leichter Lehmboden. Die Mannigfaltigkeit der Gesteine, die ihren Abfall an diesen Boden abgegeben haben und noch abgeben, versorgte ihn mit einer entsprechenden Mannigfaltigkeit der für die Vegetation erforderlichen mineralischen Bestandteile; und wenn einer derselben, der Kalk, in der Ackerkrume selbst häufig abwesend ist, so finden sich doch überall kleinere und größere Kalkblöcke in Menge - vom unterliegenden Kalkfels abgesehn -, so daß er mit Leichtigkeit zugesetzt werden kann.

Als der bekannte englische Agronom Arthur Young in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts Irland bereiste, wußte er nicht, worüber er mehr erstaunen sollte: über die natürliche Fruchtbarkeit des Bodens oder über dessen barbarische Behandlung durch die Bauern. "Ein leichter, trock- |469| ner, weicher, sandiger Lehmboden" herrscht vor, wo das Land überhaupt gut ist. Im "goldnen Tal" von Tipperary und auch anderswo fand er

"denselben sandigen, rötlichen Lehm, den ich schon beschrieben habe, unvergleichliches Land für den Ackerbau". Von da in der Richtung auf Clonmel "den ganzen Weg, durch denselben üppigen Strich roten sandigen Lehms, den ich so oft erwähnt habe; ich untersuchte ihn in verschiedenen Feldern und fand, daß er von außerordentlicher Fruchtbarkeit war und so schönes Rübenland, wie ich je gesehen."

Ferner:

"Das reichtragende Land erstreckt sich von Charleville am Fuß der Berge bis Tipperary" (Stadt) über Kilfenann, eine Linie von 25 Meilen Länge, und in der Breite von Ardpatrick bis 4 Meilen vor Limerick - 16 Meilen." - "Der üppigste Boden ist in den 'Corcasses' am Flusse Maigue, bei Adare, ein Strich 5 Meilen lang und 2 Meilen breit bis an den Shannon hinunter ... Wenn dies Land umgepflügt wird, so säet man zuerst Hafer und erhält 20 Fässer" (zu 14 stone = 196 Pfund das Faß) "oder 40 gewöhnliche Fässer per Acre, und dies gilt für keine besonders reichliche Ernte; man fährt fort mit Hafer 10-12 Jahre ohne Unterbrechung, bis die Ernten magerer werden; dann säet man einmal Bohnen, und dadurch wird der Boden so aufgefrischt, daß man wieder zehn Ernten Hafer hintereinander aus ihm herausschlagen kann; die Bohnen ertragen sehr gut. Hat man je von solchen Barbaren gehört?"

Ferner bei Castle Oliver, Grafschaft Limerick:

"Der beste Boden hierzulande ist am Fuß der Gebirge; es ist ein üppiger, weicher, krümelnder, fauliger, sandiger Lehm, anderthalb bis drei Fuß dick, von rötlich-brauner Farbe. Es ist trocknes Land und würde sich vortrefflich eignen für Rüben, gelbe Rüben, Kohl, in einem Wort für irgend etwas. Alles in allen halte ich ihn für den fruchtbarsten Boden, den ich je gesehn; er ist für jeden erdenklichen Zweck brauchbar. Man kann den größten Ochsen darauf mästen, aber dieser Boden ist auch ebenso gut für Schafe, für den Ackerbau, für Rüben, für Weizen, für Bohnen, für irgend etwas. Man muß den Boden selbst untersuchen, ehe man glauben kann, daß ein Land von so bettelhaftem Aussehn so reich und fruchtbar sein kann."

Am Blackwater-Fluß bei Mallow

"sind flache Striche, bis zu 1/4 Meile breit, wo das Gras überall ausgezeichnet schön steht. Es ist der prächtigste Sandboden, den ich je gesehn, rotbräunlich, und wenn umgepflügt, würde er die reichlichsten Ernten in der Welt geben. Er ist fünf Fuß dick, und obwohl man ihn in gute Ziegel umbrennen kann, ist es doch vollkommener Sand. Die Ufer dieses Flusses, von der Quelle bis zum Meer, sind gleich merkwürdig wegen ihrer landschaftlichen Schönheit wie wegen ihrer Fruchtbarkeit." - "Krümelnder, sandiger Lehm, trocken aber fruchtbar, ist sehr häufig und macht den besten Boden im Lande aus für Ackerbau wie für Schafe. Tipperary und Roscommon sind besonders reich daran. Am fruchtbarsten von allen sind die Ochsentriften von Limerick und am |470| Ufer des Shannon, in Clare, die sogenannten Corcasses ... Sand, so häufig in England und noch häufiger durch ganz Spanien, Frankreich, Deutschland und Polen - durchweg von Gibraltar bis Petersburg - findet sich in Irland nirgends außer an schmalen Dünenstreifen an der Küste. Auch habe ich nirgendwo von Kreideboden je etwas gesehen oder gehört."(4)

Youngs Urteil über den Boden Irlands faßt sich in folgenden Sätzen zusammen:

"Wenn ich die Kennzeichen eines ausgezeichneten Bodens angeben sollte, so würde ich sagen: der Boden, auf dem man einen Ochsen mästen und ebensogut eine gute Rübenernte erzielen kann. Nebenbei gesagt, fällt mir wenig oder gar kein solches Land in England ein, in Irland dagegen ist es nicht ungewöhnlich." (II, p. 271.) - "Die natürliche Fruchtbarkeit, Acre gegen Acre gerechnet, ist entschieden zugunsten Irlands." (II, 2. Abteilung, p. 3.) "Soweit ich über den Boden der beiden Königreiche urteilen kann, verdient der von Irland bei weitem den Vorrang." (II, 2. Abteilung, p. 12.)

1808-1810 bereiste Edward Wakefield, ein ebenfalls mit der Agronomie vertrauter Engländer, Irland und legte die Resultate seiner Beobachtungen in einem sehr wertvollen Werk nieder.(5) Seine Bemerkungen sind besser geordnet, übersichtlicher und vollständiger als die in Youngs Reisewerk; im ganzen aber stimmen beide.

Wakefield findet in der Bodenbeschaffenheit Irlands im ganzen wenig Verschiedenheit. Sand kommt nur an der Küste vor (er ist so selten im Innern, daß große Mengen Seesand ins Innere verfahren werden, um den Torf und Lehmboden damit zu verbessern), Kreideboden ist unbekannt (die Kreide in Antrim ist, wie schon erwähnt, mit einer Basaltschicht bedeckt, deren Verwitterungsprodukte eine äußerst fruchtbare Ackerkrume abgeben Kreide liefert in England den schlechtesten Boden), "und zähen Kleiboden, wie man ihn in Oxfordshire, in einigen Teilen von Essex und im ganzen oberen Suffolk findet, habe ich in Irland nie finden können". Die Iren nennen jeden lehmigen Boden Klei (clay); es möge wohl den richtigen Klei auch in Irland geben, aber jedenfalls nicht an der Oberfläche wie in einigen Teilen Englands. Kalkstein oder Kalkgeröll finde sich fast überall; "Kalkstein ist ein nützlicher Artikel und läßt sich in eine Quelle des Reichtums verwandeln, die immer mit Vorteil anzuwenden ist." Berge und Torfmoore reduzieren freilich die fruchtbare Oberfläche bedeutend. Im Norden |471| sei wenig fruchtbares Land; doch auch hier finden sich in jeder Grafschaft äußerst üppige Täler, und selbst im äußersten Donegal, unter den wildesten Bergen, traf W. unerwartet einen sehr reichtragenden Strich. Der starke Flachsbau im Norden allein sei schon ein genügendes Anzeichen von Fruchtbarkeit, da diese Pflanze in armem Boden nie gedeiht.

"Ein großer Teil des Bodens in Irland trägt einen üppigen Graswuchs, der ziemlich dicht auf dem Kalkfelsen aufsitzt. Ich habe Ochsen von vierzehn Zentnern gesehen, die sich rasch mästeten auf einem Boden, der nur wenige Zoll tief war und auf dem selbst in der nassesten Jahreszeit ein Pferdehuf keinen Eindruck zurückließ. Dies ist eine Seite des reichen Bodens von Irland, er findet sich in ganz Roscommon, in einigen Teilen von Galway, Clare pp. Andre Gegenden wieder weisen den reichsten Lehmboden auf, den ich je durch einen Pflug umgestürzt sah; dies ist der Fall besonders in ganz Meath. Wo solcher Boden vorkommt, da ist seine Fruchtbarkeit so augenscheinlich, daß es einem dünkt, die Natur habe vorgehabt, die Einwohner für ihr plumpes Kultursystem zu entschädigen. - An den Ufern des Shannon und Fergus ist das Land wieder von andrer Art, aber gleich ergiebig, obwohl die Oberfläche fast wie ein Sumpf aussieht. Diese Gegenden heißen die 'Caucasses'" (so schreibt W. im Gegensatz zu Young); "der Unterboden ist ein feiner blauer, von der See abgelagerter Lehm, der gleiche Eigenschaften mit der Ackerkrume zu haben scheint; denn dieser Boden ist durch kein noch so tiefes Pflügen zu ruinieren. - In den Grafschaften Limerick und Tipperary kommt wieder eine andre Art reichen Bodens vor: ein dunkler, krümelnder, trockner, sandiger Lehm, der mehrere Jahre hintereinander Korn tragen würde, hielte man ihn nur rein von Unkraut. Er eignet sich gleich gut für Ackerland oder Viehtrift, und, wie ich zu behaupten wage, selten wird ihm ein Jahr zu naß oder ein Sommer zu trocken sein. Die Ergiebigkeit dieses Bodens erklärt sich zum Teil daraus, daß der Regen Bodenteile von den Höhen abreißt und im Tal ablagert. Der Unterboden ist kalkig, so daß der allerbeste Dünger bereits von unten dem ganzen Strich einverleibt ist, ohne den Bauern irgendwelche Arbeit zu machen." (I, p. 79, 80.)

Wenn ein zäherer Lehm, in nicht sehr dicker Lage, dem Kalkfels unmittelbar aufliegt, so taugt das Land zum Ackerbau nicht und trägt nur elende Ernten Korn; aber es gibt vortreffliche Schafweiden ab, die es immer mehr verbessern, ein dichtes Gras, vermischt mit weißem Klee und ...|In der Handschrift Auslassung, bei Wakefield: wilder Bibernelle| erzeugen. (I, p. 80.)

Im Westen, namentlich in Mayo, kommen nach Dr. Beaufort (6) viele turloughs vor größere oder kleinere flache Stellen, die, ohne sichtbare Verbindung mit Bächen oder Flüssen, im Winter sich mit Wasser bedecken, |472| das im Sommer durch unterirdische Spalten der Kalkfelsen abfließt und einen üppigen, festen Weideboden hinterläßt.

"Außer den Caucasses", fährt Wakefield fort, "findet sich der beste Boden in Irland in den Grafschaften Tipperary, Limerick, Roscommon, Longford und Meath. In Longford gibt es ein Pachtgut (Granard Kill), das acht Kartoffelernten nacheinander ohne Dünger hervorgebracht hat. Einige Teile von Cork sind ungewöhnlich fruchtbar, und im ganzen kann man sagen, daß Irland Boden von ausgezeichneter Qualität besitzt, obgleich ich nicht so weit gehen kann wie manche Schriftsteller, die der Ansicht sind, daß er, Acre gegen Acre gerechnet, entschieden besser sei als der von England." (I, p. 81.)

Letztere Bemerkung, die gegen Young gerichtet ist, beruht auf einem Mißverständnis des oben zitierten Youngschen Ausspruchs. Young sagt nicht, daß der Boden Irlands ergiebiger sei als der Englands, beide genommen in ihrem jetzigen Kulturstande, der natürlich in England weit höher ist; Young sagt nur, daß die natürliche Fruchtbarkeit des Bodens in Irland größer sei als in England, und dies bestreitet Wakefield nicht geradezu.

Ein schottischer Agronom, Herr Caird, wurde nach der letzten Hungersnot 1849 von Sir |An dieser Stelle ist in der Handschrift über dem Wort "Sir" noch "Ministerium" zu lesen| Robert Peel nach Irland geschickt, um über Mittel zur Hebung des dortigen Ackerbaus zu berichten. In seiner bald darauf veröffentlichten Schrift über den Westen von Irland - nächst dem äußersten Nordwesten der schlechteste Teil des Landes - heißt es:

"Ich war sehr erstaunt, einen so großen Strich schönes, fruchtbares Land vorzufinden. Das Innere des Landes ist sehr eben und im allgemeinen steinig und trocken; der Boden trocken und krümelnd. Die Feuchtigkeit des Klimas erzeugt eine sehr beständige Vegetation, die ihre Vorteile und Nachteile hat. Sie ist vorteilhaft für Gras und Grünbau (7), bedingt aber auch bedeutende und anhaltende Anstrengung, um das Unkraut niederzuhalten. Der Überfluß an Kalk allerorts, sowohl im Felsen selbst, wie in der Gestalt von Sand und Geröll unter der Oberfläche, ist von größtem Wert."

Caird bestätigt ebenfalls, daß die ganze Grafschaft West Meath aus dem schönsten Weideland besteht. Von der Gegend nördlich von Lough Corrib (Grafschaft Mayo) heißt es:

|473| "Der größte Teil" (einer Farm von 500 Acres) "ist das schönste Mastland für Schafe und Rindvieh, trocknes, krümelndes, wellenförmiges Land, alles auf dem Kalkfelsen. Die Felder, üppiges, altgewurzeltes Gras, sind besser als irgend etwas, was wir, kleine Fleckchen ausgenommen, in irgendeinem Teil von Schottland haben, soviel ich mich wenigstens erinnere. Die besten Stellen dieses Bodens sind zu gut für den Pflug, doch könnte ungefähr die Hälfte mit Vorteil als Ackerland verwandt werden ... Die Schnelligkeit, womit der Boden auf diesem Untergrund von Kalkfels sich erholt und von selbst, ohne daß irgend etwas gesäet wird, sich wieder in Weideland verwandelt, ist sehr merkwürdig."(8)

Hören wir schließlich noch eine französische Autorität (9):

"Von den beiden Abteilungen Irlands umfaßt die eine, der Nordwesten, den vierten Teil der Insel, nämlich ganz Connaught mit den angrenzenden Grafschaften Donegal, Clare und Kerry. Sie gleicht Wales und selbst in ihren schlimmsten Strichen den schottischen Hochlanden. Hier sind wieder 2 Millionen Hektaren wilden Landes, deren schauerlicher Anblick die irische Redensart erzeugt hat: Geh zur Hölle oder nach Connaught!(10) Die andre, südöstliche und weit größere Abteilung umfaßt Leinster, Ulster und Munster oder ungefähr 6 Millionen Hektaren. Sie ist dem eigentlichen England an natürlicher Fruchtbarkeit mindestens gleich. Doch ist der Boden sich nicht überall gleich, die feuchten Niederschläge sind dort noch größer als in England. Große Torfmoore bedecken etwa 1/10 der Oberfläche; mehr als ein anderes Zehntel besteht aus Seen und Bergen. Aus den 8 Millionen Hektaren in Irland sind nur fünf Millionen angebaut." (p. 9, 10.) - "Selbst die Engländer geben zu, daß Irland, was den Boden betrifft, England überlegen ist. Von den obigen 8 Mill. Hektaren nehmen Felsgebirg, Seen und Torfmoor ungefähr 2 Mill. ein; 2 Mill. mehr sind ziemlich schlechtes Land. Der Rest, also etwa die Hälfte des ganzen Landes, ist prächtiges Land mit kalkigem Untergrund - was will man sich Besseres wünschen)" (p. 343.)

Man sieht, alle Autoritäten stimmen dahin ein, daß der Boden Irlands sowohl nach seinen chemischen Bestandteilen wie nach seiner mechanischen Zusammensetzung alle Elemente der Fruchtbarkeit in ungewöhnlichem Maße vereinigt. Die Extreme - zäher, undurchdringlicher Klei, der kein Wasser durchläßt, und loser Sand, der es keine Stunde behält - fehlen |474| ganz. Dagegen hat Irland einen andern Nachteil. Während die Berge meist an der Küste liegen, sind die Wasserscheiden zwischen den verschiedenen Flußbecken im Innern meist sehr niedrig. Die Flüsse sind nicht imstande, das sämtliche Regenwasser zum Meer abzuführen, und so entstehen im Innern, besonders an den Wasserscheiden, ausgedehnte Torfmoore. In der Ebene allein sind 1.576.000 Acres mit Torfmoor bedeckt. Es sind meist Einsenkungen oder Mulden des Terrains, großenteils frühere flache Seebecken, die allmählich mit Moos und Sumpfpflanzen bewachsen und von deren abgestorbenen Resten ausgefüllt worden sind. Sie dienen, wie unsre norddeutschen Moore, nur zum Torfstechen. Die Kultur kann sich unter dem jetzigen Ackerbausystem nur langsam ihrer Ränder bemächtigen. Der Boden dieser alten Seebecken ist überall Mergel, der seinen Kalkgehalt (von 5-90% schwankend) von den Schalen der Süßwassermuscheln des Sees empfangen hat. Jedes dieser Torfmoore enthält also das Material zu seiner Urbarmachung in seinem eignen Schoß. Außerdem sind die meisten derselben reich an Eisenstein. Neben diesen Mooren der Ebene finden sich noch 1.254.000 Acres Bergmoor, eine Frucht der Entwaldung in einem feuchten Klima und eine eigentümliche Schönheit der britischen Inseln. überall, wo hier flache oder schwachgewölbte Kuppen entwaldet worden - was im 17. und der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts massenweise geschah, um die Eisenwerke mit Holzkohle zu versorgen -, bildete sich unter dem Einfluß des Regens und der Nebel ein Überzug von Torf, der später, wo die Verhältnisse günstig waren, an den Hängen sich fortsetzte. Der ganze Rücken der Gebirgskette, die Nordengland von Nord nach Süd bis gegen Derby hin durchschneidet, ist mit solchen Mooren bedeckt; und wo auf der Karte von Irland größere Gebirgsgruppen verzeichnet sind, da findet sich auch Bergmoor im Überfluß. Die Torfmoore Irlands sind aber an sich keineswegs für den Ackerbau hoffnungslos verloren; wir werden vielmehr seinerzeit sehn, welch reiche Früchte ein Teil sowohl von ihnen wie die von Lavergne verächtlich behandelten 2 Mill. Hektaren (= 5 Mill. Acres) "ziemlich schlechten Landes" bei geeigneter Behandlung zu tragen imstande sind.

Das Klima Irlands wird bestimmt durch seine Lage. Der Golfstrom und die vorherrschenden Südwestwinde führen ihm Wärme zu und bedingen milde Winter und frische Sommer. Im Südwesten dauert der Sommer bis tief in den Oktober hinein, der hier nach Wakefield (I, p. 221) vorzugsweise als Monat des Seebades gilt. Frost ist selten und von kurzer |475| Dauer, Schnee bleibt in der Ebene fast nie liegen. An den nach Südwesten offenen, nach Norden geschützten Buchten von Kerry und Cork herrscht den ganzen Winter durch Frühlingswetter; dort und an manchen andern Stellen gedeiht die Myrte im Freien (Wakefield führt ein Beispiel an, wo sie auf einem Landsitz zu Bäumen von 16 Fuß Höhe heranwuchs und zu Stallbesen verwandt wurde, I, p. 55), und Lorbeer, Arbutus und andre immergrüne Pflanzen wachsen zu hohen Bäumen empor. Noch zu Wakefields Zeiten ließen im Süden die Bauern ihre Kartoffeln den ganzen Winter durch im Freien, ohne daß sie ihnen seit 1740 je verfroren wären. Dagegen erleidet Irland auch den ersten heftigen Niederschlag der schweren atlantischen Regenwolken. Die durchschnittliche Regenmenge von Irland beträgt mindestens 35 Zoll, bedeutend mehr als der Durchschnitt von England, doch sicher weniger als der Durchschnitt von Lancashire und Cheshire und kaum mehr als der von ganz Westengland. Trotzdem ist das Klima Irlands entschieden angenehmer als das englische. Der bleierne Himmel, der in England so oft tagelang ununterbrochen forttröpfelt, wird dort meist ersetzt durch einen kontinentalen Aprilhimmel; die frischen Seewinde treiben die Wolken rasch und unerwartet herbei, aber auch ebenso rasch wieder vorüber, wenn sie nicht sofort in scharfen Schauern herabkommen. Und selbst tagelangen Regen, wie er im Spätherbst vorkommt, hat nicht den chronischen Anstrich wie in England. Das Wetter, wie die Bewohner, hat einen akuteren Charakter, es bewegt sich in schärferen, unvermittelteren Gegensätzen; der Himmel ist wie ein irisches Frauengesicht, Regen und Sonnenschein folgen sich auch da plötzlich und unerwartet, aber für die graue englische Langweile ist kein Platz.

Den ältesten Bericht über das irische Klima gibt uns der Römer Pomponius Mela ("De situ orbis") im ersten Jahrhundert unsrer Zeitrechnung wie folgt:

"Jenseits Britanniens liegt Juverna, ihm an Ausdehnung beinahe gleich, aber sonst ihm ähnlich; von länglicher Gestalt, von einem dem Reifen der Saaten ungünstigen Himmel; dafür aber strotzt es von üppigem und süßem Gras, so daß ein gar kleiner Teil des Tages genügt, damit das Vieh sich sättige, und wenn man es nicht von der Weide fortnimmt, so birst es vom übermaßigen Fressen."

"Coeli ad maturanda semina iniqui, verum adeo luxuriosa herbis non laetis modo sed etiam dulcibus!" In modernes Englisch übersetzt, finden wir diese Stelle unter andern bei Herrn Goldwin Smith, Professor der Geschichte weiland in Oxford und jetzt in Cornell University, Amerika. Er erzählt uns, es sei schwer, in einem großen Teil von Irland eine Weizenernte einzuheimsen, und fährt fort:

|476| "Irlands natürlicher Weg zu kommerzieller Prosperität scheint der zu sein, mit den Produkten seiner Weiden, mit Vieh, Butter usw., die Bevölkerung Englands zu versorgen."(11)

Von Mela bis auf Goldwin Smith und bis heute, wie oft ist die Behauptung wiederholt worden - seit 1846 namentlich von dem lärmenden Chor der irischen Grundbesitzer -, daß Irland durch sein Klima verurteilt sei, nicht Irländer mit Brot, sondern Engländer mit Fleisch und Butter zu versorgen, und daß deshalb die Bestimmung des irischen Volks sei, über den Ozean gebracht zu werden, damit Raum werde in Irland für Kühe und Schafe!

Man sieht, die Feststellung des Tatbestands über das irische Klima ist die Lösung einer politischen Tagesfrage. Und zwar geht uns hier das Klima nur insofern an, als es für den Ackerbau von Bedeutung ist. Die Beobachtungen regenmessender Naturforscher sind bei dem jetzigen lückenhaften Stand der Beobachtungen für unsern Zweck nur von sekundärem Wert; es kommt nicht sowohl darauf an, wieviel Regen fällt, sondern weit mehr, wie und wann er fällt. Die Urteile der Agronomen fallen hier vor allem ins Gewicht.

Arthur Young hält Irland für entschieden feuchter als England; daher komme die erstaunliche Neigung des Bodens, Gras zu produzieren. Er spricht von Fällen, wo Rüben- und Stoppelland, ungepflügt gelassen, den nächsten Sommer eine reichliche Heuernte gab, Dinge, wovon in England kein Beispiel vorkommt. Er erwähnt ferner, daß der irische Weizen viel leichter ist als der trocknerer Länder; die Felder sind voll Gras und Unkraut selbst unter der besten Kultur, und die Ernten sind so naß und so mühsam einzubringen, daß der Ertrag sehr darunter leidet (Young, "Tour", II, p. 100).

Gleichzeitig aber macht er darauf aufmerksam, daß der Boden in Irland dieser Feuchtigkeit des Klimas entgegenwirkt. Der Boden ist überall steinig und läßt daher Wasser leichter durch.

"Zäher, steiniger, fester Lehm (loam), schwer zu bearbeiten, ist in Irland nicht ungewöhnlich, aber er ist ganz verschieden vom englischen Klei (clay). Wenn so viel Regen fiele auf den Klei Englands (eine Bodenart, die in Irland selten und nie ohne viel Steine vorkommt) wie auf die Felsen der Schwesterinsel, so könnten diese Striche |477| nicht bebaut werden. Hier aber sind die Felsen mit Grün bekleidet, und wo sie aus Kalk bestehen, tragen sie auf einer nur dünnen Schicht Humus den weichsten und schönsten Rasen der Welt." (II, 2. Abt., p. 3, 4.)

Der Kalkfels ist bekanntlich überall voller Risse und Spalten, die das überflüssige Wasser rasch durchlassen.

Wakefield widmet dem Klima ein sehr ausführliches Kapitel, worin er alle früheren Beobachtungen bis auf seine Zeit herab zusammenstellt. Dr. Boate ("Natural History of Ireland", 1645) beschreibt die Winter als mild, 3-4 Fröste jährlich, die selten mehr als 2-3 Tage anhalten, der Lilley bei Dublin friere in 10-12 Jahren kaum einmal zu. Der März sei meist trocken und schön, darauf aber falle viel Regen; selten gäbe es im Sommer 2-3 ganz trockne Tage hintereinander; im Spätherbst sei es dann wieder schön. Sehr trockne Sommer seien selten, die Teurung werde nie durch Dürre, sondern meist durch Nässe veranlaßt. In der Ebene gäbe es wenig Schnee, so daß das Vieh das ganze Jahr im Freien bleibe. Doch zuweilen komme auch ein Schneejahr vor wie 1635, wo dann die Leute Mühe hätten, ihr Vieh unterzubringen. (Wakef., I, p. 216ff.)

Im Anfange des vorigen Jahrhunderts machte Dr. Rutty ("Natural History of the County of Dublin") genaue meteorologische Beobachtungen, die sich über die fünfzig Jahre von 1716 bis 1765 erstrecken. Während dieser ganzen Zeit verhielten sich die Süd- und Westwinde zu den Nord- und Ostwinden wie 73 : 37, (10.878 S und W gegen 6.329 N und O). Herrschende Winde waren West und Südwest, nach ihnen kam Nordwest und Südost, am seltensten Nordost und Ost. Im Sommer, Herbst und Winter herrschen West und Südwest vor; Ost ist am häufigsten im Frühjahr und Sommer, wo er doppelt sooft vorkommt wie im Herbst und Winter; Nordost kommt meist im Frühjahr vor, ebenfalls doppelt so häufig wie im Herbst und Winter. Infolgedessen sei die Temperatur gleichmäßiger, [seien] die Winter milder, die Sommer kühler als in London, dagegen die Luft feuchter. Selbst im Sommer saugen Salz, Zucker, Mehl usw. Feuchtigkeit aus der Luft ein, und das Korn müsse in Backöfen getrocknet werden, was in einigen Teilen von England nicht vorkomme. (Wakef., I, p. 172-81.)

Rutty konnte damals das irische Klima nur mit dem von London vergleichen, das, wie in ganz Ostengland, allerdings trockener ist. Hätte ihm aber Material über West- und besonders Nordwestengland zur Verfügung gestanden, so würde er gefunden haben, daß seine Beschreibung des irischen Klimas, die Verteilung der Winde über das Jahr, die nassen Sommer, in denen Zucker, Salz pp. in ungeheizten Räumen zerfallen, ganz auf diesen Landstrich paßt, nur daß dieser im Winter kälter ist.

|478| Über den meteorologischen Charakter der Jahreszeiten hat Rutty ebenfalls Listen geführt. In den erwähnten 50 Jahren gab es 16 kalte, späte oder zu trockne Frühjahre; etwas mehr als in London. Ferner 22 heiße und trockne, 24 nasse, 4 veränderliche Sommer; etwas feuchter als in London, wo die Zahl der trocknen oder der nassen Sommer gleichkommt; ferner 16 schöne, 12 nasse, 22 veränderliche Herbste, wieder etwas feuchter und veränderlicher als in London; und 13 frostige, 14 nasse und 23 milde Winter, was bedeutend feuchter und milder ist als in London.

Nach den Regenmessungen im botanischen Garten in Dublin während der zehn Jahre 1802-1811 kam in dieser Zeit auf jeden Monat folgende Gesamtregenmenge in Zöllen: Dezember 27,31; Juli 24,15; November 23,49; August 22,47; September 22,27; Januar 21,67; Oktober 20,12; Mai 19,50; März 14,69; April 13,54; Februar 12,32; Juni 12,07; Durchschnitt per Jahr 23,36. (Wakf., I, p. 191.) Diese zehn Jahre sind ausnahmsweise trocken; Kane ("Ind. Res.", p. 73) gibt den Durchschnitt von 6 Jahren in Dublin auf 30,87 Zoll und Symons ("English Rain Fall") den von 1860-1862 auf 29,79 Zoll an. Wie wenig aber bei den rasch vorübergehenden, bloß lokalen Regenschauern Irlands dergleichen Messungen bedeuten, wenn sie sich nicht über eine lange Reihe von Jahren erstrecken und an sehr vielen Stationen vorgenommen werden, beweist u.a. die Tatsache, daß von drei Stationen in Dublin selbst die eine 24,63, die andre 28,04, die dritte 30,18 Zoll als Regenmenge für 1862 erhielt. Die Durchschnittsregenmenge von 12 Stationen in allen Teilen Irlands (von 25,45 auf 51,44 Zoll variierend) betrug nach Symons in den Jahren 1860-1862 nicht ganz 39 Zoll.

Dr. Patterson sagt in seinem Buch über das Klima Irlands:

"Die Häufigkeit unsrer Regenschauer, nicht aber die Regenmenge selbst hat die beliebte Vorstellung von der Nässe unsres Klimas erzeugt ... Zuweilen wird im Frühjahr die Aussaat etwas durch nasses Wetter verzögert, aber unsre Frühjahre sind so oft kalt und spät, daß frühe Aussaat hierzulande nicht immer rätlich ist. Wenn im Sommer und Herbst häufige Schauer unsre Heu- und Kornernten riskant machen, so würden Wachsamkeit und Fleiß in solchen Notfällen ebenso erfolgreich sein, wie sie es in England bei den dortigen 'schleunigen' Ernten (catching harvests) sind, und verbesserte Kultur würde dafür sorgen, daß die Aussaat die Bemühungen des Landmanns unterstützte."(12)

In Londonderry wechselte die Zahl der regenfreien Tage in den 10 Jahren 1791-1802 von 113 auf 148 im Jahr; Durchschnitt über 126. In Belfast stellte sich derselbe Durchschnitt heraus. In Dublin variierte die Zahl von 168 auf 205, Durchschnitt 179. (Patterson, ibid.)

|479| Nach Wakefields Angabe fallen die Ernten in Irland wie folgt: Weizen meist im September, seltener im August, selten im Oktober; Gerste meist etwas später als Weizen und Hafer ungefähr eine Woche später als Gerste, also schon öfter im Oktober. Wakefield, der nach langen Untersuchungen zu dem Resultat kommt, daß das Material für eine wissenschaftliche Schilderung des irischen Klimas noch lange nicht genüge, äußert sich nirgends dahin, daß es dem Kornbau ernstliche Schwierigkeiten in den Weg lege. Er findet vielmehr, wie sich zeigen wird, daß die Verluste bei nassen Erntezeiten durch ganz andere Ursachen bedingt werden, und sagt ausdrücklich:

"Der Boden Irlands ist so fruchtbar, das Klima so günstig, daß unter einem geeigneten Ackerbausystem die Insel nicht nur hinreichend Korn zu ihrem eignen Gebrauch hervorbringen wird, sondern auch noch einen reichlichen Überschuß, der zu allen Zeiten, wo es not tut, für die Bedürfnisse Englands dienen könnte." (II, p. 61.)

Damals freilich - 1812 - lag England im Krieg mit aller Welt in Europa und Amerika, und die Korneinfuhr war sehr erschwert; Korn war erstes Bedürfnis. Jetzt liefern Amerika, Rumänien, Rußland und Deutschland Korn genug, und es handelt sich vielmehr um wohlfeiles Fleisch. Und daher taugt jetzt das Klima in Irland nicht mehr zum Ackerbau.

Der Anbau von Korn ist in Irland uralt. In den ältesten irischen Gesetzen, die lange vor Ankunft der Engländer niedergeschrieben wurden, ist der "Sack Weizen" bereits ein bestimmtes Wertmaß; in den Leistungen der Untergebnen an die Stammhäupter und sonstigen Häuptlinge kommt Weizen, Gerstenmalz und Hafermehl fast regelmäßig in bestimmt vorgeschriebnen Quantitäten vor.(13) Nach der englischen Invasion verminderte sich unter den fortwährenden Kämpfen der Kornbau, ohne doch je ganz aufzuhören; von 1660 an bis 1725 nahm er wieder zu, von da bis gegen 1780 wieder ab; von 1780-1846 wurde neben vorwiegendem Kartoffelbau wieder mehr Korn gesät, und seit 1846 sind Korn und Kartoffeln stetig dem Vordringen der Viehweide gewichen. Wenn das Klima nicht für den Kornbau geeignet ist, würde er über tausend Jahre sich gehalten haben?

Allerdings gibt es Striche in Irland, die wegen des in der Nähe der Berge stets häufiger fallenden Regens zum Weizenbau sich weniger eignen - |480| besonders im Süden und Westen. Neben guten Jahren kommen dort oft Reihen nasser Sommer vor, wie 1860-1862, die dem Weizen viel Schaden tun. Aber Weizen ist nicht das Hauptkorn Irlands, und Wakefield beklagt sich sogar darüber, daß aus Mangel an Absatzmärkten viel zu wenig davon gebaut werde; einen andern Markt dafür als die nächste Mühle gab es nicht; Gerste wurde ebenfalls fast nur für die heimlichen Branntweinbrennereien (die sich der Versteuerung entzogen) gebaut. Das Hauptkorn in Irland war und ist Hafer, von dem 1810 mindestens zehnmal soviel gebaut wurde wie von allen andern Kornarten zusammen; und da die Haferernte später ist als die von Weizen und Gerste, fällt sie häufiger in das, besonders im Süden, meist schöne Wetter von Ende September und Oktober. Und Hafer kann zudem schon tüchtig Regen vertragen.

Wir haben schon oben gesehn, daß das Klima Irlands, was Regenmenge und Verteilung des Regenfalls auf die Jahreszeiten angeht, mit dem des nordwestlichen Englands fast ganz stimmt. Der Regenfall in den Bergen von Cumberland und Westmoreland und Nord-Lancashire ist weit höher als in irgendeiner mir bekannten Station Irlands (in Coniston 96,03, in Windermere 75,02 Zoll, Durchschnitt von 1860-1862), und doch wird dort Heu gemacht und Hafer gebaut. In denselben Jahren variierte die Regenmenge im südlichen Lancashire von 25,11 in Liverpool auf 59,13 in Bolton, Durchschnitt aller Beobachtungen etwa 40 Zoll; in Cheshire von 33,02 auf 43,40, Durchschnitt aller Beobachtungen etwa 37 Zoll. In Irland war sie in denselben Jahren, wie wir sahen, nicht ganz 39 Zoll. (Alle Zahlen aus Symons.) In beiden Grafschaften wird Korn aller Art, namentlich Weizen, gebaut; Cheshire trieb bis zur letzten Rinderpest-Epidemie allerdings vorwiegend Viehzucht und Milchwirtschaft, aber seitdem das Vieh großenteils weggestorben, paßt das Klima auf einmal ganz vortrefflich für Weizen. Wäre die Rinderpest nach Irland gekommen und hätte dort ebenso arge Verwüstungen angerichtet wie in Cheshire, so würde man uns jetzt statt des natürlichen Berufs Irlands zur Viehweide die Stelle aus Wakefield vor predigen, wonach Irland zur Kornkammer Englands bestimmt ist.

Sieht man sich die Sache unbefangen an, unbeirrt von dem interessierten Geschrei irischer Grundbesitzer und englischer Bourgeois, so wird man finden, daß Irland Striche hat, die nach Boden und Klima mehr zu Viehzucht, andere, die mehr zum Ackerbau, und noch andere - die große Mehrzahl -, die zu beidem gleich geeignet sind, wie das eben allerorts stattfindet. Verglichen mit England ist Irland der Viehzucht im ganzen günstiger; aber verglichen mit Frankreich ist England ebenfalls der Viehzucht günstiger. Geht daraus hervor, daß ganz England in Viehweide verwandelt, daß die |481| ganze ackerbauende Bevölkerung in die Fabrikstädte oder nach Amerika gesandt werden muß - einige wenige Hirten ausgenommen -, um Platz zu machen für Vieh, das als Zahlung für Seidenstoffe und Weine nach Frankreich zu wandern hat? Aber das ist ganz dasselbe, was irische Grundeigentümer, die ihre Grundrente steigern, und englische Bourgeois, die ihre Arbeitslöhne herabdrücken wollen, für Irland verlangen: Goldwin Smith hat es deutlich genug gesagt. Und dabei würde die soziale Revolution, die in einer solchen Verwandlung von Ackerland in Viehweide einbegriffen ist, in Irland weit gewaltiger sein als in England. In England, wo große Kultur vorherrscht und die Ackerknechte schon großenteils durch Maschinen ersetzt sind, würde sie bedeuten die Verpflanzung von höchstens einer Million, in Irland, wo die kleine und selbst die Spatenkultur vorherrscht, würde sie bedeuten die Verpflanzung von vier Millionen, die Ausrottung des irischen Volks.

Man sieht, selbst Naturtatsachen werden zwischen England und Irland zu nationalen Streitpunkten. Man sieht aber auch, wie die öffentliche Meinung der in England herrschenden Klasse - und diese allein macht sich auf dem Kontinent hörbar - mit der Mode und dem Interesse wechselt. Heute braucht England rasch und sicher Korn - und Irland ist zum Weizenbau wie geschaffen; morgen braucht England Fleisch - Irland taugt nur zur Viehweide; die fünf Millionen Irländer schlagen durch ihre bloße Existenz allen Gesetzen der politischen Ökonomie ins Gesicht, sie müssen fort, sie mögen sehn, wo sie bleiben!

Altirland

|482| Die Schriftsteller des griechischen und römischen Altertums sowie die Kirchenväter geben nur sehr wenig Aufschluß über Irland.

Dafür existiert eine noch immer ziemlich reichhaltige einheimische Literatur, trotz der vielen, in den Kriegen des 16. und 17. Jahrhunderts verlorengegangenen irischen Schriften. Sie enthält Gedichte, Grammatiken, Glossarien, Annalen und andre historische Schriften und Rechtsbücher. Mit sehr wenig Ausnahmen jedoch existiert diese ganze Literatur, die die Periode mindestens vom 8. bis zum 17. Jahrhundert umfaßt, nur im Manuskript. Für die irische Sprache hat der Buchdruck erst seit wenig Jahren existiert, erst seit der Zeit, wo sie auszusterben begann. Das reiche Material ist also nur zum allergeringsten Teil zugänglich.

Unter den Annalen sind die wichtigsten die des Abts Tigernach (gestorben 1088), die von Ulster und vor allem die der vier Magister. Diese letzteren wurden 1632-1636 unter Leitung von Michael O'Clery, einem Franziskanermönch, mit Hilfe von drei andern Seanchaidhes (Altertumsforschern) im Kloster Donegal nach Materialien zusammengestellt, die jetzt fast alle verloren sind. Sie sind nach der noch existierenden Originalhandschrift aus Donegal in kritischer Ausgabe mit englischer Übersetzung herausgegeben von O'Donovan 1856.(14) Die früheren Ausgaben von Dr. Charles O'Conor (der erste Teil der "IV Mag.", die "Annalen von Ulster" pp.) sind im Texte und Übersetzung unzuverlässig.

Den Anfang der meisten dieser Annalen macht die mythische Vorgeschichte Irlands; die Grundlage bilden alte Volkssagen, die von Dichtern des 9. und 10. Jahrhunderts ins unendliche ausgesponnen und von Mönchs- |483| chronisten dann in gehörige chronologische Ordnung gebracht wurden. So fangen die "Annalen der IV Mag." an mit dem Jahre der Welt 2242, wo Ceasair, eine Enkelin Noahs, 40 Tage vor der Sündflut in Irland gelandet sei; so werden von andern die Vorfahren der Skoten, der letzten Einwanderer nach Irland, in direkter Genealogie von Japhet abgeleitet und mit Moses, mit den Ägyptern und Phöniziern in Verbindung gebracht, wie auch von unsern mittelalterlichen Chronisten die Vorfahren deutscher Stämme mit Troja, Äneas oder Alexander dem Großen. Die "IV Mag." widmen diesem Gefabel (in dem das einzig wertvolle Element, die wirkliche alte Volkssage, bis jetzt nicht zu unterscheiden ist) nur ein paar Seiten; die "Annalen von Ulster" lassen es ganz aus; schon Tigernach erklärt mit einer für seine Zeit wunderbaren kritischen Kühnheit, daß alle Denkmäler der Skoten vor König Cimbaoth (angeblich 300 Jahre vor Chr.) unsicher seien. Aber als Ende des vorigen Jahrhunderts neues nationales Leben in Irland erwachte und damit neues Interesse an der irischen Literatur und Geschichte, galten grade diese Mönchsfabeln für deren wertvollsten Bestandteil. Mit echt keltischem Enthusiasmus und mit spezifisch irischer Naivetät wurde der Glaube an diese Histörchen zu einem wesentlichen Bestandteil des nationalen Patriotismus erklärt; was der superklugen englischen Gelehrtenwelt - deren eigne Leistungen in der philologischen und historischen Kritik der übrigen Welt ja rühmlich genug bekannt sind - natürlich den erwünschten Vorwand bot, alles Irische als baren Unsinn beiseite zu werfen.(15)

Seit den dreißiger Jahren dieses Jahrhunderts ist indes ein bei weitem kritischerer Geist über Irland gekommen, namentlich durch Petrie und O'Donovan. Petries bereits angeführte Untersuchungen beweisen die voll- |484| ständigste Einstimmung der erhaltenen ältesten Inschriften seit dem 6. und 7. Jahrhundert mit den Annalen, und O'Donovan ist der Ansicht, daß diese schon vom 2. und 3. Jahrhundert unsrer Zeitrechnung anfangen, historische Tatsachen zu berichten. Für uns kann es ziemlich gleichgültig sein, ob die Glaubwürdigkeit der Annalen einige hundert Jahre früher oder später beginnt, denn leider sind sie für unsern Zweck in jener Zeit fast ganz unfruchtbar. Sie enthalten kurze, trockne Notizen von Todesfällen, Thronbesteigungen, Kriegen, Schlachten, Erdbeben, Seuchen, skandinavischen Raubzügen, aber wenig, was auf das soziale Leben des Volks Bezug hat. Wäre die gesamte juristische Literatur Irlands herausgegeben, so würden sie ganz andre Bedeutung bekommen; manche trockne Notiz würde durch erklärende Stellen der Rechtsbücher neues Leben erhalten.

Diese Rechtsbücher, die sehr zahlreich sind, erwarten aber ebenfalls fast alle noch die Zeit, wo sie das Licht der Welt erblicken sollen. Auf Andringen mehrerer irischer Altertumsforscher willigte die englische Regierung 1852 ein, eine Kommission zur Herausgabe der alten Gesetze und Institutionen Irlands zu ernennen. Aber wie? Die Kommission bestand aus drei Lords (die nie fehlen dürfen, wo es Staatsgelder zu verzehren gibt), drei Juristen höchsten Rangs, drei protestantischen Geistlichen, ferner dem Dr. Petrie und einem Offizier, Chef der Vermessung Irlands. Von allen diesen Herren konnten nur Dr. Petrie und zwei Geistliche, Dr. Graves (jetzt protestantischer Bischof von Limerick) und Dr. Todd, den Anspruch erheben, von der Aufgabe der Kommission irgend etwas zu verstehn, und von diesen sind Petrie und Todd seitdem verstorben. Die Kommission erhielt den Auftrag, die Abschrift, Übersetzung und Herausgabe der alten irischen Handschriften juristischen Inhalts besorgen zu lassen und dafür die nötigen Leute anzustellen. Sie stellte dafür die beiden besten Leute an, die zu haben waren: Dr. O'Donovan und Professor O'Curry, die eine Menge Manuskripte kopierten und im ersten Entwurf übersetzten; ehe indes etwas zur Herausgabe fertig war, starben beide. Ihre Nachfolger Dr. Hancock und Prof. O'Mahony haben dann die Arbeit so weit fortgeführt, daß bis jetzt die bereits angeführten zwei Bände erschienen sind, enthaltend den "Senchus Mor". Von den Mitgliedern der Kommission haben nach dem Eingeständnis der Herausgeber nur zwei, Graves und Todd, durch irgendwelche Annotationen zu den Korrekturbogen sich an der Arbeit beteiligt. Der Offizier, Sir Th. Larcom, stellte den Herausgebern behufs der Verifikation von Ortsnamen die Originalkarten der Aufnahme von Irland zur Verfügung; Dr. Petrie starb bald, die übrigen Herren beschränkten ihre Tätigkeit darauf, ihr Gehalt während 18 Jahren gewissenhaft einzuziehen.

|485| Dies ist die Art, in der in England, und mehr noch in dem von England beherrschten Irland, öffentliche Arbeiten ausgeführt werden. Ohne Jobberei (16) geht es nicht ab. Keinem öffentlichen Interesse darf genügt werden, ohne daß dabei eine hübsche Summe oder einige fette Sinekuren für Lords und Regierungsprotegés abfallen. Mit dem Geld, das die ganz überflüssige Kommission verzehrt hat, hätte man in Deutschland die sämtliche ungedruckte historische Literatur gedruckt - und besser.

Der "Senchus Mor" ist bis jetzt unsere Hauptquelle für die altirischen Zustände. Er ist eine Sammlung alter Rechtsbestimmungen, die nach der - später verfaßten - Einleitung auf Veranlassung St. Patricks zusammengestellt und durch seinen Beirat mit dem sich in Irland rasch ausbreitenden Christentum in Einklang gebracht wurde. Der Oberkönig von Irland, Laeghaire (428-458 nach den "Annalen [der] IV Mag."), die Unterkönige Corc von Munster und Daire, wahrscheinlich ein Fürst in Ulster, ferner drei Bischöfe: St. Patrick, St. Benignus und St. Cairnech, endlich drei Rechtsgelehrte, Dubthach, Fergus und Rossa, sollen die "Kommission "gebildet haben, die das Buch zusammenstellte und die ihre Arbeit sicher wohlfeiler tat als die jetzige, die es bloß herauszugeben hat. Die "IV Mag." geben das Jahr 438 als das der Abfassung an.

Der Text selbst beruht offenbar auf uralten heidnischen Materialien. Die ältesten Rechtsformeln darin sind alle in Versen abgefaßt, mit bestimmtem Metrum und dem sogenannten Einklang, einer Art Alliteration oder vielmehr Konsonanten-Assonanz, die der irischen Dichtkunst eigentümlich ist und häufig in vollen Reim übergeht. Da es feststeht, daß alte irische Rechtsbücher aus dem sogenannten fenischen Dialekt (Bérla Feini), der Sprache des 5. Jahrhunderts, im 14. Jahrhundert in das damals geläufige Irisch übertragen wurden (Vorrede, [T. 1,] p. XXXVI und passim), so erklärt es sich, daß auch im "Senchus Mor" an manchen Stellen das Metrum mehr oder weniger verwischt ist; es tritt aber nebst gelegentlichen Reimen und stark einklingenden Stellen noch oft genug hervor, um dem Text einen gewissen rhythmischen Fall zu geben. Schon das Lesen der Übersetzung genügt meist, um die Versformeln aufzufinden. Dazwischen aber sind dann auch, namentlich in der letzten Hälfte, eine Menge Stellen |486| unzweifelhafter Prosa; während die Versformeln sicher uralt und traditionell überliefert sind, scheinen diese prosaischen Einschiebsel von den Kompilatoren des Buchs herzurühren. Der "Senchus Mor" wird übrigens in dem dem König und Bischof von Cashel, Cormac, zugeschriebnen, im 9. oder 10. Jahrhundert verfaßten Glossar mehrmals zitiert, und er ist unzweifelhaft lange vor der englischen Invasion niedergeschrieben.

Zu diesem Text nun enthalten sämtliche Handschriften (die älteste scheint aus dem Anfang des 14. Jahrhunderts oder älter zu sein) eine Reihe von meist übereinstimmenden Glossen und längeren kommentierenden Noten. Die Glossen sind ganz im Geist der alten Glossare, Wortspiele vertreten die Stelle der Etymologie und Worterklärung; die Anmerkungen sind von sehr verschiednem Wert, oft arg entstellt und vielfach wenigstens ohne Kenntnis der übrigen Rechtsbücher unverständlich. Das Alter beider ist ungewiß; der größte Teil ist aber wahrscheinlich jünger als die englische Invasion. Da sie indes nur sehr wenig Spuren einer über den Text hinausgehenden Rechtsentwicklung aufzeigen und auch diese nur in genauerer Feststellung des Details, so ist der größere, rein erklärende Teil mit einiger Diskretion unbedingt als Quelle auch für die ältere Zeit zu benutzen.

Der "Senchus Mor" enthält: 1. das Pfändungsrecht, d.h. so ziemlich das ganze Rechtsverfahren; 2. das Recht der Geiseln, die bei Streitigkeiten von Leuten verschiedner Territorien gestellt wurden; 3. das Recht betreffend Saerrath und Daerrath (s. unten) und 4. das Familienrecht. Wir erlangen dadurch viele wertvolle Aufschlüsse über das gesellschaftliche Leben jener Zeit; solange aber noch eine Menge Ausdrücke nicht erklärt und die übrigen Manuskripte nicht veröffentlicht sind, bleibt manches dunkel.

Außer der Literatur geben uns noch die erhaltenen Baudenkmäler, Kirchen, Rundtürme, Befestigungen, Inschriften, Aufklärung über den Zustand des Volks vor der Ankunft der Engländer.

Von auswärtigen Quellen haben wir nur einige Stellen über Irland in skandinavischen Sagas und das Leben des Heiligen Malachias von St. Bernhard zu erwähnen, welche wenig Ausbeute geben, und kommen dann sofort zu dem ersten Engländer, der aus eigner Kenntnis über Irland schreibt.

Sylvester Gerald Barry, genannt Giraldus Cambrensis, Archidiakonus von Brecknock, war ein Enkel der galanten Nesta, Tochter von Rhys ap Tewdwr, Fürst von Südwales, der Mätresse Heinrichs I. von England und der Stammutter fast aller normännischen Hauptleute, die zur ersten Eroberung von Irland mitwirkten. Er ging 1185 mit Johann (später "ohne Land") nach Irland und schrieb in den folgenden Jahren zuerst "Topo- |487| graphia Hibernica", eine Beschreibung des Landes und der Einwohner, sodann "Hibernia Expugnata", die hochgefärbte Geschichte der ersten Invasionen. Hier geht uns hauptsächlich das erstere Werk an. In einem höchst prätentiösen Latein geschrieben, erfüllt mit dem tollsten Wunderglauben und allen kirchlichen und nationalen Vorurteilen der Zeit und der Race des eitlen Verfassers, ist das Buch dennoch als erster, einigermaßen ausführlicher Bericht eines Ausländers von hoher Wichtigkeit.(17)

Von jetzt an werden die anglo-normannischen Quellen über Irland natürlich reichlicher; gering aber bleibt die Ausbeute für die Kenntnis der sozialen Zustände des unabhängig gebliebenen Teils der Insel, woraus Rückschlüsse auf den alten Zustand gemacht werden könnten. Erst gegen Ende des 16. Jahrhunderts, als Irland zuerst systematisch und vollständig unterworfen wurde, erhalten wir ausführlichere, natürlich stark englisch gefärbte Berichte über die wirkliche Lebenslage des irischen Volks. Wir werden später finden, daß im Lauf der seit der ersten Invasion verflossenen 400 Jahre der Zustand des Volks sich nur wenig, und das nicht zum Bessern, verändert hatte. Aber eben deswegen sind diese neueren Schriften - Hanmer, Campion, Spencer, Davies, Camden, Moryson u.a. -, die wir noch öfter werden zu Rate ziehen müssen, eine unsrer Hauptquellen für eine fünfhundert Jahre ältere Periode und eine unumgängliche, sehr erwünschte Ergänzung der dürftigen Originalquellen,

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Die mythische Vorgeschichte Irlands erzählt von einer Reihe Einwanderungen, die nacheinander stattfanden und meist mit Unterwerfung der Insel unter die neuen Einwanderer endigten. Die drei letzten sind: die der Firbolgs, die der Tuatha-de-Dananns und die der Milesier oder Skoten, welche letztere von Spanien gekommen sein sollen. Die landläufige irische Geschichtschreibung verwandelt die Firbolgs (fir = irisch fear, das lat[einische] vir, gotisch vair, Mann) ohne weiteres in Belgier, die Tuatha-de-Dananns (tuatha = ir[isch] Volk, Landstrich, gotisch thiuda) je nach Bedürfnis in griechische Danaen oder germanische Dänen. O'Donovan ist der Ansicht, daß wenigstens den genannten Einwanderungen etwas Historisches zugrunde liegt. In den Annalen kommt vor beim Jahre 10 n. Chr. ein Aufstand der Aitheach Tuatha (übersetzt im 17. Jahrhundert von Lynch, |488| einem guten Kenner der alten Sprache mit: plebeiorum hominum gens), also eine Plebejer-Revolution, wobei der ganze Adel (Saorchlann) erschlagen wurde. Dies deutet auf die Herrschaft skotischer Eroberer über ältere Einwohner. Aus Volksmärchen über die Tuatha-de-Dananns schließt O'Donovan, daß diese, die der spätere Volksglaube in Elfen des Waldgebirgs verwandelt, noch bis ins 2. oder 3. Jahrhundert unsrer Zeitrechnung sich in einzelnen Berggegenden erhalten haben.

Daß die Iren ein Mischvolk waren, schon ehe die Engländer sich in Massen unter ihnen niederließen, ist unzweifelhaft. Wie noch jetzt, war schon im 12. Jahrhundert der vorherrschende Typus hellhaarig. Giraldus ( "Top. Hib.", III, 26) sagt von zwei Fremden, sie hätten langes gelbes Haar gehabt wie die Iren. Trotzdem finden sich noch jetzt, besonders im Westen, zwei gänzlich verschiedene Typen schwarzhaariger Leute; der eine groß, wohlgebaut, mit schönen Gesichtszügen und krausem Haar, Leute, von denen man meint, man sei ihnen schon einmal in den italienischen Alpen oder der Lombardei begegnet; dieser Typus kommt meist im Südwesten vor. Der andre, untersetzt und kurz von Körperbau, mit grobem, schlichtem schwarzen Haar, plattgedrücktem, fast negerhaftem Gesicht, findet sich häufiger in Connaught. Huxley schreibt dies dunkelhaarige Element in der ursprünglich hellhaarigen keltischen Bevölkerung iberischer (d.h. baskischer) Beimischung zu, was wenigstens teilweise richtig sein wird. Zur Zeit indes, wo die Iren in der Geschichte mit Bestimmtheit auftauchen, sind sie ein homogenes Volk mit keltischer Sprache geworden, und wir finden nirgends mehr fremde Elemente, ausgenommen die erkämpften und erhandelten Sklaven, großenteils Angelsachsen.

Die Mitteilungen der alten Klassiker über dies Volk lauten nicht sehr erbaulich. Diodor erzählt, daß diejenigen Briten, welche die Iris (oder Irin? es steht der Akkusativ Irin) genannte Insel bewohnen, Menschen essen. Ausführlicher ist Strabo:

"Über welches Land (Jerne) wir nichts Gewisses zu sagen haben, außer daß die Bewohner wilder sind als die Briten, da sie Menschenfresser und Vielfresser (polujagoi, nach anderer Lesart pohjagoi, Krautesser) sind und es für ehrbar halten, ihre verstorbenen Eltern zu essen und öffentlich mit den Frauen anderer, mit ihren Müttern und Schwestern fleischlichen Umgang zu haben."

Die patriotische irische Geschichtschreibung hat sich nicht wenig über diese angeblichen Verleumdungen entrüstet. Neuerer Forschung blieb es vorbehalten, die Menschenfresserei und namentlich das Verzehren der Eltern als eine Durchgangsstufe wahrscheinlich aller Völker nachzuweisen. Vielleicht gereicht es den Iren zum Trost, zu erfahren, daß die Vorfahren |489| der jetzigen Berliner noch volle tausend Jahre später derselben praktischen Anschauung huldigten:

"Aber Weletabi, die in Germania sizzent, tie wir Wilze heizên, die ne scament" (schämen) "sih nieht ze chedenne" (zu gestehen) "daz sie iro parentes mit mêren rehte ezen sulîn, danne die wurme." (Notker, zitiert in Jacob Grimms "Rechtsaltertümer", p. 488.)

Und unter der englischen Herrschaft werden wir das Verzehren von Menschenfleisch in Irland noch mehr als einmal wiederkehren sehen. Was die den Iren vorgeworfne Phanerogamie, um mich eines Ausdrucks Fouriers zu bedienen, betrifft, so kamen solche Dinge bei allen wilden Völkern vor, wieviel mehr bei den ganz besonders galanten Kelten. Interessant ist zu sehn, daß die Insel schon damals den heutigen einheimischen Namen trug: Iris, Irin und Jerne sind identisch mit Eire, Erinn, wie denn auch schon Ptolemäus den heutigen Namen der Hauptstadt Dublin, Eblana (mit richtigem Akzent Eblana) kannte. Es ist dies um so merkwürdiger, als die irischen Kelten diese Stadt von jeher mit einem andern Namen, Athcliath, belegt haben und Duibhlinn - der schwarze Pfuhl - bei ihnen Name einer Stelle des Flusses Liffey ist.

Außerdem finden wir noch in Plinius' "Naturgeschichte", IV, 16, folgende Stelle:

"Dorthin" (nach Hibernia) "fahren die Briten in Booten aus Weidenzweigen, über welche Tierfelle zusammengenäht sind."

Und später sagt Solinus von den Iren selbst.

"Sie befahren die See zwischen Hibernia und Britannia in Booten aus Weidenzweigen, welche sie mit einem Überzug von Rinderhäuten bedecken." (C. Jul. Solini "Cosmogr[aphia]", c. 25.)

Im Jahr 1810 fand Wakefield, daß an der ganzen Westküste von Irland "keine andern Boote vorkamen als solche, die aus einem hölzernen Rahmen bestanden, der mit einer Pferde- oder Ochsenhaut überzogen war". Diese Boote seien von verschiedner Form, je nach der Gegend, aber alle zeichnen sich durch ihre ungemeine Leichtigkeit aus, so daß selten ein Unglück damit vorkomme. Für die hohe See taugen sie natürlich nicht, weshalb die Fischerei hier auch nur in den Buchten und zwischen den Inseln betrieben werden könne. In Malbay, Grafschaft Clare, sah Wakefield solche Boote, die 15 Fuß lang, 5 Fuß breit und 2 Fuß tief waren; zu einem derselben wurden zwei Kuhhäute verwandt, die Haare nach innen, die Außenseite geteert; es war für zwei Ruderer eingerichtet. Ein solches Boot kostete ca. 30 Shillinge. (Wakef., II, p. 97.) Statt Weidengeflecht - Holzrahmen! Welch ein Fort- |490| schritt in 1.800 Jahren und nach beinahe siebenhundertjähriger "zivilisatorischer" Bearbeitung durch das erste Seevolk der Welt!

Im übrigen zeigen sich doch auch bald einige Symptome von Fortschritt. Unter König Cormac Ulfadha, der in die zweite Hälfte des 3. Jahrhunderts gesetzt wird, soll dessen Schwiegersohn Finn Mac Cumhal die irische Miliz - die Fianna Eirionn (18) - neu organisiert haben, wahrscheinlich nach dem Muster der römischen Legion mit Unterscheidung von leichten und Linientruppen; alle späteren irischen Heere, über die wir Details haben, unterscheiden kerne - leichte - und galloglas - schwere oder Linieninfanterie. Die Heldentaten dieses Finn wurden in vielen alten Liedern besungen, wovon manche noch existieren; sie und vielleicht einige wenige schottisch-gälische Traditionen bilden die Grundlage des Macphersonschen "Ossian" (irisch Oisin, Sohn Finns), in denen Finn als Fingal erscheint und die Szene nach Schottland verlegt ist. Im irischen Volksmund lebt Finn fort als Finn Mac-Caul, ein Riese, dem fast in jeder Lokalität der Insel irgendein wunderbares Kraftstück zugeschrieben wird.

Das Christentum muß schon früh in Irland, wenigstens an der Ostküste, Eingang gefunden haben. Anders ist nicht zu erklären, daß schon lange vor Patricius so viele Irländer eine bedeutende Rolle in der Kirchengeschichte spielen. Pelagius der Ketzer gilt gewöhnlich für einen Waliser Mönch aus Bangor; es gab aber auch ein irisches uraltes Kloster Bangor oder vielmehr Banchor bei Carrickfergus und daß er hierher gehört, beweist Hieronymus, der ihn "dumm und von skotischem Brei schwerfällig" ("scotorum pultibus praegravatus") nennt. Es ist die erste Erwähnung des irischen Hafermehlbreis (ir[isch] lite, angloir[isch] stirabout), der schon damals, wie noch später bis zur Einführung der Kartoffel und dann neben ihr die Hauptnahrung des irischen Volks war. Des Pelagius Hauptschüler Cölestius und Albinus waren ebenfalls Skoten, d.h. Irländer. Cölestius schrieb, wie Gennadius erzählt, aus seinem Kloster drei ausführliche Briefe an seine Eltern, woraus hervorgeht, daß im 4. Jahrhundert die Buchstabenschrift in Irland bekannt war.

In allen Schriften des früheren Mittelalters heißen die Iren Skoten, und das Land Skotia; wir finden diese Bezeichnung bei Claudian, Isidor, Beda, dem Geographen von Ravenna, Eginhard und noch bei Alfred dem Großen: |491| "Hibernia, das wir Schottland nennen" ("Igbernia the ve Scotland hatadh"). Das heutige Schottland hieß mit fremdem Namen Caledonia, mit einheimischem Alba, Albania; die Übertragung des Namens Scotia, Schottland, auf die Nordspitze der östlichen Insel fand erst im 11. Jahrhundert statt. Die erste größere Einwanderung irischer Skoten nach Alba soll in die Mitte des 3. Jahrhunderts fallen; Ammianus Marcellinus kennt sie dort schon im Jahre 360. Die Einwanderung geschah auf dem kürzesten Seewege, von Antrim nach der Halbinsel Kintyre; noch Nennius erwähnt ausdrücklich, daß die Briten, die damals das ganze schottische Niederland bis an den Clyde und Forth innehatten, durch die Skoten von Westen, durch die Pikten von Norden her angegriffen worden seien. Auch die siebente der altwalisischen historischen "Triaden" erzählt, daß die gwyddyl ffichti (s. unten) von Irland über das Nordmännische Meer (Môr Llychlin) nach Alban kamen und sich an der Küste dieses Meeres niederließen. Daß das Meer zwischen Schottland und den Hebriden Nordmännisches heißt, beweist nebenbei, daß diese "Triade" jünger ist als die nordmännische Eroberung der Hebriden. Um das Jahr 500 kamen von neuem größere Scharen Skoten herüber, die allmählich ein eignes, sowohl von Irland wie von den Pikten unabhängiges Königreich bildeten und endlich unter Kenneth MacAlpin im 9. Jahrhundert die Pikten unterwarfen und das Reich herstellten, auf das etwa 150 Jahre später, wohl zuerst durch die Nordmänner, der Name Schottland, Scotia, sich übertrug.

Im 5. und 6. Jahrhundert werden in altwalisischen Quellen (Nennius, die "Triaden") Einfälle der gwyddyl ffichti oder gälischen Pikten nach Wales erwähnt, die allgemein als Einfälle von irischen Skoten gedeutet werden. Gwyddyl ist walisische Form für gavidheal, mit welchem Namen die Iren sich selbst bezeichnen. Woher die Bezeichnung Pikten kommt, mögen andre untersuchen.

Im zweiten Viertel des 5. Jahrhunderts wurde durch Patricius (irisch Patrick, Patraic, da die Kelten das c nach altrömischer Weise immer wie k aussprechen) das Christentum ohne gewaltsame Erschütterungen zur Herrschaft gebracht. Der Verkehr mit Britannien, der schon lange bestanden, wurde um diese Zeit ebenfalls lebhafter; es kamen Baumeister und Bauhandwerker herüber, die den Iren, die bisher nur losen Steinbau gekannt hatten, den Mörtelbau beibrachten; daß dieser vom 7. bis 12. Jahrhundert nur bei kirchlichen Gebäuden vorkommt, beweist hinlänglich, daß seine Einführung mit der des Christentums zusammenhängt, und ferner, daß von jetzt an die Geistlichkeit, die Vertreterin ausländischer Bildung, sich in ihrem intellektuellen Entwicklungsgang vollständig vom Volk trennte. |492| Während das Volk gar keine oder doch nur äußerst langsame soziale Fortschritte machte, entwickelte sich innerhalb der Geistlichkeit bald eine literarische Bildung, die für die damalige Zeit außerordentlich war und nach damaliger Manier sich zumeist in dem Eifer für Heidenbekehrung und Klösterbegründung äußerte. Columba bekehrte die britischen Skoten und die Pikten; Gallus (der Stifter von St. Gallen) und Fridolin die Allemannen, Kilian die Mainfranken, Virgilius die Salzburger; alle fünf waren Iren; die Angelsachsen wurden ebenfalls hauptsächlich durch irische Missionare zum Christentum gebracht. Daneben aber galt Irland in ganz Europa als Pflanzschule der Gelehrsamkeit, so sehr, daß Karl der Große einen irischen Mönch Albinus nach Pavia als Lehrer berief, wo ihm später ein anderer Ire, Dungal, folgte. Der bedeutendste Mann aus der großen Anzahl für ihre Zeit wichtiger, aber jetzt meist vergessener irischer Gelehrten, war der "Vater" oder, wie Erdmann ihn nennt, der "Carolus Magnus |Karl der Große| der mittelalterlichen Philosophie" - Johannes Scotus Erigena. "Er war der erste, mit dem nun eine wahrhafte Philosophie beginnt", sagt Hegel von ihm. Er allein von allen Westeuropäern des 9. Jahrhunderts verstand Griechisch und knüpfte durch seine Übersetzung der dem Dionysius Areopagita zugeschriebenen Schriften wieder an an den letzten Ausläufer der alten Philosophie, die alexandrinisch-neuplatonische Schule. Seine Lehre war von großer Kühnheit für seine Zeit; er leugnet die Ewigkeit der Verdammnis, selbst für den Teufel, und streift hart an den Pantheismus an; die gleichzeitige Orthodoxie ließ es daher auch nicht an Verlästerungen fehlen. Es dauerte volle zwei Jahrhunderte, bis die von Erigena begründete Wissenschaft in Anselm von Canterbury einen Fortbildner fand.(19)

Ehe diese Entwicklung höherer Bildung aber auf das Volk zurückwirken konnte, wurde sie unterbrochen durch die Raubzüge der Nordmänner. Diese Raubzüge, die den Hauptstapelartikel des skandinavischen, besonders dänischen Patriotismus bilden, kamen zu spät und gingen von zu kleinen Völkern aus, als daß sie in Eroberungen, Kolonisationen und Staatenbildungen auf großem Maßstab hätten ausmünden können, wie dies bei den |493| früheren Einfällen der Germanen der Fall gewesen. Der Vorteil für die geschichtliche Entwicklung, den sie hinterlassen haben, ist verschwindend klein gegen die ungeheuren und selbst für Skandinavien fruchtlosen Störungen, die sie angerichtet.

Irland war um das Ende des 8. Jahrhunderts weit davon entfernt, von einer einigen Nation bewohnt zu sein. Ein Oberkönigtum der ganzen Insel existierte nur zum Schein, und auch das bei weitem nicht immer. Die Provinzialkönige, deren Zahl und Landbesitz fortwährend wechselte, bekriegten sich untereinander, und die kleineren Territorialfürsten hatten ebenfalls ihre Privatfehden. Im ganzen aber scheint in diesen inneren Kämpfen ein gewisser Komment geherrscht zu haben, der die Verwüstungen in bestimmte Grenzen bannte, so daß das Land darunter nicht zu sehr litt. Aber es sollte anders werden. 795, einige Jahre nach der ersten Heimsuchung Englands durch dasselbe Räubervolk, landeten Nordmänner auf der Insel Rathlin an der Küste von Antrim und brannten alles nieder; 798 landeten sie bei Dublin und werden seitdem fast jährlich in den Annalen erwähnt, als Helden, Fremde, Seeräuber, nie ohne den Zusatz losccadh (Niederbrennung) eines oder mehrerer Orte. Ihre Niederlassungen auf den Orkneys, Shetlands und den Hebriden (Süderinseln, Sudhreyjar der altnordischen Sagas) dienten ihnen als Operationsbasis gegen Irland wie gegen das spätere Schottland und gegen England. Um die Mitte des 9. Jahrhunderts waren sie im Besitz Dublins (20), das sie nach Giraldus erst in eine ordentliche Stadt umbauten, wie er ihnen auch die Erbauung von Waterford und Limerick zuschreibt. Der Name Waterford selbst ist nur die hier sinnlose Anglisierung des altnordischen Vedhrafiördhr, was entweder Sturmbucht (Wetterföhrde) oder Widderbucht bedeutet. Erstes Bedürfnis für die Nordmänner, sobald sie sich im Lande niederließen, war natürlich der Besitz befestigter Hafenstädte; die Bevölkerung dieser Städte blieb noch lange skandinavisch, hatte sich aber im 12. Jahrhundert längst den Iren in Sprache und Sitte assimiliert. Die Zwistigkeiten der irischen Fürsten untereinander erleichterten den Nordmännern die Ausplünderung und Niederlassung und selbst die zeitweilige Eroberung der ganzen Insel ungemein. Wie sehr Irland den Skandinaviern selbst als eins ihrer regelmäßigen Beuteländer galt, zeigt der |494| um das Jahr 1000 verfaßte angebliche Sterbegesang Ragnar Lodbrôks im Schlangenturm König Ellas von Northumberland, das "Krâkumal". In diesem Lied rafft sich die altheidnische Wildheit gleichsam zum letztenmal zusammen, und unter dem Vorwand, König Ragnars Heldentaten zu besingen, werden vielmehr die Raubzüge des gesamten nordischen Volks im eignen Lande, wie an den Küsten von Dünamünde bis Flandern, Schottland (das hier schon Skotland heißt, vielleicht zum erstenmal) und Irland kurz geschildert. Von Irland heißt es:

"Wir schlugen drein mit Schwertern, häuften hoch Erschlagne,
Froh ward des Wolfes Bruder der Atzung durch Wutkampf;
Eisen traf auf Erzschild; nicht ließ Irlands Herrscher,
Marstein, Mangel leiden den Mordwolf, noch den Adler;
Ward im Vedhrafiördhr Walopfer gegeben den Raben.
Wir schlugen drein mit Schwertern, morgens ein Spiel anhuben,
Lustgen Kampf vor Lindiseyri, mit Landsfürsten dreien;
Freuten sich nicht viele, daß heil von dort sie flohen;
Falk kämpft ums Fleisch mit Wolfe, Wolfsrachen frahs manchen;
Stromweis floß im Streite am Strand Blut der Iren."
(21)

Bereits in der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts gelang es einem nordmännischen Wiking, Thorgils, von den Iren Turgesius genannt, sich ganz Irland zu unterwerfen, aber mit seinem Tode 844 fiel auch sein Reich auseinander, und die Nordmänner wurden vertrieben. Die Invasionen und Kämpfe dauern fort mit wechselndem Erfolg, bis endlich im Anfang des 11. Jahrhunderts der Nationalheld Irlands, Brian Borumha, ursprünglich |495| nur König eines Teils von Munster, sich zum Beherrscher von ganz Irland aufschwingt und den mit konzentrierter Macht in Irland einfallenden Nordmännern am 23. April (Karfreitag) 1014 bei Clontarf (dicht bei Dublin) die Entscheidungsschlacht liefert, wodurch die Macht der Eindringlinge für immer gebrochen wird.

Die Nordmänner, die sich in Irland niedergelassen hatten und von denen Leinster abhängig war (der König von Leinster, Maolmordha, war 999 durch ihre Hilfe auf den Thron gekommen und seitdem durch sie darauf erhalten worden), sandten in Voraussicht des bevorstehenden Entscheidungskampfs Boten aus nach den Süderinseln und Orkneys, nach Dänemark und Norwegen, um Zuzug zu bewirken, der auch reichlich ankam. Die "Niâlssaga" erzählt, wie Jarl Sigurd Laudrisson sich auf den Orkneys zum Auszug rüstete, wie Thorstein Siduhallsson, Hrafn der Rote und Erlinger von Straumey mit ihm fuhren, wie er am Palmsonntag mit allem seinen Heer nach Dublin (Durflin) kam:

"Da war auch gekommen Brodhir mit allem seinen Heer. Brodhir erprobte durch Zauberei, wie der Kampf gehen würde, und so ging die Antwort: wenn am Freitag gefochten würde, daß Brian der König fallen werde und den Sieg haben; und wenn früher gefochten würde, so würden alle fallen, die gegen ihn wären; da sagte Brodhir, daß nicht eher gekämpft werden sollte als am Freitag."

Über die Schlacht selbst liegen uns zwei Versionen vor, die der irischen Annalen und die skandinavische der "Niâlssaga". Nach dieser letzteren

"kam König Brian mit all seinem Heer gegen die Burg" (Dublin); "am Freitag fuhr das Heer" (die Nordmänner) "heraus aus der Burg, und beide Heere wurden geordnet. Brodhir war in einem Heerflügel, und König Sigtrygg" (nach den "Ann[alen] Inisfall[en]" der König der Dubliner Nordmänner) "war im andern. Nun ist zu sagen von König Brian, daß er am Freitag nicht schlagen wollte, und es war aufgeschlagen um ihn eine Schildburg, und sein Heer war davor aufgestellt. Ulf Hraeda war in dem Flügel, dem Brodhir gegenüberstand; und in dem andern Flügel war Ospak und seine Söhne, da wo Sigtrygg gegenüberstand; und im Zentrum war Kerthialfadh und wurde vor ihm die Fahne getragen."

Als der Kampf losging, wurde Brodhir von Ulf Hraeda in einen Wald gejagt, wo er Schutz fand; Jarl Sigurd hatte harten Stand gegen Kerthialfadh, der bis zur Fahne drang und den Fahnenträger erschlug sowie den nächsten, der die Fahne ergriff; da weigerten sich alle, die Fahne zu tragen, und Jarl Sigurd nahm die Fahne von der Stange und verbarg sie zwischen seinen Kleidern. Bald darauf wurde er von einem Speer durchschossen, und damit scheint auch sein Heerhaufe geschlagen. Inzwischen war Ospak den |496| Nordmännern in den Rücken gefallen und warf Sigtryggs Heerflügel nach hartem Kampf.

"Da ging die Flucht los in allen Scharen, Thorstein Siduhallsson machte halt, als die andern flohen, und band seinen Schuhriemen; da fragte ihn Kerthialfadh, warum er nicht liefe wie die andern? Da sagte Thorstein: 'Oh, ich komme doch heut abend nicht heim, ich bin zu Hause draußen in Island.' Und Kerthialfadh gab ihm Frieden."

Brodhir sah nun aus seinem Versteck, daß Brians Heer die Fliehenden verfolgte und daß wenige Leute bei der Schildburg geblieben waren. Da lief er aus dem Walde, brach durch die Schildburg und erschlug den König (Brian, 88 Jahre alt, war selbstredend nicht mehr imstande, sich am Kampf zu beteiligen, und war im Lager geblieben).

"Da rief Brodhir laut: 'Das kann jetzt Mann dem Manne erzählen, daß Brodhir Brian gefällt hat.'"

Aber die Verfolger kehrten zurück, umzingelten Brodhir und griffen ihn lebendig.

"Ulf Hraeda schnitt ihm den Bauch auf und führte ihn um eine Eiche und wickelte so seine Därme aus ihm heraus um den Baumstamm und starb er nicht, bis sie alle aus ihm herausgehaspelt waren, und Brodhirs Leute wurden alle erschlagen."

Nach den "Annalen von Inisfallen" war das nordmännische Heer in drei Haufen geteilt, der erste bestand aus den Dubliner Nordmännern nebst 1.000 norwegischen Zuzüglern, die alle in langen Panzerhemden geharnischt waren; der zweite aus den irischen Hilfstruppen von Leinster unter König Maolmordha; der dritte aus dem Zuzug von den Inseln und Skandinavien unter Bruadhair, dem Chef der Flotte, die sie hergetragen, und Lodar, dem Jarl der Orkneys. Diesen gegenüber formierte Brian sein Heer ebenfalls in drei Haufen; die Namen der Führer stimmen aber nicht mit denen der "Niâlssaga". Der Schlachtbericht selbst ist unbedeutend; kürzer und klarer ist der der "Vier Magister", welcher hier folgt:

"A.D. 1013" (steht infolge eines konstanten Fehlers für 1014). "Die Ausländer von ganz Westeuropa versammelten sich gegen Brian und Maelseachlainn" (gewohnlich Malachy genannt, König von Meath unter Brians Oberhoheit), "und sie nahmen mit sich zehnhundert Mann in Panzerhemden. Eine heftige, wütende, gewaltige und böse Schlacht wurde zwischen ihnen gefochten, derengleichen nicht gefunden wurde in jener Zeit, zu Cluaintarbh" (Ochsenwiese, jetzt Clontarf) "gerade auf den Freitag vor Ostern. In dieser Schlacht wurden erschlagen Brian, 88 Jahre alt, Murchadh, sein Sohn, 63 Jahre alt, Conaing, sein Neffe, Toirdhealbhach, sein Enkel, ..." (folgen eine Menge Namen). "Die" (feindlichen) "Truppen wurden endlich geworfen von der Tulcainn bis Athcliath" (Dublin) "durch Maelseachlainn, durch heftigen Kampf, |497| Tapferkeit und Dreinschlagen auf die Fremden und Leinsterleute; und da fiel Maelmordha, Sohn Murchadhs, des Sohnes Finns, König von Leinster, ... und es waren außerdem noch ungezählte Tote unter denen von Leinster. Auch wurden erschlagen Dubhgall, Sohn Amhlanibhs" (gewöhnlich Anlaf oder Olaf genannt) "und Cillaciarain, der Sohn Gluniairns, zwei Unterführer (tanaisi) der Fremden, Sichfrith, der Sohn Lodars, Jarl der Orkneys (iarla insi h Oirc), Brodar, Anführer derer von Dänemark, der der Mann war, welcher Brian erschlug. Die zehnhundert Mann in Panzerhemden wurden zusammengehauen, und mindestens 3.000 der Fremden wurden da erschlagen."

Die "Niâlssaga" wurde etwa hundert Jahre nach der Schlacht in Island niedergeschrieben; die irischen Annalen beruhen wenigstens zum Teil auf gleichzeitigen Nachrichten. Beide Quellen sind vollständig unabhängig voneinander, beide stimmen nicht nur in den Hauptsachen, sie ergänzen sich auch gegenseitig. Wer Brodhir und Sigtrygg waren, erfahren wir erst aus den irischen Annalen. Sigurd Laudrisson heißt dort Sichfrith, der Sohn Lodars; Sigfrith ist nämlich die richtige angelsächsische Form des altnordischen Namens Sigurd, und die skandinavischen Namen kommen in Irland auf Münzen sowohl wie in den Annalen - meist nicht in altnordischer, sondern in angelsächsischer Form vor. Die Namen der Unterführer Brians sind in der "Niâlssaga" dem skandinavischen Organ mundgerecht gemacht; der eine, Ulf Hraeda, ist sogar ganz altnordisch, doch wäre es gewagt, wie einige tun, daraus den Schluß zu ziehn, daß auch Brian Nordmänner in seinem Heer gehabt. Ospak und auch Kerthialfadh scheinen keltische Namen; letzterer vielleicht aus dem bei den "IV Mag." genannten Toirdhealbhach entstellt? Das Datum - der Freitag nach Palmsonntag bei den einen, der Freitag vor Ostern bei den andern stimmt genau, ebenso der Ort der Schlacht; obwohl er in der "Niâlssaga" Kantaraburg (sonst = Canterbury) heißt, wird er ausdrücklich dicht vor die Tore von Dublin gelegt. Den Verlauf der Schlacht beschreiben die "IV Mag." am genauesten: Die Nordmänner werden von der Ebene von Clontarf, wo sie Brians Heer angriffen, über die Tolka, einen kleinen Fluß, der dicht vor der Nordseite von Dublin vorbeifließt, nach der Stadt hineingeworfen. Daß Brodhir den König Brian erschlug, wissen beide; die näheren Angaben finden sich nur in der nordischen Quelle.

Man sieht, unsre Nachrichten über diese Schlacht sind in Anbetracht der Barbarei jener Zeit ziemlich ausführlich und authentisch; es wird sich nicht manche Schlacht des 11. Jahrhunderts auffinden lassen, über die wir so bestimmte und [über]einstimmende Berichte von beiden Parteien haben. Das verhinderte den Herrn Professor Goldwin Smith nicht, sie als einen "schattenhaften (shadowy) Konflikt" zu beschreiben. (l.c. p. 48.) Im Kopf |498| des Herrn Professors nehmen die robustesten Tatsachen allerdings sehr häufig eine "schattenhafte" Gestalt an.

Nach der Niederlage von Clontarf werden die nordmännischen Raubzüge seltener und weniger gefährlich; bald kommen die Dubliner Nordmänner unter die Botmäßigkeit der benachbarten irischen Fürsten und verschmelzen in einer oder zwei Generationen mit den Eingeborenen. Als einzige Entschädigung für ihre Verwüstungen lassen die Skandinavier den Iren drei oder vier Städte und die Anfänge eines handeltreibenden Bürgertums zurück.

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Je weiter wir in der Geschichte zurückgehen, desto mehr verschwinden die Kennzeichen, wodurch Völker desselben Stammes sich voneinander unterscheiden. Einerseits liegt dies in der Natur der Quellen, die im Verhältnis des höheren Alters dürftiger werden und sich auf das Wesentlichste beschränken, andrerseits aber auch in der Entwicklung der Völker selbst. Die einzelnen Zweige des Stammes standen sich um so näher, glichen einander um so mehr, je weniger sie vom Urstamm selbst abstanden. Mit vollem Recht hat Jacob Grimm stets alle Nachrichten von den römischen Historikern, die den Cimbernzug beschrieben, bis auf Adam von Bremen und Saxo Grammaticus, alle Literaturdenkmäler von "Beowulf" und "Hildebrandslied" bis auf die "Edden" und Sagas, alle Rechtsbücher von den leges barbarorum bis auf die altdänischen und altschwedischen Gesetze und die deutschen Weistümer als gleich wertvolle Quellen für deutschen Nationalcharakter, deutsche Sitten und Rechtsverhältnisse behandelt. Der spezielle Charakter mag nur lokale Bedeutung haben, der Charakter, der sich in ihm spiegelt, ist dem ganzen Stamme gemein; und je älter die Quellen, desto mehr schwinden die lokalen Unterschiede.

Wie Skandinavier und Deutsche im 7. und 8. Jahrhundert sich weniger unterschieden als heute, so müssen auch irische Kelten und gallische Kelten ursprünglich einander ähnlicher gewesen sein, als heutige Irländer und Franzosen sind. Wir dürfen uns daher nicht wundern, wenn wir in Cäsars Schildrung der Gallier eine Menge Züge finden, die Giraldus zwölf Jahrhunderte später wieder den Iren zuschreibt und die wir noch heute, trotz aller Beimischung germanischen Bluts, im irischen Nationalcharakter wiederfinden ...


Fußnoten von Friedrich Engels

(1) Wo nicht anders angegeben, sind die hier angeführten geologischen Daten genommen aus: J. Beete Jukes, "The Student's Manual of Geology". New Edition. Edinburgh 1862. Jukes war Lokalvorstand der geologischen Aufnahme Irlands und ist daher für dies Terrain, das er auch besonders ausführlich behandelt, erste Autorität. <=

(2) Von den 32.509 engl. Quadratmeilen Irlands liegen zwischen dem Meeresspiegel und 250 Fuß Meereshöhe 13.243; von 251-500 Fuß: 11.797; 501-1.000 Fuß: 5.798; 1.001-2.000 Fuß: 1.589; 2.001 Fuß und darüber: 82 Quadratmeilen. <=

(3) Siehe Karte 15a, Stielers Handatlas, 1868. Diese Karte, sowie Nr. 15d für Irland speziell, gibt eine sehr anschauliche Darstellung der Terraingestaltung. <=

(4) "A Tour in Ireland" by Arthur Young. 3 vols. London 177[...] Obige Stellen finden sich Band II, pp. 28, 135, 143, 154, 165 und II. Abteilung, p. 4. <=

(5) "An Account of Ireland, Statistical and Political." By Edward Wakefield. London 1812, 2 vols. in 4º. <=

(6) Beaufort, Revd. Dr., "Memoir of a Map of Ireland", 1792, p. 75, 76. Zitiert bei Wakefield, I, p. 36. <=

(7) Grünbau (green crops) umfaßt alle künstlichen Futterkräuter, Rüben aller Art und Kartoffeln; alles, was nicht Korn, nicht Gras und nicht Gartenbau ist. <=

(8) Caird, "The Plantation Scheme, or the West of Ireland as a field for investment", Edinburgh 1850. Herr Caird schrieb 1850-1851 in die "Times" Reiseberichte über den Zustand des Ackerbaus in den Hauptgrafschaften Englands. Obige Stellen finden sich pp. 6, 17-18, 121. <=

(9) Léonce de Lavergne, "Rural Economy of England, Scotland and Ireland". Translated from the French. Edinburgh 1855. <=

(10) Die Redensart, wie sich zeigen wird, verdankt ihren Ursprung nicht den dunklen Bergen von Connaught, sondern der dunkelsten Periode der ganzen irischen Geschichte. <=

(11) Goldwin Smith, " Irish History and Irish Character", Oxford and London 1861. - Man weiß nicht, was man an dieser, die englische Politik gegenüber Irland unter der Maske der "Objektivität" rechtfertigenden Schrift mehr bewundern soll, die Unwissenheit des Professors der Geschichte oder die Heuchelei des liberalen Bourgeois. Wir treffen beide noch wieder. <=

(12) Dr. W. Patterson, "An Essay on the Climate of Ireland", Dublin 1804, p. 164. <=

(13) "Ancient Laws and Institutes of Ireland - Senchus Mor", 2 vols., Dublin, printed for Her Majesty's Stationery Office, and published by Alexander Thom (London, Longmans) 1865 und 1869. Siehe Band II, p. 239-251. Der Wert eines Sacks Weizen war 1 screpall (denarius) von 20-24 Gran Silber, der Wert des screpalls ist von Dr. Petrie, "Ecclestiastical Architecture of Ireland, anterior to the Anglo-Norman invasion", Dublin 1845, 4º, pag. 212-219, festgestellt. <=

(14) "Annala Rioghachta Eireann, Annals of the Kingdom of Ireland by the Four Masters." Edited, with an English Translation, by Dr. John O'Donovan. 2nd edit., Dublin 1856, 7 vols in 4º. <=

(15) Eins der naivsten Produkte jener Zeit sind: "The Chronicles of Eri, being the History of the Gaal Sciot Iber, or the Irish People, translated from the original manuscripts in the Phoenician dialect of the Scythian Language by O'Connor", London 1822, 2 vols. Der phönizische Dialekt der skythischen Sprache ist natürlich das keltische Irisch und das Originalmanuskript eine beliebige Vers-Chronik. Der Herausgeber ist Arthur O'Connor, Exilierter von 1798, Onkel des späteren Führers der englischen Chartisten, Feargus O'Connor, angeblicher Nachkomme der alten O'Connors, Könige von Connaught, und gewissermaßen irischer Kronprätendent. Vor dem Titel steht sein Porträt, ein hübsches, joviales, irisches Gesicht, seinem Neffen Feargus frappant ähnlich, mit der rechten Hand eine Krone fassend. Darunter: "O'Connor - cear-rige, head of his race, and O'Connor, chief of the prostrate people of his nation: 'Soumis, pas vaincus'." |"O'Connor - Haupt seines Stammes, und O'Connor, Führer des unterdrückten Volkes seines Landes: 'Unterworfen, doch nicht besiegt'."| <=

(16) Jobberei, jobbery, nennt man in England die Benutzung von Staatsämtern zum eignen Privatvorteil oder zu dem von Verwandten und Freunden, desgleichen Verwendung von Staatsgeldern zu indirekter Bestechung in Parteizwecken. Die einzelne Handlung heißt job. Die englische Kolonie in Irland ist das Haupttreibhaus aller Jobberei. <=

(17) "Giraldi Cambrensis Opera", ed, J. S. Brewer, London, Longmans, 1863. - Eine (schwache) englische Übersetzung der historischen Werke, worunter auch obige zwei Schriften ("The Historical Works of G[iraldus] C[ambrensis]"), kam heraus 1863 in London bei Bohn. <=

(18) Feini, Fenier, ist im ganzen "Senchus Mor" der Name der irischen Nation. Feinechus, Fenchus, Gesetz der Fenier, steht oft entweder für "Senchus" oder für ein andres, verlornes Gesetzbuch. Zugleich bezeichnet feine, grad feine, die plebs, die unterste freie Volksklasse. <=

(19) Näheres über Erigenas Doktrin und Werke in Erdmann, "Grundriß der Gesch[ichte] der Phil[osophie]", 2. Aufl. Berlin 1869, I. Bd., p. 241-247. Erigena, der übrigens kein Geistlicher war, zeigt schon echt irischen kecken Witz. Als bei Tisch der ihm gegenübersitzende Karl der Kahle, König von Frankreich, ihn frug, wie groß der Abstand sei von einem Skoten (scot) bis zu einem Dummkopf (sot), antwortete Erigena: "Die Breite eines Tisches." <=

(20) Die Angabe Snorris in der "Haraldsaga", daß Harald Hårfagrs Sohne, Thorgils und Frodi, zuerst von allen Nordmännern Dublin besessen hätten - also mindestens 50 Jahre später als angegeben -, steht mit den sämtlichen, für diese Zeit unbezweifelten irischen Nachrichten im Widerspruch. Snorri verwechselt offenbar Thorgils, den Sohn Harald Hårfagrs, mit dem untenerwähnten Thorgils = Turgesius. <=

(21) "Hiuggu ver medh hiörvi, hverr lâthverr of annan;
gladhr vardh gera brôdhir getu vidh sôknar laeti,
lêt ei örn ne ylgi, sâ er Îrlandi styrdhi,
(môt vardh mâlms ok rîtar) Marsteinn konungr fasta;
vardh î Vedhra firdhi valtafn gefit hrafni.

Hiuggu ver medh hiörvi, hâdhum sudhr at morni
leik fyrir Lindiseyri vidh lofdhûnga threnna;
fârr âtti thvî fagna (fêll margr î gyn ûlfi,
haukr sleit hold medh vargi), at hann heill thadhan kaemi;
Yra blôdh î oegi aerit fêll um skaeru."

Vedhrafiördhr ist, wie gesagt, Waterford; ob Lindiseyri irgendwo aufgefunden, ist mir unbekannt. Keinesfalls bedeutete es Leinster, wie Johnstone übersetzt; das eyri (sandige Landzunge, dänisch öre) weist auf eine ganz bestimmte Lokalität hin. Valtafn kann auch heißen Falkenfutter und wird hier meist so übersetzt, da aber der Rabe Odins heiliger Vogel ist, so spielt das Wort offenbar in beiden Bedeutungen. <=