Inhaltsverzeichnis Artikel und Korrespondenzen 1870
Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 16, 6. Auflage 1975, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1962, Berlin/DDR. S. 401-406.
1. Korrektur.
Erstellt am .
Aus dem Französischen.
I
["L'Internationale" Nr. 59 vom 27. Februar 1870]
|401| London, den 21. Februar 1870
Das Schweigen, das man in der europäischen Presse über die Gemeinheiten dieser oligarchisch-bourgeoisen Regierung wahrt, ist auf verschiedene Ursachen zurückzuführen. Vor allem ist die englische Regierung reich und die Presse, wie Sie wissen, unbestechlich. Außerdem ist die englische Regierung eine Musterregierung und als solche von den Grundherren, den Kapitalisten des Kontinents und selbst von Garibaldi (siehe sein Buch) anerkannt; man darf also dieser idealen Regierung nichts Böses nachsagen. Und schließlich sind die französischen Republikaner beschränkt und egoistisch genug, um ihren ganzen Zorn gegen das Kaiserreich aufzusparen. Es wäre ja auch ein Verbrechen an der Freiheit des Wortes, wenn sie ihren Landsleuten mitteilten, daß man in dem Lande der bürgerlichen Freiheit mit 20 Jahren Zwangsarbeit bestraft, was man im Lande der Kasernen mit 6 Monaten Gefängnis bestraft. Nachstehend einige Einzelheiten aus englischen Zeitungen über die Behandlung, der die eingekerkerten Fenier ausgesetzt sind.
Mulcahy, den stellvertretenden Redakteur des "Irish People" ("Irischen Volks"), der wegen der Teilnahme an der Verschwörung der Fenier verurteilt wurde, hat man in Dartmoor mit einer eisernen Kette um den Hals an einen mit Steinen beladenen Karren gespannt.
O'Donovan Rossa, Herausgeber des "Irish People", ward 35 Tage lang in eine Dunkelzelle geworfen, die Hände Tag und Nacht hinter dem |402| Rücken angekettet. Man befreite ihn nicht einmal von seinen Fesseln, damit er seine Nahrung zu sich nehmen konnte, eine dünne Suppe, die man ihm auf den Fußboden des Gefängnisses stellte.
Kickham, einer der Redakteure des "Irish People", wurde, obwohl er seinen rechten Arm wegen eines Abszesses nicht bewegen konnte, gezwungen, sich mit seinen Kerkergenossen auf einen Schutthaufen zu setzen und mitten im Nebel und in der Novemberkälte mit der linken Hand Steine und Ziegel zu zerkleinern. Er kehrte nachts in seine Zelle zurück und bekam als Nahrung nicht mehr als 6 Unzen Brot und eine Pinte warmes Wasser.
O'Leary, ein eingekerkerter Greis zwischen 60 und 70 Jahren, wurde 3 Wochen lang auf Wasser und Brot gesetzt, weil er nicht auf sein Heidentum (so bezeichnet ein Kerkermeister offenbar das Freidenkertum) verzichten und weder Anhänger des Papstes noch Protestant, weder Presbyterianer noch gar Quäker werden oder etwa eine der zahlreichen Religionen annehmen wollte, die der Gefängnisdirektor dem irischen Heiden zur Wahl stellte.
Martin H. Carey ist in einem Irrenhaus in Millbank eingekerkert. Das Schweigen und die sonstige grausame Behandlung, der er ausgesetzt war, haben ihm den Verstand geraubt.
Oberst Richard Burke ist in keinem besseren Zustande. Einer seiner Freunde schreibt, daß sein Verstand getrübt, sein Gedächtnis geschwunden sei, und daß sein Verhalten, sein Gebaren und seine Sprache deutliche Anzeichen von Geistesgestörtheit erkennen ließen.
Die politischen Gefangenen werden von einem Gefängnis ins andere gezerrt, als wären sie wilde Tiere. Man zwingt ihnen die Gesellschaft der übelsten Schurken auf; man zwingt sie; das Geschirr zu reinigen, das diese Elenden benutzt haben, Hemden und Flanellunterwäsche dieser Verbrecher zu tragen, von denen viele mit den abstoßendsten Krankheiten behaftet sind, und sich in dem Wasser zu baden, das diese benutzt haben. Alle diese Kriminellen konnten vor der Ankunft der Fenier in Portland mit den Besuchern sprechen. Für die eingekerkerten Fenier wurde ein Besuchskäfig eingerichtet. Er besteht aus drei durch dicke Eisengitter getrennten Abteilen: der Kerkermeister sitzt im mittleren Abteil, und der Gefangene und seine Freunde können sich nur durch diese doppelte Reihe von Gitterstäben sehen,
In den Docks gibt es Gefangene, die alle Arten von Schnecken essen, und Frösche werden in Chatham als Leckerbissen angesehen. General Thomas Burke erklärt, daß er nicht erstaunt war, als er eine tote Maus in |403| der Suppe fand. Die Verurteilten sagen, daß der Tag, an dem man die Fenier ins Gefängnis warf, für sie ein Unglückstag war (das Regime ist viel härter geworden).
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Ich möchte den obenangeführten Auszügen einige Worte hinzufügen:
Im vergangenen Jahre interpellierte man Herrn Bruce, den Minister des Innern, den großen Liberalen, den großen Mann der Polizei, den großen Bergwerksbesitzer in Wales, den grausamen Ausbeuter der Arbeit, wegen der schlechten Behandlung der eingekerkerten Fenier und insbesondere O'Donovan Rossas. Zuerst leugnete er alles, dann war er gezwungen zu gestehen. Daraufhin forderte Herr Moore, irisches Mitglied des Unterhauses, eine Untersuchung dieser Dinge. Sie wurde von diesem radikalen Ministerium - dessen Haupt der halb heilige (er ist öffentlich mit Jesus Christus verglichen worden) Herr Gladstone ist und zu dessen einflußreichsten Mitgliedern der alte bürgerliche Demagoge John Bright zählt - glatt verweigert.
Da in letzter Zeit die Gerüchte über die schlechte Behandlung erneut aufkamen, baten mehrere Parlamentsmitglieder Minister Bruce um die Genehmigung, die Gefangenen besuchen zu dürfen, um sich von der Unwahrheit dieser Gerüchte überzeugen zu können. Herr Bruce verweigerte diese Genehmigung, weil, wie er sagte, die Gefängnisdirektoren befürchteten, daß sich die Gefangenen durch Besuche dieser Art zu sehr erregen würden.
In der vergangenen Woche wurde der Innenminister erneut interpelliert. Man fragte ihn, ob es wahr sei, daß O'Donovan Rossa nach seiner Nominierung als Abgeordneter für Tipperary körperlich (d.h. mit der Peitsche) gezüchtigt worden sei. Der Herr Minister erklärte, daß dies mit O'Donovan Rossa seit 1868 nicht mehr geschehen sei (damit gestand er also ein, daß man zwei bis drei Jahre lang politische Gefangene mit der Peitsche gestraft hatte).
Ich schicke Ihnen Auszüge (wir werden sie in unserer nächsten Nummer veröffentlichen), in denen von Michael Terbert die Rede ist, der als Fenier zu Zwangsarbeit verurteilt wurde und seine Strafe im Strafgefängnis von Spike Island in der Grafschaft Cork, Irland, abbüßte. Sie werden sehen, daß selbst der Coroner (Untersuchungsbeamter) seinen Tod auf die erlittenen Foltern zurückführt. Die Untersuchung hat in der vergangenen Woche stattgefunden.
Innerhalb von zwei Jahren sind mehr als zwanzig Arbeiter, alles Fenier, gestorben oder wahnsinnig geworden dank der Menschenfreundlichkeit dieser guten Bourgeois, denen die guten Grundherren zur Seite stehen.
|404| Sie wissen wahrscheinlich, daß die englische Presse Entrüstung heuchelt wegen der abscheulichen Gesetze über die allgemeine Sicherheit, die das schöne Frankreich verzieren. Aber die Gesetze über die allgemeine Sicherheit bilden doch - abgesehen von einigen kurzen Unterbrechungen - die Charta von Irland. Seit 1793 hebt die englische Regierung bei jeder Gelegenheit regelmäßig und periodisch in Irland die Habeas-Corpus-Bill (Gesetz, das die persönliche Freiheit garantiert) auf, in Wirklichkeit aber jedes Gesetz außer dem der brutalen Gewalt. Auf diese Weise sind in Irland Tausende von Männern, lediglich weil man sie des Fenianismus verdächtigte, eingesperrt worden, ohne jemals verurteilt oder vor ein Gericht gestellt, ja ohne auch nur angeklagt worden zu sein. Die englische Regierung begnügte sich jedoch nicht damit, sie ihrer Freiheit zu berauben, sondern ließ sie aufs grausamste foltern. Hierfür ein Beispiel:
Eines der Gefängnisse, worin die verdächtigten Fenier lebendig begraben sind, ist das Mountjoy-Gefängnis in Dublin. Der Inspektor dieses Gefängnisses, Murray, ist eine abscheuliche Kanaille. Er mißhandelte die Gefangenen auf eine so barbarische Art, daß mehrere von ihnen den Verstand verloren. Der Gefängnisarzt M'Donnell, ein trefflicher Mann, der auch bei der Untersuchung des Todes von Michael Terbert eine ehrenhafte Rolle gespielt hat, schrieb mehrere Monate lang Protestbriefe, die er zunächst an Murray selbst richtete. Da Murray darauf nicht antwortete, richtete er brieflich Anzeigen an die übergeordneten Behörden; aber Murray als erfahrener Kerkermeister fing diese Briefe ab.
Schließlich wandte sich M'Donnell direkt an Lord Mayo, den damaligen Vizekönig von Irland. Das geschah zu der Zeit, als die Tories (Derby-Disraeli) an der Macht waren. Was war das Ergebnis seiner Demarchen? Die Dokumente, die sich auf diese Affäre bezogen, wurden auf Anordnung des Parlaments veröffentlicht, und ... Doktor M'Donnell wurde abgesetzt!!! Murray aber behielt seinen Posten.
Dann kommt das sogenannte radikale Ministerium Gladstones, des zartfühlenden, salbungsvollen, hochherzigen Gladstone, der vor ganz Europa so heiße und aufrichtige Tränen über das Schicksal Poerios und anderer von König Bomba mißhandelter Bürger vergossen hat. Und was tat dieses Idol der fortschrittlichen Bourgeoisie? Zur gleichen Zeit, da er die Iren durch seine unverschämten Antworten auf ihre Amnestieforderungen beleidigte, bestätigte er nicht nur das Ungeheuer Murray in dessen Amt, sondern fügte, um seine besondere Zufriedenheit mit Murray zu bezeugen, dessen Posten als Oberkerkermeister eine fette Sinekure hinzu! Das ist der Apostel der bürgerlichen Philanthropie!
|405| Aber man muß doch der Öffentlichkeit Sand in die Augen streuen; man muß den Anschein erwecken, als täte man etwas für Irland, und so verkündet man mit großem Trara ein Gesetz zur Regelung der Landfrage (Land Bill). Doch das Ganze ist lediglich ein Betrug, das dem schließlichen Zweck dient, Europa zu täuschen, die irischen Richter und Advokaten durch die Aussicht auf endlose Prozesse zwischen den Grundherren und Pächtern zu gewinnen, sich die Gunst der Grundherren durch das Versprechen finanzieller Unterstützung seitens des Staates zu sichern und die wohlhabenderen Pächter durch einige halbe Konzessionen zu ködern.
In der langen Einleitung zu seiner großspurigen und konfusen Rede gesteht Gladstone ein, daß selbst die "wohlwollenden" Gesetze, die das liberale England im Laufe von hundert Jahren Irland aufgezwungen hat, stets zur Ruinierung des Landes führten. Und nach diesem naiven Eingeständnis beharrt der gleiche Mann darauf, jene Menschen zu foltern, die dieser schädlichen und unsinnigen Gesetzgebung ein Ende machen wollen.
II
["L'Internationale" Nr. 60 vom 6. März 1870]
Wir bringen im folgenden nach einer englischen Zeitung die Ergebnisse der Untersuchung über den Tod von Michael Terbert, einem eingekerkerten Fenier, der im Gefängnis von Spike Island an den Folgen schlechter Behandlung gestorben ist.
Am Donnerstag, dem 17. Februar, hat Herr John Moore, Coroner für den Distrikt Middleton, im Gefängnis von Spike Island eine Untersuchung in der Sache des verurteilten Michael Terbert vorgenommen, der im Krankenhaus gestorben ist.
Peter Hay, der Gefängnisdirektor, wurde als erster vernommen. Das ist seine Aussage:
Der verstorbene Michael Terbert ist im Juni in dieses Gefängnis eingeliefert worden; ich weiß nicht, wie es damals um seine Gesundheit stand; er war am 12. Januar zu 7 Jahren Gefängnis verurteilt worden; vor einiger Zeit fühlte er sich nicht wohl, denn es geht aus einem der Gefängnisbücher hervor, daß er auf Empfehlung der Amtsärzte in einen anderen Raum überführt werden mußte, da er nicht imstande war, die Einzelhaft zu ertragen. Der Zeuge schildert dann die häufigen Bestrafungen, die der Verstorbene wegen Verletzung der Disziplin erleiden mußte, oft deshalb, weil er sich einer respektlosen Sprache gegenüber den Amtsärzten bediente.
Jeremiah Hubert Kelly. Soweit ich mich erinnere, hat man bereits damals, als Michael Terbert aus den Mountjoy-Gefängnis hierher überführt wurde, festgestellt, |406| daß er die Einzelhaft nicht ertragen könne; eine diesbezügliche Bescheinigung war von Doktor M'Donnell unterschrieben. Ich fand ihn nichtsdestoweniger bei guter Gesundheit und schickte ihn zur Arbeit. Ich erinnere mich, daß er vom 31. Januar bis zum 6. Februar 1869 im Krankenhaus war; er litt damals an Herzbeschwerden, und seit dieser Zeit verwandte man ihn nicht mehr bei den öffentlichen Arbeiten, sondern ließ ihn im geschlossenen Raum arbeiten. Vom 19. bis 26. März war er wegen seines Herzleidens im Krankenhaus, vom 24. April bis 5. Mai wegen Blutspeiens, vom 19. Mai bis 1. Juni, vom 21. bis 22. Juni und vom 22. Juli bis 15. August wegen seines Herzleidens, vom 9. November bis 13, Dezember wegen Schwäche; schließlich blieb er zum letztenmal vom 20. Dezember bis 8. Februar 1870 im Krankenhaus, wo er an Wassersucht starb. Die ersten Symptome dieser Krankheit hatten sich am 13. November gezeigt, waren dann aber wieder verschwunden.
Ich besuche jeden Tag die Zellen der Einzelhäftlinge, und ich sah ihn von Zeit zu Zeit unter Strafarrest; es ist meine Pflicht, den Strafarrest zu verschieben, wenn ich der Ansicht bin, daß der Kranke nicht imstande ist, die Strafe zu ertragen; das habe ich bei ihm zweimal getan.
- Sind Sie als Arzt der Meinung, daß fünf Tage bei Wasser und Brot eine übermäßige Bestrafung für ihn waren, selbst wenn man von seinem Gesundheitszustand in Mountjoy und hier absieht?
- Ich denke nicht, der Verstorbene war bei gutem Appetit, und ich denke nicht, daß diese Behandlung die Wassersucht verursacht hat, an der er gestorben ist.
Martin O'Connell, Apotheker, wohnhaft in Spike Island. Der Zeuge sagte im vergangenen Juli zu Doktor Kelly, daß Terbert nicht gestraft werden dürfe, da er an einer Herzkrankheit leide; er glaube, daß sich diese Bestrafungen schädlich auf die Gesundheit des Gefangenen ausgewirkt haben, zumal dieser in den letzten zwölf Monaten zur Klasse der Invaliden zählte; er hätte nie geglaubt, daß man auch die Invaliden so bestrafe, wenn er nicht eines Tages in Abwesenheit Doktor Kellys die Einzelzellen hätte besuchen müssen: es sei völlig klar gewesen, daß dem Kranken in Anbetracht seines Gesundheitszustandes fünf Tage Einzelhaft schaden würden.
Danach erhebt der Coroner energisch Einspruch gegen eine derartige Behandlung des Gefangenen. Dieser, sagte er, befand sich abwechselnd im Krankenhaus und in der Einzelzelle.
Die Jury fällt folgendes Urteil:
"Wir erklären, daß Michael Terbert im Gefängnisspital zu Spike Island am 8. Februar 1870 an Wassersucht gestorben ist; er war 36 Jahre alt und Junggeselle. Da Terbert nach Ansicht von Doktor M'Donnell die Einzelhaft nicht ertragen konnte, müssen wir auf das energischste die häufigen Bestrafungen mit mehreren Tagen Einzelzelle bei Wasser und Brot mißbilligen, die während seines Aufenthalts in Spike Island, wohin er im Juni 1866 vom Mountjoy-Gefängnis gebracht worden war, gegen ihn angewandt wurden; wir verurteilen eine derartige Behandlung der Häftlinge."