Inhaltsverzeichnis Artikel und Korrespondenzen 1869
Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 16, 6. Auflage 1975, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1962, Berlin/DDR. S. 342-347.
1. Korrektur.
Erstellt am .
Geschrieben zwischen dem 17. und 21. Februar 1869.
["Demokratisches Wochenblatt" Nr. 12 vom 20. März 1869]
|342| Die erste beste Lohnordnung, z.B. die der Niederwürschnitzer Kompanie, zeigt uns die allgemeine Lage der Bergarbeiter in den Kohlenwerken des Erzgebirges. Der Wochenlohn beträgt für erwachsene Bergarbeiter 2 Tlr. bis 3 Tlr. 12 Sgr. 6 Pf, für Jungen 1 Tlr. 10 Sgr. bis 1 Tlr. 20 Sgr. Der Wochenlohn des Durchschnittsbergarbeiters beträgt ungefähr 22/3 Tlr. Auf Verlangen müssen sich die Arbeiter auf Stücklohn verdingen. Daß der Stücklohn den gewöhnlichen Taglohn kaum übersteigen kann, dafür sorgt die Lohnordnung. Jeder Arbeiter muß nämlich seine Kündigungsfrist monatlich geben, und zwar am ersten Tage jeden Monats. Weigert er sich also, unter den angebotenen Bedingungen auf Stücklohn zu arbeiten, so wird er dazu gezwungen, für 4-8 Wochen wenigstens. Es ist einfach lächerlich, unter solchen Umständen von Regelung des Stücklohns durch wechselseitige Übereinkunft zu schwatzen, von freiem Kontrakt zwischen Arbeiter und Kapitalist!
Die Löhne werden in zwei Stücken gezahlt, am 22. des Monats eine Abschlagssumme, am 8. des folgenden Monats der Lohnrest des verflossenen Monats. Der Kapitalist behält also seinen Arbeitern den geschuldeten Lohn im Durchschnitt für 3 volle Wochen vor - eine herrschaftliche Zwangsanleihe, um so wohltuender, als Geld damit gemacht, aber kein Zins dafür gezahlt wird.
Die Ablösungen der Leute sind in der Regel zwölfstündig, und die oben angegebenen Wochenlöhne gelten für 6 zwölfstündige Arbeitstage. Der zwölfstündige Arbeitstag enthält 2 Stunden (2 halbe Stunden und 1 ganze Stunde) für Mahlzeiten oder sogenannte Aufsetzzeit. Bei dringender Arbeit sind die Ablösungen achtstündig (d.h. 3 Ablösungen in 48 Stunden per |343| Mann) mit einer halben Stunde Mahlzeit - und sogar sechsstündig. In letzterm Fall wird "gar keine Aufsetzzeit gestattet".
Das Vorstehende liefert bereits ein trübes Bild von der Lage dieser Bergarbeiter. Zum Verständnis ihrer leibeigenschaftlichen Zustände bedarf es jedoch einer Durchmusterung der Statuten der Knappschaftsvereine. Nehmen wir diese Statuten für die Kohlenwerke: I, des hohen und mächtigen Prinzen Schönburg, II. der Niederwürschnitzer Kompanie, III. der Niederwürschnitz-Kirchberger Kompanie und IV. der Vereinigten Lugauer Kompanien.
Die Einnahmen der Knappschaftsvereine bestehen: 1. aus den Eintrittsgeldern und Beiträgen der Arbeiter, Strafgeldern, nicht reklamierten Löhnen usw. und 2. aus den Beiträgen der Kapitalisten. Die Arbeiter zahlen 3 oder 4 Prozent von ihren Löhnen, die Meister zahlen in I 7 Gr. 5 Pf. monatlich für jeden Beitrag zahlenden Bergarbeiter, in II 1 Pfennig von jedem Scheffel verkaufter Kohle, in III als erste Einlage und zur Begründung der Knappschaftskasse 500 Tlr., im übrigen dieselben Beiträge wie die Arbeiter, endlich in IV wie in II, aber mit einem Begründungseinschuß von 100 Tlr. für jede der Vereinigten Kompanien.
Überheimelt uns hier nicht ein Stück freundlichster Harmonie zwischen Kapital und Arbeit? Wer wagt da noch von einem Gegensatz ihrer Interessen zu faseln? Aber, wie der große deutsche Denker Hansemann gesagt hat, in Geldsachen hört die Gemütlichkeit auf. Es fragt sich also: Was kostet dem Arbeiter die Großmut der "hohen Werkseigentümer"? Sehen wir zu.
Die Kapitalisten tragen in einem Fall (III) soviel bei wie die Arbeiter, in allen anderen beträchtlich weniger. Dafür verlangen sie folgende Rechte, was das Eigentum an der Knappschaftskasse betrifft:
I. "An der Knappschaftskasse steht den Knappschaftsmitgliedern ein Eigentumsrecht nicht zu, auch können die Mitglieder ein Mehreres als die Gewährungen, worauf sie eintretendenfalls statutengemäß Anspruch erlangen, aus der Kasse nicht begehren, insonderheit nicht auf Teilung derselben und der Bestände antragen, selbst dann nicht, im Fall der Betrieb des einen oder andern Werks aufhören sollte. Sollte der Betrieb Fürstlich-Schönburgischer Steinkohlenwerke in Oelsnitz ganz aufhören", so - nach Abfindung vorhandener Ansprüche - "steht wegen des übrigen dem fürstlichen Werkbesitzer die Verfügung zu."
II. "Sollte der Fall eintreten, daß der Niederwürschnitzer Steinkohlenbau-Verein sich auflöste, so muß auch der Knappschaftskassenverband gleichzeitig mit zur Auflösung gebracht werden. über den noch bleibenden Bestand steht dem Direktorium die Verfügung zu."
|344| Die Mitglieder der Knappschaftskasse haben kein Eigentum an der Knappschaftskasse.
III. wie in II.
IV. "Die Knappschaftskasse wird als ein unveräußerliches Eigentum der jetzt lebenden und künftig noch eintretenden Mitglieder des Vereins betrachtet. Nur wenn der unerwartete Fall eintreten sollte, daß die Auflösung sämtlicher beteiligter Steinkohlenbau-Vereine vor sich ginge und daher auch der Knappschaftsverband seiner Auflösung entgegenzuführen wäre" - nun, in diesem unerwarteten Fall erwartet man, daß die Arbeiter den etwa vorhandenen Überschuß unter sich teilen werden. Beileibe nicht! In diesem Fall "haben die Direktoren der zuletzt sich auflösenden Vereine der Königl. Kreisdirektion Vorschläge einzureichen. Die letztgenannte Behörde hat über jene Verwendung zu entscheiden."
In andern Worten: Die Arbeiter zahlen den größten Teil der Beiträge zur Knappschaftskasse, aber die Kapitalisten maßen sich das Eigentum dieser Kassen an. Die Kapitalisten scheinen ihren Arbeitern ein Geschenk zu machen. In der Tat werden die Arbeiter zu einem Geschenk an ihre Kapitalisten gezwungen. Diesen fällt mit dem Eigentumsrecht von selbst auch die Kontrolle über die Kasse zu.
Vorsteher des Kassenvorstands ist der Geschäftsführer des Kohlenwerkes. Er hat die Hauptverwaltung der Kasse, entscheidet in allen zweifelhaften Fällen, bestimmt die Höhe der Geldstrafen usw. Ihm auf dem Fuß folgt der Knappschaftsschreiber, der zugleich der Kassierer ist. Er wird entweder vom Kapitalisten ernannt oder bedarf dessen Bestätigung, wenn er von den Arbeitern gewählt wird. Dann kommen die gewöhnlichen Mitglieder des Vorstandes. Sie werden im allgemeinen von den Arbeitern gewählt, aber in einem Fall (III) ernennt der Kapitalist drei dieser Vorstandsmitglieder. Was es überhaupt mit diesem "Vorstand" auf sich hat, zeigt die Bestimmung, daß "er mindestens einmal im Jahr eine Sitzung halten" soll. Tatsächlich gebietet der Vorsteher. Die Vorstandsmitglieder dienen ihm als Handlanger.
Dieser Herr Vorsteher, der Geschäftsführer des Werks, ist auch sonst ein mächtiger Herr. Er kann die Prüfungszeit neuer Mitglieder abkürzen, Extra-Unterstützungen verleihen, sogar (III) Arbeiter, deren Ruf ihm anstößig dünkt, verjagen, stets aber an den Kapitalherrn appellieren, dessen Entscheidung in allen Anliegenheiten der Knappschaft schlußgültig ist. So können Prinz Schönburg und die Direktoren der Aktiengesellschaften die Vereinsstatuten ändern, die Arbeiterbeiträge erhöhen, Krankenunterstützungen und Pensionen schmälern, Ansprüche auf die Kasse mit neuen Hindernissen und Formalitäten umgeben, kurz, was ihnen beliebt, mit dem |345| Geld der Arbeiter tun, unter dem einzigen Vorbehalt der Bestätigung von Regierungsbehörden, welche bisher niemals gezeigt haben, daß sie die Lage und Bedürfnisse der Arbeiter auch nur kennenlernen wollen. In den Kohlenwerken III behalten sich die Direktoren sogar vor, jeden Arbeiter aus der Knappschaft zu verjagen, der von ihnen gerichtlich verfolgt, aber - von dem Gerichte freigesprochen wurde!
Und für welche Vorteile unterwerfen die Bergarbeiter ihre eigenen Angelegenheiten so blindlings dem fremden Machtgebot? Man höre.
1. In Krankheitsfällen erhalten sie ärztliche Behandlung und eine wöchentliche Unterstützung, in den Kohlenwerken I zum Dritteil ihres Lohnes, in III zur Hälfte des Lohnes, in II und IV zur Hälfte resp. 2/3 und 3/4 des Lohnes, wenn die Krankheit durch Unfälle während der Arbeit verschuldet ist. 2. Invaliden erhalten eine Pension, je nach der Dauer des Dienstalters, also auch ihrer Beiträge zur Knappschaftskasse, von 1/20 bis 1/2 der letztverdienten Löhne. 3. Bei dem Todesfall eines Mitglieds erhält seine Witwe eine Unterstützung von 1/5 bis 1/3 der Pension, wozu ihr Ehemann berechtigt war, und ein winziges wöchentliches Almosen für jedes Kind. 4. Begräbnisgelder bei Todesfällen in der Familie.
Der erlauchte Prinz und die erleuchteten Kapitalisten, welche diese Statuten entwarfen, und die väterliche Regierung, welche sie bestätigte, schulden der Welt die Lösung einer Aufgabe: Wenn ein Bergarbeiter bei dem vollen Durchschnittslohn von 22/3 Tlr. per Woche halb verhungert, wie kann er leben mit einer Pension von z.B. 1/20 dieses Lohnes, sage 4 Sgr. per Woche?
Die zarte Rücksicht der Statuten für das Kapitalinteresse leuchtet hell aus der Behandlung der Minenunfälle. Mit Ausnahme der Werke II und IV wird keine Extra-Unterstützung gewährt, wenn Krankheit oder Tod durch Unfälle "im Dienst" verursacht wird. In keinem einzigen Fall wird die Pension erhöht, wenn die Invalidität Folge von Minenunfällen ist. Der Grund ist sehr einfach. Dieser Posten würde die Kassenausgabe bedenklich schwellen und sehr bald auch dem blödesten Auge die Natur der kapitalherrlichen Geschenke verraten.
Die von den sächsischen Kapitalisten oktroyierten Statuten unterscheiden sich von Louis Bonapartes oktroyierter Konstitution dadurch, daß die letztere stets noch auf den krönenden Abschluß harrt, während die ersteren ihn bereits besitzen, und zwar in folgendem, allen gemeinsamen Artikel:
"Jeder Arbeiter, der die Dienste des Vereins, sei es freiwillig, sei es gezwungen, verläßt, tritt dadurch aus der Knappschaft aus und verliert alle Rechte und Ansprüche sowohl an die Kasse derselben als an das von ihm selbst eingezahlte Geld."
|346| Also ein Mann, der 30 Jahre in einem Kohlenwerke gearbeitet und zur Knappschaftskasse beigesteuert hat, verliert alle so teuer erkauften Pensionsansprüche, sobald ihn der Kapitalist zu entlassen beliebt! Dieser Artikel verwandelt den Lohnarbeiter in einen Leibeigenen, bindet ihn an die Scholle, setzt ihn der schnödesten Mißhandlung aus. Wenn er kein Liebhaber von Fußtritten ist, wenn er sich wehrt gegen Herabdrückung des Lohnes auf den Hungerpunkt, wenn er willkürliche Geldstrafen zu zahlen [sich] weigert, wenn er gar auf amtliche Prüfung der Maße und Gewichte dringt - er erhält stets dieselbe eintönige Antwort: Packe dich, aber die Kassenbeiträge und deine Kassenansprüche gehen nicht mit auf die Reise!
Es scheint paradox, von Leuten in so verworfener Lage männliche Unabhängigkeit und Selbstachtung zu erwarten. Dennoch zählen diese Bergarbeiter, zu ihrer Ehre sei es gesagt, unter den Vorkämpfern der deutschen Arbeiterklasse. Ihre Meister beginnen daher eine große Unruhe zu fühlen, trotz des ungeheuren Halts, den ihnen die jetzige Organisation der Knappschaftsvereine bietet. Das jüngste und gemeinste ihrer Statuten (III, es datiert von 1862) enthält folgenden grotesken Vorbehalt gegen Strikes und Koalition:
"Jedes Knappschaftsmitglied hat mit dem ihm nach der Lohnordnung zu stellenden Lohne stets zufrieden zu sein, zu gemeinschaftlichen, die Erzwingung einer Erhöhung seines Einkommens bezweckenden Handlungen sich niemals herzugeben, geschweige dergleichen durch Verführung seiner Kameraden zu veranlassen, vielmehr usw."
Warum haben die Lykurge des Niederwürschnitz-Kirchberger Steinkohlenbau-Aktienvereins, die Herrn B. Krüger, F. W Schwamkrug und F. W. Richter, nicht auch zu beschließen geruht, daß von nun an jeder Kohlenkäufer mit ihren höchsteigenhändig festgesetzten Kohlenpreisen "stets zufrieden zu sein hat"? Dies schlägt denn doch den "beschränkten Untertanenverstand" des Herrn von Rochow.
Infolge der Agitation unter den Bergarbeitern ist neulich ein provisorischer Statutenentwurf zur Vereinigung der Knappschaften aller sächsischen Kohlenwerke veröffentlicht worden (Zwickau 1869). Er ist das Werk eines Arbeiterkomitees unter dem Vorsitz des Herrn J. G. Dinter. Die Hauptpunkte sind: 1. Alle Knappschaften sind in eine gemeinsame Knappschaft zu vereinen. 2. Mitglieder bewahren ihre Ansprüche, solange sie in Deutschland wohnen und ihre Beiträge bezahlen. 3. Eine Generalversammlung aller erwachsenen Mitglieder bildet die höchste Autorität. Sie ernennt einen vollziehenden Ausschuß usw. 4. Die Beiträge der Meister zur Knappschaftskasse sollen die Hälfte der von ihren Arbeitern gezahlten Beiträge erreichen,
|347| Dieser Entwurf drückt keineswegs die Ansicht der intelligentesten sächsischen Bergarbeiter aus. Er kommt vielmehr von einer Sektion, welche reformieren möchte mit Erlaubnis des Kapitals. Er trägt den Stempel des Unpraktischen auf der Stirne. Welche naive Unterstellung in der Tat, daß die Kapitalisten, bisher unbeschränkte Herrscher über die Knappschaftsvereine, ihre Gewalt an eine demokratische Generalversammlung von Arbeitern abtreten und trotzdem Beiträge zahlen werden! Das Grundübel besteht gerade darin, daß die Kapitalisten überhaupt beitragen. Solang dies dauert, ist ihnen die Leitung des Knappschaftsvereins und der Knappschaftskasse nicht zu entziehen. Um wirkliche Arbeitergesellschaften zu sein, müssen die Knappschaftsvereine ausschließlich auf Arbeiterbeiträgen beruhn. So nur können sie sich in Trades Unions verwandeln, welche individuelle Arbeiter vor der Willkür individueller Meister schützen. Die unbedeutenden und zweideutigen Vorteile, welche die Kapitalistenbeiträge bieten - können sie je den Zustand der Leibeigenschaft aufwiegen, wozu sie den Arbeiter zurückdrängen? Mögen die sächsischen Bergleute stets bedenken: Was er immer zur Knappschaftskasse zahle, der Kapitalist erspart ebensoviel und mehr am Arbeitslohn. Gesellschaften dieser Art haben die eigentümliche Wirkung, das Gesetz der Nachfrage und Zufuhr zum ausschließlichen Vorteil des Kapitalisten zu suspendieren. In andern Worten: Durch den ungewöhnlichen Halt, den sie dem Kapital auf individuelle Arbeiter geben, drücken sie die Löhne selbst unter ihre gewöhnliche Durchschnittshöhe herab.
Aber sollen die Arbeiter denn die restierenden Kassen - versteht sich nach Abfindung erworbener Rechte - den Kapitalisten schenken? Diese Frage kann nur gerichtlich gelöst werden. Trotz königlich obrigkeitlicher Bestätigung schlagen gewisse Artikel der Statuten den allgemeingültigen zivilrechtlichen Prinzipien über Verträge ins Gesicht. Unter allen Umständen jedoch bleibt die Scheidung des Geldes der Arbeiter vom Geld der Kapitalisten die unerläßliche Vorbedingung zu jeder Reform der Knappschaftsvereine.
Die Beiträge der sächsischen Kohlenwerkbesitzer zu den Knappschaftskassen enthalten das unfreiwillige Eingeständnis, daß das Kapital bis zu einem gewissen Punkt haftbar ist für die Unfälle, die den Lohnarbeiter während seiner Arbeitsfunktion, in der Arbeitsstätte, an Leib oder Leben gefährden. Statt aber, wie es jetzt geschieht, diese Haftbarkeit zum Vorwand eines erweiterten Kapitaldespotismus machen zu lassen, geziemt es den Arbeitern, für die gesetzliche Regelung der Haftbarkeit zu agitieren.