Inhaltsverzeichnis Artikel und Korrespondenzen 1868

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 16, 6. Auflage 1975, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1962, Berlin/DDR. S. 334-336.

1. Korrektur.
Erstellt am .

Karl Marx

Wie der Brief des Herrn Gladstone von 1866 an die Bank von England Rußland eine Anleihe von sechs Millionen verschaffte

Geschrieben am 9. November 1869.
Aus dem Englischen.


["The Diplomatic Review" vom 2. Dezember 1868]

|334| Herrn Gladstones Brief vom 11. Mai 1866 suspendierte den Bankakt von 1844 unter folgenden Bedingungen:

1. Der Mindestdiskontsatz sollte auf 10 Prozent erhöht werden.

2. Wenn die Bank die gesetzlich festgelegte Beschränkung ihrer Notenemission überschreitet, sollte der Gewinn aus einer solchen Mehremission von der Bank an die Regierung überwiesen werden.

Demzufolge erhöhte die Bank ihren Mindestdiskontsatz auf 10 Prozent (d.h. auf 15 bis 20 Prozent für die gewöhnlichen Kaufleute und Fabrikanten) und verletzte nicht den Buchstaben des Gesetzes von 1844, soweit es die Notenemission anbelangt. Abends wurden Noten von ihren Gönnern und anderen Kunden in der City eingesammelt, die am nächsten Morgen wieder ausgegeben wurden. Verletzt wurde jedoch der Geist des Gesetzes, indem man entsprechend dem Brief der Regierung zuließ, daß ihre Reserve auf den Nullpunkt zurückging, nach den Absichten des Gesetzes von 1844 bildet diese Reserve jedoch die einzigen disponiblen Aktiva der Bank gegenüber den Passiva ihres Banking-Departments.

Herrn Gladstones Brief suspendierte daher den Peelschen Bankakt in solcher Weise, daß dessen schlimmste Folgen beibehalten, ja sogar künstlich verstärkt wurden. Ähnliches kann man weder dem Brief von Sir G. C. Lewis aus dem Jahre 1857 noch dem Brief Lord John Russells von 1847 nachsagen.

Die Bank hielt den Mindestdiskontsatz von 10 Prozent mehr als 3 Monate aufrecht. In Europa betrachtete man diesen Satz als ein gefährliches Anzeichen.

Nachdem Herr Gladstone auf diese Weise eine höchst ungesunde Atmosphäre des Mißtrauens gegenüber der englischen Zahlungsfähigkeit |335| geschaffen hat, tritt Lord Clarendon, der Held des Pariser Kongresses, auf den Plan und veröffentlicht in der "Times" einen erläuternden Brief an die englischen Botschaften auf dem Kontinent. Er teilte dem Kontinent mit sehr vielen Worten mit, daß nicht die Bank von England bankrott sei (obwohl nach dem Gesetz von 1844 in Wirklichkeit gerade das der Fall war), wohl aber bis zu einem gewissen Grade Englands Industrie und Handel. Die unmittelbare Wirkung seines Briefes war nicht ein "Run" der Cockneys auf die Bank, sondern ein "Run" (nach Geld), den Europa auf England unternahm. (Diesen Ausdruck gebrauchte seinerzeit Herr Watkin im Unterhaus.) So etwas hatte es in der Geschichte des englischen Handels noch nicht gegeben. Gold wurde von London nach Frankreich transportiert, während gleichzeitig der offizielle Mindestdiskontsatz in London 10 Prozent und in Paris 31/2 bis 3 Prozent betrug. Das beweist, daß der Goldabfluß keine normale kommerzielle Transaktion war. Er war ausschließlich das Ergebnis des Briefes von Lord Clarendon.

Nachdem also der Mindestdiskontsatz von 10 Prozent mehr als drei Monate gehalten worden war, folgte die unvermeidliche Reaktion. Von 10 Prozent ging der Mindestsatz rapide auf 2 Prozent zurück, und dies ist auch vor wenigen Tagen noch der offizielle Banksatz gewesen. Unterdes waren alle englischen Wertpapiere, Eisenbahnaktien, Bankaktien, Bergwerksaktien, alle Arten inländischer Investments außerordentlich im Wert gesunken und wurden sorgsam gemieden. Sogar die Konsols fielen. (Einmal, während der Panik, verweigerte die Bank die Zahlung von Darlehen auf Konsols.) Da war die Stunde für Auslandsinvestments gekommen. Auf dem Londoner Markt wurden ausländische Regierungsanleihen zu den günstigsten Bedingungen abgeschlossen. An erster Stelle stand eine russische Anleihe von 6 Millionen Pfund Sterling. Diese russische Anleihe, die einige Monate zuvor an der Pariser Börse jämmerlich gescheitert war, wurde jetzt an der Londoner Börse als Gottesgabe begrüßt. Vergangene Woche erst hat Rußland eine neue Anleihe von 4 Millionen Pfund Sterling aufgelegt. Im Jahre 1866 brach Rußland, genau wie jetzt (9. November 1868), fast unter der Last finanzieller Schwierigkeiten zusammen, die infolge der Agrarrevolution, welche es jetzt durchmacht, einen höchst erschreckenden Charakter angenommen haben.

Daß Rußland auf dem englischen Geldmarkt Tür und Tor geöffnet werden, ist noch das wenigste, was der Peelsche Bankakt für Rußland tut. Dieses Gesetz liefert England, das reichste Land der Welt, buchstäblich der Gnade der Moskowiter Regierung aus, der zahlungsunfähigsten Regierung Europas.

|336| Gesetzt, die russische Regierung hätte Anfang Mai 1866 im Namen einer privaten deutschen oder griechischen Firma ein bis anderthalb Millionen Pfund Sterling im Banking-Department der Bank von England deponiert. Durch den plötzlichen und unerwarteten Abzug dieser Summe hätte sie das Banking-Department zwingen können, die Zahlungen sofort einzustellen, auch wenn mehr als dreizehn Millionen Pfund Sterling an Gold im Emissions-Department gelegen hätten. Der Bankrott der Bank von England hätte folglich durch ein Telegramm aus St. Petersburg erzwungen werden können.

Worauf Rußland 1866 nicht vorbereitet war, dazu wird es vielleicht 1876 in der Lage sein, falls der Peelsche Bankakt nicht aufgehoben wird.