Inhaltsverzeichnis Artikel und Korrespondenzen 1864
Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 16, 6. Auflage 1975, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1962, Berlin/DDR. S. 22-24.
1. Korrektur.
Erstellt am .
Karl Marx
["Nordstern" Nr. 287 vom 10. Dezember 1864]
|22| An den Redakteur des "Beobachters" zu Stuttgart
Mein Herr!
Durch seinen Bradforder Strohmann, den Dr. Bronner, hat Herr Karl Blind Ihnen einen Schreibebrief von, für und über Herrn Karl Blind zugehen lassen, wo mitten zwischen andre Kuriositäten folgende Stelle einschlüpft:
"Auf jenen alten", auf das Flugblatt "Zur Warnung" gegen Vogt bezüglichen, "durch allseitige Erklärungen abgemachten Streit, den die Redaktion wieder hervorgezogen hat, will ich dabei nicht zurückkommen."
Er "will nicht zurückkommen"! Welche Großmut!
Zum Beweis, daß die wichtigtuende Eitelkeit des Herrn Karl Blind dann und wann den Herrn Karl Blind über die Schranken der reinen Komik hinaustreibt, erwähnen Sie meiner Schrift gegen Vogt. Aus der Blindschen Antwort müssen Sie und Ihre Leser den Schluß ziehen, daß die in jener Schrift gegen Herrn Karl Blind erhobenen Anklagen "durch allseitige Erklärungen" abgemacht sind. In Wahrheit hat der sonst so schreibselige Herr Karl Blind seit der Erscheinung meiner Schrift, also während vier Jahren, niemals gewagt, mit einem einzigen Sterbenswort, viel weniger mit "allseitigen Erklärungen" auf den alten Streit zurückzukommen.
Herr Karl Blind hat sich vielmehr dabei beruhigt, als "infamer Lügner" (s. pag. 66, 67 meiner Schrift ) gebrandmarkt dazustehn. Herr Karl Blind hatte öffentlich und wiederholt erklärt, er wisse nicht, durch wen das Flugblatt gegen Vogt in die Welt geschleudert worden sei, er habe gar keinen |23| Anteil an der Sache usw. Außerdem veröffentlichte Herr Karl Blind ein Zeugnis des Buchdruckers Fidelio Hollinger, flankiert durch ein anderes Zeugnis des Setzers Wiehe, dahin lautend, daß das Flugblatt weder in Hollingers Druckerei gedruckt sei, noch von Herrn Karl Blind herrühre. In meiner Schrift gegen Vogt findet man nun die Affidavits (Aussagen an Eidesstatt) des Setzers Vögele und des Wiehe selbst vor dem Polizeigericht in Bow Street, London, durch welche bewiesen ist, daß derselbe Herr Karl Blind das Manuskript des Flugblattes schrieb, es bei Hollinger drucken ließ, den Probebogen eigenhändig korrigierte, zur Widerlegung dieser Tatsachen ein falsches Zeugnis schmiedete, für dieses falsche Zeugnis unter Vorhaltungen von Geldversprechungen auf seiten Hollingers, künftigen Dankes von seiner eigenen Seite die Unterschrift des Setzers Wiehe sich erschlich und endlich dies selbstgeschmiedete falsche Schriftstück mit der von ihm selbst erschlichenen Unterschrift als sittlich entrüsteten Beweis meiner "böslichen Erfindung" in die Augsburger "Allgemeine" und andere deutsche Zeitungen expedierte.
Am Pranger so ausgestellt, schwieg Herr Karl Blind. Warum? Weil er (siehe pag. 69 meiner Schrift ) die von mir veröffentlichten Afidavits nur durch Gegenavidavits entkräften konnte, sich jedoch "im bedenklichen Gerichtsbann von England befand", wo "mit der Felonie nicht zu spaßen ist".
In dem erwähnten Schreibebriefe an Ihr Blatt finden sich auch abenteuerliche Mitteilungen über Herrn Karl Blinds amerikanische Emsigkeit. Zur Aufklärung über diesen Punkt erlauben Sie mir einen Auszug aus einem vor einigen Tagen hier eingetroffenen Brief J. Weydemeyers mitzuteilen. J. Weydemeyer, wie Sie sich erinnern werden, redigierte früher zusammen mit O. Lüning die "N[eue] Deutsche Zeitung" zu Frankfurt und war stets einer der tüchtigsten Vorkämpfer der deutschen Arbeiterpartei. Kurz nach Ausbruch des Amerikanischen Bürgerkriegs trat er in die Reihen der Föderalisten. Von Fremont nach St. Louis beschieden, diente er erst als Kapitän im dortigen Ingenieurkorps, dann als Oberstleutenant in einem Artillerieregiment und erhält, als Missouri jüngst aufs neue von feindlicher Invasion bedroht war, plötzlich den Auftrag zur Organisierung des 417. Missouri-Freiwilligenregiments, an dessen Spitze er jetzt als Oberst steht. Weydemeyer schreibt von St. Louis, der Hauptstadt Missouris, wo sein Regiment kantoniert ist, wie folgt:
"Beiliegend findest Du einen Ausschnitt aus einer hiesigen Zeitung, der "Westlichen Post", worin der literarische Freibeuter Karl Blind sich einmal wieder gewaltig |24| spreizt auf Kosten deutscher Republikaner. Für hier ist es zwar ziemlich gleichgültig, in welcher Weise er Lasalles Bestrebungen und Agitationen entstellt; wer des Letzten Schriften gelesen, weiß, was er von Blinds Harlekinaden zu halten; wer sich die Mühe nicht gegeben, mit jener Agitation etwas bekannter zu werden, mag gläubig die Weisheit und 'Gesinnungstüchtigkeit' des großen Badensers, Verschwörers par excellence und des Mitglieds aller geheimen Gesellschaften und zukünftigen provisorischen Regierungen bewundern; an seinem Urteil ist nichts gelegen. Auch haben die Leute im Augenblick hier andere Dinge zu tun, als sich mit Blindschen Protesten zu befassen. Aber es wäre doch gewiß zweckmäßig, dem gespreizten Gecken zu Hause einmal tüchtig auf die Finger zu klopfen, und deshalb schicke ich Dir den Artikel, der nur ein Probestückchen ähnlicher früherer Leistungen ist."
Der von J. Weydemeyer übersandte Ausschnitt aus der "Westlichen Post" ist überschrieben: "Ein republikanischer Protest, London, 17. Sept. 1864", und ist die amerikanische Ausgabe des "Republikanischen Protestes", den derselbe unvermeidliche Herr Karl Blind unter demselben Titel gleichzeitig in die "Neue Frankfurter Zeitung" und dann mit der gewohnten betriebsamen Ameisenemsigkeit als Wiederabdruck aus der "N. Frankfurter Zeitung" in den Londoner "Hermann" beförderte. Eine Vergleichung der beiden Ausgaben des Blindschen Machwerks würde zeigen, wie derselbe Herr Karl Blind, der zu Frankfurt und London mit biedermännisch-republikanisch-katonischer Leichenbittermiene protestiert, gleichzeitig in dem abgelegenen St. Louis der bösartigsten Albernheit und gemeinsten Frechheit frei den Zügel schießen läßt.
Eine Vergleichung der zwei Ausgaben des Protestes, wozu hier nicht der Platz, würde außerdem einen neuen drolligen Beitrag gewähren zur Fabrikationsmethode der Schreibebriefe, Zirkulare, Flugblätter, Proteste, Vorbehalte, Abwehren, Aufrufe, Zurufe und andrer dergleichen kopfschüttelnd feierlicher Blindscher Staatsrezepte, denen ebensowenig zu entlaufen ist als den Pillen des Herrn Holloway oder dem Malzextrakt des Herrn Hoff.
Es liegt mir durchaus fern, einen Mann wie Lassalle und die wirkliche Tendenz seiner Agitation einem grotesken Clown |In der Handschrift: einem grotesken Mazzini-Scapin|, hinter dem nichts steht als sein eigener Schatten, verständlich machen zu wollen. Ich bin im Gegenteil überzeugt, daß Herr Karl Blind nur seinen von Natur und Äsop ihm auferlegten Beruf erfüllt, wenn er nach dem toten Löwen tritt.
London, den 28. November 1864
Karl Marx