Inhaltsverzeichnis Artikel und Korrespondenzen 1862
Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 15, 4. Auflage 1972, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1961, Berlin/DDR. S. 541-543.
1. Korrektur.
Erstellt am 25.10.1998.
Geschrieben am 11. September 1862.
["Die Presse" Nr. 256 vom 17. September 1862]
|541| Ein Garibaldi-Meeting bereitet sich in diesem Augenblicke in London vor; ein anderes ward gestern zu Gateshead abgehalten, ein drittes ist in Birmingham angekündigt, während Newcastle letzten Dienstag den Reigen dieser volkstümlichen Kundgebungen eröffnete. Ein kurzer Bericht über das Newcastler Meeting mag die hier vorherrschende eigentümliche Stimmung kennzeichnen. Ein solches Meeting ist immer ein Kuriosum. Das Meeting fand in der Stadthalle von Newcastle statt. Herr Newton (Stadtrat) eröffnete die Verhandlung mit einer Rede, worin es unter anderm hieß:
"Solange Italien unfrei, ist keine Freiheit in Europa möglich. Solange Frankreich eine große Armee im Zentrum von Europa hält, existiert keine Garantie selbst für die Freiheiten, deren wir uns jetzt rühmen. Man muß keinen Augenblick vergessen, daß die wahre Ursache des Unfalls, der Garibaldi betroffen, nicht so sehr in Italien, als vielmehr in Paris zu suchen. Der französische Herrscher ist der wahre Urheber jenes Mißgeschicks. (Großer Beifall.) Es ist dieselbe Gewalt, welche die Presse, die Tribüne totgeschwiegen, welche ganz Frankreich erstickt, geknebelt, entmannt hat. Ich zweifle nicht, daß ein Tag der Abrechnung kommen, daß Rache für den Staatsstreich kommen, daß die Vorsehung Buße verlangen wird für die Sünden und Verbrechen desselben! Es gehört große Überwindung dazu, ruhig von Frankreichs Haltung gegen Italien zu sprechen. Stets, seit der Zeit von Charles VIII. war es damit beschäftigt, Italien zu zerstören und Italien zum Vorwand europäischer Friedensbrüche zu machen ... Ich habe irgendwo gelesen, daß die alten Römer mit dem Prozeß gegen Manlius nicht angesichts des Kapitols vorzugehen wagten. Gibt es einen Zoll italienischer Erde, der einen Prozeß gegen Garibaldi ertragen könnte? ... "
Jos. Cowen stellte den Antrag, den Lord Russell in einem Memorandum aufzufordern, daß die englische Regierung den französischen Kaiser zur Räumung Roms urgiere.
"Rom", sagte er, "ist die alte, ehrwürdige Hauptstadt Italiens ... Wie kommt dieser alte Sitz der Zivilisation dazu, von den Truppen eines fremden Gewalthabers gefangen gehalten zu werden? Welches größere Recht besitzen französische Truppen auf Rom als auf Neapel, Turin oder London? (Großer Beifall.) Der Papst war geflohen, weigerte sich, zurückzukehren, ließ Rom während drei Monaten ohne Regierung. Darauf wählten die Römer sich selbst eine Regierung. Während noch im Werk der neuen Organisation begriffen, wurden sie von denselben Franzosen überfallen, die ein Jahr zuvor ihnen das Beispiel gegeben hatten.Inkonsequenz ist ein zu schwacher Ausdruck zur Charakteristik eines solchen Benehmens. Es war infam (stürmischer Beifall), und die Geschichte wird jeden Franzosen brandmarken, der sich an dieser ruchlosen Tat beteiligt hat ... Die Teilung Polens vielleicht ausgenommen, gab es nie eine schamlosere Verletzung aller Prinzipien nationaler Unabhängigkeit und des Völkerrechts als die im Mord der Römischen Republik durch die französischen Prätorianer-Banden verübte! Rom fiel im Juni 1849, und Louis Bonaparte hält es im Besitz bis zu diesem Tage, 13 volle Jahre! ... Wenn seine Minister der französischen Nationalversammlung erklärten, Anarchie in Rom sei der Grund der Expedition, logen sie. (Hear, hear!) Als seine Offiziere den Truppen zu Toulon, die sich gegen die Vernichtung einer Schwesterrepublik sträubten, erklärten, es gelte der Kampf nicht gegen Rom, sondern gegen Österreich, logen sie. Nachdem die Armee in Civitavecchia gelandet, logen sie wieder, indem sie sich dem Volke nicht als Feinde, sondern als Freunde ankündigten und heuchlerisch französische und italienische Flaggen durcheinanderwanden! Der französische Bevollmächtigte und seine Unterlinge logen, als sie sich den Zugang zu den Triumvirn bahnten, auf den Vorwand von Unterhandlungen, in der Tat aber, um den Stand der Verteidigungswerke zu untersuchen. General Oudinot log, als er sich verpflichtete, die Stadt nicht vor dem 4. Juni anzugreifen, sie in der Tat aber am 2. angriff und so die Römer überraschte. Das ganze Betragen der Franzosen in diesem verruchten Werke war das überlegter und heuchlerischer Falschheit. (Lärmender Beifall.) Von Louis Bonaparte bis hinab zu seinen niedrigsten Agenten täuschten sie alle Rom, das französische Volk und Europa. Louis Bonsparte hat nie ein freies Italien gewünscht. Was er will, ist ein sardinisches Königreich im Norden, ein anderes Königreich im Süden unter Murat und ein drittes im Zentrum für Vetter Plon Plon. (Beifall und Gelächter.) Diese drei kleinen Monarchien, alle durch Familienbande mit dem Hause Bonaparte verknüpft, alle ihre Inspiration in den Tuilerien suchend, würden dem Louis Bonaparte großen Machtzuwachs in Europa sichern. Der Plan war nicht übel, und seine Ausführung hätte seiner Geschicklichkeit Ehre gemacht, aber Garibaldi hat ihn vereitelt. (Stürmischer Beifall.) Garibaldi selbst ist augenblicklich entwaffnet. Um so mehr wird es die Pflicht des englischen Volkes, den Übergriffen des französischen Despotismus ein Ende zu machen und die Tore Roms gegen die prätorianischen Horden des Staatsstreichs zu schließen ... Der Bonapartiamus ist der Quell allen Unheils in Europa. Jedoch die Tage seiner Macht sind gezahlt ... Ein unerbittlicher |543| Wille, Hunderttausende von Soldaten, alle tödlichen Instrumente des Krieges im Überfluß, ein Senat, vollgepackt mit servilen Stellenjägern, ein von Gendarmen und Prafekten zusammengetrommeltes Repräsentantenhaus - aber auf der andern Seite steht die Menschennatur, die ihre ewigen Rechte zu wahren hat!" (Stürmischer Beifall.)
Herr Cowen motivierte und verlas sodann das an Lord Russell gerichtete Memorandum, das einstimmig angenommen ward, nachdem der Versuch eines gewissen Herrn Rule, Partei "für unseren erhabenen Alliierten jenseits des Kanals" zu ergreifen, unter einem Sturm von Zischen, Gellen, Grunzen und Lachen begraben worden.
Herr Rutherford (ein protestantischer Geistlicher) stellte darauf den zweiten Antrag, dahin lautend:
"Dies Meeting ladet den General Garibaldi ein, seinen Wohnplatz in England aufzuschlagen, und versichert ihn der beständigen und wachsenden Bewunderung von seiten des englischen Volkes."
In der Motivierung seines Antrages bemerkt Herr Rutherford unter anderm:
"Sollte der Papst Rom zu heiß finden, so wird auch er ein Asyl in England finden. Wir werden ihn sogar bewillkommnen, nicht als weltlichen Fürsten, sondern als das Haupt einer ungeheuren Kirche."
Der Antrag passierte einstimmig. Der Vorsitzende schloß die Verhandlung mit einer heftigen Apostrophe gegen "den Despoten zu Paris".
"Er solle sich erinnern des alten Italiens mit seinem Brutus und Cassius; er solle sich der Nemesis erinnern, die ihm auf den Fersen sitze; er solle, gleich Macbeth, bedenken, daß ein bewaffneter Arm und ein gewappnetes Haupt mitten aus der Erde aufsteigen könne, und er solle nicht vergessen, daß nicht allen Orsini der Kopf abgeschlagen sei."
So Herr Stadtrat Newton. Die augenblickliche Sprache englischer Zeitungen und Meetings erinnert an die ersten Tage nach dem coup d'état, so grell kontrastierend mit den späteren Hymnen auf den "Retter der Gesellschaft".