Inhaltsverzeichnis Artikel und Korrespondenzen 1862
Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 15, 4. Auflage 1972, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1961, Berlin/DDR. S. 527-529.
1. Korrektur.
Erstellt am 25.10.1998.
["Die Presse" Nr. 233 vom 24. August 1862]
|527| London, 20. August 1862
Lord John Russell ist unter den Engländern bekannt als "letter writer" (Briefschreiber). In seinem letzten Schreibebrief an Herrn Stuart klagt er über die Insulte der nordamerikanischen Blätter gegen "Old England". Et tu, Brute! |Auch du, Brutus!| Es ist unmöglich, einen respektablen Engländer unter vier Augen zu sprechen, der bei dieser tour de force |Kraftstück| nicht die Hände über dem Kopf zusammenschlüge! Die englische Journalistik hat bekanntlich Unübertroffenes geleistet von 1789-1815 in ihren gehässigen Wutausfällen gegen die französische Nation. Und dennoch hat sie wahrend des letzten Jahres diese Tradition überboten durch ihre "malignant brutality" (bösartige Brutalität) gegen die Vereinigten Staaten! Ein paar Beispiele aus letzter Zeit mögen genügen.
"Wir schulden", sagen die "Times", "unser ganzes moralisches Gewicht unseren Stammverwandten" (den südlichen Sklavenhaltern), "die so tapfer und ausdauernd für ihre Freiheit kämpfen, gegen eine Mischrasse von Räubern und Unterdrückern."
Die New York "Evening Post" (das Abolitionisten-Organ) bemerkt hierzu:
"Sind diese englischen Pasquillschreiber, diese Nachkommen von Briten, Dänen, Sachsen, Kelten, Normannen und Holländern von so reinem Blut, daß alle anderen Bevölkerungen ihnen gegenüber als Mischrassen erscheinen?"
Kurz nach Veröffentlichung des obigen Passus nannten die "Times", in fetter Garmondschrift, den Präsidenten Lincoln "einen respektablen |528| Hanswurst", seine Minister "eine Bande von Schurken und Lumpen", und die Armee der Vereinigten Staaten "eine Armee, deren Offiziere Yankee-Schwindler und deren Gemeine deutsche Diebe sind". Und Lord John Russell, unbefriedigt von den Lorbeern seiner Schreibebriefe an den Bischof von Durham und an Sir James Hudson zu Turin, wagt in seinem Briefe an Stuart von den "Insulten der nordamerikanischen Presse" gegen England zu sprechen.
Es ist indes dafür gesorgt, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Aber bösartiger Impertinenz und gehässiger Ranküne zum Trotz wird das offizielle England seinen Frieden mit den "Yankee-Schwindlern" halten und seine tiefen Sympathien mit den hochherzigen Menschenblutverkäufern des Südens auf löschpapierne Redensarten und vereinzelte Schmuggelunternehmungen beschränken, denn mit einer Kornteuerung ist nicht zu spaßen, und jeder Konflikt mit den Yankees würde jetzt die Hungersnot der Baumwollnot hinzufügen.
England hat seit langem aufgehört von seiner eigenen Kornproduktion zu leben. In den Jahren 1857, 1858 und 1859 führte es für 66 Millionen Pfund Sterling an Korn und Mehl ein, in den Jahren 1860, 1861 und 1862 für 118 Millionen Pfund Sterling. Was die Masse des eingeführten Getreides und Mehles betrifft, so betrug sie 1859 10.278.774 Quarters, 1860 14.484.976 Quarters, und 1861 16.094.914 Quarters. Während der letzten fünf Jahre allein stieg daher der Getreideimport um 50 Prozent.
England führt jetzt in der Tat bereits die Hälfte seines Getreidebedarfes vom Auslande ein. Und es ist alle Wahrscheinlichkeit vorhanden, daß das kommende Jahr wenigstens 30 Prozent dieser Einfuhr zufügen wird, wir meinen 30 Prozent an Kostenpreis, da die sehr reichliche Ernte in den Vereinigten Staaten ein zu hohes Steigen der Kornpreise verhindern wird. Daß aber der diesjährige Ausfall der Getreideernte 1/4 bis 1/5 unter der Durchschnittsernte betragen wird, ist so gut wie erwiesen durch die ausführlichen Berichte, die der "Mark Lane Express" und "The Gardeners' Chronicle and Agricultural Gazette" aus allen ackerbauenden Distrikten eben veröffentlicht haben. Wenn Lord Brougham nach dem Frieden von 1815 sagte, daß England durch die Staatsschuld von einer Milliarde Europa ein Faustpfand für seine "good behaviour" (gute Aufführung) gebe, so gibt der diesjährige Getreideausfall den Vereinigten Staaten die beste Versicherung, daß England "will not break the Queen's peace" (den Königsfrieden nicht brechen wird).
Es ist mir der Brief eines der besten Freunde Garibaldis aus Genua mitgeteilt worden, wovon ich hier einige Auszüge gebe.
|529| Es heißt unter anderm darin:
"Die letzten Briefe Garibaldis und verschiedener Offiziere seines Lagers kamen gestern (16. August) hier an. Sie sind datiert vom 12. August. Alle atmen den unerschütterlichen Entschluß des Generals, an seinem Programm: 'Rom oder den Tod!' festzuhalten und enthalten peremtorische Ordres in diesem Sinn an seine Freunde. Andrerseits gingen gestern positive Befehle von Turin an den General Cugia ab, zu den letzten Tätlichkeiten zu schreiten, d.h. mit Schuß- und Stichwaffe auf die Freiwilligen loszugehen und den Garibaldi und seine Freunde gefangenzunehmen, falls er sich weigere, in vierundzwanzig Stunden die Waffen zu strecken. Wenn die Truppen Gehorsam leisten, steht eine ernste Katastrophe bevor. Der Beschluß extremer Maßregeln wurde gefaßt infolge eines Telegramms von Paris, dahin lautend: 'Der Kaiser wird sich nicht herablassen zur Verhandlung mit der italienischen Regierung, bevor Garibaldi entwaffnet ist.' Hätte Rattazzi sein Vaterland mehr geliebt als sein Amt, so hätte er resigniert und dem Ricasoli oder einem andern minder unpopulären Minister erlaubt, an seine Stelle zu treten. Er würde bedacht haben, daß mit Louis Bonaparte gegen Italien, statt mit Italien gegen Bonaparte Partei ergreifen, die Monarchie gefährden heißt, der er zu dienen vorgibt. Fließt in Sizilien italienisches Blut durch italienische Hände, so ist es nicht Garibaldis Schuld, denn sein Wahlruf ist: 'Es lebe die italienische Armee!', und die enthusiastische Weise, womit diese Armee überall empfangen wird, beweist, welchen Gehorsam Garibaldi findet. Sollte aber die Armee das Blut der Freiwilligen vergießen, wer wagt auf ruhiges Dulden seitens des Volkes zu rechnen?"