Inhaltsverzeichnis Artikel und Korrespondenzen 1862

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 15, 4. Auflage 1972, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1961, Berlin/DDR. S. 499-501.

1. Korrektur.
Erstellt am 25.10.1998.

Karl Marx

Die englische Presse und der Fall von New Orleans


["Die Presse" Nr. 138 vom 20. Mai 1862]

|499| London, 16. Mai 1862

Bei der Ankunft der ersten Gerüchte vom Fall von New Orleans bewiesen "Times", "Herald", "Standard", "Morning Post", "Daily Telegraph" und andere englische "sympathisers" |"Mitfühlende"| mit den südlichen niggerdrivers |Niggerschindern| strategisch, taktisch, philologisch, exegetisch, politisch, moralisch und festungsbaulich, daß das Gerücht einer der "Canards" |"Zeitungsenten"| sei, wie ihn Reuter, Havas, Wolff und ihre understrappers |Unteragenten| so oft fliegen lassen. Die natürlichen Schutzmittel von New Orleans seien nicht nur erhöht, hieß es, durch neu angelegte Forts, sondern durch unterseeische Höllenmaschinen aller Art und eisenbepanzerte Kanonenboote. Dann die spartanische Gesinnung der New-Orleanisten und ihr tödlicher Haß gegen Lincolns Soldknechte. Endlich, hatte England nicht vor New Orleans die Niederlage erlebt, die seinem zweiten Krieg gegen die Vereinigten Staaten (1812-1814) ein schmähliches Ende machte? Nichts also ließ bezweifeln, daß New Orleans als zweites Saragossa oder Moskau des "Südentums" sich verewigen werde. Außerdem barg es 15.000 Ballen Baumwolle, mit denen es so leicht war, ein unauslöschliches Selbstverzehrungsfeuer anzuzünden, ganz abgesehen davon, daß 1814 die gehörig angefeuchteten Baumwollballen sich unverwüstlicher gegen Brandgeschütze bewiesen als die Erdwerke von Sewastopol. Der Fall von New Orleans war also sonnenklar eine der bekannten Yankee-Windbeuteleien.

Als die ersten Gerüchte durch zwei Tage später von New York eingetroffene Dampfer sich bestätigten, verharrte das Gros der englischen |500| Pro-Sklaverei-Presse in seiner Skepsis. Der "Evening Standard" namentlich war so bombenfest in seinem Unglauben, daß dieselbe Nummer einen ersten Leitartikel veröffentlichte, worin die Uneinnehmbarkeit der Halbmondstadt bewiesen war, schwarz auf weiß, und die "neuesten Nachrichten" mit großgedruckten Buchstaben den Fall der uneinnehmbaren Stadt anzeigten. Die "Times" jedoch, die Diskretion stets für den bessern Teil der Tapferkeit hielten, machten eine Wendung. Sie zweifelten noch, aber sie machten sich zugleich auf alles gefaßt, da New Orleans eine Stadt von "rowdies" und nicht von Heroen sei. Die "Times" hatten diesmal recht. New Orleans ist eine Pflanzung des Auswurfs der französischen Bohème - im eigentlichen Sinne des Wortes eine französische Verbrecherkolonie - und nie, im Umschwung der Zeit, hat es seinen Ursprung verleugnet. Nur kamen die "Times" post festum |hinterher| zu dieser ziemlich allgemein verbreiteten Einsicht.

Endlich aber schlug das fait accompli |die vollendete Tatsache| selbst den blindesten Thomas. Was tun? Die englische Pro-Sklaverei-Presse beweist jetzt, daß der Fall von New Orleans ein Vorteil für die Konföderierten und eine Niederlage für die Föderalisten ist.

Der Fall von New Orleans erlaubte dem General Lovell, mit seinen Truppen die Armee Beauregards zu verstärken, der solcher Verstärkung um so mehr bedurfte, als in seiner Front 160.000 Mann (wohl übertrieben!) von Halleck konzentriert sein sollen, und andererseits General Mitchel Beauregards Verbindung mit dem Osten abgeschnitten hatte, durch Unterbrechung der Eisenbahnverbindung von Memphis nach Chattanooga, d.h. nach Richmond, Charleston und Savannah. Beauregard hatte nach dieser Abschneidung (die wir lange vor der Schlacht von Corinth als notwendigen strategischen Zug bezeichneten) keine Eisenbahnverbindung von Corinth mehr außer der mit Mobile und New Orleans. Nachdem New Orleans gefallen und er auf die einzige Eisenbahn nach Mobile angewiesen, konnte er natürlich seinen Truppen nicht mehr den nötigen Proviant schaffen, fiel deshalb auf Tupelo zurück, und seine Verpflegungsfähigkeit wird nach dem Urteil der englischen Pro-Sklaverei-Presse natürlich durch den Einmarsch von Lovells Truppen erhöht!

Andererseits, bemerken dieselben Orakel, wird das gelbe Fieber die Föderalisten in New Orleans aufreiben, und schließlich, wenn die Stadt selbst kein Moskau ist, ist ihr Bürgermeister nicht ein Brutus? Man lese (vergl. "New York") nur sein melodramatisch-tapferes Schreiben an |501| Kommodore Farragut. "Brave words, Sir, brave words!"' Aber harte Worte brechen keine Knochen.

Die Preßorgane der südlichen Sklavenhalter jedoch fassen den Fall von New Orleans nicht so optimistisch auf, wie ihre englischen Trostspender. Man wird dies aus folgenden Auszügen ersehen.

Der "Richmond Dispatch" sagt:

"Was ist aus den eisenbepanzerten Kanonenbooten, dem 'Mississippi' und der 'Louisiana' geworden, von denen wir die Rettung der Halbmondstadt erwarteten? Diese Schiffe hätten, in Anbetracht ihrer Wirkung gegen den Feind, ebensowohl Glasschiffe sein können. Es ist nutzlos, zu leugnen, daß der Fall von New Orleans ein schwerer Schlag ist. Die konföderierte Regierung ist dadurch von Westlouisiana, Texas, Missouri und Arkansas abgeschnitten."

Das "Norfolk Day Book" bemerkt:

"Dies ist die ernsthafteste Niederlage seit Beginn des Krieges. Sie auguriert Entbehrungen und Mangel für alle Klassen der Gesellschaft, und was das Schlimmste, sie bedrohte die Zufuhren für unsere Armee."

Der "Atlantic Intelligenzer" klagt:

"Wir erwarteten ein anderes Resultat. Die Annäherung des Feindes war keine Überrumpelung; sie war lange vorhergesehen, und man hatte uns versprochen, daß, sollte er selbst bei Fort Jackson vorbeipassieren, furchtbare artilleristische Mittel ihn zum Rückzug zwingen oder seine Vernichtung sichern würden. In alledem haben wir uns getauscht, wie jedesmal, wo Befestigungswerke die Sicherheit eines Platzes oder einer Stadt garantieren sollten. Es scheint, daß moderne Erfindungen die Verteidigungsfähigkeit von Festungswerken vernichtet haben. Eisengepanzerte Kanonenboote zerstören sie oder segeln ungeniert bei ihnen vorbei. Memphis, wir fürchten, wird das Schicksal von New Orleans teilen. Uns mit einer Hoffnung zu täuschen, wäre es nicht Torheit?"

Endlich der "Petersburg Express"

"Die Einnahme von New Orleans durch die Föderalisten ist das außerordentlichste und verhängnisvollste Ereignis des ganzen Krieges."