Inhaltsverzeichnis Artikel und Korrespondenzen 1862

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 15, 4. Auflage 1972, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1961, Berlin/DDR. S. 482-485.

1. Korrektur.
Erstellt am 25.10.1998.

Karl Marx

Die Sezessionistenfreunde im Unterhaus -
Anerkennung der amerikanischen Blockade


["Die Presse" Nr. 70 vom 12. März 1862]

|482| London, 8. März 1862

Parturiunt montes! |Die Berge kreißen!| Die englischen Freunde Sezessias hatten seit Eröffnung des Parlaments mit einem "Antrag" über die amerikanische Blockade gedroht. Der Antrag ist endlich im Unterhause eingebracht worden in der sehr bescheidenen Form einer Motion, worin die Regierung aufgefordert wird, "weitere Dokumente über den Stand der Blockade vorzulegen" - und selbst diese unscheinbare Motion ward verworfen ohne die Förmlichkeit eines Namenaufrufs.

Herr Gregory, der Antragsteller, Mitglied für Galway, hatte bereits in der vorjährigen Parlamentssession, kurz nach Ausbruch des Bürgerkriegs, eine Motion auf Anerkennung der südlichen Konföderation eingebracht. Seinem diesjährigen Speech ist eine gewisse sophistische Gewandtheit nicht abzusprechen. Nur leidet die Rede an dem üblen Umstand, daß sie in zwei Teile zerfällt, wovon der eine den andern aufhebt. Der eine Teil schildert die unheilvollen Wirkungen der Blockade auf die englische Baumwollindustrie und verlangt daher Beseitigung der Blockade. Der andere Teil beweist aus den vom Ministerium vorgelegten Papieren, darunter zwei Eingaben der Herren Yancey und Mann und des Herrn Mason, daß die Blockade überhaupt nicht existiert, außer auf dem Papier, daher nicht länger anzuerkennen sei. Herr Gregory würzte seine Beweisführung durch fortlaufende Zitation der "Times". Die "Times", denen eine Erinnerung an ihre Orakelspruche in diesem Augenblicke durchaus ungelegen kommt, |483| danken Herrn Gregory durch einen Leader |Leitartikel|, worin sie ihn dem öffentlichen Gelächter preisgeben.

Herrn Gregorys Antrag wurde unterstützt von Herrn Bentinck, einem Ultra-Tory, der sich seit zwei Jahren vergebens abgemüht hat, im konservativen Lager eine Sezession von Herrn Disraeli zu bewirken.

Es war an und für sich ein lächerliches Schauspiel, die angeblichen Interessen der englischen Industrie von Gregory, dem Repräsentanten Galways, eines unbedeutenden Hafens im Westen Irlands, und von Bentinck, dem Repräsentanten von Norfolk, einem reinen Agrikulturdistrikt, vertreten zu sehen.

Gegen beide erhob sich Herr Forster, Repräsentant Bradfords, eines Zentrums der englischen Industrie. Forsters Rede verdient näheres Eingehen, da sie die Nichtigkeit der von den Sezessionsfreunden in Europa gangbar gemachten Redensarten über den Charakter der amerikanischen Blockade schlagend beweist. Erstens, sagte er, haben die Vereinigten Staaten alle völkerrechtlich erheischten Formalitäten erfüllt. Sie haben keinen Hafen in Blockadezustand erklärt ohne vorherige Proklamation, ohne spezielle Anzeige über den Zeitpunkt seiner Eröffnung und. ohne Festsetzung der 15 Tage, nach deren Ablauf fremden neutralen Schiffen Einfahrt und Ausfahrt untersagt sein solle.

Das Gerede von der gesetzlichen "Unwirksamkeit" der Blockade beruht also nur auf den angeblich häufigen Fällen, worin sie durchbrochen worden. Vor Eröffnung des Parlaments hieß es, 600 Schiffe hätten sie durchbrochen. Herr Gregory reduziert die Zahl jetzt auf 400. Sein Beweismaterial beruht auf zwei Listen, die eine am 30. November von den südlichen Kommissären Yancey und Mann, die andere Supplementarliste von Mason der Regierung eingehändigt. Nach Yancey und Mann durchbrachen seit der Proklamation der Blockade bis zum 20. August mehr als 400 Schiffe, sei es, daß sie einliefen, sei es, daß sie ausliefen, die Sperre. Nun beträgt aber nach offiziellen Zollhausberichten die Gesamtzahl der ein- und ausgelaufenen Schiffe nur 322. Von dieser Zahl liefen 119 aus vor der Erklärung der Blockade, 56 vor Ablauf der gestatteten Frist von 15 Tagen. Bleiben 147 Schiffe. Von diesen 147 Schiffen waren 25 Flußboote, die von Irland nach New Orleans segelten, wo sie brachliegen; 106 waren Küstenfahrer, alle, mit Ausnahme von 3 Schiffen, nach dem Ausdrucke des Herrn Mason selbst, "quasi-inland"-Schiffe. Von diesen 106 segelten 66 zwischen Mobile und New Orleans. Jeder, der diese Küste kennt, weiß, wie abge- |484| schmackt es ist, das Segeln eines Schiffes hinter Lagunen, so daß es kaum die offene See berührt und nur an der Küste hinkriecht, einen Bruch der Blockade zu nennen. Dasselbe gilt von den Schiffen zwischen Savannah und Charleston, wo sie zwischen Inseln in engen Landzungen hinschleichen. Nach der Aussage des englischen Konsuls Bunch erschienen diese flachen Schiffe nur während weniger Tage auf der offenen See. Nach Abzug der 106 Küstenfahrer bleiben 16 Abfahrten nach fremden Häfen, davon 15 nach amerikanischen Häfen, hauptsächlich Kuba, und 1 nach Liverpool. Das "Schiff", das in Liverpool landete, war ein Schoner, und so waren alle die übrigen "Schiffe", mit Ausnahme einer Schaluppe. Man hat, rief Herr Forster aus, viel von Scheinblockaden gesprochen. Ist diese Liste der Herren Yancey und Mann nicht eine Scheinliste? Einer ähnlichen Analyse unterwarf er die Supplementarliste des Herrn Mason und zeigte noch, wie die Zahl der entschlüpften Kreuzer nur 3 oder 4 betrage, während in dem letzten englisch-amerikanischen Krieg nicht weniger als 516 amerikanische Kreuzer die englische Blockade durchbrachen und die englische Seeküste beunruhigten. "Die Blockade war umgekehrt wunderbar effektiv seit ihrer Eröffnung."

Weiteren Beweis liefern die Berichte der englischen Konsuln, vor allem aber die südlichen Preiskurante. Am 11. Januar bot der Preis der Baumwolle in New Orleans eine Prämie von 100 Prozent für die Ausfuhr nach England; der Profit auf Einfuhr von Salz betrug 1.500 Prozent, und der Profit auf Kriegskontrebande war noch ungleich höher. Trotz dieser lockenden Aussicht auf Gewinn war es ebenso unmöglich, Baumwolle nach England als Salz nach New Orleans oder Charleston zu verschiffen. In der Tat aber klagt Herr Gregory nicht darüber, daß die Blockade unwirksam, sondern daß sie zu wirksam. Er fordert uns auf, ihr ein Ende zu machen und mit ihr der Lähmung der Industrie und des Handels. Eine Antwort sagt:

"Wer fordert dies Haus auf, die Blockade zu brechen? Die Repräsentanten der leidenden Distrikte? Ertönt dieser Schrei von Manchester, wo man die Fabriken schließen muß, oder von Liverpool, wo die Schiffe aus Mangel an Fracht in den Docks brachliegen? Umgekehrt. Er ertönt von Galway und ist unterstützt durch Norfolk."

Von sezessionsfreundlicher Seite machte sich noch Herr Lindsay, großer Schiffsbauer in North Shields, bemerkbar. Lindsay hatte seine Schiffswerfte der Union angeboten und war zu diesem Behuf nach Washington gereist, wo er den Verdruß erlebte, seine geschäftlichen Anerbietungen abgewiesen zu sehen. Seit der Zeit hat er seine Sympathien dem Land Sezessia zugewendet.

|485| Die Debatte wurde abgeschlossen durch eine ausführliche Rede Sir R. Palmers, des Sollicitor General, der im Namen der Regierung sprach. Er bewies juristisch-gründlich die völkerrechtliche Kraft und Zulänglichkeit der Blockade. Bei dieser Gelegenheit riß er in der Tat, wie ihm Lord Cecil vorwarf, die in der Pariser Konvention von 1856 proklamierten "neuen Grundsätze" zu Fetzen. Unter anderm äußerte er seine Verwunderung, daß Gregory und Konsorten in einem britischen Parlament sich auf die Autorität des Monsieur de Hautefeuille zu berufen wagten. Es ist dies allerdings eine im bonapartiatischen Lager nagelneu erfundene "Autorität". Hautefeuilles Aufsätze in der "Revue contemporaine" über die Seerechte Neutraler beweisen die vollständigste Ignoranz oder mauvaise foi |Unehrlichkeit| auf höheren Befehl.

Mit dem vollständigen Fiasko der parlamentarischen Sezessionsfreunde in der Blockadefrage ist alle Aussicht auf einen Bruch zwischen England und den Vereinigten Staaten beseitigt.