Inhaltsverzeichnis Artikel und Korrespondenzen 1862

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 15, 4. Auflage 1972, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1961, Berlin/DDR. S. 436-438.

1. Korrektur.
Erstellt am 25.10.1998.

Karl Marx

Amerikafreundliches Meeting


["Die Presse" Nr. 5 vom 5. Januar 1862]

|436| London, 1. Januar 1862

Die antikriegerische Bewegung in dem englischen Volke gewinnt von Tag zu Tag an Energie und Umfang. Öffentliche Meetings in den verschiedensten Teilen des Landes bestehen auf schiedsrichterlicher Schlichtung des Zwistes zwischen England und Amerika. Memorandums in diesem Sinne regnen auf den Chef des Kabinetts, und die unabhängige Provinzialpresse ist beinahe einstimmig in ihrer Opposition gegen das Kriegsgeschrei der Londoner Presse.

Nachstehend folgt ein ausführlicherer Bericht über das letzten Montag in Brighton abgehaltene Meeting, weil es von der Arbeiterklasse ausging und die beiden Hauptredner, die Herren Conningham und White, einflußreiche Parlamentsmitglieder sind, die beide auf der ministeriellen Seite des Hauses sitzen.

Herr Wood (ein Arbeiter) stellte den ersten Antrag, dahin lautend,

"daß der Zwist zwischen England und Amerika aus einer Mißdeutung des Völkerrechts entsprang, nicht aber aus einem absichtlichen Insult gegen die britische Flagge; daß daher dies Meeting der Meinung ist, die ganze Streitfrage solle der schiedsrichterlichen Entscheidung einer neutralen Macht überwiesen werden; daß ein Krieg mit Amerika unter den vorliegenden Umständen nicht zu rechtfertigen, vielmehr die Verdammung des englischen Volks verdiene".

Zur Unterstützung seines Antrages bemerkte Herr Wood unter anderm:

"Man sage, dieser neue Insult sei bloß der letzte Ring einer Kette von Insulten, die Amerika England geboten habe. Gesetzt, dies sei wahr, was würde es für das Kriegsgeschrei im gegenwärtigen Augenblicke beweisen? Es würde beweisen, daß, solange Amerika ungeteilt und stark war, wir seine Insulten ruhig hinnahmen; aber jetzt, in der |437| Stunde seiner Gefahr, die uns günstige Position benützen, um den Insult zu rächen. Würde solch ein Verfahren uns in den Augen der zivilisierten Welt nicht als Feiglinge brandmarken?"

Herr Conningham:

"... In diesem Augenblicke entwickelt sich im Schoße der Union eine ausgesprochene Emanzipationspolitik (Beifall), und ich spreche die ernste Hoffnung aus, daß keine Intervention seitens der englischen Regierung erlaubt werden wird. (Beifall.) ... Wollt ihr, freigeborene Engländer, zugeben, daß man euch in einen antirepublikanischen Krieg verwickelt? Denn das ist die Absicht der 'Times' und der Partei, die hinter ihnen steht ... Ich appelliere an die Arbeiter von England, die das größte Interesse an der Erhaltung des Friedens haben, ihre Stimmen und nötigenfalls ihre Hände zur Verhinderung eines so großen Verbrechens zu erheben. (Lauter Beifall.) ... Die 'Times' haben alle Mittel aufgeboten, um den kriegerischen Geist des Landes aufzustacheln und durch bittern Hohn und Schmähungen eine feindselige Stimmung unter den Amerikanern zu erzeugen ... Ich gehöre nicht zu der sogenannten Friedenspartei. Die 'Times' begünstigen Rußlands Politik und boten (1853) alle ihre Kräfte auf, um unser Land zu verleiten, den militärischen Übergriffen russischer Barbarei im Osten ruhig zuzusehen. Ich war unter denen, die ihre Stimme gegen diese falsche Politik erhoben. Zur Zeit der Einbringung der Verschwörungsbill, welche die Auslieferung politischer Flüchtlinge erleichtern sollte, schien kein Kraftaufwand der 'Times' zu groß, um diese Bill durch das Unterhaus zu forcieren. Ich gehörte zu den 99 Gliedern des Hauses, die diesem Eingriff in die Freiheiten des englischen Volkes widerstanden und den Minister stürzten. (Beifall.) Dieser Minister befindet sich jetzt an der Spitze des Kabinetts. Ich prophezeie ihm, sollte er unser Land ohne gute und zureichende Gründe in einen Krieg mit Amerika zu verwickeln suchen, daß sein Plan schmählich scheitern wird. Ich verspreche ihm eine neue schmähliche Niederlage, eine größere Niederlage, als ihm bei Gelegenheit der Verschwörungsbill zu Teil ward. (Lauter Beifall.) ... Ich kenne die offizielle Botschaft nicht, die nach Washington gesendet ist; aber die Meinung herrscht vor, daß die Kronjuristen der Regierung empfohlen haben, sich auf den ganz engen Rechtsgrund zu stellen, daß die südlichen Kommissäre nicht ohne das Schiff, das sie trug, abgefangen werden durften. Daraufhin soll als conditio sine qua non |unerläßliche Bedingung| die Auslieferung von Slidell und Mason verlangt werden.

Gesetzt, das Volk auf der andern Seite des Atlantischen Ozeans erlaube seiner Regierung diese Auslieferung nicht. Wollt ihr in den Krieg ziehen für die Körper dieser zwei Abgesandten der Sklaventreiber? ... Es existiert in diesem Lande eine antirepublikanische Kriegspartei. Erinnert euch an den letzten russischen Krieg. Durch die Petersburger Veröffentlichung der geheimen Depeschen ward es über allen Zweifel klar, daß die von den 'Times' 1855 veröffentlichten Artikel von einer Person geschrieben waren, die Zugang zu geheimen russischen Staatspapieren und Dokumenten hatte. Herr Layard verlas damals die schlagenden Stellen im Unterhaus, und die 'Times', in |438| ihrer Bestürzung, änderten sofort den Ton und stießen den nächsten Morgen in die Kriegsposaune ... Die 'Times' haben den Kaiser Napoleon wiederholt angegriffen und unsere Regierung in ihrer Forderung unbeschränkten Kredits für Landbefestigungen und schwimmende Batterien unterstützt. Nachdem die 'Times' dies getan und den Alarmruf gegen Frankreich erhoben, wollen sie unsere Küste dem französischen Kaiser nun entblößt gegenüberstellen, durch Verwicklung unseres Landes in einen transatlantischen Krieg ... Es steht zu befürchten, daß die gegenwärtigen großen Rüstungen keineswegs nur für den 'Trent'-Fall bezweckt sind, sondern für die Eventualität einer Anerkennung der Regierung der Sklavenstaaten. Tut England dies, so wird es sich mit ewig lastender Schmach bedecken."

Herr White: "

"Der Arbeiterklasse ist die Bemerkung geschuldet, daß sie der Urheber dieses Meetings ist, und daß alle Kosten für die Veranstaltung desselben von ihrem Komitee getragen werden ... Die gegenwärtige Regierung hatte nie den guten Takt, aufrichtig und wahrhaft mit dem Volke zu handeln ... Ich habe nie einen Augenblick an die entfernteste Möglichkeit geglaubt, daß ein Krieg aus dem 'Trent'-Fall erwachse. Ich habe mehr als einem Mitglied der Regierung ins Gesicht gesagt, daß kein einziges Mitglied der Regierung an die Möglichkeit eines Kriegs wegen des 'Trent'-Falls glaubt. Warum also diese mächtigen Vorbereitungen? Ich glaube, daß England und Frankreich sich dahin verständigt haben, die Unabhängigkeit der südlichen Staaten nächstes Frühjahr anzuerkennen. Bis dahin würde Großbritannien eine übermächtige Flotte in den amerikanischen Gewässern haben. Kanada würde vollständig zur Verteidigung gerüstet sein. Sind die Nordstaaten dann geneigt, aus der Anerkennung der Südstaaten einen casus belli zu machen, so wird Großbritannien vorbereitet sein ..."

Der Redner entwickelte dann weiter die Gefahren eines Krieges mit den Vereinigten Staaten, rief die Sympathie ins Gedächtnis, die Amerika beim Tod des Generals Havelock zeigte, die Hilfe, die die amerikanischen Matrosen bei dem unglücklichen Gefecht im Peiho den englischen Schiffen leisteten usw. Er schloß mit der Bemerkung, daß der Bürgerkrieg mit Abschaffung der Sklaverei enden werde und England daher unbedingt auf seiten des Nordens stehen müsse.

Nachdem der ursprüngliche Antrag einstimmig angenommen, wurde dem Meeting ein Memorandum an Palmerston vorgelegt, debattiert und angenommen.