Inhaltsverzeichnis Artikel und Korrespondenzen 1861

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 15, 4. Auflage 1972, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1961, Berlin/DDR. S. 414-418.

1. Korrektur
Erstellt am 25.10.1998.

Karl Marx

Wachsende Sympathien in England

Aus dem Englischen.


["New-York Daily Tribune" Nr. 6467 vom 25. Dezember 1861]

|414| London, 7. Dezember 1861

Die Freunde der Vereinigten Staaten diesseits des Atlantik hoffen besorgt auf versöhnende Schritte der Unionsregierung. Sie tun das nicht in Übereinstimmung mit dem wilden Gekrächz der britischen Presse über einen kriegerischen Zwischenfall, der sich selbst nach Meinung der britischen Kronadvokaten als ein bloßer Prozedurfehler erweist und kurz so zusammengefaßt werden kann, daß ein Bruch des Völkerrechts begangen worden sei, weil Kapitän Wilkes, anstatt den "Trent" mit seiner Fracht, seinen Passagieren und Kommissären in Beschlag zu nehmen, nur die Kommissäre festnahm. Die Besorgnis der Freunde der großen Republik entspringt auch nicht der Annahme, daß sie auf die Dauer unfähig wäre, es mit England aufzunehmen, obgleich sie den Bürgerkrieg im Rücken hat; und erst recht nicht erwarten sie, daß die Vereinigten Staaten, und wenn auch nur für einen Augenblick und in einer schwarzen Stunde der Prüfung, die stolze Position aufgeben, die sie im Rat der Nationen besitzen. Die sie bewegenden Motive sind völlig anderer Art.

In erster Linie ist es die nächste Aufgabe der Vereinigten Staaten, die Rebellion zu unterdrücken und die Union wiederherzustellen. Der in den Gedanken der Sklavenbesitzer und ihrer nordamerikanischen Werkzeuge vorherrschende Wunsch war stets, die Vereinigten Staaten in einen Krieg mit England zu stürzen. Der erste Schritt Englands bei Ausbruch eines Krieges wäre die sofortige Anerkennung der Süd-Konföderation und der zweite die Beendigung der Blockade. Zweitens wird kein General, wenn er nicht dazu gezwungen wird, eine Schlacht annehmen, deren Zeitpunkt und Bedingungen der Gegner gewählt hat.

|415| "Ein Krieg mit Amerika", sagt der .Economist", eine Zeitung, die das tiefe Vertrauen Lord Palmerstons genießt, "muß immer eines der beklagenswertesten Ereignisse in der Geschichte Englands sein; doch wenn es dazu kommen sollte, so ist gegenwärtig gewiß der Zeitpunkt, in dem er uns sehr wenig schaden könnte, und der einzige Augenblick in unseren gemeinsamen Annalen, in dem er uns eine unerwartete und teilweise Kompensation leisten würde."

Gerade weil England so begierig ist, jeden leidlichen Vorwand zum Krieg in "diesem einzigen Augenblick" zu ergreifen, sollten die Vereinigten Staaten sich hüten, England in "diesem einzigen Augenblick" einen solchen Vorwand zu bieten. Man beginnt einen Krieg nicht mit dem Vorsatz, seinem Feind "sehr wenig zu schaden" und ihm durch den Krieg sogar "eine unerwartete und teilweise Kompensation zu leisten". Die Gunst des Augenblicks wäre völlig auf einer Seite, auf der Seite des englischen Gegners. Braucht man sehr viel Überlegung, um zu beweisen, daß der in einem Staat tobende Bürgerkrieg der ungünstigste Zeitpunkt zum Beginn eines äußeren Krieges ist? Bei jeder anderen Gelegenheit hätten die handeltreibenden Schichten Großbritanniens mit äußerstem Entsetzen einem Krieg gegen die Vereinigten Staaten entgegengesehen. Jetzt dagegen hat ein großer und einflußreicher Teil der Handelswelt die Regierung seit Monaten gedrängt, die Blockade mit Gewalt zu brechen und dadurch den Hauptzweig der britischen Industrie mit den nötigen Rohstoffen zu versorgen. Die Furcht vor einer Beschränkung des englischen Exporthandels mit den Vereinigten Staaten hat ihren Stachel verloren, da der Handel in der Tat bereits eingeschränkt ist. "Sie" (die Nordstaaten), sagt der "Economist", "sind schlechte Kunden, und keine guten." Der gewaltige Kredit, den der englische Handel den Vereinigten Staaten gewöhnlich gab, hauptsächlich durch die Annahme von Wechseln, die auf China und Indien gezogen wurden, wurde bereits auf kaum ein Fünftel des Standes von 1857 reduziert. Last not least stürzt sich das dezembristische Frankreich, bankrott, innerlich gelähmt, mit äußeren Schwierigkeiten bedrängt, auf den englisch-amerikanischen Krieg als ein wahres Geschenk Gottes, und will, um sich die englische Unterstützung in Europa zu erkaufen, seine ganze Macht aufwenden, um das "perfide Albion" jenseits des Atlantik zu unterstützen. Man lese nur die französischen Zeitungen. Der Grad der Entrüstung, zu dem sie sich in ihrer liebevollen Besorgnis um die "Ehre Englands" gesteigert haben, ihre langen Tiraden darüber, daß England die Beleidigung des Union Jack rächen müsse, ihre gemeinen Ausfälle gegen alles Amerika- |416| nische - all das könnte wahrhaft erschreckend sein, wenn es nicht lächerlich und zugleich abstoßend wäre. Schließlich verlören die Vereinigten Staaten kein Jota ihrer Würde, wenn sie in diesem Fall nachgäben. England hat seine Anklage auf einen reinen Prozedurfehler, ein technisches Versehen herabgemindert, dessen es sich während all seiner Seekriege systematisch selber schuldig gemacht hat, wogegen die Vereinigten Staaten jedoch unaufhörlich protestierten und worüber sich Präsident Madison in seiner Botschaft, die den Krieg von 1812 einleitete, als eine der empörendsten Verletzungen des Völkerrechts weitläufig ausließ. Wenn man zur Verteidigung der Vereinigten Staaten bemerken könnte, daß sie England mit gleicher Münze zurückzahlen, würde man sie verurteilen, weil sie sich großzügig von dem distanzieren, was ein einzelner amerikanischer Kapitän auf eigene Verantwortung tat und was sie stets als systematische Usurpation seitens der britischen Marine erklärten! In der Tat wäre der Vorteil bei einem solchen Vorgehen ganz auf seiten der Amerikaner. Einerseits würde England das Recht der Vereinigten Staaten anerkennen, jedes im Dienste der Konföderation stehende englische Schiff in Beschlag zu nehmen und vor ein amerikanisches Prisengericht zu bringen. Andererseits hätte England ein für allemal vor den Augen der ganzen Welt praktisch eine Forderung aufgegeben, von der abzugehen es weder durch den Genter Frieden vom Jahre 1814 noch durch die zwischen Lord Ashburton und Minister Webster 1842 geführten Verhandlungen gebracht wurde. Die Frage läuft schließlich darauf hinaus: Ziehen Sie es vor, das "mißliebige Ereignis" zu eigenen Gunsten zu gestalten oder durch den momentanen Zorn geblendet, zugunsten der inneren und äußeren Feinde?

Seitdem ich Ihnen vor acht Tagen meinen letzten Artikel übersandt habe, sind die britischen konsolidierten Staatspapiere wieder gefallen, sie sind im Vergleich zum letzten Freitag um 2 Prozent niedriger, der gegenwärtige Preis ist 893/4 bis 897/8 gegen bar und 90 bis 901/8 für die neue Rechnung am 9. Januar. Diese Notierung entspricht der Notierung der britischen konsolidierten Staatspapiere während der ersten zwei Jahre des englisch-russischen Krieges. Dieser Kurssturz ist ganz und gar eine Antwort auf die kriegslustigen Erklärungen amerikanischer Zeitungen, die mit der letzten Post ankamen; auf den erbitterten Ton der Londoner Presse, deren zweitägige Mäßigung nur eine von Palmerston befohlene Finte war; auf die Entsendung von Truppen nach Kanada; auf die Proklamation, die den Export von Waffen und Material für die Herstellung von Schießpulver |417| verbietet; schließlich auf die täglichen prahlerischen Erklärungen über die gewaltigen Kriegsvorbereitungen in den Werften und Marine-Arsenalen.

Einer Sache kann man sicher sein, Palmerston möchte einen legalen Vorwand für einen Krieg mit den Vereinigten Staaten haben, trifft jedoch im Kabinett auf die entschiedenste Opposition der Herren Gladstone, Milner Gibson und in geringerem Maße auch Sir Cornewall Lewis. "Der edle Viscount" wird von Russell, einem servilen Werkzeug in seiner Hand, und von der ganzen Whig-Sippschaft unterstützt. Wenn das Washingtoner Kabinett den erwünschten Vorwand liefern sollte, wird das gegenwärtige Kabinett gesprengt und durch eine Tory-Regierung ersetzt werden. Die vorbereitenden Schritte für einen solchen Szenenwechsel sind bereits zwischen Palmerston und Disraeli abgemacht. Deshalb das wütende Kriegsgeschrei des "Morning Herald" und des "Standard", dieser hungrigen Wölfe, die in Erwartung der langvermißten Krumen aus der staatlichen Almosentasche heulen.

Palmerstons Absichten werden sichtbar, wenn man einige wenige Fakten in Erinnerung ruft. Er war es, der am Morgen des 14. Mai, nachdem er durch den Telegraph aus Liverpool informiert worden war, daß Herr Adams am Abend des 13. Mai in London eintreffen werde, auf der Proklamation bestand, die Sezessionisten als kriegführende Macht anzuerkennen. Nach schwerem Kampf mit seinen Kollegen entsandte er 3.600 Soldaten nach Kanada - für die Besetzung einer Front von 1.500 Meilen eine lächerliche Armee, doch ein kluger Taschenspielertrick, wenn die Rebellion angestachelt und die Union gereizt werden sollten. Er drängte vor einigen Wochen Bonaparte, eine gemeinsame bewaffnete Intervention in "den mörderischen Kampf" vorzuschlagen, trat für diesen Vorschlag im Kabinett ein und konnte ihn nur wegen des Widerstandes seiner Kollegen nicht durchbringen. Er und Bonaparte griffen dann zur mexikanischen Intervention als pis aller |letzten Ausweg|. Diese Operation diente zwei Zielen, nämlich bei den Amerikanern gerechte Entrüstung hervorzurufen und zugleich den Vorwand für die Entsendung eines Geschwaders zu liefern, das bereit ist, wie die "Morning Post" es ausdrückt, "alle Pflichten, welche die feindliche Haltung der Washingtoner Regierung von uns in den Gewässern des Nordatlantik fordern könnte, zu erfüllen". Zu dem Zeitpunkt, als diese Expedition aufbrach, schrieb die "Morning Post", zusammen mit der "Times" und den unbedeutenderen Palmerstonschen Pressesklaven, daß es eine schöne und noch dazu eine philanthropische Sache sei, weil es die Sklavenhalter-Konföderation zwei Feuern |418| aussetzen werde - dem sklavereifeindlichen Norden und den sklavereifeindlichen Mächten England und Frankreich. Und was sagt dieselbe "Morning Post", diese seltsame Mischung von Jenkins und Rodomonte, von Schmeichelei und Prahlerei, in ihrer heutigen Ausgabe gelegentlich der Adresse von Jefferson Davis? Man lausche dem Palmerstonschen Orakel:

"Wir müssen von dieser Intervention erwarten, daß sie während einer beträchtlichen Zeit unwirksam bleiben kann. Während die Nordregierung zu weit entfernt ist, um sich eine Haltung zu erlauben, die in diese Frage wesentlich eingreift, dehnt sich die Süd-Konföderation jedoch weite Strecken entlang der mexikanischen Grenze aus, und so kann ihre freundliche Stellung gegenüber den Initiatoren der Intervention bedeutende Folgen haben. Die Regierung des Nordens hat über unsere Neutralität ständig gespottet, doch die Regierung des Südens hat staatsmännisch und maßvoll alles anerkannt, was wir für beide Parteien tun konnten. Sowohl im Hinblick auf unsere Unternehmungen in Mexiko als auch auf unsere Beziehungen zum Washingtoner Kabinett ist die freundliche Mäßigung der Süd-Konfoderation ein wichtiger Punkt zu unseren Gunsten."

Ich darf bemerken, daß der "Nord", vom 3. Dezember - eine russische Zeitung und demzufolge eine Zeitung, die in die Pläne Palmerstons eingeweiht ist - zu verstehen gibt, die mexikanische Expedition habe von Anfang an nicht dem angegebenen Zweck, sondern einem Krieg gegen die Vereinigten Staaten gedient.

Der Brief General Scotts hat auf die öffentliche Meinung und selbst auf die Börse eine so wohltuende Wirkung ausgeübt, daß es die Verschwörer der Downing Street und der Tuilerien für nötig hielten, die "Patrie" loszulassen, die mit der Miene des aus offizieller Quelle Unterrichteten erklärte, die Festnahme der Südkommissäre auf dem "Trent" sei direkt durch das Washingtoner Kabinett veranlaßt worden.