Inhaltsverzeichnis Artikel und Korrespondenzen 1861

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 15, 4. Auflage 1972, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1961, Berlin/DDR. S. 401-405.

1. Korrektur.
Erstellt am 25.10.1998.

Friedrich Engels

Lehren des amerikanischen Krieges

Geschrieben Ende November 1861.
Aus dem Englischen.


["The Volunteer Journal, for Lancashire and Cheshire" Nr. 66 vom 6. Dezember 1861]

|401| Als wir vor einigen Wochen die Aufmerksamkeit auf den in der amerikanischen Freiwilligen-Armee notwendig gewordenen Säuberungsprozeß lenkten, haben wir keineswegs die wertvollen Lehren erschöpfend behandelt, die dieser Krieg den Freiwilligen diesseits des Atlantischen Ozeans gibt. Wir erlauben uns daher, auf dieses Thema zurückzukommen.

Die Kriegsführung, wie sie jetzt in Amerika praktiziert wird, ist in der Tat bisher ohne Beispiel. Vom Missouri bis zur Chesapeake-Bai stehen sich jetzt eine Million Soldaten, fast gleichmäßig in zwei feindliche Lager geteilt, seit mehr als sechs Monaten gegenüber, ohne dabei zu einer einzigen Hauptaktion zu kommen. In Missouri gehen die beiden Armeen abwechselnd vor, ziehen sich zurück, liefern eine Schlacht, gehen vor und ziehen sich wieder zurück, ohne zu einem sichtbaren Ergebnis zu kommen. Selbst jetzt, nach sieben Monaten des Marschierens und Zurückmarschierens, wobei das Land sicher furchtbar verwüstet worden ist, scheinen die Dinge weiter denn je von einer Entscheidung entfernt zu sein. Nach einer längeren Periode scheinbarer Neutralität, aber in Wirklichkeit einer Periode der Vorbereitungen, scheint in Kentucky eine ähnliche Lage bevorzustehen; in West-Virginia finden ständig kleine Aktionen ohne sichtbares Resultat statt; und am Potomac, wo an beiden Ufern die größten Massen beinahe in Sichtweite voneinander konzentriert sind, hat keine der beiden Parteien Neigung anzugreifen, und sie beweisen damit, daß, wie die Dinge stehen, nicht einmal ein Sieg von Nutzen wäre. Und wenn nicht Umstände, die mit dieser Lage nichts zu tun haben, eine größere Änderung bewirken, kann diese fruchtlose Art der Kriegsführung noch Monate andauern.

|402| Wie kann man sich das erklären?

Die Amerikaner haben auf beiden Seiten fast nichts als Freiwillige. Der kleine Kern der ehemaligen regulären Armee der Vereinigten Staaten hat sich entweder aufgelöst oder ist zu schwach, um auf die enorme Masse der unausgebildeten Rekruten, die sich auf dem Kriegsschauplatz angesammelt haben, einzuwirken. Um aus all diesen Männern Soldaten zu machen, gibt es nicht einmal genügend Exerzier-Sergeanten. Deshalb muß die Ausbildung sehr langsam vor sich gehen, und man kann wirklich nicht sagen, wie lange es dauern wird, ehe das vortreffliche Material an Soldaten, das an beiden Ufern des Potomac versammelt ist, fähig sein wird, in großen Massen loszumarschieren und mit vereinten Kräften eine Schlacht zu liefern oder anzunehmen.

Aber selbst wenn die Soldaten in einer angemessenen Zeit ausgebildet werden könnten, sind nicht genügend Offiziere da, sie zu befehligen, geschweige denn Kompanie-Offiziere - die natürlich nicht aus den Reihen der Zivilisten kommen können - oder gar Offiziere für Bataillonskommandeure, selbst wenn jeder Leutnant und Fähnrich der Regulären für einen solchen Posten ernannt werden könnte. Eine beträchtliche Anzahl von zivilen Obersten ist deshalb unumgänglich, und niemand, der unsere eigenen Freiwilligen kennt, wird denken, daß McClellan oder Beauregard überängstlich sind, wenn sie es ablehnen, Angriffsaktionen oder komplizierte strategische Manöver mit zivilen Obersten durchzuführen, die dies erst seit sechs Monaten sind und ihre Befehle ausführen sollen.

Wir wollen aber annehmen, daß diese Schwierigkeit im allgemeinen überwunden wurde; daß die zivilen Obersten sich zusammen mit ihren Uniformen auch die Kenntnisse, Erfahrungen und die Sicherheit erworben haben, die sie für die Durchführung ihres Dienstes benötigen - wenigstens soweit es die Infanterie betrifft. Aber was soll mit der Kavallerie werden? Ein Regiment Kavallerie auszubilden erfordert mehr Zeit und Erfahrung bei den ausbildenden Offizieren, als ein Regiment Infanterie in Form zu bringen. Nehmen wir an, daß alle Männer zu ihrem Korps mit ausreichenden Kenntnissen über die Reiterei einrücken - das heißt, sie sitzen fest auf ihrem Pferde, haben es in der Gewalt und wissen, wie es zu pflegen und zu füttern ist -, so wird dies jedoch die Zeit, die man zu ihrer Ausbildung braucht, kaum verkürzen. Militärisches Reiten, jene Kontrolle über das Pferd, wo durch man es durch alle Bewegungen führt, die bei Kavallerie-Evolutionen notwendig sind, ist völlig anders als das übliche Reiten von Zivilisten. Napoleons Kavallerie, die Sir William Napier ("History of the Peninsular War") fast höher einschätzt als die englische Kavallerie der Gegenwart, |403| bestand, wie allgemein bekannt ist, aus den allerschlechtesten Reitern, die jemals einen Sattel zierten; und viele unserer besten Gelegenheitsreiter fanden beim Eintritt in ein berittenes Freiwilligen-Korps, daß sie noch einiges zu lernen hätten. Wir brauchen uns daher auch nicht zu wundern, wenn wir feststellen, daß die Amerikaner eine sehr unzulängliche Kavallerie haben und daß das wenige, was sie besitzen, aus einer Art Kosaken oder indianischen irregulären Truppen (rangers) besteht, die zu einem geschlossenen Angriff unfähig sind.

Mit der Artillerie und ebenso mit den Genietruppen muß es ihnen noch schlechter gehen. Beides sind hochwissenschaftliche Waffengattungen und benötigen eine lange und sorgfältige Ausbildung sowohl für Offiziere als auch für Unteroffiziere und sicher auch mehr Ausbildung für ihre Leute als die Infanterie. Überdies ist die Artillerie eine kompliziertere Waffengattung als selbst die Kavallerie; man braucht Geschütze, hierfür eingefahrene Pferde und zwei Gruppen ausgebildeter Männer - Kanoniere und Fahrer. Außerdem benötigt man zahlreiche Munitionswagen und große Laboratorien für die Munition, Schmieden, Werkstätten usw.; alles mit komplizierten Maschinen ausgerüstet. Die Föderierten sollen angeblich 600 Geschütze im Felde haben; aber wie sie bedient werden, können wir uns leicht vorstellen, wenn wir wissen, daß es vollkommen unmöglich ist, in sechs Monaten 100 vollständige, gut ausgerüstete und gutbediente Batterien aus dem Nichts zu schaffen.

Nehmen wir aber wiederum an, daß alle diese Schwierigkeiten überwunden wurden und daß der kämpfende Teil der zwei feindlichen amerikanischen Lager in einem für ihren Zweck ordentlichen Zustand wäre, könnten sie sich dann bereits bewegen? Sicherlich nicht! Eine Armee muß versorgt werden; und eine große Armee in einem verhältnismäßig dünnbesiedelten Land wie Virginia, Kentucky und Missouri muß hauptsächlich aus Depots versorgt werden. Ihr Munitionsvorrat muß aufgefüllt werden; sie muß von Waffenschmieden, Sattlern, Tischlern und anderen Handwerkern begleitet sein, um ihr Kriegsgerät in guter Ordnung zu halten. Alle diese notwendigen Dinge waren in Amerika nicht vorhanden; sie mußten aus fast nichts organisiert werden; und wir haben überhaupt keinen Beweis dafür, daß wenigstens jetzt die Intendantur und der Transport von einer der beiden Armeen den Kinderschuhen entwachsen ist.

Amerika, sowohl der Norden als auch der Süden, Föderation und Konföderation hatten sozusagen keine militärische Organisation. Die Linienarmee war auf Grund ihrer Anzahl für den Einsatz gegen einen ernstzunehmenden Feind völlig unzureichend; Miliz existierte kaum. Die früheren |404| Kriege der Union veranlaßten die militärischen Kräfte des Landes niemals zu größter Anstrengung; England hatte in den Jahren zwischen 1812 und 1814 nicht mehr viele Soldaten zur Verfügung, und Mexiko verteidigte sich hauptsächlich mit undisziplinierten Haufen. Tatsache ist, daß Amerika durch seine geographische Lage keine Feinde hatte, die es irgendwo mit mehr als im äußersten Fall 30.000 oder 40.000 regulären Soldaten hätte angreifen können, und für diese Anzahl wäre die unermeßliche Ausdehnung des Landes ein viel furchtbareres Hindernis als irgendwelche Truppen, die Amerika ihnen entgegenstellen würde, während seine Armee ausreichte, den Kern für einige 100.000 Freiwillige zu bilden und sie in angemessener Zeit auszubilden. Wenn aber ein Bürgerkrieg mehr als eine Million kämpfende Soldaten aufbietet, bricht das ganze System zusammen, und alles muß von Anfang an neu begonnen werden. Die Ergebnisse liegen vor uns. Zwei riesige unbeholfene Truppenkörper, jeder in Furcht vor dem anderen und vor einem Sieg fast genauso furchtsam wie vor einer Niederlage, stehen einander gegenüber und versuchen mit ungeheuren Kosten sich in eine einigermaßen reguläre Organisation zu verwandeln. So beängstigend der Geldaufwand ist, ist er doch unvermeidlich durch das völlige Fehlen des organisierten Fundamentes, auf dem das Gebäude hätte errichtet werden können. Wie konnte es bei dieser in jedem Teil herrschenden Unwissenheit und Unerfahrenheit anders sein? Andererseits ist der Gewinn an Leistungsfähigkeit und Organisation, den diese Ausgaben bringen, äußerst gering; und könnte das anders sein?

Die britischen Freiwilligen können ihrem guten Stern danken, daß sie gleich am Anfang eine große, wohldisziplinierte und erfahrene Berufsarmee vorfanden, die sie unter ihre Fittiche nahm. Die Vorurteile zugegeben, die jeder Berufsgruppe eigen sind, hat diese Armee sie gut aufgenommen und behandelt. Wir wollen hoffen, daß weder die Freiwilligen noch die Öffentlichkeit je glauben werden, die Freiwilligen-Bewegung könne in irgendeiner Weise eine reguläre Armee überflüssig machen. Falls einige das täten, müßte ein Blick auf den Zustand der beiden amerikanischen Freiwilligen-Armeen ihnen ihre Ignoranz und Torheit zeigen. Keine aus Zivilisten neu formierte Armee kann jemals in einem leistungsfähigen Zustand bleiben, wenn sie nicht mit den gewaltigen geistigen und materiellen Ressourcen ausgebildet und unterstützt wird, die in den Händen einer verhältnismäßig starken regulären Armee liegen, vor allem aber durch die Organisation, die die Hauptstärke der Regulären bildet. Nehmen wir an, England drohe eine Invasion, und vergleichen wir das, was dann getan würde, mit dem, was in Amerika getan wurde. In England würde das Kriegsministerium mit |405| Unterstützung einiger Beamter, die leicht unter den ausgebildeten Militärfachleuten zu finden wären, sämtliche zusätzliche Arbeit, die eine Armee von 300.000 Freiwilligen mit sich bringt, bewältigen; es gibt genügend auf halbem Sold stehende Offiziere, die vielleicht jeweils drei oder vier Freiwilligen-Bataillone unter ihre spezielle Aufsicht nehmen könnten, und mit einiger Mühe könnte jedes Bataillon mit einem Linienoffizier als Adjutanten und einem als Oberst versehen werden. Kavallerie könnte natürlich nicht in aller Eile zustande gebracht werden; aber eine entschiedene Reorganisation der Artillerie-Freiwilligen mit Offizieren und Fahrern von der königlichen Artillerie würde helfen, manch eine Feldbatterie zu bemannen. Die Zivilingenieure im Lande warten nur auf eine Möglichkeit, um diejenige Ausbildung auf der militärischen Seite ihres Berufes zu erhalten, welche sie zu erstklassigen Genieoffizieren machen würde. Die Intendantur- und Transportdienste sind organisiert und können bald dazu gebracht werden, den Bedarf von 400.000 genau so leicht wie den von 100.000 zu decken. Nichts würde ungeordnet, nichts gestört sein; überall gäbe es Hilfe und Unterstützung für die Freiwilligen, die nirgends im Dunkeln tappen müßten. Wenn England sich erst einmal in einen Krieg stürzt, sehen wir - abgesehen von Fehlern, die nicht zu vermeiden sind - keine Ursache, warum innerhalb sechs Wochen nicht alles einigermaßen glatt laufen sollte.

Wenn man nun nach Amerika schaut, dann kann man feststellen, welchen Wert eine reguläre Armee für eine im Aufbau befindliche Armee von Freiwilligen hat.