Inhaltsverzeichnis Artikel und Korrespondenzen 1861

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 15, 4. Auflage 1972, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1961, Berlin/DDR. S. 395-400.

1. Korrektur.
Erstellt am 25.10.1998.

Karl Marx

Die neuesten Nachrichten und ihre Auswirkung in London

Aus dem Englischen.


["New-York Daily Tribune" Nr. 6462 vom 19. Dezember 1861]

|395| London, 30. November 1861

Noch nie seit der Kriegserklärung gegen Rußland habe ich in allen Schichten der englischen Gesellschaft eine solche Erregung beobachtet, wie sie durch die Nachrichten von der Affäre Trent" hervorgerufen wurde, die die "La Plata" am 27. dieses Monats nach Southampton brachte. Um 2 Uhr nachmittags verkündete der elektrische Telegraph öffentlich dieses "mißliebige Ereignis" in den Nachrichtenräumen der britischen Börsen. Alle Handelsobligationen sanken, während die Salpeterpreise stiegen. Die Kurse der Staatspapiere sanken um 3/4 Prozent, und bei Lloyd forderte man für Schiffe aus New York fünf Guinees Kriegsgefahrenzuschlag. Am späten Abend kursierten die wildesten Gerüchte in London, der amerikanische Gesandte habe sofort seine Pässe erhalten, es sei Befehl ergangen, alle amerikanischen Schiffe in den Häfen des Vereinigten Königreiches gleich zu beschlagnahmen, usw. Die Baumwollhändler in Liverpool - Freunde der Sezession - benutzten die Gelegenheit, um innerhalb von zehn Minuten in den Baumwollauktionsräumen der Börse ein Indignations-Meeting unter dem Vorsitz von Herrn Spence, Verfasser eines unbedeutenden Flugblattes im Interesse der Südstaaten, einzuberufen. Kommodore Williams, Admiralitätsagent an Bord des "Trent", der mit der "La Plata" angekommen war, wurde sofort nach London beordert.

Am folgenden Tage, dem 28. November, trug die Londoner Presse im allgemeinen einen Ton der Mäßigung zur Schau, der mit der gewaltigen politischen und geschäftlichen Aufregung des vorhergegangenen Abends merkwürdig kontrastierte. Die Palmerstonschen Zeitungen "Times", "Morning Post", "Daily Telegraph", "Morning Advertiser" und "Sun" hatten die Anweisung erhalten, eher zu beruhigen als aufzuwiegeln. Die "Daily |396| New" zielte mit ihren Bemerkungen über das Verhalten des "San Jacinto" offensichtlich weniger darauf ab, die Unionsregierung zu treffen, als darauf, sich von dem Verdacht des "Yankeevorurteils" zu befreien, während der "Morning Star", das Organ John Brights, ohne ein Urteil über die Schlauheit und Weisheit der "Tat" abzugeben, ihre Gesetzlichkeit verteidigte. Es gab nur zwei Ausnahmen im allgemeinen Tenor der Londoner Presse. Die Tory-Kritzler vom "Morning Herald" und "Standard" - in Wirklichkeit nur eine Zeitung mit verschiedenen Namen - geben ihrer wilden Befriedigung darüber Ausdruck, daß sie die "Republikaner" in einer Falle gefangen und einen fertigen casus belli gefunden haben. Sie werden von nur einem anderen Journal unterstützt, dem "Morning Chronicle", der seit Jahren seine unsichere Existenz zu verlängern sucht, indem er sich abwechselnd an den Giftmischer Palmer oder an die Tuilerien verkauft. Die Erregung der Börse legte sich auf Grund des versöhnlichen Tons der führenden Londoner Blätter größtenteils wieder. Am selben 28. November sprach Kommodore Williams bei der Admiralität vor und berichtete die Umstände des Vorfalls im Old Bahama Canal. Sein Bericht wurde zusammen mit den schriftlichen Berichten der Offiziere an Bord des "Trent" sofort den Kronadvokaten unterbreitet, deren Ansicht Lord Palmerston, Lord Russell und anderen Mitgliedern der Regierung spät abends offiziell mitgeteilt wurde.

Am 29. November konnte man in der Regierungspresse eine leichte Änderung des Tones bemerken. Es wurde bekannt, daß die Kronadvokaten das Vorgehen der Fregatte "San Jacinto" als technisches Versehen und für ungesetzlich erklärten und daß das im Laufe des Tages zu einer allgemeinen Beratung zusammengetretene Kabinett beschlossen hatte, mit dem nächsten Dampfschiff Instruktionen an Lord Lyons zu senden, sich nach der Ansicht der englischen Advokaten zu richten. Dadurch setzte die Erregung in den wichtigsten Handelszentren, wie Fondsbörse, Lloyd, Jerusalems Kontor, Baltische Börse usw. mit doppelter Kraft ein und wurde noch verstärkt durch die Nachricht, daß die vorgesehenen Salpeterverschiffungen nach Amerika am vorhergehenden Tage eingestellt worden waren und daß die Zollbehörden am 29. eine allgemeine Anweisung erhalten hatten, die den Export dieses Artikels an alle Länder nur mit bestimmten strengen Einschränkungen gestatte. Die Kurse der englischen Staatspapiere sanken weiter um 3/4% und zu einem Zeitpunkt herrschte an allen Börsen eine wahrhafte Panik, da es unmöglich geworden war, einige Wertpapiere |397| überhaupt zu handeln, und alle Papiere eine schwere Preisdepression erlitten. Am Nachmittag erholte sich die Börse auf Grund verschiedener Gerüchte, doch in der Hauptsache wegen der Nachricht, Herr Adams habe die Meinung geäußert, das Washingtoner Kabinett werde die Handlungsweise des "San Jacinto" verwerfen.

Am 30. November (heute) stellten alle Londoner Zeitungen mit der alleinigen Ausnahme des "Morning Star" die Alternative: Entschädigung durch das Washingtoner Kabinett oder - Krieg.

Nach der kurzen Darstellung der Ereignisse von der Ankunft der "La Plata" bis zum heutigen Tage, will ich jetzt dazu übergehen, die Meinungen wiederzugeben. Es mußte natürlich zweierlei betrachtet werden - einmal die juristische, zum anderen die politische Seite der Festnahme der südlichen Kommissäre an Bord eines englischen Postbootes.

Was den juristischen Standpunkt der Angelegenheit betrifft, so war die erste von der Tory-Presse und dem "Morning Chronicle" aufgeworfene Schwierigkeit, daß die Vereinigten Staaten die südlichen Sezessionisten niemals als kriegführende Macht anerkannt hätten und demzufolge ihnen gegenüber auch keine Kriegsrechte beanspruchen könnten.

Diese Sophisterei wurde von der Regierungspresse selber sofort widerlegt.

"Wir", schrieb die "Times", "haben diese konföderierten Staaten bereits als kriegführende Macht anerkannt und werden, wenn die Zeit gekommen ist, ihre Regierung anerkennen. Dadurch haben wir uns selbst alle Pflichten und Unannehmlichkeiten einer neutralen Macht gegenüber zwei kriegführenden auferlegt."

Daher haben die Vereinigten Staaten, ob sie nun die Konföderation als kriegführend anerkennen oder nicht, das Recht, darauf zu bestehen, daß England sich all der Pflichten und Unannehmlichkeiten einer neutralen Macht im Seekrieg unterwirft. Folglich erkennt die gesamte Londoner Presse mit den bereits erwähnten Ausnahmen das Recht des "San Jacinto" an, den "Trent" zu betreten und zu durchsuchen, um sich zu vergewissern, ob die beförderten Waren oder Personen zur Kategorie der "Kriegskonterbande" gehören. Den Andeutungen der "Times", daß die englische Präzedenzentscheidung "unter Verhältnissen erlassen wurde, die sich" von den jetzt bestehenden "sehr unterscheiden", daß es "damals keine Dampfschiffe gab und daß Postschiffe zur Beförderung von Briefen, für die sich die ganze Welt unmittelbar interessierte, unbekannt waren"; daß "wir" (die Engländer) "um unsere Existenz kämpften und in jenen Tagen taten, was wir anderen zu tun nicht erlauben würden", - |398| diesen Andeutungen wurde nicht ernsthaft entgegengetreten. Palmerstons privater Moniteur, die "Morning Post", erklärte am gleichen Tage, daß Postdampfboote einfache Handelsschiffe seien und nicht unter die von der Durchsuchung ausgenommenen Kriegs- und Transportschiffe fielen. Das Durchsuchungsrecht des "San Jacinto" wurde in der Tat von der Londoner Presse wie auch von den Kronadvokaten anerkannt. Der Einwand, daß der "Trent" nicht von einem kriegführenden Hafen zu einem anderen kriegführenden Hafen fuhr, sondern im Gegenteil von einem neutralen Hafen zu einem anderen, fiel weg durch Lord Stowells Entscheidung, das Durchsuchungsrecht diene dazu, den Bestimmungsort eines Schiffes festzustellen.

Danach tauchte die Frage auf, ob durch das Abfeuern einer Vollkugel über den Bug des "Trent" und durch den darauffolgenden Abschuß einer dicht neben ihm explodierenden Granate der "San Jacinto" nicht die Gebräuche und die Höflichkeit verletzt habe, die zur Ausübung des Visitations- und Durchsuchungsrechts gehören. Es wurde von der Londoner Presse allgemein zugegeben, daß, da man die Einzelheiten des Geschehens bisher nur durch die Erklärungen einer der betreffenden Parteien erfuhr, eine so geringfügige Frage die von der britischen Regierung zu treffende Entscheidung nicht beeinflussen könne.

Da man damit das vom "San Jacinto" ausgeübte Durchsuchungsrecht anerkannt hatte, wonach suchte er nun? Nach Kriegskonterbande, deren Beförderung durch den "Trent" man annahm. Was ist Kriegskonterbande? Sind Depeschen einer kriegführenden Regierung Kriegskonterbande? Sind die Personen, die diese Depeschen mit sich führen, Kriegskonterbande? Und falls beide Fragen bejaht werden, bleiben diese Depeschen und deren Träger Kriegskonterbande, wenn sie auf einem Handelsschiff gefunden werden, das von einem neutralen Hafen zu einem anderen geht? Die Londoner Presse gesteht zu, daß die Entscheidungen der höchsten juristischen Autoritäten auf beiden Seiten des Atlantik so widersprechend sind und mit demselben Schein des Rechts sowohl für das Positive als auch für das Negative beansprucht werden können, daß auf jeden Fall wegen des "San Jacinto" ein prima facie |nach ersten Eindrücken beurteilter| Fall geschaffen wurde.

Übereinstimmend mit dieser die englische Presse beherrschenden Meinung, haben die englischen Kronadvokaten die materielle Rechtsfrage fallengelassen und nur die Formfrage gestellt. Sie behaupten, daß das Völkerrecht nicht dem Inhalt nach verletzt wurde, sondern nur der Form nach. Sie sind zu dem Schluß gekommen, daß der "San Jacinto" den Fehler |399| beging, die südlichen Kommissäre auf eigene Verantwortung festzunehmen, anstatt den "Trent" in einen Unionshafen zu bringen und den Fall einem nordamerikanischen Prisengericht zu unterbreiten, da kein bewaffneter Kreuzer das Recht habe, sich als Richter auf dem Meere aufzuwerfen. Deshalb beschuldigen die englischen Kronjuristen, die meiner Meinung nach mit dieser Entscheidung im Recht sind, den "San Jacinto" nur eines Prozedurfehlers. Es mag einfach sein, Rechtsbeispiele auszugraben, die zeigen, daß England sich ähnlicher Verletzungen der Seerechtsformalitäten schuldig machte, doch Gesetzesverletzungen dürfen niemals zur Verdrängung des Gesetzes selbst führen.

Jetzt mag die Frage aufgeworfen werden, ob die von der englischen Regierung geforderte Wiedergutmachung - das heißt die Freigabe der südlichen Kommissäre - einer Rechtsverletzung aufrechterhalten werden kann, wenn die Engländer selbst diese Rechtsverletzung als eine Formfrage und nicht als Substanzfrage betrachten? Im Zusammenhang damit bemerkt ein Advokat des Temple in der heutigen "Times":

"Wenn auch der Fall nicht so klar zu unseren Gunsten liegt, daß wir die Entscheidung des amerikanischen Gerichts, in der das Schiff verurteilt wird, als offensichtlich dem Völkerrecht widersprechend anfechten können, so gereicht doch das unrichtige Verhalten des amerikanischen Kapitäns, den "Trent" nach Southampton weiterfahren zu lassen, deutlich zum Vorteil der britischen Eigentümer und Passagiere. Kann man in diesem Falle einen Grund für internationalen Streit in einem Prozedurfehler finden, der sich im Ergebnis zu unseren Gunsten auswirkte?"

Wenn jedoch, wie es mir scheint, die amerikanische Regierung zugeben muß, daß Kapitän Wilkes das Seerecht, gleich ob formal oder materiell, verletzt hat, sollte das eigene Ansehen und Interesse sie gleichermaßen daran hindern, an den Wiedergutmachungsbedingungen der betroffenen Partei zu kritteln. Die Regierung sollte daran denken, daß sie, wenn sie die Vereinigten Staaten in einen Krieg mit England verwickelte, für die Sezessionisten arbeiten würde, daß solch ein Krieg für Louis Bonaparte bei seinen gegenwärtigen Schwierigkeiten eine Gottesgabe bedeutete und deshalb durch die offiziellen Kreise Frankreichs unterstützt würde. Schließlich, daß die englische Regierung, teils durch die gegenwärtigen Truppen unter britischem Kommando in den nordamerikanischen und westindischen Stationen und teils durch die Streitkräfte für die mexikanische Expedition, eine überwältigende Seemacht zur Verfügung hätte.

Was die politische Seite der Beschlagnahme im Bahama Canal betrifft, so drückt nicht nur die englische, sondern die gesamte europäische Presse |400| einmütig ihre Bestürzung aus über das seltsame Verhalten der amerikanischen Regierung, die eine so ungeheure internationale Gefahr hervorruft, um der Herren Mason, Slidell und Co. habhaft zu werden, während die Herren Yancey und Mann in London umherstolzieren. Die "Times" hat sicher recht, wenn sie schreibt:

"Sogar Herr Seward muß einsehen, daß die Stimmen der südlichen Kommissäre, aus der Gefangenschaft erschallend, tausendmal beredter in London und Paris sind, als wenn sie in St. James und den Tuilerien gehört worden wären."

Die Bevölkerung der Vereinigten Staaten, die sich so hochherzig ihre eigene Freiheit zur Rettung ihres Vaterlandes beschränken ließ, wird gewiß nicht weniger bereit sein, die Richtung der öffentlichen Meinung in England umzustimmen und einen internationalen Fehler, dessen Rechtfertigung die kühnsten Hoffnungen der Rebellen verwirklichen könnte, offen anzuerkennen und vorsichtig wiedergutzumachen.