Inhaltsverzeichnis Artikel und Korrespondenzen 1861

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 15, 4. Auflage 1972, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1961, Berlin/DDR. S. 270-274.

1. Korrektur
Erstellt am 20.09.1998

Friedrich Engels

Kompanieexerzieren

Geschrieben Mitte April 1861.
Aus dem Englischen.


["The Volunteer Journal, for Lancashire and Cheshire" Nr. 33 vom 20. April 1861]

<270> In unserer vorletzten Nummer lenkten wir die besondere Aufmerksamkeit der Freiwilligen auf die Bemerkungen von Oberst McMurdo über das Kompanieexerzieren. Wir kehren jetzt zu diesem Gegenstand zurück, da wir es für die höchste Zeit halten, daß seine Bedeutung von jedem Schützen im Lande voll erkannt wird.

Neulich hatten wir Gelegenheit, dem Bataillonsexerzieren eines Freiwilligen-Korps beizuwohnen, das im großen ganzen im Verhältnis zur Effektivstärke, in der guten Beteiligung am Exerzieren, in der Pflichtauffassung der Offiziere und dementsprechend in der allgemeinen Leistungsfähigkeit entschieden über dem Durchschnitt der Truppen des hiesigen Bezirks liegt. Zu unserer großen Überraschung fanden wir nur geringe Fortschritte gegenüber den Leistungen dieses Korps, die wir vor ungefähr sechs Monaten gesehen hatten. Die Bataillonsübungen waren ein wenig besser als am Ende der letzten Saison, die Gewehrgriffe und die Bildung der Pelotons wurden jedoch in einer ziemlich nachlässigen Weise durchgeführt. Selbst beim Schultern des Gewehrs sah es so aus, als ob jeder Soldat handelte, ohne zu wissen, daß er in Übereinstimmung mit ungefähr 400 Mann rechts, links und hinter sich zu üben habe. Beim Fertigmachen und Präsentieren schien jedes Gewehr seinen Stolz darein zu setzen, unabhängig von seinen Nachbarn in die richtige Stellung zu kommen; und eine stillschweigende Mißachtung des eins-zwei oder des eins-zwei-drei, womit die Ausführung eines jeden Kommandowortes bezeichnet wird, schien allgemein auf der Tagesordnung zu sein.

In einer Ecke des Kasernenhofes, auf dem die Frei willigen übten, sahen wir eine Gruppe eines Linienregiments unter einem Sergeanten zum Exer- <271> zieren antreten. Wir nehmen an, es war die Gruppe eines Bataillons, die - beim Exerzieren ungeschickt zu einer Extraübung befohlen wurde. Welch ein Unterschied! Die Leute standen wie Statuen; nicht ein Glied bewegte sich, ehe der Befehl kam, und dann bewegten sich nur die Glieder, die das Kommando auszuführen hatten. Der andere Teil der Körpers blieb vollkommen ruhig. Sobald das Kommando ihr Ohr traf, bewegte sich jeder Arm gleichzeitig, jede der Bewegungen, in welche die Ausführung des Kommandos geteilt war, war sehr bestimmt und wurde von jedem Mann im gleichen Augenblick ausgeführt. Die ganze Gruppe bewegte sich tatsächlich wie ein einziger Mann. Jene Herren, die sich so gern damit brüsten, daß die Freiwilligen ihre Sache ebensogut verstehen wie die Linientruppen, würden gut daran tun, die Linientruppen ein wenig zu studieren; sie würden dann bald finden, daß zwischen den besten Freiwilligen und dem am schlechtesten exerzierten Linienregiment noch ein gewaltiger Unterschied besteht.

Aber, wird man sagen, was nützt solche Vollkommenheit im Exerzieren den Freiwilligen? Diese Perfektion sollen sie nicht erreichen, und man kann sie von ihnen weder erwarten, noch werden sie diese benötigen. Ohne Zweifel ist das ganz richtig. Der bloße Versuch, die Freiwilligen mit dem exakten Exerzieren der Linie wetteifern zu lassen, wäre der Ruin der Bewegung. Aber exerziert müssen die Freiwilligen werden, so weit exerziert, daß die gewöhnlichen, gleichzeitigen Verrichtungen ganz mechanisch völlig selbstverständlich bei ihnen werden und daß ihre Schritte und Bewegungen von allen gleichzeitig und ständig mit einem gewissen Grad militärischer Haltung durchgeführt werden können. In allen diesen Punkten werden die Linientruppen das Vorbild bleiben, zu dem die Freiwilligen aufblicken müssen, und das Kompanieexerzieren wird das Mittel sein, durch das allein die erforderliche Leistungsfähigkeit erzielt werden kann.

Nehmen wir die Griffübungen und die Pelotons. Es ist nicht nur Sache des schönen Aussehens, daß auf ein gegebenes Kommando sämtliche Gewehre des Bataillons gleichzeitig und nach Vorschrift bewegt werden sollen. Wir müssen voraussetzen, daß alle Freiwilligen-Korps jetzt so weit fortgeschritten sind, daß die Männer diese Übungen durchführen können, ohne daß sie sich dabei gegenseitig verletzen, oder daß sie ihre Gewehre gegeneinanderschlagen. Darüber hinaus hat ein nachlässiges Exerzieren der verschiedenen Bewegungen unzweifelhaft eine große moralische Wirkung auf das exerzierende Bataillon. Warum sollte jeder einzelne Soldat besonders aufmerksam auf das Kommando hören, wenn er weiß, daß links und rechts Fehler gemacht werden und die Gewehre sich lange, nachdem er das <272> Kommando ausgeführt hat, unsicher auf und ab bewegen? Welches Vertrauen kann ein Soldat am linken Flügel zu seinen Kameraden am rechten Flügel vor dem Feind haben, wenn er nicht weiß, daß sie mit ihm zusammen laden, fertigmachen und beim gegebenen Kommando anlegen werden und so schnell wie er selbst wieder bereit sind, erneut zu laden? Überdies wird jeder erfahrene Soldat sagen, daß die Durchführung dieser gleichzeitigen Handlung die Gewißheit, daß dem Kommando des Offiziers diese zwei oder drei bestimmten, abgezirkelten Geräusche antworten, die zeigen, daß jeder Soldat im gleichen Augenblick wie seine Kameraden handelt einen sehr großen moralischen Einfluß auf das Bataillon hat. Es bringt den Männern das Bewußtsein nahe, daß sie wirklich ein einziger Körper sind, daß sie sich völlig in der Hand des Kommandierenden befinden und daß er ihre Kraft auf den kleinsten Wink hin mit der größten Wirksamkeit einsetzen kann.

Nehmen wir wieder die Bewegungen großer oder kleiner Truppenkörper. Wenn nicht jeder Mann so gefestigt im Exerzieren ist, daß jede Bewegung, die von ihm gefördert werden kann, beinahe mechanisch auf den gegebenen Befehl hin ausgeführt wird, so wird ein Bataillon sich niemals gleichmäßig bewegen. Ein Soldat, der erst sein Gedächtnis oder seinen Verstand durchkramen muß, um herauszufinden, welche Handlung das gegebene Kommando von ihm verlangt, wird dem Bataillon mehr Schaden als Nutzen bringen. Dasselbe gilt von einem Mann, der entweder aus Gewohnheit oder irgendeinem anderen Grunde geneigt ist anzunehmen, daß bestimmte Schritte notwendigerweise auf andere folgen müssen. Er wird oft ein ganz anderes Kommando erhalten, als er erwartet, und dann wird er höchstwahrscheinlich einen Schnitzer machen. Diese Mängel können nur durch ständiges Kompanieexerzieren beseitigt werden. Dann kann der kommandierende Offizier die kleine Einheit unter seinem Befehl in einer viertel Stunde durch so viele verschiedene Bewegungen und Formationen führen und kann die Reihenfolge von einem zum anderen in solch einem Maße wechseln, daß die Leute, niemals ahnend, was nun kommen wird, sehr bald lernen, aufmerksam zu sein und dem Kommandowort ganz mechanisch zu folgen. In einem Bataillon sind alle Bewegungen notwendigerweise viel langsamer und für die Offiziere in gewissem Maße instruktiv; für die Soldaten jedoch weniger. Es ist eine anerkannte Tatsache, daß Soldaten, die im Kompanieexerzieren perfekt sind, unter guten Offizieren die Bataillonsbewegungen in sehr kurzer Zeit völlig erlernen werden. Je mehr die Soldaten in der Kompanie von einem tüchtigen, umsichtigen Ausbilder bewegt werden, um so sicherer werden sie später im Bataillon sein. Es braucht nicht <273> besonders hervorgehoben zu werden, wie wichtig perfekte Gleichmäßigkeit in einem Bataillon ist; eine Salve kann ziemlich ungleichmäßig abgefeuert werden und doch ihre Wirkung haben. Aber ein Bataillon, das in Unordnung gerät, wenn es ein Karree bildet, aufmarschiert, in Kolonne schwenkt usw., wird zu jeder Zeit hoffnungslos verloren sein, wenn es einem aktiven und intelligenten Gegner gegenübersteht.

Dann gibt es noch den wichtigen Punkt der Distanz. Es ist eine unleugbare Tatsache, daß kein Freiwilligen-Offizier oder -Soldat ein Auge für Distanzen hat. Beim Marschieren in offenen Kolonnen oder Kolonnen von einem Viertel Abstand, beim Aufmarschieren, zeigt jede Bataillonsexerzierübung, wie schwer es für die Offiziere ist, den richtigen Abstand einzuhalten. Beim Rückbilden der Kolonne aus dem Karree verlieren die Leute aus den mittleren Sektionen fast immer den Abstand. Sie gehen zu weit oder zu wenig vor, und es wird dementsprechend sehr unregelmäßig geschwenkt. Die Offiziere können das Abstandhalten nur im Bataillon lernen, obwohl Kompanieübungen in Unterabteilungen und Sektionen das verbessern helfen, aber die Soldaten müssen, um das Kolonnenbilden aus dem Karree zu lernen (vor dem Feind eine Bewegung von größter Wichtigkeit), in den Kompanien üben.

Es muß noch ein anderer Punkt beachtet werden, und das ist die militärische Haltung der Soldaten. Wir meinen nicht nur die aufrechte, stolze und doch ungezwungene Haltung eines jeden einzelnen Mannes unter der Waffe, sondern auch das schnelle gemeinsame Handeln bei Kompanie- und Bataillonsbewegungen, das für einen Truppenkörper genau so notwendig ist, wie für ein Bataillon die Handhabung der Gewehre beim Stillstehen. Die Freiwilligen scheinen ganz zufrieden zu sein, wenn es ihnen irgendwie gelingt, so ungefähr in der vorgeschriebenen Zeit allgemein mit noch ein paar Sekunden Verzug auf den rechten Platz zu kommen. Ohne Zweifel ist das die Hauptsache, und im ersten Jahr der Existenz eines Freiwilligen-Korps würde jeder damit völlig zufrieden sein. Aber es gibt für die Ausführung jeder Bewegung eine bestimmte feststehende Form, die im Reglement vorgeschrieben ist, und das soll die Form sein, durch welche das angestrebte Ziel in kürzester Zeit mit dem größten Nutzen für alle Beteiligten und deshalb mit einem Höchstmaß an Ordnung erreicht werden kann. Die Folge davon ist, daß jede Abweichung von der vorgeschriebenen Form notwendigerweise mit einem geringen Grade von Unordnung und Mangel an Gleichmäßigkeit verbunden ist, was auf den Beobachter nicht nur den Eindruck von Nachlässigkeit macht, sondern auch einen gewissen Zeitverlust mit sich bringt und die Soldaten zu der Auffassung kommen läßt, <274> die Ausführung der Vorschriften sei purer Unsinn. Man lasse nur jemanden beobachten, wie eine Freiwilligen-Truppe in Doppelreihen aus der Mitte in Linie vorrückt, wie sie eine Kompanie formiert oder irgendeine andere Formationsveränderung vornimmt, und er wird sehen, zu welch nachlässigen Gewohnheiten wir kommen. Aber solche Fehler, die in einem alten Linienregiment vorkommen dürfen, welches die gute Grundlage soliden Exerzierens hat und dann noch einmal dasselbe Exerzitium durchmachen muß, um seine nachlässige Haltung abzustreifen, sind in einer Freiwilligen-Truppe viel gefährlicher, in der diese solide Grundlage im Detailexerzieren überhaupt fehlt. Ihr nachlässiges Verhalten, das man am Anfang dulden muß, da die Soldaten alle Elementarübungen schnell durchmachen müssen, wird anwachsen und sich vervielfältigen, wenn dem nicht regelmäßig und beharrlich durch striktes Kompanieexerzieren entgegengewirkt wird. Es wird unmöglich sein, solche Gewohnheiten vollständig auszutreiben, aber auf jeden Fall kann und sollte ihnen soweit Einhalt geboten werden, daß sie nicht an Boden gewinnen. Die individuelle Haltung der Soldaten, so glauben wir, wird sich allmählich verbessern, obwohl wir sehr stark bezweifeln, daß dieses eigenartige Schwanken der Linie beim Auf-der-Stelletreten, das bei allen Freiwilligen-Übungen zu beobachten ist, jemals verschwinden wird, Wir meinen eine bestimmte Gewohnheit, den Oberkörper beim Auf-der-Stelle-treten zu bewegen, die bei allen Freiwilligen, soweit wir bis jetzt gesehen haben, üblich zu sein scheint. Der rechte Fuß wird erst gehoben, wenn die rechte Schulter hoch geht und die linke gesenkt wird. Mit dem linken Fuß bewegt sich die linke Schulter aufwärts, und so wogt die ganze Linie hin und her, wie ein reifes Kornfeld unter einem milden Zephir, ähnelt dabei aber kaum einem Truppenkörper standhafter Soldaten, der darauf vorbereitet ist, dem Feind zu begegnen.

Wir glauben, genug gesagt zu haben, um die Aufmerksamkeit auf diesen Gegenstand zu lenken. Jeder Freiwillige, dem die Bewegung am Herzen liegt, wird uns zustimmen, daß regelmäßiges und sorgfältiges Kompanieexerzieren notwendig ist, denn um es zu wiederholen die Freiwilligen-Korps sind in ihrer Elementarausbildung gründlich vernachlässigt worden, und es erfordert große Aufmerksamkeit und ein gut Teil Arbeit, um diesen Mangel irgendwie zu beheben.