Inhaltsverzeichnis Artikel und Korrespondenzen 1861

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 15, 4. Auflage 1972, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1961, Berlin/DDR. S. 258-262.

1. Korrektur
Erstellt am 20.09.1998

Friedrich Engels

Die Freiwilligen-Generale

Geschrieben in der ersten Märzhälfte 1861.
Aus dem Englischen.


["The Volunteer Journal, for Lancashire and Cheshire" Nr. 28 vom 16. März 1861]

<258> Eins fehlt der Freiwilligen-Bewegung, und das ist eine faire und kluge, aber offene und freimütige Kritik durch kompetente Außenstehende. Die Freiwilligen sind in solchem Maße die Lieblinge der Öffentlichkeit und der Presse, daß eine Kritik zu einer absoluten Unmöglichkeit wurde. Niemand hätte darauf gehört, jeder würde sie als unfair, unfreundlich und unzeitgemäß angesehen haben. Das Unzulängliche in den Leistungen der Freiwilligen wurde fast stets mit Stillschweigen übergangen, während jedes Korps für alles, was es einigermaßen gut durchführte, in den Himmel gehoben wurde. Die Höflichkeit der Leute wurde mit aller Rücksicht darauf, unvoreingenommen zu sein, sehr stark in Anspruch genommen. Überall mußten sie über die eine oder andere Angelegenheit der Freiwilligen ihre Meinung sagen, und wenn sie nicht darauf vorbereitet waren, ein höchst übertriebenes und unangebrachtes Lob zu äußern, konnten sie von Glück sagen, wenn sie damit davonkamen, als eingebildete Snobs betrachtet zu werden. Wie oft ist den Freiwilligen geschadet worden durch die dumme Schmeichelei, sie seien fähig, gegen jede beliebige Truppe in der Welt zu kämpfen! Wie oft ist ihnen erzählt worden, daß keine Division der Linientruppen das hätte besser machen können, was sie im Hyde Park, in Edinburgh, Newton oder Knowsley gezeigt haben!

Wenn man von solch absurder Schmeichelei absieht, die zu allen Zeiten lächerlich gewesen wäre, möchten wir sagen, daß den Freiwilligen eine Möglichkeit zur Erprobung gegeben werden sollte, ehe man über ihre Leistungsfähigkeit ein gerechtes Urteil abgibt. Aber diese Zeit ist längst vorüber. Wenn die Freiwilligen-Bewegung nach fast zweijähriger Existenz noch keine Kritik vertragen kann, wird sie diese niemals vertragen können. Die großen Revuen des vergangenen Sommers kennzeichnen nach unserer Ansicht die Periode, in der die Bewegung den Übergang von der Kindheit <259> zum Jünglingsalter vollzog; durch diese Revuen haben die Freiwilligen jetzt selbst Kritik herausgefordert; und doch wurde diese Kritik - mit ein oder zwei Ausnahmen - von jenen, die dazu berufen gewesen wären, nicht öffentlich geübt.

Die Auswirkungen - sowohl der fehlenden ehrlichen und freimütigen Kritik als auch der übertriebenen Schmeichelei - sind jetzt sichtbar genug. Es wird kaum ein seit 18 Monaten existierendes Freiwilligen-Korps geben, welches nicht im stillen davon überzeugt ist, so gut zu sein, wie man es überhaupt verlangen kann. Die Soldaten werden, nachdem sie die einfachsten Bataillonsbewegungen durchgenommen, die Routinearbeit des Schützengefechts auf ebenem Boden und ein wenig Gewehrschießen gelernt haben, nur zu geneigt sein anzunehmen, daß sie alle diese Dinge genausogut können wie die Linientruppen; und was die Offiziere von sich selbst halten, zeigte sich bei dem Wettlauf um die Beförderung zum Hauptmann, Major und Oberstleutnant, der fast in jedem Korps vorkam. Jedermann fühlte sich völlig geeignet für jeden Offiziersrang, den er sich verschaffen konnte, und in der Mehrzahl der Fälle war es sicherlich nicht sein Verdienst, wenn der Mann avancierte; man braucht sich nicht zu wundern, daß wir in einer ganzen Reihe von Fällen alles andere als den rechten Mann auf dem rechten Platz haben. Offiziere und Mannschaften glaubten so fest daran, was eine wohlgesinnte Presse und Öffentlichkeit Vollkommenheit der Leistungen zu nennen beliebten, daß sie anfingen, das Soldatentum für eine ungewöhnlich leichte Sache zu halten; und es ist ein Wunder, daß ihre eigene Emporkömmlings-Vollkommenheit sie nicht glauben ließ, eine stehende Armee aus langausgebildeten Offizieren und Soldaten sei vollkommen überflüssig in einem Lande, in dem perfekte Soldaten weit leichter auf der Grundlage der Freiwilligen hervorgebracht werden könnten.

Der erste deutliche Beweis dafür, wie der Bewegung durch ihre Anhänger in der Presse geschadet wurde, war das Manöver im vergangenen Sommer in London. Einige unternehmungslustige Freiwilligen-Obersten hielten die Zeit für gekommen, ihren Soldaten einen Vorgeschmack davon zu geben, was Kämpfen eigentlich bedeutet. Natürlich, die Neunmalklugen unter den Regulären schüttelten die Köpfe, aber das hatte gar nichts zu sagen. Diese Regulären waren der Freiwilligen-Bewegung übel gesinnt, sie waren neidisch auf sie, der Erfolg der Hyde-Park-Revue machte sie fast toll; sie fürchteten, das Manöver würde besser ausgehen als alles, was die Linientruppen jemals in dieser Richtung geleistet hatten, etc. Hatten denn die Freiwilligen nicht das Gewehrexerzieren, die Pelotonausbildung, die Bataillonsausbildung und die Schützenkampfübungen durchlaufen? <260> Und die Offiziere, obwohl vor kurzem bloße Zivilisten, waren sie nicht jetzt fähige Hauptleute, Majore und Obersten? Warum sollten sie nicht eine Brigade oder eine Division genausogut führen wie ein Bataillon? Warum sollten sie nicht ein bißchen General spielen, wo sie in den unteren Rängen so erfolgreich gewesen waren!

So wurde das Manöver durchgeführt, und nach allen Berichten war es ein schmachvolles. Die Sache wurde mit höchster Mißachtung aller Bodenverhältnisse, prächtiger Geringschätzung der Feuerwirkung und einer völlig lächerlichen Anhäufung all der Unmöglichkeiten, die einem Scheingefecht anhaften, durchgeführt. Die Soldaten lernten dadurch nichts; sie nahmen einen Eindruck vom Kämpfen, der der Realität völlig entgegengesetzt war, einen leeren Magen und müde Beine mit nach Hause - letzteres vielleicht das einzige, was für beginnende Krieger in gewisser Hinsicht als nützlich angesehen werden kann.

Solche Albernheit war in der Kindheit der Bewegung verzeihlich. Aber was sollen wir zur Wiederholung ähnlicher Versuche in der Gegenwart sagen? Unsere unermüdlichen Londoner Self-made-Freiwilligen-Generale sind wieder am Werke. Ihre eigenen Lorbeeren vom vergangenen Sommer lassen ihnen keine Ruhe. Ein bloßes Manöver von gewöhnlichem Ausmaß befriedigt ihren Ehrgeiz nicht mehr. Diesmal soll ein großer entscheidender Kampf ausgefochten werden. Eine Armee von 20.000 Freiwilligen soll von London aus an die Südküste geworfen werden, eine Invasion zurückweisen und noch am selben Abend nach London zurückkehren, um am nächsten Morgen wieder den Geschäften nachgehen zu können. Alles dies, wie die "Times" richtig bemerkt, ohne jegliche Organisation, ohne Stab, Kommissariat, Landtransport, Regimentstrain - ja, sogar ohne Tornister und ohne all die notwendigen Dinge für einen Feldzug, die ein Liniensoldat in diesem Behälter mit sich führt! Das ist jedoch nur eine Seite der Frage, es zeigt nur eines der charakteristischen Merkmale des unglaublichen Selbstvertrauens, das unsere Freiwilligen-Generale überzeugt sind, besitzen zu dürfen. Wie die rein taktischen Kenntnisse, die Fertigkeit, Truppen zu führen, erlangt werden sollen - danach fragt die "Times" nicht. Und doch ist dies ein ebenso wichtiger Punkt. Das Exerzieren der Freiwilligen wird nur auf ebenem Boden durchgeführt, aber Schlachtfelder sind im allgemeinen alles andere als eben und undurchbrochen, und gerade die Fähigkeit, aus durchbrochenem, wellenförmigem Boden Vorteil zu ziehen, ist die Grundlage jeder angewandten Taktik und der Fertigkeit, Truppen beim Einsatz zu disponieren. Aber wie können die Generale, Obersten und Hauptleute der Freiwilligen diese Kunst beherrschen, die theoretisch und <261> praktisch erlernt werden muß? Wo ist sie ihnen beigebracht worden? Dieser Grundsatz der angewandten Taktik ist so wenig beachtet worden, daß wir nicht von einem einzigen Korps wissen, welches praktisch unterwiesen worden ist, wie ein Gefecht auf durchbrochenem Boden durchzuführen ist. Was kann dann bei allen solchen Versuchen, Manöver durchzuführen, anderes herauskommen als ein Schauspiel, das vielleicht für unwissende Zuschauer befriedigend, aber für die Soldaten, die sich ihnen zu unterziehen haben, ganz gewiß nutzlos ist und nur geeignet, die Freiwilligen-Bewegung in den Augen der Militärexperten, die solch einer Vorstellung beiwohnen, lächerlich erscheinen zu lassen.

Zu unserem Erstaunen stellen wir fest, daß sogar in dem praktischen Manchester ein Versuch unternommen wird, Freiwilligen-Generale hervorzubringen. Ohne Zweifel sind wir nicht ganz so fortgeschritten wie unsere Freunde, die Londoner; wir werden kein Manöver haben, sondern eine bloße Feldübung aller Freiwilligen Manchesters - so etwa in der Art der Newtoner Revue, und die Sache soll auf einem verhältnismäßig ebenen Bodenstück vor sich gehen. Nun möchten wir so verstanden werden, daß wir, weit davon entfernt, dies zu mißbilligen, im Gegenteil glauben, daß ein halbes Dutzend solcher Feldübungen in jedem Jahre den Freiwilligen Manchesters nichts schaden würde. Wir möchten hinzufügen, daß wir es sogar für wünschenswert hielten, daß solche Feldübungen auf durchbrochenem Boden durchgeführt würden, um zu ermöglichen, die Manöver (gegen einen angenommenen Feind) mehr zu variieren und Offiziere und Mannschaften allmählich an ein Manövrieren auf durchbrochenem Boden zu gewöhnen. Solche Manöver würden den Adjutanten ausgezeichnete Gelegenheiten geben, hernach bei der Offiziersausbildung einige praktische Schlußfolgerungen zu ziehen über die Methode, beim Kampf die Bodenvorteile auszunutzen. Soweit stimmen wir dem Plan nicht nur zu, sondern wünschten sogar, ihn erweitert und regelmäßig durchgeführt zu sehen. Aber nun werden wir durch einen Artikel, der am letzten Sonnabend in einer Lokalzeitung erschien, informiert, daß bei dieser Gelegenheit die Freiwilligen alles selbst ausführen werden. Das heißt, sie werden einen Freiwilligen-Oberbefehlshaber, Freiwilligen-Brigadegenerale und einen Freiwilligen-Stab haben. Das ist nun der Versuch, das Londoner System, Freiwilligen-Generale hervorzubringen, auch in Manchester einzuführen; und hiergegen erheben wir entschieden Einspruch. Bei allem schuldigen Respekt gegenüber den kommandoführenden Offizieren in Manchester sagen wir, daß sie noch eine ganze Menge zu lernen haben, ehe sie - und wir machen hier keine Ausnahme - voll ausgebildete Bataillonskomman- <262> deure werden; und wenn sie, ehe sie sich für die von ihnen bereits übernommene Verantwortung entsprechend qualifiziert haben, danach streben, für einen Tag in einem höheren Rang zu agieren, tun sie das, was nach unserer Meinung der größte Fluch für die Freiwilligen-Bewegung ist, nämlich Soldat spielen und damit die Bewegung herabsetzen. An der Spitze ihrer Bataillone wären sie am rechten Platz, sie könnten sich um ihre Leute kümmern und dabei selbst etwas lernen. Als Brummagem-Generale <nachgemachte Generale> würden sie von keinem wirklichen Nutzen sein - weder für ihre Soldaten noch für sich selbst. Alle Achtung vor den Adjutanten unserer Regimenter in Manchester, denen der größere Teil des Verdienstes gebührt, ihre Regimenter zu dem gemacht zu haben, was sie sind; aber ihr Platz ist bei ihren jeweiligen Regimentern, wo sie bis jetzt noch nicht entbehrt werden können, während sie von keinem wirklichen Nutzen wären, wenn sie einen Tag lang Adjutant, General und Brigademajor spielten, was ihnen sicherlich auch persönlich keine besondere Befriedigung gewähren würde.

Da wir in Manchester das Stabsquartier der nördlichen Division der Armee mit einem umfangreichen, leistungsfähigen Stab haben, da wir ein Infanterie- und Kavallerieregiment hier in Garnison haben, ist es nicht nötig, auf solche außerordentliche Possen zu verfallen. Wir glauben, es würde der militärischen Subordination angemessener und auch mehr im Interesse der Freiwilligen selbst sein, sich nicht in großer Zahl unter Waffen zu versammeln, ohne das Kommando dem General des Bezirks anzubieten und es ihm zu überlassen, den Stab und die Offiziere der Linientruppen für die Division und die Brigaden zu bestimmen. Zweifellos würde man den Freiwilligen in demselben freundlichen Sinn entgegenkommen, wie es bei früheren Gelegenheiten der Fall war. Sie würden dann an der Spitze der Division und der Brigaden Männer haben, die ihre Sache verstehen und auf vorkommende Fehler hinweisen können, und sie würden auch ihre eigene Organisation unvermindert erhalten. Zweifellos würde dies verhindern, daß Obersten als Generale, Majore als Obersten und Hauptleute als Majore agieren, aber es würde den großen Vorteil haben, Manchester davon abzuhalten, solche Brummagem-Generale hervorzubringen, um die man London, wo das jetzt ganz offensichtlich geschieht, nicht zu beneiden braucht.