Inhaltsverzeichnis Artikel und Korrespondenzen 1860

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 15, 4. Auflage 1972, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1961, Berlin/DDR. S. 229-233.

1. Korrektur
Erstellt am 18.09.1998

Friedrich Engels

Die Freiwilligen-Genietruppen

Geschrieben Ende November 1860.
Aus dem Englischen.


["The Volunteer Journal, for Lancashire and Cheshire" Nr. 12 vom 24. November 1860]

<229> Die Freiwilligen-Armee besitzt bereits längere Zeit eine zahlenmäßig starke Infanterie und Artillerie; außerdem wird sie durch eine kleine Kavallerietruppe ergänzt, und jetzt geht sie allmählich dazu über, sich mit dem letzten Zweig des Militärdienstes, dem Geniewesen, zu befassen. Das Thema der Freiwilligen-Genietruppen wird gegenwärtig sehr ausführlich diskutiert, und es verdient die Aufmerksamkeit, die man ihm schenkt. Das Korps der Königlichen Genietruppen ist bereits zu schwach für die zahlreichen Aufgaben, die es zu Hause und in den Kolonien zu erfüllen hat. Wie wird es erst im Falle eines Krieges und einer zu erwartenden Invasion sein? Die zahlreichen Befestigungen, die sich jetzt im Bau befinden und um die Schiffswerften ein gewaltiges verschanztes Lager bilden, werden eine beträchtliche Anzahl von Genieoffizieren und -soldaten als Besatzung erfordern; auch die Armee im Felde, die gegenwärtig durch den Einsatz von Freiwilligen auf das Zwei- oder Dreifache ihrer Stärke angewachsen ist, wird - um ihre volle Aktionsfähigkeit vor dem Feind zu gewährleisten - einer gewissen Ergänzung durch Genietruppen bedürfen. Wenn das Korps der Königlichen Genietruppen nicht beträchtlich vergrößert wird, müssen die Aufgaben dieses Zweiges entweder unvollkommen ausgeführt oder von Freiwilligen verrichtet werden, die vorher dafür ausgebildet wurden.

Die Zahl der Genietruppen, die zu einer Armee im Felde gehören, ist zudem nicht sehr groß. Drei oder vier Kompanien für ein Armeekorps von zwei Divisionen (16 bis 24 Infanteriebataillone mit einem entsprechenden Anteil Kavallerie und Artillerie) wären völlig ausreichend. Bei einer Feldarmee von 40.000 Mann Linientruppen, 20.000 Miliz und 100.000 Freiwilligen, zusammen 160.000 Mann oder 200 Bataillone, würde das acht bis <230> zehn Korps ergeben und ungefähr 30 Kompanien Geniesoldaten erfordern. Nehmen wir an, daß zehn Kompanien von den Königlichen Genietruppen gestellt würden, so blieben noch zwanzig Kompanien, die von den Freiwilligen zu bilden wären. Ungefähr dieselbe Anzahl weiterer freiwilliger Genietruppen würde genügen, den Königlichen Truppen bei der Verteidigung der befestigten Schiffswerften zu helfen, so daß etwa vierzig Kompanien freiwilliger Geniesoldaten zur Komplettierung der Freiwilligen-Infanterie und -Artillerie in ihrer gegenwärtigen Stärke genügen würden. Wenn die Anzahl der Freiwilligen so schnell anwachsen sollte, daß es ihnen möglich wäre, im Felde nach Abzug der Besatzungen mit mehr als 100.000 Mann zu erscheinen, würde ein zusätzlicher Geniesoldat für jedes Hundert zusätzlicher Schützen ausreichen; das ergibt 200 Geniesoldaten (oder drei Kompanien) für jedes Armeekorps von 20.000 Mann.

Vorläufig würden daher 40 Kompanien oder ungefähr 3.000 Mann die maximale Stärke der Genietruppen bilden, die aufzustellen ratsam sein dürfte. Und es wird sehr viel Energie erfordern, sie nicht nur dem Namen nach, sondern auch in Wirklichkeit zu Geniesoldaten zu machen, Wir finden jetzt bereits, daß bei den Artillerie-Freiwilligen eine Menge Zeit dem Kompanie- und Bataillonsexerzieren - Karabiner in der Hand - geopfert wird, obwohl diese Beschäftigung nur Paradezwecken dient und ihnen niemals auch nur ein Jota im aktiven Dienst mit Feldgeschützen oder bei der Festungsartillerie nützen wird. Und wir befürchten, daß dasselbe bei den Genietruppen eintreten wird. Man sollte sich vor allen Dingen vor Augen halten, daß jede Stunde, die über das Kompanieexerzieren hinaus verwendet wird, um den Freiwilligen militärische Haltung, die Bereitwilligkeit, Befehle unverzüglich auszuführen, und die Fähigkeit, in gehöriger Ordnung zu marschieren, beizubringen, eine verlorene Stunde ist; man sollte bedenken, daß sie ganz andere Dinge zu lernen haben und daß von diesen Dingen und nicht vom ständigen Parademarsch ihre Tüchtigkeit abhängt. Sie werden sich - Soldaten wie Offiziere - mit den Anfangsgründen der Feld- und ständigen Befestigung vertraut machen müssen. Sie werden den Bau von Trancheen, die Errichtung von Batterien und das Anlegen und Reparieren von Straßen auszuführen haben. Wenn Mittel beschafft werden können, müssen sie Militärbrücken bauen und sogar Minen legen. Es ist zu befürchten, daß einige dieser Zweige nur theoretisch gelehrt werden können, da Festungen in England selten sind und Pontons ebenfalls; man kann nicht von jedem Freiwilligen erwarten, daß er nach Portsmouth oder Chatham gehen und Fortifikation studieren oder beim Anlegen einer Pontonbrücke helfen wird. Aber es gibt anderes, das aus- <231> zuführen in der Macht jeder Kompanie steht. Wenn es hier in Manchester eine Kompanie von Geniesoldaten gäbe, könnten wir ihnen viele Gassen in so schlechtem Zustand zeigen, wie die, die eine Kolonne im Kriege passieren müßte, und wobei diejenigen, die es angeht, ihnen höchstwahrscheinlich nur zu gern erlauben würden, den Straßenbau nach Herzenslust zu üben. Es wäre nicht sehr schwierig für sie, ein Stück Land zu finden, auf dem sie einige Feldschanzen bauen, Trancheen ziehen und Batterien errichten könnten, besonders, da solch ein Stück Land sowohl den Freiwilligen der Artillerie als auch denen der Infanterie Gelegenheit böte, die Teile ihrer Ausbildung zu üben, die sonst nicht durchgeführt werden könnten. Sie mögen sogar Stellen entdecken, die es ihnen gestatten, gelegentlich eine kleine Brücke aus chevalets über einen jener Flüsse in unserer Umgebung zu schlagen, die dort, wo der Untergrund fest ist, große Vorteile für den Bau dieser Art von Brücken bieten. Solche Dinge und noch viele mehr in derselben Richtung sollten ihre Hauptübungen ausmachen. Kompanieexerzieren sollte am Anfang rasch durchgeführt und nur wiederaufgenommen werden, wenn das Korps in seinem wirklichen Aufgabengebiet einigermaßen vorangekommen ist; im zweiten Winter können dann die Abende vorteilhaft zum Exerzieren benutzt werden. Wenn aber die Genietruppen es für notwendig halten, sich von Anfang an mit der Haltung der Schützen beim Parademarsch und bei Bataillonsevolutionen zum Schaden ihrer Spezialausbildung zu messen, wenn die Aufmerksamkeit der Offiziere mehr auf die Pflichten eines Infanterieoffiziers als auf die fachliche Ausbildung gerichtet ist - dann können die Freiwilligen-Geniesoldaten sich darauf verlassen, daß man sie in einem Feldzug weit öfter als Infanterie- denn als Genietruppen einsetzen wird.

Es wird wenig Schwierigkeiten geben, sehr tüchtige Offiziere zu finden, wenn sie aus der einzigen Schicht, die für die Aufgabe geeignet ist - den Zivilingenieuren - ausgewählt werden. Ein theoretisches Studium von wenigen Monaten und eine gelegentliche Reise nach Chatham, Portsmouth oder Aldershot wird sie bald mit den meisten Zweigen des Geniewesens vertraut machen, und die militärische Ausbildung ihrer Kompanien wird ihnen weiterhelfen. Sie werden lernen, indem sie lehren. Ihr eigener Beruf zwingt sie, alle Grundlagen des Geniewesens zu kennen, und da es sehr intelligente und gut unterrichtete Leute sein müßten, wird ihnen die Anwendung dieser Grundlagen auf militärische Gegenstände nur wenig Schwierigkeiten bereiten.

Wir haben in der "Army und Navy Gazette" einen Bericht über eine gewaltige militärtechnische Organisation gelesen, die alle Eisenbahnlinien <232> im Lande umfassen soll und von der man sich großartige Ergebnisse im Falle einer Invasion verspricht. Die Grundzüge des Planes sind im "Volunteer Journal" der letzten Woche wiedergegeben. Die Form, in der dieser Plan der Öffentlichkeit vorgelegt wird, ist überaus unklar. Bis jetzt sehen wir die ungeheuren Vorzüge nicht, die ihm zugeschrieben werden, wir glauben eher, daß zwei verschiedene Dinge durcheinandergebracht worden sind. Zweifelsohne ist es von großer Wichtigkeit, sowohl die strategische Lage jeder einzelnen Eisenbahnlinie im Königreich, als auch das ganze zusammenhängende Eisenbahnnetz zu untersuchen. Das ist so bedeutend, daß wir es für ein schweres Vergehen halten würden, wäre dies nicht schon vor langer Zeit durchgeführt worden und gäbe es nicht die jetzt in den Archiven der Horse Guards und der verschiedenen Bezirkskommandeure liegenden, sehr umfangreichen Akten, die die Ergebnisse dieser Untersuchungen enthalten. Indessen ist das die Pflicht des Stabes und nicht der Genietruppen. In der Formierung der Lokomotivführer, Heizer, Schienenleger und Eisenbahnarbeiter jeder Eisenbahnlinie zu einem Korps von Geniesoldaten sehen wir keinen großen Vorteil. Diese Leute haben sozusagen schon eine militärische Organisation und stehen unter strafferer Disziplin als irgendein Freiwilligen-Korps im Lande. Was man von ihnen in ihrer Eigenschaft als freiwillige Geniesoldaten erwartet, sind sie schon in ihrem gegenwärtigen Beruf durchaus in der Lage zu tun. Und da im Kriege ihre Anwesenheit auf ihrem gegenwärtigen Posten viel notwendiger sein würde als jetzt, hat es nicht den geringsten Wert, sie in Spezialzweigen des Geniewesens auszubilden.

Diese Bemerkungen beziehen sich nur auf den Teil des Planes, der veröffentlicht worden ist. Sollte es sich hiernach herausstellen, daß er noch andere Hauptpunkte enthält, müssen wir uns unsere Meinung natürlich vorbehalten.

Es sei uns jedoch gestattet, auf eine weitere Verwendungsmöglichkeit für die in diesem Lande vorhandene große Zahl von Ingenieuren hinzuweisen. Die meisten Armeen haben außer den Offizieren, denen die Sappeure und Mineure unterstellt sind, eine Anzahl von Genieoffizieren, die keiner Kompanie zugehören und mit Sonderaufgaben betraut sind. Warum sollte man nicht den Zivilingenieuren Englands die Möglichkeit geben, sich für diesen Dienst vorzubereiten? Die Schule für Zivilingenieure könnte für diesen Zweck gut nutzbar gemacht werden. Einige Vorlesungsreihen über das Geniewesen und ein kurzer praktischer Kursus bei einer Kompanie der Genietruppen würden genügen. Eine in diesem Fall absolut notwendige Prüfung, die auf streng militärische Gegenstände beschränkt <233> ist, könnte zum Kriterium für die Zulassung zum Korps der keiner Kompanie angehörenden Freiwilligen-Genieoffiziere werden. Die Regierung müßte natürlich ungeeignete Kandidaten ablehnen können. Solche Offiziere wären von großem Nutzen; denn es hängt in diesem Falle alles von der Fähigkeit der Offiziere ab; und im Notfall würden einige Freiwilligen-Scharfschützen oder -Artilleristen unter dem Kommando dieser Offiziere eine Aufgabe für Genietruppen mit mehr Erfolg durchführen, als reguläre Genieoffiziere mit ein oder zwei Abteilungen der Linieninfanterie, die ihnen für diese Aufgabe zugeteilt wurden.