Inhaltsverzeichnis Artikel und Korrespondenzen 1860

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 15, 4. Auflage 1972, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1961, Berlin/DDR. S. 124-128.

1. Korrektur
Erstellt am 18.09.1998

Karl Marx

[Die neue sardinische Anleihe -
Die bevorstehende französische und die indische Anleihe]

Aus dem Englischen.


["New-York Daily Tribune" Nr. 6035 vom 28. August 1860]

<124> London, 14. August 1860

Die neue sardinische Anleihe von 6.000.000 Pfd. St. ist abgeschlossen, und es soll das Dreifache der geförderten Summe gezeichnet worden sein. Es zeigt sich also, daß die Obligationen des neuen italienischen Königreichs auf dem Markte steigen zur gleichen Zeit, da Österreich vergebens mit einer Schuldenlast kämpft, deren Höhe nicht nach den Ressourcen des Landes, sondern nach der Schwäche der Regierung bemessen werden sollte, und da Rußland, das mächtige Rußland, vom europäischen Anleihemarkt vertrieben, gezwungen wurde, wieder zu seiner eigenen Papiergeldmaschinerie Zuflucht zu nehmen. Doch erinnert uns, selbst in Hinsicht auf Sardinien, die neue Anleihe an die abscheuliche Tatsache, daß in modernen Zeiten der erste Akt im Kampfe eines Volkes für Freiheit oder Unabhängigkeit wie durch ein ungeheures Verhängnis meistens darin zu bestehen scheint, eine neue Knechtschaft einzugehen. Ist nicht jede Staatsschuld eine Hypothek, die dem Fleiß eines ganzen Volkes aufgehalst wird, und ein Beschneiden seiner Freiheit? Läßt sie nicht eine neue Gesellschaft unsichtbarer Tyrannen entstehen, die unter der Bezeichnung öffentlicher Gläubiger bekannt ist? Wie dem auch sei, wenn die Franzosen in weniger als einem Jahrzehnt ihre Staatsschuld fast verdoppelt haben, um Sklaven zu bleiben, muß es den Italienern erlaubt sein, dieselben Verpflichtungen einzugehen, um freie Männer zu werden. Das eigentliche Piemont, ohne die neu hinzugekommenen Provinzen, mußte 1847 3.813.452 Pfd.St. Steuern zahlen, während es in diesem Jahre 6.829.000 wird zahlen müssen. Englische Zeitungen, zum Beispiel "The Economist", stellten fest, daß sich <125> der Handel Piemonts infolge der in seinem Tarif eingeführten liberalen Veränderungen stark vergrößert hat, und zur Illustration dieses Anstiegs werden uns folgende Zahlen gegeben:

1854 betrugen die Importe nur

12.497.160 Pfd.St.

1857 stiegen sie auf

19.123.040 Pfd.St.

1854 betrugen die Exporte

8.595.280 Pfd.St.

1857 stiegen sie auf

19.050.040 Pfd.St.

Ich erlaube mir jedoch zu bemerken, daß die Steigerung mehr scheinbar als real ist. Die führenden Artikel im sardinischen Export sind Seide, Seidenerzeugnisse, Zwirn, Spirituosen und Öl; aber es ist allgemein bekannt, daß während der ersten drei Quartale des Jahres 1857 die Preise für alle diese Artikel äußerst aufgebläht waren und daher die Gesamtsumme der sardinischen Handelsberichte sehr anschwellen ließen. Die offiziellen Statistiken des Königreichs geben überdies nur die Werte und nicht die Mengen der exportierten und importierten Artikel an, so daß die Zahlen für 1857 durchaus eine Ausnahme sein mögen. Da bisher noch keine offiziellen Berichte für die Jahre 1858-1860 veröffentlicht worden sind, bleibt abzuwarten, ob die Handelskrise 1858 und der italienische Krieg 1859 den industriellen Aufstieg des Landes gehemmt haben oder nicht. Die folgenden tabellarischen Aufstellungen, die die offizielle Schätzung der Einnahmen und Ausgaben allein von Sardinien für das laufende Jahr (1860) zeigen, zeugen davon, daß man einen Teil der neuen Anleihe verwenden wird, um das Defizit zu decken, während ein anderer Teil für neue Kriegsvorbereitungen gebraucht wird:

Sardiniens Einnahmen 1860

Pfd.St.

Zölle

2.411.824

Grundstücks- und Haussteuern, Stempel etc.

2.940.284

Eisenbahnen und Telegraphen

699.400

Post

242.000

vom Außenministerium eingenommene Gebühren

12.400

vom Innenministerium eingenommene Gebühren

21.136

Einnahmen aus einigen Zweigen der Volksbildung

580

Münze

6.876

Verschiedenes

193.888

außerordentliche Ressourcen

301.440

Insgesamt

6.829.738

<126>

Sardiniens Ausgaben 1860

Pfd.St.

Finanzdepartement

4.331.676

Öffentliches Recht

243.816

Auswärtige Angelegenheiten

70.028

Volksbildung

117.744

Innenministerium

407.152

Öffentliche Arbeiten

854.080

Ausgaben für das Militär

2.229.464

Ausgaben für die Marine

310.360

außerordentliche Ausgaben

1.453.268

Insgesamt

10.017.588

Wenn wir die Ausgaben, die sich auf 10.017.588 Pfd.St. belaufen, mit den Einkünften von 6.829.738 Pfd.St. vergleichen, finden wir ein Defizit von 3.187.850 Pfd.St. Andererseits werden die neu erworbenen Provinzen auf einen jährlichen Ertrag an Einkünften in Höhe von 3.435.552 Pfd.St. und jährliche Ausgaben von 1.855.984 Pfd.St. geschätzt, so daß sie einen klaren Überschuß von 1.600.000 Pfd.St. ergäben. Nach dieser Berechnung würde das Defizit des ganzen Königreichs Sardinien, einschließlich der neu erworbenen Provinzen, auf 1.608.282 Pfd.St. reduziert werden. Es wäre nur gerecht, daß die Lombardei und die Herzogtümer einen Teil der Ausgaben zahlen sollten, die Piemont im italienischen Kriege entstanden sind; aber im Laufe der Zeit kann es sich als höchst gefährliches Experiment erweisen, den neuen Provinzen Steuern aufzuerlegen, die fast doppelt so groß sind, wie ihre Administrationskosten erfordern, mit dem alleinigen Ziele, die Staatskasse der alten Provinzen zu unterstützen.

Leute, die mit dem Spiel hinter den Kulissen des Pariser Geldmarktes vertraut sind, verbreiten weiterhin, daß sich eine neue französische Anleihe in nicht zu ferner Zukunft ankündigt. Das einzige, was man noch braucht, ist eine besondere Gelegenheit, um diese Sache steigen zu lassen. Die emprunt de la paix <Friedensanleihe> hat sich, wie Sie wissen, als Fehlschlag erwiesen. Partant pour la Syrie ist bisher zu wenig geübt worden, um einen neuen Appell an den Enthusiasmus der grande nation <großen Nation> zu rechtfertigen. Es wird daher vermutet, daß, wenn nichts Neues auftaucht und die Getreidepreise weiter steigen, eine Anleihe unter dem Vorwand ausgegeben werden wird, gegen das mögliche Unheil einer Hungersnot Vorsorge zu treffen. In <127> Beziehung zu den französischen Finanzen mag als eine kuriose Tatsache erwähnt werden, daß Herr Jules Favre, der es wagte, inmitten des Corps législatif den drohenden Zusammenbruch der kaiserlichen Staatskasse vorauszusagen, zum Bâtonnier der Pariser Advokatenschaft gewählt worden ist. Die französischen Advokaten haben, wie Sie wissen, aus den Zeiten der alten Monarchie einige Fetzen ihrer alten feudalen Verfassung herübergerettet. Sie bilden immer noch eine Art Körperschaft, Barreau genannt, deren jährlich gewähltes Haupt, nämlich der Bâtonnier, sie in ihren Beziehungen zu den Gerichten und zur Regierung vertritt, während er gleichzeitig über ihre innere Disziplin wacht. Unter der Restauration und dem darauf folgenden Regime des Bürgerkönigs <Louis-Philippe> wurde die Wahl des Pariser Bâtonniers immer als ein großer politischer Akt betrachtet, der eine Kundgebung für oder gegen das augenblickliche Ministerium einschloß. Herrn Jules Favres Wahl muß, glaube ich, als die erste antibonapartistische Kundgebung angesehen werden, die von der Pariser Advokatenschaft gewagt wurde, und verdient daher unter den Tagesereignissen verzeichnet zu werden.

In der gestrigen Unterhaussitzung, vor einem Hause, das kaum groß genug war, um ein Quorum auszumachen, brachte Sir Charles Wood, dieses wahre Muster eines echten Whig-Postenjägers, eine Resolution ein, die ihn ermächtigte, eine neue Anleihe von drei Millionen Pfund Sterling zugunsten der indischen Schatzkammer auszuschreiben. Nach seiner Feststellung belief sich das indische Defizit 1858/1859 (das Finanzjahr beginnt und endet stets mit dem April) auf 14.187.000 Pfd.St., 1859/1860 auf 9.981.000 Pfd.St. und wird für 1860/1861 auf 7.400.000 Pfd.St. geschätzt. Einen Teil des Defizits versprach er aus dem Ertrage der von Herrn Wilson neu eingeführten Steuern zu decken - allerdings eine sehr fragliche Aussicht -, während der andere Teil durch die neue Anleihe von drei Millionen aufgebracht werden soll. Die Staatsschuld, die 1856/1857, in dem Jahre vor der Rebellion, 59.442.000 Pfd.St. betrug, ist jetzt auf 97.851.000 Pfd.St. gestiegen. In noch schnellerem Maße sind die Zinsen für die Schuld angewachsen. Von 2.525.000 Pfd.St. 1856/1857 sind sie auf 4.461.000 Pfd.St. 1859/1860 gestiegen. Obgleich die Staatseinkünfte durch die Auflage neuer Steuern gewaltsam erhöht wurden, konnten sie noch nicht mit den Ausgaben Schritt halten, die sogar nach Herrn Charles Woods Feststellungen in jeder Hinsicht zugenommen haben, außer denen für öffentliche Arbeiten. Um die Kosten von drei Millionen für befestigte Kasernen aufzubringen, <128> ist während dieses Jahres "fast ein vollständiger Stillstand der öffentlichen Arbeiten und öffentlichen Bauten zivilen Charakters" eingetreten und wird im folgenden Jahre andauern. Diesen "vollständigen Stillstand" scheint Sir Charles als eine der Schönheiten des Systems anzusehen. Statt 40.000, wie 1856/1857, werden jetzt 80.000 europäische Soldaten in Indien gehalten, und statt einer Eingeborenenarmee von knapp 200.000 eine von mehr als 300.000 Mann.