Inhaltsverzeichnis Artikel und Korrespondenzen 1860

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 15, 4. Auflage 1972, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1961, Berlin/DDR. S. 115-119.

1. Korrektur
Erstellt am 18.09.1998

Karl Marx

Die Papiersteuer -
Der Brief des Kaisers

Aus dem Englischen.


["New-York Daily Tribune" Nr. 6030 vom 22. August 1860]

<115> London, 7. August 1860

Der große Fraktionskampf in der Sitzung, die gestern abend bei vollem Unterhause stattfand, erwies sich vom Standpunkt der Dramatik als ein Mißerfolg, obwohl er vom ministeriellen Standpunkt ein Triumph war. Herrn Gladstones Resolutionen, die Papiersteuer auf die Höhe der Akzise zu senken - wobei zur Steuer ein geringer Aufschlag hinzukommen soll, um die gelegentlichen Nachteile der Akzise auszugleichen - wurden mit einer Majorität von 33 Stimmen angenommen, Im Unterhaus ging alles wie gewünscht. Es gab eine Arena, und es gab Gladiatoren mit ihren Anhängern hinter sich, aber es gab kein erwähnenswertes Auditorium. Ehe die Schlacht begonnen hatte, war ihr Ausgang bekannt und ihr Bulletin verkündet. Daher die Gleichgültigkeit der Öffentlichkeit. Die Koalitionsparteien, die die sogenannte Große Liberale Partei bildeten, haben notorisch die Mehrheit im Parlament, so daß eine Niederlage des Kabinetts nur durch eine Spaltung in den Reihen der Majorität hätte eintreten können. Dieser Punkt war jedoch in Lord Palmerstons offizieller Residenz geregelt worden, wohin er die liberalen Mitglieder aller Schattierungen geladen hatte. Der Vorschlag selbst ging von der Manchester-Fraktion des Ministeriums aus, und Lord Palmerston war es nur dadurch gelungen, die Unterstützung der Herren Gladstone und Milner Gibson zu erlangen, daß er versprach, Herrn Gladstones Resolution zur Kabinettsfrage zu erheben. Er hatte sie durch seine Behandlung des Vorschlages zur Aufhebung der Papiersteuer getäuscht. Diesmal hatten sie ihn auf eine bestimmte Verhaltensweise festgelegt. Die eigentlichen Whigs waren die einzige Fraktion der Majorität, die man im Verdacht hatte, verräterische Absichten zu hegen. Aber die scharfe Stimme <116> ihres Herrn und die über ihren Köpfen schwebende Drohung einer neuen Auflösung des Parlaments genügten, sie in die Schranken der Disziplin zurückzuführen. So war viele Stunden, bevor der Vorhang hochgezogen wurde, ganz London über das genaue Ergebnis des Parteienkampfes unterrichtet, und außer den Habitues auf der Fremdengalerie hatte niemand Interesse daran, dem Scheinkampf in St. Stephen's beizuwohnen. Es war tatsächlich eine ziemlich alberne Angelegenheit, die nur durch die fließende Beredsamkeit Herrn Gladstones und die höchst vollendete Beweisführung Sir Hugh Cairns belebt wurde. Herr Gladstone versuchte, die gegen seine Bill gerichtete Opposition als einen letzten Verzweiflungsschritt des Schutzzollsystems gegen den Freihandel hinzustellen. Als er sich setzte, schien der Beifall, der seine Schlußworte untergehen ließ, ihn als das wahre Haupt der liberalen Partei zu feiern, deren keinesfalls geliebter Despot Lord Palmerston ist. Auf der Seite der Konservativen bewies Sir Hugh Cairns durch logische Argumentation und mit großer Fähigkeit zur Analyse, daß die Senkung der Papiersteuer auf die Höhe der Akzise in keiner Weise durch den Handelsvertrag mit Frankreich bedingt sei. Sein Widerpart, Sir Richard Bethell, der Kronanwalt der Whigs, war geschmacklos genug, den Erfolg seines Rivalen übelzunehmen, über Sir Hughs "forensische Beredsamkeit" zu spötteln und so eine regelrechte Salve von Zwischenrufen der Tories auf sein eigenes treues Haupt zu lenken.

Nun, da der große Fraktionskampf der Session vorüber ist, werden sicherlich ganze Scharen ehrenwerter Mitglieder das Haus verlassen, so daß es Lord Palmerston durch den bloßen Prozeß der Erschöpfung nun gelingen kann, jede kleine Bill, die ihm am Herzen liegt, d.h. die monströse Indien-Bill zur Verschmelzung der lokalen europäischen Armee mit der britischen Armee, durchzubringen. Wenn ein neuer schlagender Beweis dafür notwendig wäre, wie tief der Parlamentarismus in England gesunken ist, so würde diese Indien-Bill und ihre Behandlung im Unterhaus ihn liefern. Jeder im Unterhaus, der in indischen Angelegenheiten Autorität und Erfahrung hat, widersetzte sich der Bill. Die Mehrheit bekannte nicht nur ihre völlige Unkenntnis, sie verriet auch ihren dunklen Verdacht hinsichtlich der ferneren Absichten der Schöpfer dieses Gesetzes. Sie mußten zugeben, daß der Gesetzentwurf unter falschen Vorspiegelungen ins Parlament eingeschmuggelt worden sei, daß die wichtigsten Unterlagen, die zu einer genauen Einschätzung des Falles unerläßlich seien, betrügerisch vorenthalten wurden, daß der Minister für Indien <Sir Charles Wood> das Gesetz trotz des <117> einmütigen Protestes des Indienrats vorgelegt habe, eines Protestes, den er durch einen offenen Bruch der neuen Verfassung, die Indien 1858 verliehen wurde, dem Parlament vorzulegen unterlassen hatte; und schließlich, daß das Kabinett nicht einmal versucht hatte, irgendeinen Grund dafür anzugeben, daß gegen Ende der Sitzung und nach Zurückziehung aller bedeutenden Fragen mit solch unschicklicher Eile im Unterhaus ein Gesetz durchgepeitscht wurde, daß die britische Verfassung in der Tat radikal änderte durch eine ungeheure Vergrößerung des Patronats der Krone und durch die Schaffung einer Armee, die in jeder praktischen Beziehung unabhängig werden würde von der Bewilligung der Geldmittel. Immerhin kann diese Bill nun durchgebracht werden, da die Häupter beider Fraktionen, wie es scheint, zu einer geheimen Verständigung mit dem Hofe gekommen sind.

Louis-Napoleons Brief an seinen geliebten Persigny bildet weiterhin das Hauptgesprächsthema in England und jenseits des Kanals. Es scheint, daß der Protest der Pforte gegen die syrische Expedition, wie ursprünglich zwischen Frankreich und Rußland geplant, zuerst von Österreich und Preußen stark unterstützt wurde, während Lord Palmerston, der gerade anläßlich der Befestigungsdebatten Louis-Napoleon als den großen Gegenstand für den britischen Verdacht ausgewählt hatte, nichts anderes tun konnte, als sein Gewicht zugunsten der Türkei und der deutschen Mächte in die Waagschale zu werfen. Es scheint überdies, daß der Mann des Dezembers etwas erschrocken ist nicht nur vor dem diktatorischen Tone, den sich Rußland angemaßt hat, sondern noch mehr über die in den Salons der "anciens partis" zirkulierenden Spötteleien und das leise Geflüster in den Faubourgs über die "alliance cosacque" <"Allianz mit den Kosaken">.

Um Paris die letztere schmackhaft zu machen, muß eine viel größere Verwirrung eintreten. Unter diesen quälenden Umständen und in einer offensichtlich unbehaglichen Stimmung schrieb Louis-Napoleon seinen Brief, von dem mehrere Passagen stark mit dem Duft des Lächerlichen parfümiert sind.

Ein Engländer mag sich bei der von Louis-Napoleon an Lord Palmerston gerichteten Phrase: "Verständigen wir uns doch loyal in ehrlichem Vertrauen wie ehrbare Leute, die wir sind, und nicht wie Diebe, die sich gegenseitig anführen wollen", ein ehrliches Lachen erlauben, aber der ausgesucht schlechte Geschmack, zusammen mit der Wirkung des Lächerlichen im Original-Französischen: "Entendons nous loyalement comme d'honnêtes gens, que nous sommes, et non comme des larrons, qui veulent se duper <118> mutuellement", kann nur von einem französischen Ohr geschätzt werden. Kein Franzose kann diesen Passus lesen, ohne an einen ähnlichen Satz erinnert zu werden, der sich in dem berühmten Schauspiel "Robert Macaire" findet.

Ich will einige Daten für einen Vergleich zwischen dem französischen und dem englischen Staatshaushalt hinzufügen. Nach dem vorläufigen oder voraussichtlichen Budget werden die gesamten Einkünfte Frankreichs für das Jahr 1860 auf 1.825 Millionen Francs oder 73.000.000 Pfd. Sterling geschätzt, die sich aus folgenden Quellen herleiten:

Pfd.St.

I. Direkte Steuern, Grundstücke, Häuser, persönliche Vorrechte

18.800.000

II. Registrierung (Stempel und Domänen)

14.300.000

III. Wälder, Forsten und Fischerei

1.500.000

IV. Zolle und Steuern auf Salz

9.100.000

V. Indirekte Steuern (Akzise usw.)

19.500.000

VI. Post

2.300.000

VII. Verschiedenes

7.500.000

Die englischen Einkünfte waren 1859 (die Finanzberichte für 1860 sind noch nicht veröffentlicht worden) folgende (in beiden Fällen sind nur runde Zahlen gegeben):

Pfd.St.

I. Steuern (einschl. Einkommensteuer)

10.000.000

II. Stempelsteuern

8.250.000

III. Kronländereien

420.000

IV. Zölle

24.380.000

V. Akzise

18.500.000

VI. Post

3.200.000

VII. Verschiedenes

2.100.000

Die vergleichsweisen öffentlichen Ausgaben der beiden Länder waren wie folgt:

Frankreich

England

Pfd.St.

Pfd.St.

Zinsen auf Staatsschulden

22.400.000

28.500.000

Armee und Marine

18.600.000

22.500.000

Zivilliste der Krone

1.000.000

400.000

Ausgaben zur Einziehung der Einnahmen

8.000.000

4.500.000

Andere Kosten

23.000.000

9.000.000

Insgesamt:

73.000.000

65.000.000

<119> Aus der letzten Übersicht ist zu ersehen, daß die Zinsen auf die Staatsschuld im bonapartistischen Frankreich rapide auf die Höhe der britischen zustreben, daß Armee und Marine bei der kontinentalen Zentralisierung weniger kosten als bei der insularen Oligarchie, daß ein Louis-Napoleon für seine privaten Ausgaben zweieinhalbmal soviel braucht wie ein britischer Souverän und schließlich, daß in einem bürokratischen Lande wie Frankreich die Ausgaben zur Einziehung der Einnahmen auf einen Betrag anwachsen, der im Mißverhältnis zu den Einkünften selber steht.