Inhaltsverzeichnis Artikel und Korrespondenzen 1860
Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 15, 4. Auflage 1972, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1961, Berlin/DDR. S. 89-92.
1. Korrektur
Erstellt am 18.09.1998
Aus dem Englischen.
["New-York Daily Tribune" Nr. 6018 vom 8. August 1860]
<89> London, 23. Juli 1860
Einem heute aus Palermo eingegangenen Telegramm zufolge hat Oberst Medicis bevorstehender Angriff auf Milazzo den König von Neapel veranlaßt, die völlige Räumung Siziliens durch die neapolitanische Armee und ihren Rückzug auf seine Festlandsgebiete zu befehlen. Obgleich dieses Telegramm noch der Bestätigung bedarf, scheint die Sache Garibaldis ohne Frage voranzukommen, ungeachtet der Krankheit, an der seine Truppen leiden, und der diplomatischen Intrigen, die seine Regierung belästigen.
Garibaldis offener Bruch mit der Partei Cavours, nämlich die Ausweisung des berüchtigten Intriganten La Farina und der Signori Griscelli und Totti, von Geburt Korsen und von Beruf bonapartistische Polizeiagenten, aus Sizilien, hat der europäischen Presse Anlaß zu den widersprüchlichsten Kommentaren gegeben. Ein persönliches Schreiben Garibaldis an einen Londoner Freund, das mir mit der Erlaubnis übermittelt wurde, seinen hauptsächlichen Inhalt in der "Tribune" darzulegen, wird über den wahren Sachverhalt keinen Zweifel lassen. Garibaldis Schreiben trägt ein früheres Datum als seine Anweisung vom 7. dieses Monats, durch welche die drei oben erwähnten Verschwörer ohne Umstände von der Insel entfernt wurden; es erklärt aber völlig die Streitfragen zwischen dem General und dem Minister - zwischen dem populären Diktator und dem dynastischen Großwesir; mit einem Wort: zwischen Garibaldi und Cavour. Letzterer, im geheimen Einverständnis mit Louis Bonaparte, den Garibaldi als "cet homme faux" (diesen falschen Mann) brandmarkt, wobei er die Notwendigkeit voraussieht, mit ihm "eines schönen Tages die Klingen kreuzen zu müssen" - Cavour also hatte beschlossen, Stück für Stück jene <90> Teile italienischen Gebietes zu annektieren, die Garibaldis Schwert heraushauen würde oder die durch Volksaufstände von ihrer alten Abhängigkeit befreit würden. Dieser Prozeß der stückweisen Annexion an Piemont sollte von einem gleichzeitigen Prozeß der "Kompensation" für das Zweite Kaiserreich begleitet sein. Wie Savoyen und Nizza für die Lombardei und die Herzogtümer bezahlt werden mußten, so sollen Sardinien und Genua für Sizilien gezahlt werden; jeder neue separate Annexionsakt ruft eine neue separate diplomatische Transaktion mit dem Protektor von Piemont <Napoleon III.> hervor. Eine zweite Zerstückelung zugunsten Frankreichs würde, ganz abgesehen von der Verletzung der Integrität und Unabhängigkeit Italiens, die sie mit sich bringt, sofort die patriotischen Bewegungen in Neapel und Rom ersticken. Die Überzeugung verbreitet sich, daß Italien immer kleiner werden muß, um unter piemontesischer Vorherrschaft vereinigt zu werden und um Bonaparte in die Lage zu versetzen, in Neapel und Rom Separatregierungen zu unterhalten, die dem Namen nach unabhängig, doch in Wirklichkeit französische Vasallen wären. Daher betrachtete es Garibaldi als Hauptaufgabe, den Vorwand für eine diplomatische Einmischung Frankreichs zu beseitigen; doch konnte dies nach seiner Auffassung nur dadurch erreicht werden, daß man den reinen Volkscharakter der Bewegung erhält und ihr jeden bloßen Anschein einer Verbindung mit Plänen dynastischer Vergrößerung nimmt. Wenn Sizilien, Neapel und Rom erst befreit wären, wäre der Augenblick gekommen, sie dem Königreich Viktor Emanuels einzuverleiben, nähme es der letztere nur auf sich, sie zu halten und zu verteidigen nicht nur vor Österreich, dem Feind von vorn, sondern auch vor Frankreich, dem Feind im Rücken. Garibaldi, der sich vielleicht etwas zu viel auf den guten Willen der englischen Regierung und die Notlage Louis Bonapartes verläßt, nimmt an, daß, solange er Piemont keinerlei Gebiet einverleibt und sich bei der Befreiung Italiens ausschließlich auf italienische Waffen stützt, Louis Bonaparte es nicht wagen wird, in offener Verletzung des Prinzips, unter dem er den italienischen Kreuzzug begann, zu intervenieren. Wie es auch sei, so viel ist sicher: Garibaldis Plan, ob erfolgreich oder nicht, ist der einzige, der unter den gegenwärtigen Umständen Aussicht hat, Italien zu befreien nicht nur von seinen alten Tyrannen und der Zersplitterung, sondern auch aus den Klauen des neuen französischen Protektorats. Diesen Plan zu vereiteln war der besondere Auftrag Cavours, mit dem er La Farina, unterstützt von den beiden korsischen Brüdern, nach Sizilien entsandt hatte.
<91> La Farina ist auf Sizilien geboren, wo er sich 1848 unter den Revolutionären mehr durch seinen Haß gegen die republikanische Partei und seine Intrigen mit den piemontesischen Doktrinären als durch wirkliche Energie oder hervorragende Heldentaten auszeichnete. Nach dem Scheitern der sizilianischen Revolution und während seines Aufenthaltes in Turin veröffentlichte er eine umfangreiche Geschichte Italiens, in der er sein Bestes tat, die Dynastie Savoyen zu verherrlichen und Mazzini zu schmähen. Mit Leib und Seele Cavour verpflichtet, erfüllte er die Nationale Assoziation für die Einheit Italiens mit bonapartistischem Geist und benutzte sie, nachdem er ihr Präsident geworden war, als Instrument, alle Versuche unabhängiger nationaler Aktionen nicht zu fördern, sondern zu hindern. Als das erste Gerücht über Garibaldis beabsichtigte Expedition nach Sizilien in Umlauf kam, bespöttelte und verunglimpfte La Farina, ganz in Einklang mit seiner vorangegangenen Tätigkeit, den bloßen Gedanken einer solchen Expedition. Als dessenungeachtet unmittelbare Maßnahmen für die Vorbereitung des kühnen Unternehmens ergriffen wurden, brachte La Farina alle Ressourcen der Nationalen Assoziation in Bewegung, um es zu verhindern. Als es ihm trotz seines Widerstandes nicht gelang, den General und seine Soldaten zu entmutigen, und die Expedition schließlich startete, machte La Farina mit zynischem Grinsen Vorhersagungen der unheilvollsten Art und erdreistete sich, das sofortige und völlige Fehlschlagen des Unternehmens zu prophezeien. Sobald jedoch Garibaldi Palermo erobert und sich zum Diktator proklamiert hatte, eilte La Farina, sich ihm anzuschließen, mit der Vollmacht von Viktor Emanuel oder besser Cavour, im Namen des Königs die Befehlsgewalt auf der Insel zu ergreifen, sobald über die Annexion abgestimmt worden ist. Von Garibaldi zunächst trotz seiner üblen Tätigkeit, wie er selbst zugibt, auf das höflichste empfangen, begann La Farina sofort die Miene des Herrn aufzusetzen, gegen das Ministerium Crispi zu intrigieren, mit den französischen Polizeiagenten zu konspirieren, die aristokratischen Liberalen um sich zu scharen, die darauf brannten, die Revolution durch eine Abstimmung für separate Annexion zu beenden und an Stelle der notwendigen Maßnahmen zur Vertreibung der Neapolitaner aus Sizilien Pläne für die Verjagung der Anhänger Mazzinis und anderer Leute, denen sein Herr und Meister Cavour nicht traute, aus der öffentlichen Verwaltung vorzuschlagen.
Crispi, dessen Ministerium zu interminieren den Anfang von La Farinas Intrigen bildete, hatte lange Zeit hindurch in London im Exil gelebt, wo er zu Mazzinis Freunden zählte. Er machte sich die Befreiung Siziliens, worauf er alle seine Kräfte richtete, zum Ziel. Unter großen persönlichen <92> Gefahren ging er im Frühjahr 1859 mit wallachischem Namen und Titel nach Sizilien, besuchte hier jede größere Stadt und bereitete eine Insurrektion für den Monat Oktober vor. Die Herbstereignisse verzögerten den Aufstand, zunächst bis November, darauf bis zu diesem Jahr. In der Zwischenzeit wandte sich Crispi an Garibaldi, der es ablehnte, einen Aufstand zu entfachen, aber das Versprechen gab, ihn, nachdem er einmal ausgebrochen war und sich so weit konsolidierte, daß er die wirkliche Stimmung der Sizilianer zeigte, zu unterstützen. Gemeinsam mit seiner Gattin, der einzigen Frau in dem Unternehmen, begleitete Crispi Garibaldi während der Expedition und nahm an allen Kämpfen teil, während seine Frau die Betreuung der Kranken und Verwundeten überwachte; diesen Mann also wollte Signor La Farina zuerst über Bord werfen, natürlich mit der geheimen Hoffnung, nach ihm den Diktator zu stürzen. Mit Rücksicht auf Viktor Emanuel und unter dem starken Druck der aristokratischen Liberalen willigte Garibaldi wenn auch unter Protest ein, ein neues Ministerium zu bilden und Crispi zu entlassen, den er jedoch als persönlichen Ratgeber und Freund behielt. Garibaldi hatte jedoch kaum dieses Opfer gebracht, als er gewahr wurde, daß man nur deshalb auf die Entlassung des Ministeriums Crispi gedrängt hatte, um ihm ein Kabinett zuzuteilen, das in allem, außer der Bezeichnung, nicht sein Kabinett, sondern das Kabinett La Farinas oder Cavours war und das, bestärkt durch die Anwesenheit La Farinas und mit dem Schutz Cavours rechnend, in sehr kurzer Zeit seinem ganzen Befreiungsplan entgegenwirken und überall im Lande all seinen Einfluß gegen den Nizzaschen Eindringling, wie man Garibaldi bereits nannte, aufbieten würde. Folglich rettete Garibaldi durch die Ausweisung La Farinas und der korsischen Brüder, durch die Annahme des Rücktritts des von La Farina designierten Ministeriums und durch die Ernennung eines patriotischen Ministeriums, aus dem wir Signor Mario nennen können, sowohl seine eigene Sache als die Siziliens und Italiens.