Inhaltsverzeichnis Artikel und Korrespondenzen 1860

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 15, 4. Auflage 1972, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1961, Berlin/DDR. S. 65-69.

1. Korrektur
Erstellt am 18.09.1998

Karl Marx

Interessantes aus Preußen

Aus dem Englischen.


["New-York Daily Tribune" Nr. 5986 vom 30. Juni 1860]

<65> Berlin, 13. Juni 1860

Heute abend wird sich der Prinzregent nach Baden-Baden begeben, wo eine Art Kongreß zwischen Louis-Napoleon und einem Rat gekrönter deutscher Häupter am 16. und 17. dieses Monats stattfinden soll. Das Gefolge des Prinzregenten besteht aus dem Chef des Militärkanzlei General von Manteuffel, General von Alvensleben, Oberstleutnant von Schimmelmann; chef d'escadron von Loë, Hofmarschall Graf von Pückler; dem geheimen Kabinettsrat von Illaire, dem Sekretär des Regenten, Herrn Borkmann und dem Chef des Kabinetts, Prinz von Hohenzollern-Sigmaringen, einem Mitglied der königlichen Familie. Sie werden sich erinnern, daß anläßlich des vom Prinzregenten an den Prinzgemahl von England gerichteten privaten Briefes, der in London aufgefangen und von dort Louis-Napoleon zur Kenntnis gebracht wurde, dieser auf eine persönliche Unterredung mit dem Prinzregenten drängte als bestes Mittel, die Mißverständnisse hinwegzuräumen, die anscheinend zwischen Frankreich und Preußen aufgetaucht seien. Kurz danach, beim Besuch der an den Grenzen Frankreichs liegenden Städte Saarbrücken und Trier durch den Prinzregenten, deutete Napoleon wiederum seinen Wunsch an, diese Gelegenheit zu einem Zusammentreffen mit dem Prinzen zu benutzen. Dieser Vorschlag wurde jedoch abgelehnt. Als sich inzwischen das Gerücht von der Absicht des Prinzregenten verbreitete, sich einen Monat in Baden-Baden aufzuhalten, setzte es sich König Max von Bayern in den Kopf, dem Regenten in dem Badeort eine Art Kongreß mit den Fürsten Süddeutschlands vorzuschlagen, die zu einer freundschaftlichen Verständigung mit <66> Preußen gelangen und durch eben dieses Treffen eine einheitliche Front gegen Napoleon zeigen wollten. Als der Prinzregent diesen Plan sofort aufgriff, dem der Großherzog von Baden, der König von Württemberg und der Großherzog von Hessen-Darmstadt ebenfalls zustimmten, teilte eines schönen Tages der französische Botschafter zu Berlin <La Tour d'Auvergne-Lauraguais> dem preußischen Außenminister, Herrn von Schleinitz, offiziell mit, daß sein erhabener Meister eine freundschaftliche Unterredung in Baden-Baden mit dem derzeitigen Oberhaupt des preußischen Staates von großem Nutzen für Frankreich als auch für Deutschland halte, um das Mißtrauen zu zerstreuen, dessen unschuldiges Opfer Frankreich zu sein scheine. Auf die Entgegnung des preußischen Ministers, daß unbillige Verdächtigungen, die wahrscheinlich nicht durch eine derartige Unterredung zerstreut werden könnten, auch auf Preußen lasteten und daß außerdem bereits eine vertrauliche Konferenz deutscher Fürsten einberufen wäre, erwiderte der französische Gesandte nach weiterer Information aus Paris, daß Louis-Napoleon sich freuen würde, die größtmögliche Anzahl deutscher Fürsten versammelt zu sehen, und daß er darüber hinaus persönlich eine wichtige Erklärung abzugeben habe, die keinen weiteren Aufschub dulde. Bei diesem Punkt gab der Widerstand der Hohenzollern nach. Eine Wiener Depesche drückte Berlin sogleich das österreichische Mißfallen über das beabsichtigte Zusammentreffen aus, aber die anderen deutschen Höfe wurden durch ein Zirkularschreiben des preußischen Außenministers mehr oder weniger beruhigt. Auf dieses Zirkular hin traf heute morgen unerwartet der König von Hannover in Berlin ein und erklärte spontan seine Bereitwilligkeit, den Prinzregenten nach Baden-Baden zu begleiten, der daraufhin telegraphisch den König von Sachsen ebenfalls zu der Konferenz einlud. Man braucht kaum zu erwähnen, daß die Herzöge von Coburg-Gotha und Nassau stehenden Fußes folgen werden.

Somit hat sich eine Zusammenkunft deutscher Fürsten, die ursprünglich eine Demonstration gegen Frankreich sein sollte, in eine Art von Levet umgewandelt, das von Louis-Napoleon auf deutschem Boden gehalten wird und auf dem sich die Könige, Großherzöge und anderen kleinen Potentaten des Deutschen Bundes drängen. Seitens des Prinzregenten sieht es wie Zerknirschung wegen der Sünde aus, seinen Verdacht gegenüber den aggressiven Plänen des französischen Usurpators geäußert zu haben, und seitens der kleineren Fürstenbrut wie eine Vorsichtsmaßregel, die sie getroffen haben, um nicht von ihrem mächtigeren confrère <Mitbruder> an den gemeinsamen <67> Feind verkauft zu werden. Bekanntlich haben die Königin Victoria und der König von Sardinien mit der Demütigung gekrönter Häupter vor dem Quasimodo der französischen Revolution den Anfang gemacht. Die persönliche Unterredung des Zaren in Stuttgart mit dem Mann des Dezember <Napoleon III.> im Jahre 1857 konnte niemanden als die Kaffeehauspolitiker überraschen, die sich von der übertriebenen Koketterie des Petersburger Hofes mit den Grundsätzen der Legitimität hatten täuschen lassen. Das Zusammentreffen des Habsburgers mit seinem Besieger nach der Schlacht bei Solferino in Villafranca war eine Geschäftsangelegenheit und nicht eine Frage der Höflichkeit. Der Prinzregent hat zusammen mit den ihn umschwärmenden kleineren Trabanten weder ein Bündnis zu erörtern, wie Victoria und Viktor Emanuel, noch eine Verschwörung, wie Zar Alexander II., noch eine Niederlage, wie Franz Joseph, sondern er kann, die Motive beiseite lassend, sich auf den von diesen großen Vorbildern geschaffenen allgemeinen Präzedenzfall berufen. Auf jeden Fall hat er durch die Annahme von Napoleons Vorschlag seiner unechten Popularität ernstlich geschadet, und zwar um so mehr, als letzterer vor nur wenigen Wochen die Unverschämtheit besaß, durch eine Botschaft seines Außenministers, Herrn de Thouvenel, den Großherzögen von Hessen-Darmstadt und Baden zu verstehen zu geben, daß sie in Zukunft ihre Briefe an den französischen Kaiser mit den Worten "Votre frère et serviteur" zu unterzeichnen hätten. Genauso lautete die Formel, die sich Napoleon I. für die deutschen Fürsten ausgedacht hatte, die einen Teil des Rheinbundes bildeten, dessen Protektor er war, und wozu Baden und Hessen-Darmstadt zusammen mit Württemberg, Bayern und anderen deutschen Furstentümern gehörten. Um Louis Bonaparte daran zu hindern, Herrn de Thouvenel mit den aufs höchste beleidigten Monarchen von Baden und Hessen-Darmstadt zusammenzuführen, haben der Prinzregent und seine gekrönten Bundesgenossen einmütig abgelehnt, von ihren jeweiligen Außenministern begleitet zu werden; aber glauben denn diese Herren wirklich, daß ihnen der Schimpf vom Diener und nicht von dessen Herrn angetan wurde?

Was die "wichtige Erklärung" betrifft, die der holländische Retter der Gesellschaft <Napoleon III.> den gekrönten Häuptern Deutschlands machen will, so besteht alle Ursache zu der Annahme, daß Louis Bonaparte die Methoden Metternichs bei den aufeinanderfolgenden Kongressen von Wien, Aachen, Troppau, Laibach und Verona nachahmen und sein Äußerstes versuchen wird, den Prinzregenten von der Existenz einer ausgedehnten Verschwö- <68> rung unter den Revolutionären zu überzeugen, die alle Kraft daransetzen, es zu einem Zusammenstoß zwischen Frankreich und Deutschland kommen zu lassen, um die rote Republik in Paris und eine Zentralrepublik in Deutschland zu errichten. In allen bonapartistischen Organen in der Schweiz, in Belgien und in Deutschland wimmelt es seit vierzehn Tagen von Artikeln, die voll solcher dunkler Anspielungen sind; und ein geheimer bonapartistischer Agent in Genf - ein wohlbekannter deutscher Naturforscher <Karl Vogt> - hat bereits triumphiernd erklärt, daß die kompetenten Behörden die antibonapartistischen Ausfälle der deutschen Presse sehr bald beenden werden.

Während der Prinzregent und seine deutschen dii minorum gentium > Fürsten zweiten Ranges> somit von der Notwenigkeit überzeugt werden sollen, sich um den Hauptretter der Gesellschaft zu versammeln, soll das preußische Volk durch das neue Pamphlet des Herrn About "La Prusse en 1860" im entgegengesetzten Sinne beeinflußt werden. Obwohl das Pamphlet bis jetzt zurückgehalten wurde, haben trotzdem schon einige Exemplare zufällig ihren Weg nach Berlin gefunden, und ich habe sie in einem anderen Artikel mit den wichtigsten Absätzen dieses neuen Manifestes der Tuilerien bekannt gemacht. Die preußische Bevölkerung, so sagt das Orakel von der Seine, muß zwischen dem Feudalismus Österreichs und dem demokratischen Prinzip des französischen Kaiserreichs wählen. Nur mit Hilfe des letzteren kann das deutsche Volk hoffen - natürlich unter der Bedingung, seinem mächtigen Nachbarn einige materielle Garantien zu geben -, die so sehr erstrebte Einheit zu verwirklichen. Nachdem er die Mängel der gegenwärtigen preußischen Regierung in sehr oberflächlicher Weise skizziert hat, beginnt der Autor des Pamphlets, die Preußen mit der wahren Natur des für das Zweite Französische Kaiserreich so charakteristischen "demokratischen Prinzips" bekannt zu machen, welches kurz gesagt darin besteht, sein Oberhaupt durch ein im modernen Gallien so bezeichnetes " allgemeines Wahlrecht" zu wählen. Zwar wagt Herr About es kaum abzuleugnen, daß in Frankreich jede Art von Freiheit zum Vorteil des holländischen Abenteurers sequestriert worden ist, aber nun wurde diese Sequestration auf das allgemeine Wahlrecht zurückgeführt. Auf diese Weise müßte man ein Teutonenreich mit Hilfe Frankreichs und auf gleicher demokratischer Grundlage unter Führung eines Hohenzollern in Deutschland errichten. Das Verfahren ist sehr einfach. Preußen braucht nur einen Teil seiner "legitimen" Besitztümer an Frankreich abzutreten und gleichzeitig unter Berufung auf das allgemeine Wahlrecht sich die Besitztümer der kleineren <69> Fürsten anzueignen, und es wird sofort aus einem feudalen in einen demokratischen Staat umgewandelt werden. Man muß zugeben, daß dieses neue, von Louis-Napoleon und seinen Sykophanten entdeckte demokratische Prinzip gar keine Neuerung ist, sondern im Gegenteil seit zwei Jahrhunderten im heiligen Rußland blüht. Die Familie Romanow wurde durch allgemeines Wahlrecht auf den Thron gesetzt. Seitdem herrscht vom Njemen bis zum Amur Demokratie. Es mag vielleicht von den Propheten des neuen "demokratischen Prinzips" Einwände geben, daß die Romanows frei gewählt wurden, daß dem Appell an das Volk kein coup d'état vorangegangen war und daß bei ihrer Thronbesteigung kein allgemeiner Belagerungszustand es verhinderte, die Wahlurnen innerhalb der erforderlichen Grenzen des demokratischen Prinzips zu halten. Da es Louis Bonaparte nicht fertig bringt, ein "legitimer" Fürst zu werden, ist das nächstbeste für ihn, seine fürstlichen Brüder in Italien und Deutschland nach dem Muster des kleinen Kaiserreichs in "demokratische" Fürsten umzuwandeln. Die römischen Kaiser waren natürlich keine richtig "demokratischen" Herrscher, da der heutige Fortschritt erfordert, das Prinzip der Erbmonarchie auf das Prinzip des "allgemeinen Wahlrechts" aufzupfropfen. So muß, wenn sich jemand auf die eine oder andere Weise eines Thrones bemächtigt und seine Usurpation durch die Farce der allgemeinen Wahl bemäntelt hat, seine Dynastie für immer als lebendige Inkarnation des allgemeinen Volkswillens gehalten werden, (Rousseaus volonte générale.)

In einem weiteren Artikel beabsichtige ich, einen Überblick über den Stand der Verwicklungen in Schleswig-Holstein zu geben, die der Konferenz von Baden-Baden ihre aktuelle Wichtigkeit verleihen. Jetzt will ich nur erwähnen, daß am 10. Juni eine Zusammenkunft zwischen dem schwedischen <Karl V.> und dem dänischen König <Friedrich VII.> auf Schloß Kronborg stattfand. Vierzehn Tage vor diesem Zusammentreffen hatte der schwedische Außenminister dem dänischen Außenminister eine Note mit dem Inhalt übersandt, daß es sehr wünschenswert wäre, wenn das Gefolge des Königs von Dänemark keine Person enthielte, denen zu begegnen Seine schwedische Majestät indignieren könnte. Mit anderen Worten, der König von Dänemark wurde aufgefordert, aus seiner Begleitung seine Frau, die Gräfin Danner, ci-devant Mademoiselle Rasmussen, zu entfernen. Demzufolge hielt es der König von Dänemark für angebracht, diese zurückzulassen.