Inhaltsverzeichnis Aufsätze für "The New American Cyclopædia"
Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 14, 4. Auflage 1972, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1961, Berlin/DDR. S. 315-339.
1. Korrektur.
Erstellt am 22.08.1998.
Geschrieben Mai bis etwa 9. Juni 1859.
Aus dem Englischen.
["The New American Cyclopædia", Band VII]
<315> Fortifikation. - Dieses Gebiet wird zuweilen unterteilt in Defensivfortifikation, die es gestattet, einen gegebenen Ort ständig oder für kurze Zeit in einen verteidigungsfähigen Zustand zu versetzen, und Offensivfortifikation, die Regeln für die Durchführung einer Belagerung enthält. Wir werden es jedoch unter den folgenden drei Hauptpunkten behandeln: die beständige Befestigung oder die Art, einen Ort in Friedenszeiten in einen solchen verteidigungsfähigen Zustand zu versetzen, der den Feind zwingt, durch eine förmliche Belagerung anzugreifen; die Kunst der Belagerung; die Feldbefestigung oder Errichtung zeitweiliger Werke zur Verstärkung eines gegebenen Punktes, der jeweiligen Bedeutung entsprechend, die er unter den besonderen Umständen eines Feldzuges erlangen mag.
I. Beständige Befestigung
Die älteste Form der Befestigung ist wahrscheinlich das Pfahlwerk, das bis zum Ende des 18. Jahrhunderts bei den Türken allgemein üblich war (palanka) und das sogar heute noch auf der indochinesischen Halbinsel von den Birmanen angewandt wird. Es besteht aus einer doppelten oder dreifachen Reihe starker Baumstämme, die aufrecht und dicht nebeneinander in der Erde aufgepflanzt werden und rund um den zu verteidigenden Ort oder um das Lager einen Wall bilden. Auf solche Pfahlwerke stießen Darius bei seinem Zug zu den Skythen, Cortez bei Tabasko in Mexiko und Kapitän Cook in Neuseeland. Manchmal war der Raum zwischen den Reihen der Baumstämme mit Erde ausgefüllt; in anderen Fällen wurden die Stämme durch Flechtwerk miteinander verbunden und zusammengehalten. Der nächste Schritt war die Errichtung von Steinwällen an Stelle der Einpfählungen. Diese Anlage sicherte größere Festigkeit und erschwerte <316> zugleich den Sturm weit mehr; seit der Zeit Ninives und Babylons bis zur Ausgang des Mittelalters bildeten Steinwälle die ausschließlichen Befestigungsmittel bei allen zivilisierteren Völkern. Die Mauern waren so hoch, daß ein Erklettern schwierig wurde. Sie waren dick genug, um dem Sturmbock längeren Widerstand leisten zu können und um den Verteidigern zu ermöglichen, sich auf dem Wall frei zu bewegen, wo sie durch eine schwächere steinerne, mit Zinnen versehene Brustwehr geschützt waren, durch deren Schießscharten Pfeile und andere Wurfgeschosse auf die Angreifer geschossen oder geworfen werden konnten. Zur besseren Verteidigung wurde bald darauf die Brustwehr überhängend gebaut, und zwar mit Öffnungen zwischen den vorspringenden Steinen, auf denen sie ruhte, so da es den Belagerten möglich war, den Fuß der Mauer zu sehen und einen Feind, der bis dahin vorgedrungen war, mit Wurfgeschossen senkrecht zu beschießen. Der Graben, der den gesamten Wall umgab und das Haupthindernis gegen ein Eindringen von außen bildete, war zweifellos auch schon frühzeitig bekannt. Schließlich wurde die Verteidigungsfähigkeit der Steinwälle außerordentlich gesteigert, indem man in gewissen Abständen Türme baute und sie aus der Mauer hervortreten ließ; damit wurde eine Seitenbestreichung durch Wurfgeschosse ermöglicht, die von den Türmen aus auf solche Truppen geschleudert werden konnten, die den Raum zwischen zwei Türmen angriffen. In den meisten Fällen höher als die Mauer und von deren Wallgang durch quer verlaufende Brustwehren getrennt, beherrschten sie die Mauer und bildeten jede für sich eine kleine Festung, die gesondert genommen werden mußte, wenn die Verteidiger schon vom Hauptwall vertrieben worden waren. Wenn wir hinzufügen, daß es in einigen Städten, besonders in Griechenland, auf einer beherrschenden Höhe innerhalb der Wälle (Akropolis) eine Art Zitadelle gab, die ein Reduit und eine zweite Verteidigungslinie bildete, so haben wir die wesentlichsten Merkmale der Epoche der Befestigung mit Mauerwerk angedeutet.
Erst in der Zeit vom 14. bis Ende des 16. Jahrhunderts änderte das Aufkommen der Artillerie die Angriffsmethoden auf befestigte Plätze grundlegend. Von dieser Zeit her datiert die umfangreiche Literatur über die Befestigungskunst, die unzählige Systeme und Manieren hervorgebracht hat; ein Teil davon hat eine mehr oder weniger ausgedehnte Anwendung in der Praxis gefunden, während man andere - und nicht immer die unsinnigsten - lediglich als theoretische Kuriositäten übergangen hat, bis die in ihnen enthaltenen fruchtbaren Ideen zu einer späteren Zeit durch glücklichere Nachfolger wieder aufgegriffen wurden. Das war, wie wir sehen werden, das Schicksal selbst des Autors, der, wenn wir es so nennen dürfen, die <317> Brücke schlug zwischen dem alten Mauerwerksystem und dem neuen System der Erdwälle, die nur an den Stellen mit Mauerwerk verkleidet sind, die der Feind aus der Entfernung nicht sehen kann. Als erstes wirkte sich die Einführung der Artillerie so aus, daß die Mauerstärke zunahm und sich der Durchmesser der Türme auf Kosten ihrer Höhe vergrößerte. Diese Türme wurden jetzt Rundelle (rondelli) genannt und waren groß genug gebaut, mehrere Geschütze aufzunehmen. Damit die Belagerten auch auf dem Wall Geschütze verwenden können, wurde dahinter ein Erdwall aufgeworfen, um ihm die notwendige Breite zu gehen. Wir werden bald sehen, wie dieser Erdwall allmählich von dem Steinwall Besitz ergriff und ihn in einigen Fällen völlig verdrängte.
Albrecht Dürer, der berühmte deutsche Maler, entwickelte dieses System der Rundelle zu seiner höchsten Vollendung. Er machte die Rundelle zu völlig selbständigen Forts, die die Kontinuität der Mauer in bestimmten Abständen unterbrachen und, mit kasemattierten Batterien versehen, den Graben bestrichen; seine gemauerten Brustwehren sind nicht mehr als 3 Fuß hoch ungedeckt (d.h. dem Belagerer sichtbar und seinem direkten Feuer ausgesetzt); um die Verteidigung des Grabens zu vervollständigen, schlug er caponnières vor, Kasematten auf der Sohle des Grabens, die den Augen der Belagerer verborgen waren, mit Schießscharten auf jeder Seite, um den Graben bis zum nächsten Winkel des Polygons enfilieren zu können.
Fast alle diese Vorschläge waren neue Erfindungen; und wenn auch keine, außer den Kasematten, zu seiner Zeit berücksichtigt wurden, so werden wir doch sehen, daß sie alle in die neuesten und wichtigsten Befestigungssysteme übernommen und den veränderten Bedingungen der modernen Zeit entsprechend entwickelt worden sind.
Ungefähr zur selben Zeit wurde der Grundriß der erweiterten Türme verändert, was man als Beginn der modernen Befestigungssysteme ansehen kann. Die runde Form hatte den Nachteil, daß weder die Kurtine (das Stück Mauer zwischen zwei Türmen) noch die zwei angrenzenden Türme mit ihrem Feuer jeden Punkt vor dem dazwischenliegenden Turm erreichen konnten; es gab kleine Winkel nahe der Mauer, wo der Feind, wenn er einmal bis dahin vorgedrungen war, von dem Feuer der Festung nicht mehr erreicht werden konnte. Um das zu vermeiden, wurde der Turm in ein unregelmäßiges Pentagon umgewandelt, eine Seite gegen das Innere der Festung gewandt und vier gegen das offene Land. Dieses Pentagon wurde Bastion genannt. Um Wiederholungen und Unklarheiten zu vermeiden, wollen wir die Beschreibung und Bezeichnungen der bastionären Verteidigung gleich an Hand eines jener Systeme geben, die all ihre wesentlichen <318> Einzelheiten aufweisen. Figur 1 zeigt drei Fronten eines Hexagons, nach Vaubans erster Manier befestigt. Die linke Seite stellt den einfachen Umriß dar, wie er bei der geometrischen Skizze des Werkes angewandt wird; die rechte gibt die Wallanlagen, das Glacis etc. im Detail wieder.
Die ganze Seite f ' f " des Polygons wird nicht durch einen fortlaufenden Wall gebildet; an jedem Ende sind die Teile d' f ' und e" f " offen gelassen, und der so entstehende Zwischenraum wird durch die vorspringende fünfeckige Bastion d' b' a' c' e' geschlossen. Die Linien a' b' und a' c' bilden die Facen, die Linien b' d' und c' e' die Flanken der Bastion. Die Punkte, wo Facen und Flanken zusammentreffen, heißen Schulterpunkte. Die Linie a' f ', die von der Mitte des Kreises bis zur Spitze der Bastion verläuft, heißt Hauptlinie. Die Linie e" d', die einen Teil des ursprünglichen Umfanges des Hexagons bildet, ist die Kurtine. So wird jedes Polygon ebenso viele Bastionen wie Seiten haben. Die Bastion kann entweder voll sein, wenn das gesamte Pentagon so hoch wie der terreplein <Wallgang> des Walles (der Platz, wo die Geschütze stehen) mit Erde aufgefüllt ist, oder hohl (leer), wenn der Wall sofort hinter den Kanonen nach dem Inneren zu abfällt. Figur 1 d h a c e zeigt eine volle Bastion, die nächste rechts davon, nur halb zu sehen, ist eine hohle Bastion. Bastionen und Kurtinen bilden die Enceinte <Kernumwallung> oder den Festungskörper. Wir erkennen als erstes auf dem Wallgang die Brustwehr, die nach vorn errichtet ist, um die Verteidiger zu schützen, und dann auf der inneren Böschung (s s) die Rampen. durch welche die Verbindungen mit dem Inneren <319> aufrechterhalten werden. Der Wall ist hoch genug, um die Häuser der Stadt vor direktem Feuer zu schützen, und die Brustwehr stark genug, um schwerer Artillerie längeren Widerstand zu leisten. Rund um den Wall verläuft der Graben t t t t mit mehreren verschiedenartigen Außenwerken. Zuerst das Ravelin oder die Demilune <Halbmondschanze> k l m vor der Kurtine, ein dreieckiges Werk mit zwei Facen k l und l m, jede mit einem Wall und einer Brustwehr für die Artillerie. Die offene Rückenseite jedes Werkes wird Kehle genannt, so in dem Ravelin k m, in der Bastion d e. Die Brustwehr des Ravelins ist ungefähr 3 oder 4 Fuß niedriger als die Brustwehr des Festungskerns, so daß das Ravelin von der Kurtine beherrscht wird und deren Geschütze, wenn notwendig, darüberhinweg feuern können. Im Graben zwischen der Kurtine und dem Ravelin liegt ein längliches und schmales detachiertes Werk, die Tenaille <Zangen-, Scherenwerk> g h i, hauptsächlich dazu bestimmt, die Kurtinen vor Breschfeuer zu schützen; sie ist niedrig und für Artillerie zu eng; ihre Brustwehr dient lediglich dazu, daß die Infanterie im Falle eines erfolgreichen Angriffs die Lünette mit Grabenfeuer bestreichen kann. Jenseits des Grabens verläuft der bedeckte Weg n o p, an der Innenseite durch den Graben und an der Außenseite durch die Innenböschung des Glacis r r r begrenzt, das von seiner höchsten nach innen gelegenen Begrenzung oder dem Kamm (crête) ganz allmählich nach dem Feld zu abfällt. Der Kamm des Glacis ist wiederum 3 oder mehr Fuß niedriger als das Ravelin, damit alle Geschütze der Festung darüberhinweg feuern können. Bei diesen Erdwerken sind die Außenböschung der Kernumwallung und der Außenwerke in dem Graben (Eskarpe) und die Außenböschung des Grabens (von dem gedeckten Weg abwärts), d.h. die Kontereskarpe, im allgemeinen mit Mauerwerk verkleidet. Die ausspringenden und einspringenden Winkel des bedeckten Weges bilden große, geräumige und geschützte Punkte, Waffenplätze genannt; sie werden nach den Winkeln, an denen sie liegen, als ausspringend (o) oder einspringend (n p) bezeichnet. Um den bedeckten Weg vor Längsfeuer zu schützen, sind in Abständen Traversen oder Brustwehren quer über den Weg errichtet, die an ihrem Ende dicht an dem Glacis nur schmale Durchgänge offenlassen. Manchmal ist ein kleines Werk gebaut, um die Verbindung von der Tenaille durch den Graben zu dem Ravelin zu decken; es wird caponnière genannt und besteht aus einem schmalen Gang, auf beiden Seiten von einer Brustwehr gedeckt, die nach außen allmählich wie ein Glacis abfällt. Figur 1 zeigt eine solche caponnière zwischen der Tenaille g h i und dem Ravelin k l m.
<320> Der Schnitt in Figur 2 soll der besseren Erklärung dieser Beschreibung dienen. A ist der Wallgang des Festungskerns, B ist die Brustwehr, C ist die Mauerverkleidung der Eskarpe, D der Graben, E die cunette, ein schmaler und tieferer Graben in der Mitte des größeren, F die Mauerverkleidung der Kontereskarpe, G der bedeckte Weg, H das Glacis. Die Stufen hinter der Brustwehr und dem Glacis werden Bankette genannt und dienen der Infanterie als Auftritt, um sich darauf zu stellen und über die schützende Brustwehr zu schießen. Aus dem Grundriß wird man leicht ersehen, daß die Geschütze, die an den Flanken der Bastionen aufgestellt sind, den ganzen Graben vor den angrenzenden Bastionen bestreichen.
So ist die Face a' b' von dem Feuer der Flanke c" e" und die Face a' c' von dem Feuer der Flanke b d gedeckt. Andererseits decken die inneren Facen der beiden angrenzenden Bastionen die Facen des Ravelins zwischen ihnen, indem sie den Graben vor dem Ravelin unter Feuer halten. Auf diese Art ist jeder Grabenabschnitt durch Flankenfeuer gedeckt; darin besteht der eigentliche große Schritt nach vorn, durch den das Bastionärsystem eine neue Epoche in der Geschichte der Befestigungskunst einleitet.
Der Erfinder der Bastionen ist nicht bekannt, und es ist auch nicht genau bekannt, wann sie aufkamen; sicher ist nur, daß sie in Italien erfunden wurden und daß Sanmicheli im Jahre 1527 an dem Wall von Verona zwei Bastionen erbaut hat. Alle Angaben, die frühere bastionäre Befestigungen betreffen, sind anzuzweifeln. Die Systeme der bastionären Befestigung gruppieren sich in mehrere nationale Schulen; als erste muß natürlich diejenige erwähnt werden, die die Bastionen aufgebracht hat, die italienische. Die ersten italienischen Bastionen trugen noch den Stempel ihrer Herkunft; sie waren nichts anderes als vieleckige Türme oder Rundelle und änderten kaum etwas an dem früheren Charakter der Befestigungen, vom Flankenfeuer abgesehen. Die Enceinte blieb ein Steinwall, der dem direkten Feuer des Feindes ausgesetzt war; der dahinter aufgeworfene Erdwall diente hauptsächlich dazu, Platz zu schaffen, um die Artillerie aufstellen <321> und bedienen zu können, und seine Innenböschung war, wie bei den alten Stadtwällen, ebenfalls mit Mauerwerk verkleidet. Erst später wurde die Brustwehr aus Erdwerken gebaut, aber selbst zu dieser Zeit war ihre gesamte Außenböschung bis obenhin mit Mauerwerk verkleidet, das dem direkten Feuer des Feindes ausgesetzt war. Die Kurtinen waren sehr lang, zwischen 300 und 550 Yard. Die Bastionen waren sehr klein, so groß wie große Rundelle, die Flanken stets rechtwinklig zu den Kurtinen. Da es nun aber eine Regel in der Befestigungskunst ist, daß das beste Flankenfeuer immer aus einer Linie kommt, die rechtwinklig auf der zu flankierenden Linie steht, ist es offensichtlich, daß der Hauptzweck der alten italienischen Flanke nicht die Deckung der kurzen und entfernteren Face der angrenzenden Bastion war, sondern der langen, geraden Linie der Kurtine. Wurde die Kurtine zu lang, so wurde eine flache, stumpfwinklige Bastion in ihrer Mitte errichtet, Plattform genannt (piata forma). Die Flanken wurden nicht auf dem Schulterpunkt errichtet, sondern etwas hinter den Wall der Facen zurückgesetzt, so daß die Schulterpunkte vorsprangen, um die Flanken decken zu können; jede Flanke hatte zwei Batterien, eine niedrig stehende sowie eine etwas zurückgezogene höhere, und manchmal sogar eine Kasematte in der Flankeneskarpe auf der Grabensohle. Man füge einen Graben hinzu, und man hat das gesamte ursprüngliche italienische System; es gab keine Ravelins, keine Tenaillen, keinen bedeckten Weg, kein Glacis. Aber dieses System wurde bald verbessert. Die Kurtinen wurden verkürzt, die Bastionen vergrößert. Die Länge der inneren Seite des Polygons (f ' f ", Figur 1) wurde auf 250 bis 300 Yard festgelegt. Die Flanken wurden verlängert, sie betrugen ein Sechstel der Seite des Polygons und ein Viertel der Länge der Kurtine. Dadurch wurde jetzt der Face der nächsten Bastion größerer Schutz geboten, obwohl die Flanken noch immer rechtwinklig zur Kurtine standen und, wie wir sehen werden, andere Fehler hatten. Die Bastionen wurden aufgefüllt, und in ihrer Mitte wurde oft ein Kavalier errichtet, das ist ein Werk mit Facen und Flanken, parallel zu denen der Bastion, dessen Wall und Brustwehr aber um so viel höher waren, daß man vom Kavalier aus über die Brustwehr der Bastion hinweg feuern konnte. Der Graben war sehr breit und tief, die Kontereskarpe verlief allgemein parallel zur Face der Bastion; da aber durch diesen Verlauf die Kontereskarpe den Teil der Flanke, der der Schulter am nächsten war, in der Sicht und beim Flankieren des ganzen Grabens behinderte, wurden die Nachteile beseitigt, indem man die Kontereskarpe so anlegte, daß ihre Verlängerung durch den Schulterpunkt der angrenzenden Bastion ging. Dann wurde der bedeckte Weg eingeführt (zuerst in der Mailänder Zitadelle im zweiten Viertel des <322> 16. Jahrhunderts, 1554 von Tartaglia zum erstenmal beschrieben). Er war Sammelplatz der Truppen beim Ausfall sowie der Ort, auf den sie sich zurückzogen; und man kann sagen, daß seit der Einführung des bedeckten Weges Offensivbewegungen bei der Verteidigung einer Festung wissenschaftlich und wirksam angewandt wurden. Um seinen Wert zu erhöhen, wurden Waffenplätze angelegt, die mehr Raum schufen und deren einspringende Winkel auch ein gutes Flankenfeuer für den bedeckten Weg gestatteten. Um das Eindringen in den gedeckten Weg noch weiter zu erschweren, wurden auf dem Glacis Palisadenreihen errichtet, ein oder zwei Yard von seinem Kamm entfernt; in dieser Stellung wurden sie jedoch schnell vom feindlichen Feuer zerstört: deshalb wurden sie seit Mitte des 17. Jahrhunderts auf Anregung des Franzosen Maudin auf den bedeckten Weg gestellt, geschützt von dem Glacis. Die Tore lagen in der Mitte der Kurtine; zu ihrem Schutz wurde in der Mitte des davorliegenden Grabens ein halbmondförmiges Werk angelegt; aber aus dem gleichen Grunde, aus dem die Türme in Bastionen umgewandelt wurden, veränderte man den Halbmond (demilune) bald in ein dreieckiges Werk, das heutige Ravelin. Es war noch sehr klein, aber man baute es größer, als sich herausgestellt hatte, daß es nicht nur als Brückenkopf diente, sondern auch die Flanken und Kurtinen gegen das feindliche Feuer deckte, ein Kreuzfeuer vor den Kapitalen der Bastionen ermöglichte und den bedeckten Weg wirkungsvoll flankierte. Die Ravelins waren aber noch immer sehr klein gebaut, so daß die Verlängerung ihrer Facen den Festungskern an dem Kurtinenpunkt (äußerster Punkt der Kurtine) erreichte. Die Hauptfehler der italienischen Befestigungsschule waren folgende:
1. Die schlechte Stellung der Flanke. Nach der Einführung der Ravelins und der bedeckten Wege wurde die Kurtine immer seltener zum Angriffspunkt; jetzt wurden hauptsächlich die Bastionsfacen angegriffen. Um diese gut zu decken, hätte die Verlängerung der Facen gerade auf den Punkt der Kurtine treffen müssen, wo die Flanke der nächsten Bastion errichtet war, und diese Flanke hätte rechtwinklig oder nahezu rechtwinklig auf dieser verlängerten Linie stehen müssen (Defenslinie genannt). In diesem Fall wäre eine wirkungsvolle Seitenbestreichung den gesamten Graben und die Front der Bastion entlang möglich gewesen. Die Defenslinie war aber weder rechtwinklig zu den Flanken, noch traf sie in dem Kurtinenpunkt auf die Kurtine; sie schnitt die Kurtine bei einem Viertel, einem Drittel oder der Hälfte ihrer Länge. So konnte das direkte Flankenfeuer eher der Besatzung der gegenüberliegenden Flanke Schaden zufügen als den Angreifern auf die nächste Bastion.
<323> 2. Es mangelte offenbar an Vorräten für eine längere Verteidigung, wenn die Kernumwallung durchbrochen und an einem einzelnen Punkt erfolgreich angegriffen worden war.
3. Die kleinen Ravelins deckten die Kurtinen und Flanken nur unvollständig und erhielten durch sie nur ein dürftiges Flankenfeuer.
4. Die große Erhebung des Walles, die ganz mit Mauerwerk eingefaßt oder verkleidet war, setzte in den meisten Fällen ein 15 bis 20 Fuß hohes Mauerwerk dem direkten Feuer des Feindes aus, und natürlich war dieses Mauerwerk bald zerstört. Wir werden sehen, daß es beinahe zwei Jahrhunderte dauerte, dieses Vorurteil zugunsten des ungedeckten Mauerwerks auszurotten, selbst nachdem sich in den Niederlanden seine Nutzlosigkeit erwiesen hatte. Die besten Ingenieure und Schriftsteller der italienischen Schule waren: Sanmicheli (gestorben 1559), er befestigte Napoli di Romania in Griechenland sowie Candia und baute das Kastell Lido bei Venedig; Tartaglia (um 1550); Alghisi da Carpi, Girolamo Maggi und Giacomo Castrioto, die ungefähr Ende des 1 6. Jahrhunderts alle über Befestigungskunst schrieben. Paciotto von Urbino baute die Zitadellen von Turin und Antwerpen (1560-1570). Die späteren italienischen Verfasser von Werken über die Befestigungskunst, Marchi, Busca, Floriani, Rossetti, brachten viele Verbesserungen, jedoch keine von ihnen war wirklich neu. Die Italiener waren lediglich mehr oder weniger geschickte Plagiatoren; sie kopierten den größten Teil ihrer Pläne von dem Deutschen Daniel Speckle und das übrige von den Niederländern. Sie wirkten alle im 17. Jahrhundert und wurden von der rapiden Entwicklung in der Befestigungswissenschaft dieser Zeit in Deutschland, den Niederlanden und Frankreich völlig in den Schatten gestellt.
Die Mängel des italienischen Befestigungssystems wurden bald in Deutschland aufgedeckt. Der erste, der auf den Hauptmangel der älteren italienischen Schule hinwies, die kleinen Bastionen und die langen Kurtinen, war der deutsche Ingenieur Franz, der für Karl V. die Stadt Antwerpen befestigte. In der Versammlung, die über seinen Plan beratschlagte, bestand er auf größeren Bastionen und kürzeren Kurtinen, wurde aber von dem Herzog Alba und den anderen spanischen Generalen überstimmt, die nur der Routine des alten italienischen Systems vertrauten. Andere deutsche Festungen zeichneten sich dadurch aus, daß sie die kasemattierten Galerien nach dem Prinzip Dürers übernahmen, z.B. Küstrin, 1537-1558 befestigt, und Jülich, einige Jahre später von einem Ingenieur befestigt, der unter dem Namen Meister Johann <Meister Johann: in der "New American Cyclopædia" deutsch und englisch> bekannt war.
<324> Der Mann jedoch, der zuerst die Fesseln der italienischen Schule völlig zerbrach und die Prinzipien darlegte, auf denen alle späteren Systeme der bastionären Befestigung basieren, war Daniel Speckle, ein Ingenieur der Stadt Straßburg (gestorben 1589). Seine Hauptgrundsätze waren:
1. Eine Festung wird stärker, je mehr Seiten das Polygon hat, das die Kernumwallung bildet, da sich die verschiedenen Fronten dadurch gegenseitig besser unterstützen können; folglich ist es um so besser, je mehr sich die zu verteidigende Außenlinie einer Geraden nähert. Dieser von Cormontaigne mit großem Aufwand an mathematischer Gelehrsamkeit als eigene Entdeckung nachgewiesene Grundsatz war also Speckle schon 150 Jahre früher gut bekannt.
2. Spitzwinklige Bastionen sind schlecht, ebenso stumpfwinklige; der ausspringende Winkel sollte ein rechter Winkel sein. Obwohl seine Ablehnung spitzer ausspringender Winkel richtig war (der kleinste zulässig ausspringende Winkel ist jetzt allgemein auf 60 Grad festgesetzt), ließ ihn die Parteinahme seiner Zeit für rechte ausspringende Winkel die stumpfen ablehnen, die in Wirklichkeit sehr günstig und in Polygonen mit vielen Seiten unvermeidbar sind. Es scheint dies in der Tat lediglich eine Konzession an die Vorurteile seiner Zeit gewesen zu sein, denn die Grundrisse dessen, was er als seine stärkste Manier der Befestigung betrachtet, haben all stumpfwinklige Bastionen.
3. Die italienischen Bastionen sind viel zu klein; eine Bastion muß groß sein. Speckles Bastionen sind deshalb größer als die Cormontaignes.
4. Kavaliere sind in jeder Bastion und auf jeder Kurtine notwendig. Das entsprach der Belagerungsmethode seiner Zeit, in der hohe Kavaliere in den Trancheen eine große Rolle spielten. Aber nach Speckles Absicht sollten die Kavaliere mehr leisten, als den Kavalieren in den Trancheen standzuhalten, sie sind wirkliche coupures, die schon vorher in der Bastion vorbereitet waren und, wenn die Kernumwallung durchbrochen und erstürmt ist, eine zweite Verteidigungslinie bildeten. Das gesamte, allgemein Vauban und Cormontaigne zugeschriebene Verdienst, Kavaliere als ständige Koupüren gebaut zu haben, gebührt daher in Wirklichkeit Speckle.
5. Wenigstens ein Teil der Flanke oder noch besser die gesamte Flanke einer Bastion muß rechtwinklig zur Defenslinie stehen und die Flanke in dem Punkt errichtet werden, wo die Defenslinie die Kurtine kreuzt. Dieser wichtige Grundsatz, dessen angebliche Entdeckung den größeren Teil des Ruhmes des französischen Ingenieurs Pagan bildet, wurde also 70 Jahre vor Pagan öffentlich dargelegt.
<325> 6. Kasemattierte Galerien sind für die Verteidigung des Grabens notwendig; dementsprechend sind sie bei Speckle an den Facen und den Flanken der Bastion, aber nur für Infanterie; wenn er sie groß genug für Artillerie gemacht hätte, wäre er in dieser Hinsicht vollständig auf dem neuesten Stand der Entwicklung gewesen.
7. Um Nutzen zu bringen, muß das Ravelin so groß wie möglich sein; daher ist Speckles Ravelin das größte, das je vorgeschlagen wurde. Nun bestehen Vaubans Verbesserungen an Pagans System teilweise und Cormontaignes Verbesserungen an Vaubans System fast vollständig in der sukzessiven Vergrößerung des Ravelins; aber Speckles Ravelin ist ein gut Teil größer als selbst das von Cormontaigne.
8. Der bedeckte Weg muß so stark wie möglich gemacht werden, Speckle sah als erster die gewaltige Bedeutung des bedeckten Weges und verstärkte ihn entsprechend. Die Kämme des Glacis und der Kontereskarpe wurden en crémaillère (wie die Zähne einer Säge) geformt, um Enfilierfeuer unwirksam zu machen. Wieder nahm Cormontaigne diese Idee Speckles auf; er behielt aber die Traversen (kurze Wälle gegen Enfilierfeuer quer über den bedeckten Weg) bei, die Speckle ablehnte. Moderne Ingenieure sind allgemein zu der Schlußfolgerung gekommen, daß Speckles Plan besser ist als der Cormontaignes. Übrigens war Speckle der erste, der auf den Waffenplätzen des bedeckten Weges Artillerie aufstellte.
9. Kein Stück Mauerwerk darf dem Blick und dem direkten Feuer des Feindes ausgesetzt werden, so daß seine Breschbatterien nicht eher eingesetzt werden können, bis er den Kamm des Glacis erreicht hat. Dieser höchst wichtige Grundsatz wurde vor Cormontaigne nicht allgemein übernommen, obwohl er von Speckle im 16. Jahrhundert aufgestellt worden war; selbst Vauban exponiert einen großen Teil seines Mauerwerks (siehe C, Figur 2).
In diesem kurzen Abriß der Gedanken Speckles sind die grundlegenden Prinzipien aller modernen bastionären Befestigung nicht nur enthalten, sondern klar dargelegt, und sein System, welches selbst heute sehr gute Verteidigungswerke bieten würde, ist wahrhaft großartig, wenn man berücksichtigt, in welcher Zeit er lebte. Es gibt keinen berühmten Ingenieur in der ganzen Geschichte der modernen Befestigungskunst, dem nicht nachgewiesen werden kann, daß er einige seiner besten Ideen dieser großen, einzigartigen Quelle der bastionären Verteidigung entlehnt hat. Speckles praktische Fähigkeiten als Kriegsbaumeister zeigten sich beim Bau der Festungen Ingolstadt, Schlettstadt, Hagenau, Ulm, Colmar, Basel und Straßburg, die alle unter seiner Anleitung gebaut wurden.
<326> Um dieselbe Zeit brachte der Kampf für die Unabhängigkeit der Niederlande eine andere Schule der Befestigungskunst hervor. Die holländischen Städte, von deren alten Mauerwällen man keinen Widerstand gegenüber einem förmlichen Angriff erwarten konnte, mußten gegen die Spanier befestigt werden; man hatte jedoch weder Zeit noch Geld für die Errichtung der hohen Mauerbastionen und Kavaliere des italienischen Systems. Aber die Beschaffenheit des Bodens bot durch seine geringe Erhebung über den Meeresspiegel andere Hilfsquellen, und deshalb vertrauten die Holländer, Meister im Kanal- und Deichbau, bei ihrer Verteidigung auf das Wasser. Ihr System war das genaue Gegenteil des italienischen: breite und flache nasse Gräben, 14 bis 40 Yard breit; niedrige Schutzwälle ohne jede Mauerverkleidung, aber von einem noch niedrigeren vorgeschobenen Schutzwall (fausse-braie) zur stärkeren Verteidigung des Grabens gedeckt; zahlreiche Außenwerke im Graben, wie Ravelins, Halbmonde (Ravelins vor dem ausspringenden Winkel der Bastion), Horn- und Kronwerke (1); und schließlich eine bessere Ausnutzung der Bodenbeschaffenheit als bei den Italienern. Die erste ausschließlich mit Erdwerken und Wassergräben befestigte Stadt war Breda (1533). Später erfuhr das niederländische System einige Verbesserungen: Ein schmaler Streifen der Eskarpe wurde mit Mauerwerk verkleidet, da die Wassergräben, wenn sie im Winter zugefroren waren, leicht von dem Feind überquert wurden; Wehre und Schleusen wurden im Graben angelegt, um das Wasser in dem Moment einzulassen, da der Feind begonnen hatte, den bisher trockenen Grund zu sappieren; und schließlich wurden Schleusen und Dämme für eine systematische Überschwemmung des Geländes rund um den Fuß des Glacis gebaut. Über dieses ältere niederländische Befestigungssystem schrieben Marobis (1627), Freitag (1630), Völker (1666) und Melder (1670). Scheither, Neubauer, Heidemann und Heer (Deutsche, von 1670-1690) versuchten Speckles Grundsätze auf das niederländische System anzuwenden.
<327> Von all den verschiedenen Schulen der Befestigungskunst hat sich die französische der größten Popularität erfreut; ihre Grundsätze haben in einer größeren Zahl noch existierender Festungen praktische Anwendung gefunden als die aller anderen Schulen zusammengenommen. Dennoch ist keine Schule so arm an eigenen Ideen. Es gibt nichts in der ganzen französischen Schule, weder ein neues Werk noch einen neuen Grundsatz, was nicht von den Italienern, den Holländern oder den Deutschen entlehnt ist. Aber das große Verdienst der Franzosen ist es, die Befestigungskunst auf genaue mathematische Regeln zurückgeführt, die Proportionen der verschiedenen Linien symmetrisch gestaltet und die wissenschaftliche Theorie auf die unterschiedlichen Bedingungen des zu befestigenden Ortes angewandt zu haben. Errard von Bar-le-Duc (1594), gewöhnlich der Vater der französischen Befestigung genannt, hat keinen Anspruch auf diese Bezeichnung; seine Flanken bilden einen spitzen Winkel mit der Kurtine, wodurch sie noch wirkungsloser sind als die der Italiener. Bedeutender ist Pagan (1645). Er führte als erster Speckles Prinzip, daß die Flanken rechtwinklig auf den Defenslinien stehen müssen, in Frankreich ein und popularisierte es. Seine Bastionen sind geräumig; die Proportionen zwischen den Längen der Facen, Flanken und Kurtinen sind sehr gut; die Defenslinien sind niemals länger als 240 Yard, so daß der gesamte Graben, jedoch nicht der bedeckte Weg, von den Flanken aus innerhalb der Reichweite der Musketen liegt. Sein Ravelin ist größer als das der Italiener und hat ein Reduit oder kleineres Ravelin in seiner Kehle, um noch Widerstand leisten zu können, wenn sein Schutzwall bereits genommen ist. Pagan deckt die Facen der Bastionen mit einem engen detachierten Werk im Graben, Kontergarde genannt, ein Werk, welches bereits von den Holländern gebraucht wurde (der Deutsche Dilich scheint es zuerst eingeführt zu haben). Die Bastionen haben einen doppelten Schutzwall an den Facen, der zweite dient als Koupüre; aber der Graben zwischen den beiden Schutzwällen ist völlig ohne Seitenbestreichung. Der Mann, der die französische Schule zur ersten in Europa machte, war Vauban (1633-1707), Marschall von Frankreich. Obwohl sein eigentlicher militärischer Ruhm auf seinen zwei großen Erfindungen für den Angriff auf Festungen beruht (das Rikoschettfeuer und die Parallelen), so ist er doch in der Öffentlichkeit mehr als Erbauer von Festungen bekannt. Was wir von der französischen Schule gesagt haben, trifft in hohem Maße auf Vaubans System zu. Wir sehen bei seinen Konstruktionen eine so große Vielfalt der Formen, wie es sich mit dem Bastionärsystem vereinbaren läßt; aber es ist nichts Neues darunter; noch weit weniger versucht er, andere Formen als bastionäre zu übernehmen. Die <328> Anordnung der Details, die Proportionen der Linien, die Profile und die Anwendung der Theorie auf die stets unterschiedlichen örtlichen Bedingungen sind jedoch so genial, daß sie im Vergleich zu den Werken seiner Vorgänger vollendet erscheinen, so daß man seit Vauban von der wissenschaftlichen und systematischen Befestigungskunst sprechen kann. Er schrieb jedoch keine einzige Zeile über sein Befestigungssystem, aber aus der großen Anzahl der von ihm erbauten Festungen haben die französischen Ingenieure versucht, die ihm als Richtschnur dienenden theoretischen Regeln abzuleiten, und so wurden drei Manieren aufgestellt, Vaubans erste, zweite und dritte Manier genannt. Figur 1 gibt die erste Manier sehr vereinfacht wieder. Die Hauptdimensionen waren: Die äußere Seite des Polygons von der Spitze einer Bastion zu der der nächsten betrug 300 Yard (im Durchschnitt) auf der Mitte dieser Linie war eine Senkrechte a b, ein Sechstel der ersten; durch b liefen die Defenslinien von a" und a', a" d' und a' e". Von den Punkten a" und a' aus zwei Siebentel der Linie a" a' auf die Defenslinien übertragen, ergibt die Facen a" c" und a' b'. Um die Schulterpunkte c" und b' wurden Kreisbogen mit dem Radius c" d' oder b' e" zwischen Defenslinien gezogen, dadurch erhielt man die Flanken b' d' und c" e". Die Linie e" d' ist die Kurtine,
Der Graben: Ein Kreisbogen vor der Bastionspitze mit einem Radius von 30 Yard, von den Tangenten verlängert, die zu diesem Kreisbogen von den Schulterpunkten der angrenzenden Bastionen aus gezogen sind, ergibt die Kontereskarpe. Das Ravelin: Um den Kurtinenpunkt e" einen Kreisbogen g d mit dem Radius e" g (g ist ein Punkt auf der gegenüberliegenden Face, 11 Yard hinter dem Schulterpunkt) gezogen, bis er die Verlängerung der Senkrechten a b schneidet, ergibt die Spitze des Ravelins; die Sehne des eben beschriebenen Bogens ergibt die Face, die von der Ravelinspitze aus fortgesetzt wird, bis sie die Verlängerung der Tangente erreicht, die die Kontereskarpe des Hauptgrabens bildet; die Kehle des Ravelins wird ebenfalls von dieser Tangente bestimmt, so daß der gesamte Graben für das Feuer der Flanken frei bleibt. Vor der Kurtine und nur dort behielt Vauban die holländische fausse-braie bei; das hatte vor ihm schon der Italiener Floriani getan, und das neue Werk wurde tenaille (tenaglia) genannt. Seine Facen verliefen in der Richtung der Defenslinien. Der Graben vor dem Ravelin war 24 Yard breit, die Kontereskarpe parallel zu den Ravelinfacen und die Spitze abgerundet.
Auf diese Weise erhielt Vauban geräumige Bastionen, und seine flankierten, ausspringenden Winkel blieben völlig in Reichweite der Musketen; die Einfachheit dieser Bastionen jedoch macht die Verteidigung des Platzes <329> unmöglich, sobald die Face einer Bastion durchbrochen worden ist. Vaubans Flanken, die einen spitzen Winkel zu den Defenslinien bilden, sind nicht so gut wie die Speckles oder Pagans; aber er schaffte die zwei oder drei terrassenförmigen Etagen ungedeckter Geschütze ab, die bei den meisten Flanken der italienischen und der frühen französischen Schule vorhanden und nie sehr vorteilhaft waren. Die Tenaille soll die Verteidigung des Grabens durch Infanteriefeuer verstärken und die Kurtine vor direktem Breschfeuer vom Kamm des Glacis schützen; doch das geschieht nur sehr unvollkommen, da Breschbatterien auf dem einspringenden Waffenplatz (n, Figur 1) volle Sicht auf das Stück Kurtine haben, das an die Flanke bei e anschließt. Darin besteht eine große Schwäche, da eine Bresche dort alle Koupüren umfassen würde, die in der Bastion als zweite Verteidigungslinie vorbereitet sind. Schuld daran ist das noch immer zu kleine Ravelin. Der bedeckte Weg, nicht mit crémaillères, sondern mit Traversen, ist weit schwächer als der Speckles; die Traversen hindern nicht nur den Feind, sondern auch die Verteidigung daran, den bedeckten Weg zu enfilieren. Die Verbindungen zwischen den einzelnen Werken sind im allgemeinen gut, aber reichen noch immer nicht für energische Ausfälle aus. Die Profile sind von solcher Stärke, wie sie heute noch allgemein gebräuchlich ist. Aber Vauban hing noch an dem System, die ganze Außenseite des Schutzwalls mit Mauerwerk zu verkleiden, so daß das Mauerwerk mindestens 15 Fuß hoch ungedeckt war. Dieser Fehler wurde bei vielen Festungen Vaubans begangen, und wenn er einmal gemacht ist, so kann er nur mit großem Aufwand dadurch beseitigt werden, daß man den Graben vor den Bastionsfacen erweitert und Kontergarden aus Erdwerk errichtet, um das Mauerwerk zu decken. Einen großen Teil seines Lebens hielt Vauban an seiner ersten Manier fest; aber nach 1680 führte er zwei weitere Manieren ein, die eine längere Verteidigung ermöglichen sollten, nachdem eine Bresche in die Bastion gelegt worden war. Zu diesem Zweck griff er auf eine Idee Castriotos zurück, der vorgeschlagen hatte, die alte Turm- und Wallbefestigung durch detachierte Bastionen zu modernisieren, die isoliert in dem Graben vor den Türmen angelegt werden. Vaubans zweite und dritte Manier stimmen damit überein. Außerdem vergrößerte er das Ravelin; das Mauerwerk ist etwas besser gedeckt; die Türme sind zwar kasemattiert, jedoch schlecht; der Fehler, daß in die Kurtine zwischen Bastion und Tenaille Bresche gelegt werden kann, ist geblieben und macht die detachierte Bastion zum Teil wertlos. Dennoch hielt Vauban seine zweite und dritte Manier für sehr stark. Als er Ludwig XIV. den Plan für die Befestigung Landaus (zweite Manier) übergab, sagte er: "Sire, hier ist ein Platz, den zu erobern meine <330> ganze Kunst nicht ausreichen wurde." Das verhinderte nicht, daß Landau zu Vaubans Lebzeiten dreimal erobert wurde (1702, 1703 und 1704) und kurz nach seinem Tode nochmals (1713).
Vaubans Irrtümer wurden von Cormontaigne berichtigt, dessen Manie als die vollendetste des Bastionärsystems angesehen werden kann. Cormontaigne (1696-752) war General der Ingenieure. Seine größeren Bastionen erlauben die Anlage ständiger Koupüren und zweiter Verteidigungslinien; seine Ravelins waren fast so groß wie die Speckles und deckten völlig den Teil der Kurtine, den Vauban ungedeckt gelassen hatte. Bei Polygonen mit 8 und mehr Seiten waren seine Ravelins so weit vorgelagert, daß von den an die angegriffene Bastion angrenzenden Ravelins aus die Werke der Belagerer von hinten beschossen werden konnten, sobald diese den Kamm des Glacis erreicht hatten. Um das zu verhüten, müssen zwei Ravelins erobert werden, bevor in eine Bastion Bresche gelegt werden kann. Die gegenseitige Unterstützung der großen Ravelins wird in dem Maße wirksamer, je mehr sich die zu verteidigende Linie einer Geraden nähert. Der einspringende Waffenplatz wurde durch ein Reduit verstärkt. Der Kamm des Glacis ist en crémaillère angelegt wie bei Speckle, aber die Traversen sind beibehalten worden. Die Profile sind sehr gut, und das Mauerwerk ist stets von davorliegenden Erdwerken gedeckt. Mit Cormontaigne schließt die französische Schule ab, soweit es sich um die Konstruktion von bastionären Verteidigungsanlagen mit Außenwerken innerhalb des Grabens handelt. Ein Vergleich der fortschreitenden Entwicklung der Bastionärbefestigung von 1600 bis 1750 und ihrer endgültigen, von Cormontaigne niedergelegten Ergebnisse mit den oben erläuterten Grundsätzen Speckles wird dazu beitragen, das großartige Genie des deutschen Ingenieurs ins rechte Licht zu rücken; denn obwohl die Außenwerke in dem Graben stark vermehrt wurden, ist doch während dieser ganzen 150 Jahre nicht ein einziger wichtiger Grundsatz entdeckt worden, der nicht schon klar und deutlich von Speck bewiesen worden war.
Nach Cormontaigne nahm die Ingenieurschule von Mézières (ungefähr 1760) einige unbedeutende Änderungen in seiner Manier vor, die hauptsächlich eine Rückkehr zu der alten Regel Speckles darstellen, daß die Flanken rechtwinklig auf den Defenslinien stehen müssen. Die Schule von Mézières ist aber vor allem deshalb bemerkenswert, weil sie zum ersten Male über den bedeckten Weg hinaus Außenwerke baut. An Fronten, die bei einem Angriff besonders gefährdet waren, errichtet sie auf der Kapitale der Bastion am Fuß des Glacis ein detachiertes Ravelin, Lünette genannt, und nähert sich damit zum ersten Male dem modernen System ständig ver- <331> schanzter Lager. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts versuchte noch Bousmard, ein französischer Emigrant, der in Preußen diente und 1807 in Danzig getötet wurde, Cormontaigne zu verbessern; seine Ideen sind ziemlich kompliziert, und das Bemerkenswerteste daran ist, daß sein sehr großes Ravelin fast bis zum Fuß des Glacis vorgeschoben wird, so daß es bis zu einem gewissen Grade den Platz und die Funktionen der eben beschriebenen Lünette einnimmt.
Ein holländischer Ingenieur aus Vaubans Zeit, der ihm mehr als einmal im Belagerungskrieg ehrenvoll gegenüberstand, Baron Coehoorn, entwickelte das alte niederländische Befestigungssystem weiter. Seine Manier bietet eine stärkere Verteidigung als selbst die von Cormontaigne, und zwar durch die kluge Kombination von nassen und trockenen Gräben, die großen Erleichterungen für Ausfälle, die ausgezeichneten Kommunikationen zwischen den Werken und die genialen Reduits und Koupüren in seinen Ravelins und Bastionen. Coehoorn, ein großer Bewunderer Speckles, ist der einzige Ingenieur von Ruf, der ehrlich genug war anzuerkennen, wieviel er ihm verdankte.
Wir haben gesehen, daß sogar vor der Einführung der Bastionen Albrecht Dürer Kaponnieren benutzte, um ein stärkeres Flankenfeuer zu ermöglichen. Bei seinem befestigten Viereck verließ er sich zur Verteidigung des Grabens sogar völlig auf diese Kaponnieren; es gibt keine Türme an der Ecke des Forts; es ist ein einfaches Viereck mit lediglich ausspringenden Winkeln. Aus dem Bestreben, die Enceinte eines Polygons mit seiner Außenlinie völlig übereinstimmen zu lassen, so daß nur ausspringende und keine einspringenden Winkel entstehen, und den Graben durch Kaponnieren zu flankieren, entwickelte sich die sogenannte Polygonalbefestigung, als deren Vater Dürer betrachtet werden muß. Eine sternförmige Enceinte andererseits, in der ausspringende und einspringende Winkel regelmäßig aufeinanderfolgen und in der jede Linie zugleich Flanke und Face ist, da sie den Graben der nächsten Linie mit dem Abschnitt flankiert, der an den einspringenden Winkel anschließt und das Feld mit dem Abschnitt beherrscht, der dem ausspringenden Winkel am nächsten liegt - eine solche Außenlinie ergibt die Tenaillenbefestigung. Die ältere italienische Schule und verschiedene Vertreter der älteren deutschen hatten diese Form vorgeschlagen, aber sie wurde erst später entwickelt. Das System Georg Rimplers (Ingenieur des deutschen Kaisers, bei der Verteidigung Wiens gegen die Türken 1683 getötet) bildet eine Art Zwischenstufe zwischen dem Bastionär- und dem Tenaillensystem. Was er Mittelbollwerke nennt, ist in Wirklichkeit eine vollständige Linie von Tenaillen. Er erklärte sich ener- <332> gisch gegen offene Batterien, lediglich mit einer Brustwehr davor, und bestand auf kasemattierten Batterien, wo immer sie errichtet werden konnten; besonders an den Flanken würden zwei oder drei Stockwerke gut gedeckter Geschütze eine weit größere Wirkung haben als zwei oder drei terrassenförmige Etagen der Geschütze in offenen Flankenbatterien, die niemals gleichzeitig schießen konnten. Er bestand auch auf Batterien, das heißt Reduits, in den Waffenplätzen des bedeckten Weges, die Coehoorn und Cormontaigne übernahmen, und besonders auf eine zwei- und dreifache Verteidigungslinie hinter den ausspringenden Winkeln der Enceinte. In dieser Hinsicht ist sein System seiner Zeit bemerkenswert voraus; seine gesamte Enceinte besteht aus unabhängigen Forts, von denen jedes einzeln erobert werden muß, und große Defensivkasematten werden in einer Weise genutzt, die uns fast in allen Einzelheiten ihrer Anwendung an die neueren Bauten in Deutschland erinnert.
Das System Montalemberts verdankte Rimpler zweifellos ebensoviel wie das Bastionärsystem des 17. und 18. Jahrhunderts Speckle. Der Schriftsteller, der als erster die Vorteile der Tenaille über das Bastionärsystem ausführlich darlegte, war Landsberg (1712); es würde jedoch zu weit führen, wollten wir uns mit seinen Argumenten beschäftigen oder seine befestigte Außenlinie beschreiben. Aus der großen Zahl geschickter deutscher Ingenieure, die auf Rimpler und Landsberg folgten, können wir noch den Mecklenburger Oberst Buggenhagen (1720) nennen, den Erfinder der Blockhaustraversen oder Hohltraversen für kasemattiertes Musketenfeuer, und den württembergischen Major Herbort (1734), den Erfinder der Defensivkasernen, großer Kasernen in der Kehle ausspringender Werke, gegen Vertikalfeuer durch mit Schießscharten versehene Kasematten auf der Seite gesichert, die zur Enceinte blickt, und Kasernen und Lagerräumen auf der Seite zur Stadt. Diese beiden Konstruktionen werden jetzt sehr viel angewandt.
Wir sehen also, daß die deutsche Schule fast nur mit Ausnahme Speckles von Beginn an Bastionen ablehnte und diese hauptsächlich durch Tenaillen ersetzen wollte und daß sie gleichzeitig ein besseres inneres Verteidigungssystem vor allem durch die Errichtung kasemattierter Galerien einzuführen versuchte, die wiederum von namhaften französischen Ingenieuren als Gipfel des Absurden betrachtet wurden.
Einer der größten Ingenieure, die Frankreich je hervorgebracht hat, Marquis de Montalembert (1713-1799), Generalmajor der Kavallerie, ging jedoch mit fliegenden Fahnen in das Lager der deutschen Schule über, zum großen Entsetzen des gesamten französischen Ingenieurkorps, das bis <333> zum heutigen Tag jedes Wort, das er geschrieben, verunglimpft hat. Montalembert kritisierte scharf die Fehler des Bastionärsystems; die Unwirksamkeit seines Flankenfeuers; die fast absolute Gewißheit, daß die Schüsse des Gegners, wenn sie eine Linie verfehlten, eine andere treffen mußten; den mangelhaften Schutz vor Vertikalfeuer; die völlige Nutzlosigkeit der Kurtine, was das Feuer anbetrifft; die Unmöglichkeit, gute und große Koupüren in den Kehlen der Bastionen zu errichten, bewiesen an der Tatsache, daß keine Festung seiner Zeit eine der von den Theoretikern der Schule vorgeschlagenen mannigfaltigen ständigen Koupüren hatte; die Schwäche der Außenwerke, ihre schlechte Kommunikation und mangelhafte gegenseitige Unterstützung. Montalembert zog deshalb entweder das Tenaillen- oder das Polygonalsystem vor. In beiden Fällen bestand die Kernumwallung aus einer Reihe von Kasematten mit ein oder zwei Batteriestockwerken, deren Mauerwerk vor direktem Feuer durch eine Kontergarde oder couvre-face aus Erdwerk gedeckt war, die sich rundherum ausdehnte und einen zweiten Graben davor hatte; dieser Graben wurde von Kasematten in den einspringenden Winkel der couvre-face flankiert, gedeckt durch die Brustwehr des Reduits oder der Lünette in dem einspringenden Waffenplatz. Das ganze System basierte auf dem Prinzip, durch kasemattierte Geschütze dem Feind in dem Moment, wo er den Kamm des Glacis oder der couvre-face erreichte, mit einem solchen überwältigenden Feuer zu begegnen, daß es ihm nicht möglich war, seine Breschbatterien aufzustellen. Er blieb dabei, daß dies durch Kasematten erreicht werden könnte, trotz der einmütigen Verdammung durch die französischen Ingenieure; später verband er sogar Systeme von Kreis- und Tenaillenbefestigungen, wobei auf alles Erdwerk verzichtet wurde und die gesamte Verteidigung hohen kasemattierten Batterien mit 4 bis 5 Batteriestockwerken anvertraut war, deren Mauerwerk lediglich durch das Feuer der Batterien geschützt werden sollte. So schlägt er in seiner Kreismanier vor, das Feuer von 348 Kanonen auf einen beliebigen Punkt, 500 Yard von der Festung entfernt, zu konzentrieren und erwartet, daß eine solche gewaltige Feuerüberlegenheit die Aufstellung von Belagerungsbatterien völlig unmöglich machen würde. Dabei hat er jedoch keine Anhänger gefunden, ausgenommen die Anlage der Seefronten bei den Küstenforts; hier wurde durch das Bombardement Sewastopols sehr deutlich demonstriert, daß man mit Schiffsgeschützen keine Bresche in starke kasemattierte Wälle legen konnte. Die ausgezeichneten Forts von Sewastopol, Kronstadt, Cherbourg und die neuen Batterien an der Hafeneinfahrt von Portsmouth (England) sowie fast alle modernen Forts für die Hafenverteidigung gegen Kriegsschiffe sind nach Montalemberts Prinzip gebaut. <334> Das zum Teil ungedeckte Mauerwerk der Maximilianischen Türme zu Linz (Österreich) und der Reduits in den detachierten Forts von Köln sind weniger glücklichen Projekten Montalemberts nachgebildet. Auch bei der Befestigung steiler Höhen (z.B. Ehrenbreitstein in Preußen) sind die ungedeckten gemauerten Forts manchmal übernommen worden, jedoch muß die Praxis entscheiden, welchen Widerstand sie zu leisten vermögen.
Das Tenaillensystem ist, soweit uns bekannt, niemals in der Praxis benutzt worden, aber das Polygonalsystem wird in Deutschland sehr bevorzugt; dort werden die meisten modernen Anlagen danach gebaut, während die Franzosen beharrlich an den Bastionen Cormontaignes festhalten. Die Enceinte ist bei dem Polygonalsystem gewöhnlich ein einfacher Erdwall mit verkleideter Eskarpe und Kontereskarpe, mit großen Kaponnieren in der Mitte der Forts und mit großen Defensivkasernen hinter dem Wall und von ihm gedeckt, um als Koupüren zu dienen. Ähnliche Defensivkasernen sind auch als Koupüren in vielen bastionären Werken errichtet worden, um die Kehlen der Bastionen zu schließen; der Wall dient als Kontergarde zum Schutz des Mauerwerks vor Fernfeuer.
Von allen Vorschlägen Montalemberts hat jedoch der der detachierten Forts den größten Erfolg gehabt und eröffnete eine neue Ära nicht nur in der Befestigungskunst, sondern auch in der Belagerung und der Verteidigung von Festungen sowie in der Kriegführung überhaupt. Montalembert schlug vor, große Festungen an wichtigen Punkten mit einer einzelnen oder doppelten Kette kleiner Forts auf beherrschenden Höhen zu umgeben; obwohl die Forts scheinbar isoliert sind, können sie sich doch gegenseitig mit ihrem Feuer unterstützen, und da sie große Ausfälle erleichtern, können sie ein Bombardement des Platzes unmöglich machen und, wenn nötig, ein verschanztes Lager für eine Armee bilden. Bereits Vauban hatte ständige verschanzte Lager unter den Kanonen der Festungen eingeführt, doch diese Verschanzungen bestanden aus langen, fortlaufenden Linien, die, wenn sie auch nur an einer Stelle durchbrochen wurden, völlig dem Feind ausgeliefert waren. Aber die verschanzten Lager Montalemberts konnten viel stärkeren Widerstand leisten, denn jedes Fort mußte einzeln erobert werden, und kein Feind konnte eher seine Laufgräben gegen den Platz eröffnen, ehe nicht wenigstens 3 oder 4 der Forts erobert waren. Darüber hinaus konnte die Belagerung eines jeden Forts jederzeit durch die Besatzung oder vielmehr durch die Armee unterbrochen werden, die hinter den Forts lagerte; so war eine Kombination des Kampfes im offenen Feld mit regulärem Festungskrieg gesichert, die die Verteidigung in hohem Maße stärken muß.
<335> Als Napoleon seine Armeen Hunderte von Meilen durch Feindesland führte, ohne jemals die Festungen zu beachten, die alle nach dem alten System gebaut worden waren, und als andererseits die Verbündeten (1814 und 1815) geradenwegs auf Paris marschierten und dabei den dreifachen Festungsgürtel, mit dem Vauban Frankreich ausgestattet hatte, fast unbeachtet hinter sich ließen, wurde es offensichtlich, daß ein Befestigungssystem veraltet war, das seine Außenwerke auf den Hauptgraben oder höchstens auf den Fuß des Glacis beschränkte. Solche Festungen hatten gegenüber den großen Armeen moderner Zeiten ihre Anziehungskraft verloren. Ihre Mittel, Schaden anzurichten, überstiegen nicht die Reichweite ihrer Geschütze. Deshalb wurde es notwendig, neue Mittel zu finden, um die ungestümen Bewegungen moderner Invasionsarmeen zu behindern, und die detachierten Forts Montalemberts wurden in großem Maßstab angewandt. Köln, Koblenz, Mainz, Rastatt, Ulm, Königsberg, Posen, Linz, Peschiera und Verona wurden besonders in große verschanzte Lager umgewandelt, die in der Lage waren, 60.000 bis 100.000 Mann aufzunehmen, aber im Notfall auch von weit kleineren Besatzungen verteidigt werden konnten. Zur gleichen Zeit wurden die taktischen Vorteile des zu befestigenden Ortes durch die strategischen Rücksichten, die jetzt die Lage der Festungen bestimmten, in den Hintergrund gerückt. Nur solche Plätze wurden befestigt, die direkt oder indirekt den Vormarsch einer siegreichen Armee auszuhalten vermochten und die, da sie große Städte waren, der Armee als Zentrum der Hilfsquellen ganzer Provinzen große Vorteile boten.
Die Lage an großen Flüssen, besonders dort, wo zwei wichtige Flüsse zusammenfließen, wurde bevorzugt, da sie die angreifende Armee zwang, ihre Kräfte zu teilen. Die Enceinte wurde so weit wie möglich vereinfacht, und die Außenwerke im Graben wurden fast völlig abgeschafft; es genügte, die Umwallung gegen einen nicht förmlichen Angriff zusichern. Das Hauptfeld des Kampfes lag rund um die detachierten Forts, und diese wurden nicht so sehr von dem Feuer ihrer Wälle verteidigt als von den Ausfällen der Festungsbesatzung selbst. Die größte nach diesem Plan gebaute Festung ist Paris; sie hat eine einfache bastionierte Enceinte mit bastionierten Forts, fast alle viereckig; in der gesamten Befestigung gibt es kein Außenwerk, nicht einmal ein Ravelin. Ohne Zweifel hat die defensive Stärke Frankreichs durch dieses neue und gewaltige verschanzte Lager um 30 Prozent zugenommen; es ist groß genug, um drei geschlagenen Armeen Zuflucht zu bieten. Der eigentliche Wert der verschiedenen Befestigungsmethoden hat durch diese Verbesserung einen großen Teil seiner Bedeutung verloren, das Billigste wird jetzt das Beste sein; denn die Verteidigung <336> basiert nicht mehr auf dem passiven System, den Feind hinter den Wällen zu erwarten, bis er seine Laufgräben eröffnet, und diese dann mit Kanonen zu beschießen, sondern auf der aktiven Verteidigung, die mit der konzentrierten Kraft der Besatzung gegen die notwendigerweise geteilten Kräfte des Belagerers die Offensive ergreift.
II. Belagerung
Die Belagerungskunst ist von den Griechen und Römern zu einer gewissen Vollkommenheit gebracht worden. Sie versuchten die Mauern der Festungen mit dem Sturmbock zu brechen und näherten sich ihnen unter der Deckung von stark überdachten Galerien oder nötigenfalls von einem hohen Bauwerk, das durch seine größere Höhe Wälle und Türme beherrschte und die Annäherung der Sturmkolonnen sichern sollte. Die Erfindung des Schießpulvers beseitigte diese Einrichtungen; die Festungen hatten jetzt niedrigere Wälle, doch das Feuer war auf weite Entfernungen wirksam; man näherte sich der Festung durch Trancheen, die in Zickzack- oder in gebogenen Linien zu dem Glacis führten; dabei wurden an verschiedenen Stellen Batterien aufgestellt, um das Feuer der Belagerten möglichst zum Schweigen zu bringen und ihr Mauerwerk zu zertrümmern. War der Kamm des Glacis einmal erreicht, so wurde ein hoher Trancheekavalier errichtet, um die Bastionen und deren Kavaliere zu beherrschen und dann durch Breschfeuer die Bresche zu vollenden und den Sturm vorzubereiten. Die Kurtine war der hauptsächlich angegriffene Punkt.
Für diese Angriffsart gab es jedoch kein System, bis Vauban Parallelen mit Rikoschettfeuer einführte und den Belagerungsprozeß in der Weise reglementierte, die noch heute maßgebend ist und die immer noch Vaubans Angriff genannt wird. Der Belagerer schließt die Festung von allen Seiten mit genügend Kräften ein, wählt die anzugreifenden Fronten aus und eröffnet ungefähr 600 Yard von der Festung entfernt nachts die erste Parallele (alle Belagerungsarbeiten werden hauptsächlich nachts durchgeführt). Eine Tranchee parallel zu den Seiten des belagerten Polygons wird um mindestens drei dieser Seiten und Fronten gezogen; die Erde, die an der dem Feind zugewandten Seite aufgeworfen und auf den Seiten des Grabens mit Schanzkörben (mit Erde gefüllte Weidenkörbe) gestützt wird, bildet eine Art Brustwehr gegen das Feuer der Festung. In dieser ersten Parallele werden die Rikoschettbatterien errichtet, um die langen Linien der angegriffenen Fronten zu enfilieren.
<337> Wenn wir als Objekt der Belagerung ein bastioniertes Hexagon annehmen, so sollten Rikoschettbatterien vorhanden sein - eine für jede Face -, um die Facen von 2 Bastionen und 3 Ravelins zu enfilieren. Diese Batterien lenken ihr Feuer so, daß es gerade über die Brustwehr der Werke hinweggeht, die Facen der Länge nach bestreicht und Geschütze sowie Menschen gefährdet. Ähnliche Batterien werden errichtet, um die Abzweigungen des bedeckten Weges zu enfilieren, und Mörser und Haubitzen werden in Batterien aufgestellt, um mit Granaten das Innere der Bastionen und Ravelins zu beschießen. Alle diese Batterien sind mit Brustwehren aus Erdwerk gedeckt. Gleichzeitig werden an zwei oder mehr Stellen Zickzack-Trancheen gegen den Platz vorgeschoben, die vor jeglichem Enfilierfeuer aus der Stadt schützen sollen; und sobald das Feuer der Festung nachzulassen beginnt, wird ungefähr 350 Yard von den Werken entfernt die zweite Parallele eröffnet. In dieser Parallele werden die Demontierbatterien errichtet. Sie dienen der völligen Zerstörung der Artillerie und der Schießscharten auf den Facen der Festung; 8 Facen sind anzugreifen (2 Bastionen und ihre Ravelins sowie die inneren Facen der angrenzenden Ravelins), für die je eine Batterie parallel zu den angegriffenen Facen angelegt ist, und jede Schießscharte liegt einer Schießscharte der Festung genau gegenüber. Von der zweiten Parallele werden erneut Zickzacks gegen die Stadt vorgeschoben; auf 200 Yard wird die Halbparallele gebaut, die eine Erweiterung der Zickzacks bildet und mit Mörserbatterien bestückt ist, und schließlich wird am Fuß des Glacis die dritte Parallele eröffnet. Diese ist mit schweren Mörserbatterien bestückt. Zu diesem Zeitpunkt wird das Feuer des Platzes beinahe zum Schweigen gebracht worden sein, und die Approchen - in schlangenförmigen oder winkligen Linien, um dem Rikoschettfeuer zu entgehen - werden bis zum Kamm des Glacis vorgetrieben, der den Spitzen der beiden Bastionen und des Ravelins gegenüber erreicht wird. Dann wird in dem ausspringenden Waffenplatz ein Logement oder eine Tranchee und Brustwehr angelegt, um den Graben durch Infanteriefeuer zu enfilieren. Wenn der Feind energische und kühne Ausfälle wagt, wird eine vierte Parallele notwendig, die die ausspringenden Waffenplätze quer über das Glacis verbindet. Im anderen Falle wird eine Sappe von der dritten Parallele zu den einspringenden Waffenplätzen und der Krönung des Glacis vorgetrieben oder der Bau einer Tranchee entlang des gedeckten Weges auf dem Kamm des Glacis vollendet. Dann werden in diesem couronnement die Konterbatterien errichtet, um das Feuer der Flanken, das den Graben bestreicht, zum Schweigen zu bringen, und danach die Breschbatterien, die gegen die Spitze und die Facen der Bastionen und des Ravelins gerichtet <338> sind. Gegenüber den Punkten, wo eine Bresche gelegt werden soll, wird ein Minenstollen gegraben, der von den Trancheen durch das Glacis und die Kontereskarpe in den Graben hinunterführt; die Kontereskarpe wird eingedrückt und eine neue Tranchee durch den Graben zum Fuße der Bresche gezogen; die dem Enfilierfeuer der Flanke zugewandte Seite wird durch eine Brustwehr gedeckt. Sobald die Bresche und der Grabenübergang fertig sind, beginnt der Sturm.
Das trifft für einen trockenen Graben zu; über einen nassen Graben muß ein Damm aus Faschinen errichtet werden, der ebenfalls durch eine Brustwehr an der Seite der angrenzenden Bastionsflanke gedeckt ist. Wenn sich bei der Einnahme der Bastion herausstellt, daß dahinter ein weiterer Schanzgraben oder eine Koupüre liegt, müssen ein Logement errichtet, an der Bresche neue Batterien aufgestellt, eine neue Bresche gelegt, ein neuer Grabenabstieg und -übergang gebaut sowie ein neuer Sturm unternommen werden. Der durchschnittliche Widerstand eines nach Vaubans erster Manier bastionierten Hexagons gegen eine solche Belagerung wird auf 19 bis 22 Tage berechnet, wenn keine Koupüren vorhanden sind, und 27 oder 28 Tage, wenn es mit Koupüren ausgestattet ist. Cormontaignes Manier soll 25 bzw. 35 bis 37 Tage aushalten.
III. Feldbefestigung
Der Bau von Feldwerken ist so alt wie die Armeen selbst. Im Altertum war man weit erfahrener in dieser Kunst als in unseren modernen Armeen; die römischen Legionen verschanzten, wenn sie vor dem Feind standen, ihr Lager jede Nacht. Während des 17. und 18. Jahrhunderts waren Feldbefestigungen ebenfalls weit verbreitet; und in den Kriegen Friedrichs des Großen warfen die Feldwachen auf Vorposten gewöhnlich leicht profilierte Redans auf. Jedoch war selbst damals und ist heute noch weit mehr der Bau von Feldbefestigungen auf die Verstärkung einiger Positionen beschränkt, die im Hinblick auf gewisse Möglichkeiten während eines Feldzugs vorher ausgewählt wurden, zum Beispiel das Lager Friedrichs des Großen bei Bunzelwitz, die Linien Wellingtons bei Torres Vedras, die französischen Linien von Weißenburg und die österreichischen Trancheen vor Verona. Unter solchen Umständen können Feldbefestigungen den Ausgang eines Feldzuges bedeutend beeinflussen, denn sie ermöglichen einer zahlenmäßig schwächeren Armee, einer überlegenen erfolgreich Widerstand zu leisten. Früher waren die verschanzten Linien kontinuierlich wie bei <339> Vaubans ständig befestigten Lagern; aber wegen des Nachteils, daß die gesamte Linie nutzlos war, wenn sie an einem Punkt durchbrochen und erobert wurde, bestehen sie jetzt allgemein aus einer oder mehreren Linien detachierter Redouten, die sich gegenseitig durch ihr Feuer flankieren und der Armee erlauben, durch die Lücken über den Feind herzufallen, sobald das Feuer der Redouten die Kraft seines Angriffs gebrochen hat. Das ist der hauptsächliche Zweck der Feldbefestigungen; aber sie werden auch einzeln angewandt, als Brückenköpfe, um den Zugang zu einer Brücke zu verteidigen, oder um einen wichtigen Paß kleinen Abteilungen des Feindes zu verschließen. Abgesehen von all den phantasievolleren Formen von Werken, die jetzt nicht mehr zeitgemäß sind, sollten solche Befestigungen aus Werken bestehen, die an der Kehle offen oder geschlossen sind. Die ersteren werden entweder Redans (zwei Brustwehren mit einem Graben davor, die einen dem Feind zugewandten Winkel bilden) oder Lünetten (Redans mit kurzen Flanken) sein. Die letzteren können an der Kehle durch Palisaden geschlossen sein. Das hauptsächliche, heute noch gebräuchliche geschlossene Feldwerk ist die viereckige Redoute, ein regelmäßiges oder unregelmäßiges Viereck, von einem Graben und einer Brustwehr ringsum geschlossen. Die Brustwehr ist so hoch wie bei der ständigen Befestigung (7 bis 8 Fuß hoch), aber nicht so stark, weil sie nur Feldartillerie Widerstand zu leisten hat. Da keines dieser Werke eigenes Flankenfeuer hat, müssen sie so angelegt sein, daß sie einander in Reichweite des Gewehrfeuers flankieren. Um das wirksam durchzuführen und die gesamte Linie zu verstärken, ist jetzt das Verfahren allgemein anerkannt worden, ein verschanztes Lager durch eine Linie viereckiger, einander flankierender Redouten zu bilden, mit einer Linie einfacher Redans, die vor den Zwischenräumen der Redouten liegen. Solch ein Lager wurde 1849 vor Komorn südlich der Donau gebaut und von den Ungarn zwei Tage lang gegen eine weit überlegene Armee verteidigt.
Fußnoten von Friedrich Engels
(1) Ein Hornwerk ist eine bastionäre Front, zwei halbe Bastionen, eine Kurtine und ein Ravelin, in den Hauptgraben vorgeschoben und an jeder Seite durch eine gerade Linie von Wall und Graben geschlossen, die auf die Bastionsfacen der Enceinte ausgerichtet ist, um völlig von deren Feuer flankiert zu werden.
Ein Kronwerk besteht aus zwei solchen vorgeschobenen Fronten (eine Bastion, von zwei halben Bastionen flankiert), ein Doppelkronwerk hat drei Fronten.
Bei allen diesen Werken muß der Wall zumindest um so viel niedriger sein wie die Differenz zwischen Enceinte und dem Wall des Ravelins beträgt, damit beide von der Enceinte aus beherrscht werden können. Die Anlage solcher Außenwerke, die natürlich Ausnahmen waren, richtete sich nach der Bodenbeschaffenheit. <=