Inhaltsverzeichnis Aufsätze für "The New American Cyclopædia"

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 14, 4. Auflage 1972, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1961, Berlin/DDR. S. 129-132.

1. Korrektur.
Erstellt am 22.08.1998.

Karl Marx/Friedrich Engels

Bem

Geschrieben in der zweiten Septemberhälfte 1857.
Aus dem Englischen.


["The New American Cyclopædia", Band III]

<129> Bem, Joseph, polnischer General, geboren 1795 zu Tarnow in Galizien; gestorben 10. Dezember 1850. Der Haß gegen Rußland war die Leidenschaft seines Lebens. Zu der Zeit, als Napoleon durch Siege und Proklamationen den Glauben an das Wiedererstehen Polens entfacht hatte, trat Bem in das Kadettenkorps zu Warschau ein und erhielt seine militärische Ausbildung in der von General Pelletier geleiteten Artillerieschule. Beim Verlassen dieser Schule wurde er zum Leutnant der reitenden Artillerie ernannt und diente als solcher unter Davout und Macdonald im Feldzug von 1812. Für seine Teilnahme an der Verteidigung Danzigs erhielt er das Kreuz der Ehrenlegion und kehrte nach der Übergabe dieser Festung nach Polen zurück. Da Zar Alexander eine große Vorliebe für die polnische Nation hatte, reorganisierte er die polnische Armee, in die Bem 1815 als Artillerieoffizier eintrat, aber bald wegen eines Duells mit seinem Vorgesetzten entlassen wurde. Man berief ihn jedoch später als militärfachlichen Lehrer an die Artillerieschule in Warschau und beförderte ihn zum Hauptmann. Er führte nun die Congrevesche Rakete in die polnische Armee ein und legte die dabei gemachten Erfahrungen in einem Werk nieder, das ursprünglich in französischer Sprache veröffentlicht und dann ins Deutsche übersetzt wurde. Bem war streitsüchtig und unbotmäßig und wurde in den Jahren von 1820 bis 1825 mehrmals vor ein Kriegsgericht gestellt, mit Gefängnis bestraft, freigelassen, wieder eingesperrt und zuletzt nach Kock, einem entlegenen polnischen Dorf, geschickt, wo er unter strenger Polizeiaufsicht stumpfsinnig dahinlebte. Aus der polnischen Armee wurde Bem erst mit dem Tode Alexanders entlassen, und Konstantin verlor ihn durch den Petersburger Aufstand aus den Augen. Nachdem Bem Russisch-Polen verlassen hatte, zog er sich nach Lemberg zurück, wo er in einer großen Destillation Aufseher wurde und ein Buch über die Verwendung des Dampfes zur Destillierung von Alkohol verfaßte.

<130> Als 1830 der Warschauer Aufstand ausbrach, schloß er sich diesem an; nach wenigen Monaten wurde er Major der Artillerie und kämpfte im Mai 1831 in der Schlacht bei Ostrolenka, wo er durch seine Geschicklichkeit und Ausdauer auffiel, mit der er gegen die überlegenen russischen Batterien kämpfte. Als die Angriffe der polnischen Armee gegen die Russen, die den Narew überschritten hatten, endgültig zurückgeschlagen waren, deckte er den Rückzug durch einen kühnen Vorstoß mit all seinen Geschützen. Er wurde nun zum Obersten, bald danach zum General und zum Oberkommandierenden der polnischen Artillerie ernannt. Bei dem russischen Sturm auf Warschau kämpfte er tapfer, doch beging er als Kommandeur den Fehler, seine 40 Geschütze nicht einzusetzen und zuzulassen, daß die Russen Wola, den wichtigsten Punkt der Verteidigung, erobern konnten. Nach dem Fall Warschaus ging Bem mit dem Rest der Armee nach Preußen, drängte die Männer, ihre Waffen vor den Preußen nicht niederzulegen und provozierte so einen blutigen und unnötigen Kampf, den man damals die Schlacht von Fischau nannte. Bem verließ dann die Armee, organisierte in Deutschland Komitees zur Unterstützung polnischer Emigranten und ging anschließend nach Paris.

Sein ungewöhnlicher Charakter, in dem eine eifrige Neigung für die exakten Wissenschaften und rastloser Tatendrang miteinander verschmolzen, hatte zur Folge, daß er sich bereitwilligst in abenteuerliche Unternehmen einließ, deren Fehlschlag seinen Feinden dienlich war. So wurde er, nachdem er 1833 auf eigene Verantwortung vergeblich versucht hatte, eine polnische Legion für Dom Pedro aufzustellen, als Verräter denunziert, und einer seiner enttäuschten Landsleute schoß in Bourges auf ihn, wo Bem die Polen für seine Legion werben wollte. In den Jahren 1834 bis 1848 verbrachte er seine Zeit mit Reisen durch Portugal, Spanien, Holland, Belgien und Frankreich.

Als 1848 im österreichischen Teil Polens die ersten revolutionären Anzeichen sichtbar wurden, eilte er nach Lemberg und von dort am 14. Oktober nach Wien; alles, was hier zur Verstärkung der Verteidigungsanlagen und zur Organisierung der revolutionären Kräfte getan wurde, war seiner persönlichen Anstrengungen zu verdanken. Nach der regellosen Flucht, worin am 25. Oktober ein Ausfall der unter seiner Führung stehenden Wiener Mobilgarde endete, entrangen sich seinen Lippen bittere Vorwürfe, die mit lauten Anklagen des Verrats beantwortet wurden. Trotz ihrer Absurdität lösten diese Anklagen eine solche Wirkung aus, daß Bem vor ein Kriegsgericht gestellt worden wäre, wenn man nicht einen Aufstand der polnischer Legion befürchtet hätte. Nach seiner bemerkenswerten Verteidigung der <131> großen Barrikade in der Jägerzeile am 28. Oktober und nach der Eröffnung von Verhandlungen zwischen dem Wiener Gemeinderat und dem Fürsten Windischgrätz verschwand er. Mißtrauen, durch seine mysteriöse Flucht noch verstärkt, verfolgte ihn von Wien nach Pest, und als er der ungarischen Regierung den klugen Rat gab, die Aufstellung einer besonderen polnischen Legion nicht zuzulassen, feuerte ein Pole namens Kolodjecki auf den vermeintlichen Verräter einen Pistolenschuß ab, der Bem ernstlich verwundete.

Der Krieg in Siebenbürgen, dessen Führung die ungarische Regierung Bem anvertraute, es dabei jedoch seinem eigenen Scharfsinn überließ, die Armeen dafür zu finden, bildet den wichtigsten Abschnitt seiner militärischen Laufbahn und beleuchtet klar die charakteristischen Merkmale seiner Feldherrnkunst. Er eröffnete den ersten Feldzug Ende Dezember 1848 mit einer Truppe von ungefähr 8.000 Mann, die schlecht bewaffnet sowie hastig zusammengestellt worden war und sich aus den verschiedenartigsten Elementen zusammensetzten: aus unausgebildeten ungarischen Rekruten, Honveds, Wiener Flüchtlingen und einer kleinen Schar Polen, ein buntscheckiger Haufe, der bei seinem Vormarsch in Siebenbürgen durch ständig neu hinzuströmende Szekler, Sachsen, Slawen und Rumänen verstärkt wurde. Nach etwa 2 Monaten hatte Bem seinen Feldzug beende und Puchner mit einer österreichischen Armee von 20.000 Mann, Engelhardt mit den Hilfstruppen von 6.000 Russen sowie Urban mit seinen Räubertruppen besiegt. Als er letzteren dazu gezwungen hatte, in der Bukowina Zuflucht zu suchen, und die beiden anderen, sich in die Walachei zurückzuziehen, hatte er ganz Siebenbürgen in der Hand, bis auf die kleine Festung Karlsburg. Durch kühne Überraschungen, verwegene Manöver, Gewaltmärsche und das große Vertrauen, das er durch sein eigenes Beispiel bei seinen Truppen zu erwecken wußte, durch geschickte Auswahl sicherer Plätze und dadurch, daß er im entscheidenden Moment stets Artillerieunterstützung gewährte, erwies er sich in diesem ersten Feldzug als erstklassiger General für den Partisanenkampf und Kleinkrieg im Gebirge. Er zeigte sich auch als Meister in der Kunst, schnell eine Armee aufzustellen und zu disziplinieren, da er sich jedoch mit den ersten rohen Umrissen eine Organisation zufriedengab und es vernachlässigte, einen Kern auserlesene Truppen zu schaffen, was vor allem notwendig war, mußte seine improvisierte Armee bei den ersten ernsten Mißerfolgen wie ein Traum vergehen.

Als er in Siebenbürgen die Macht ausübte, verschaffte er sich dadurch hohes Ansehen, daß er die von den magyarischen Kommissaren beabsichtigten sinnlosen und unklugen Grausamkeiten verhinderte. Die Politik der Aussöhnung zwischen den sich bekämpfenden Nationalitäten half ihm, seine <132> Streitkräfte in einigen Monaten auf 40.000 bis 50.000 Mann zu erhöhen, die mit Kavallerie und Artillerie wohl versehen waren. Wenn trotzdem einige bewundernswerte Manöver - die Kampagne in das Banat, die er mit dieser zahlenmäßig starken Armee unternahm - keine dauerhaften Ergebnisse brachten, so muß man berücksichtigen, daß ihm durch die Zusammenarbeit mit dem unfähigen ungarischen General die Hände gebunden waren.

Der Einfall starker russischer Kräfte in Siebenbürgen und die darauffolgenden Niederlagen der Magyaren riefen Bem zum Schauplatz seines ersten Feldzuges zurück. Nachdem er vergeblich versucht hatte, durch sein Eindringen in das Moldaugebiet ein Ablenkungsmanöver im Rücken des Feindes durchzuführen, kehrte er nach Siebenbürgen zurück und wurde dort am 31. Juli bei Schäßburg von den dreimal so starken russischen Truppen unter Lüders völlig in die Flucht geschlagen. Er selbst entging der Gefangennahme nur dadurch, daß er in einen Morast sprang, aus dem ihn zufällig einige versprengte ungarische Husaren befreien konnten. Nachdem er die Reste seiner Armee gesammelt hatte, stürmte er Hermannstadt am 5. August zum zweiten Male, mußte den Ort aber aus Mangel an Verstärkung bald wieder aufgeben. Am 7. August wandte er sich nach einem unglücklichen Gefecht wieder nach Ungarn zurück, wo er zur rechten Zeit ankam, um die Niederlage in der entscheidenden Schlacht bei Temesvár mitzuerleben. Nach einem vergeblichen Versuch, bei Lugos zum letzte Mal mit den verbliebenen magyarischen Truppen Widerstand zu leisten, kehrte er nach Siebenbürgen zurück, hielt sich dort gegen eine Übermacht bis zum 19. August und war dann gezwungen, auf türkischem Gebiet Zuflucht zu suchen.

Um sich ein neues Betätigungsfeld gegen Rußland zu schaffen, nahm Bem den mohammedanischen Glauben an und erhielt vom Sultan die Würde eines Paschas unter dem Namen Amurat sowie ein Kommando der türkischen Armee; doch auf Vorstellungen der europäischen Mächte wurde Bem nach Aleppo verbannt. Es gelang ihm dort, einige blutige Exzesse zu unterdrücken, die im November 1850 von der mohammedanische Bevölkerung an christlichen Einwohnern verübt wurden; etwa eine Monat später starb er an einem heftigen Fieber, jede ärztliche Hilfe dabei ablehnend.