Inhaltsverzeichnis Aufsätze für "The New American Cyclopædia"
Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 14, 4. Auflage 1972, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1961, Berlin/DDR. S. 108-111.
1. Korrektur.
Erstellt am 22.08.1998.
Geschrieben zwischen 10. und 22. September 1857.
Aus dem Englischen.
["The New American Cyclopædia", Band III]
<108> Bennigsen, Levin August Theophil, Graf von, russischer General, geboren am 10. Februar 1745 zu Braunschweig, wo sein Vater als Oberst in der Garde diente; gestorben am 3. Oktober 1826. Er verbrachte fünf Jahr als Page am hannoverschen Hof Georgs II., trat in die hannoverische Armee ein und nahm, zum Hauptmann der Garde zu Fuß aufgerückt, am letzten Feldzug des Siebenjährigen Krieges teil. Seine außerordentlich Leidenschaft für das schöne Geschlecht erregte damals mehr Aufsehen als seine Kriegstaten. Um die Tochter des Barons von Steinberg, des hannoverschen Gesandten am Wiener Hof, zu heiraten, nahm er seinen Abschied, zog sich auf sein hannoversches Gut Banteln zurück, geriet durch sein verschwenderisches Leben hoffnungslos in Schulden und beschloß nach dem Tode seiner Frau, durch Eintritt in den russischen Militärdienst sein Vermögen wiederherzustellen. Von Katharina II. zum Oberstleutnant ernannt, diente er anfangs unter Rumjanzew gegen die Türken und dann unter Suworow gegen den Rebellen Pugatschow. Während eines ihm gewährte Urlaubs reiste er nach Hannover, um Mlle. von Schwiegelt, eine wegen ihrer Schönheit berühmte Dame, heimzuführen. Nach Rußland zurückgekehrt, erhielt er durch die Protektion Rumjanzews und Potjomkins das Kommando eines Regiments. Als er sich 1788 bei der Belagerung von Otschakow ausgezeichnet hatte, wurde er zum Brigadegeneral ernannt. Im polnischen Feldzug von 1793/1794 kommandierte er ein fliegendes Korps, wurde nach den Gefechten bei Oschmjany und Solli zum General ernannt, entschied den Sieg bei Wilna, als er an der Spitze der Kavallerie das Zentrum der polnischen Armee durchbrach, und wurde wegen einiger kühner Handstreiche, die er an den Ufern des unteren Njemen erfolgreich durchführte, von Katharina II. mit dem St.-Wladimir-Orden, einem Ehrensäbel und zweihundert Leibeigenen belohnt. Während des polnischen Feldzuges zeigte er die Eigenschaften eines guten Kavallerieoffiziers - Feuer, <109> Kühnheit und Schnelligkeit -, aber nicht die für den Oberbefehlshaber einer Armee unerläßlichen höheren Kenntnisse. Nach dem polnischen Feldzug wurde er zu der in Persien operierenden Armee versetzt, wo er Derbent am Kaspischen Meer durch ein zehn Tage dauerndes Bombardement zur Übergabe zwang. Der St.-Georgs-Orden dritter Klasse war die letzte Auszeichnung, die er von Katharina II. erhielt; nach ihrem Tode wurde er zurückbeordert und fiel bei ihrem Nachfolger in Ungnade
Graf Pahlen, der Militärgouverneur von St. Petersburg, organisierte zu dieser Zeit die Verschwörung, durch die Paul sein Leben verlor. Pahlen, der Bennigsens rücksichtslosen Charakter kannte, zog ihn ins Vertrauen und übertrug ihm den Ehrenposten, die Verschwörer in das Schlafzimmer des Zaren zu führen. Es war Bennigsen, der Paul aus dem Kamin zerrte, wo er sich versteckt hatte; und als die anderen Verschwörer, nach Pauls Weigerung abzudanken, zögerten, rief Bennigsen aus: "Genug der Worte!", band seine Schärpe ab, stürzte sich auf Paul und erdrosselte ihn nach kurzem Ringen mit Beihilfe der anderen Verschwörer. Damit es schneller gehe, schlug Bennigsen ihm mit einer schweren silbernen Schnupftabakdose auf den Kopf. Unmittelbar nach der Thronbesteigung Alexanders I. erhielt Bennigsen ein Militärkommando in Litauen.
Zu Beginn des Feldzugs von 1806/1807 befehligte er ein Korps in der ersten Armee unter Kamenski - das zweite Korps wurde von Buxhöwden kommandiert. Nachdem er vergeblich versucht hatte, Warschau gegen die Franzosen zu decken, mußte er sich nach Pultusk am Narew zurückziehen, und hier vermochte er am 26. Dezember 1806 einen Angriff von Lannes und Bernadotte zurückzuschlagen, da seine Truppen zahlenmäßig weit überlegen waren, weil Napoleon mit seiner Hauptmacht gegen die zweite russische Armee marschierte. Bennigsen sandte prahlerische Berichte an Zar Alexander und erhielt bald durch Intrigen gegen Kamenski und Buxhöwden den Oberbefehl über die für die Operationen gegen Napoleon bestimmte Armee. Ende Januar 1807 führte er eine Offensivbewegung gegen die in Winterquartieren liegenden Truppen Napoleons durch, entkam durch reinen Zufall einer Falle, die Napoleon ihm gestellt hatte, und schlug dann die Schlacht bei Eylau. Eylau fiel am 7. Februar, die Hauptschlacht jedoch, die Bennigsen annehmen mußte, um Napoleons stürmische Verfolgung aufzuhalten, fand am 8. Februar statt. Die Zähigkeit der russischen Truppen, die Ankunft der Preußen unter l'Estocq und die Langsamkeit, mit der einige französische Korps auf dem Schlachtfeld erschienen, machten den Sieg zweifelhaft. Beide Parteien nahmen ihn für sich in Anspruch, aber eines ist sicher, daß die Schlacht von Eylau - nach Napoleons eigener Fest- <110> stellung - die blutigste aller seiner Schlachten war. Bennigsen wurden Tedeums <Lobgesänge> gesungen, und er erhielt vom Zar einen russischen Orden, eine Pension von 12.000 Rubeln und ein Glückwunschschreiben, das ihn als "den Besieger des noch nie besiegten Feldherrn" pries.
Im Frühjahr verschanzte er sich bei Heilsberg und versäumte es, Napoleon anzugreifen, während ein Teil der französischen Armee durch die Belagerung von Danzig in Anspruch genommen war; aber nach dem Fall von Danzig und der Vereinigung aller Kräfte der französischen Armee hielt er die Zeit für den Angriff gekommen. Nachdem er zuerst von Napoleons Avantgarde, die zahlenmäßig nur einem Drittel seiner eigenen Truppen gleichkam, aufgehalten worden war, zwangen ihn Napoleons Manöver bald, sich in sein verschanztes Lager zurückzuziehen. Dort griff ihn Napoleon am 10. Juni vergeblich mit nur zwei Korps und einigen Gardebataillonen an, zwang ihn aber am nächsten Tage, sein Lager aufzugeben und den Rückzug anzutreten. Doch ganz plötzlich, ohne auf ein Korps von 28.000 Mann zu warten, das schon Tilsit erreicht hatte, ging Bennigsen erneut zum Angriff über, besetzte Friedland und postierte dort seine Armee, wobei er den Fluß Alle im Rücken und die Brücke von Friedland als einzige Rückzugslinie offen hatte. Anstatt jedoch schnell vorzurücken, ehe Napoleon seine Truppen konzentrieren konnte, ließ er sich fünf oder sechs Stunden von Lannes und Mortier hinhalten, bis Napoleon gegen fünf Uhr seine Kräfte bereit hatte und dann das Kommando zum Angriff gab. Die Russen wurden an den Fluß zurückgeworfen, Friedland genommen und die Brücke von den Russen selbst zerstört, obwohl sich ihr ganzer rechter Flügel noch auf dem gegenüberliegenden Ufer befand. So wurde die Schlacht bei Friedland am 14. Juni verloren; sie kostete der russischen Armee über 20.000 Mann. Man sagte, daß Bennigsen damals von seiner Frau, einer Polin, beeinflußt worden sei. Während des ganzen Feldzugs beging Bennigsen Fehler über Fehler, da seine Führung ein seltsames Gemisch tollkühner Unbedachtsamkeit und hilfloser Unentschlossenheit darstellte.
Während des Feldzugs von 1812 spielte sich seine Haupttätigkeit im Hauptquartier Zar Alexanders ab, wo er gegen Barclay de Tolly mit der Absicht intrigierte, dessen Platz einzunehmen. Während des Feldzugs von 1813 kommandierte er eine russische Reservearmee und wurde von Alexander auf dem Schlachtfeld bei Leipzig in den Grafenstand erhoben. Als er danach den Auftrag bekam, Davout aus Hamburg zu vertreiben, belagerte er die Stadt, bis Napoleons Abdankung im April 1814 den Feindseligkeiten <111> ein Ende setzte. Für die kampflose Besetzung Hamburgs, die er dann durchführte, forderte und erhielt er neue Ehren und Einkünfte. Von 1814 bis 1818 hatte er den Oberbefehl über die Südarmee in Bessarabien und zog sich dann endgültig auf sein Gut im Hannoverschen zurück, wo er starb, nachdem er den größten Teil seines Vermögens verschwendet und seine Kinder arm in russischen Diensten zurückgelassen hatte.