Inhaltsverzeichnis Artikel und Korrespondenzen von Januar bis Dezember 1860

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 13, 7. Auflage 1971, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1961, Berlin/DDR. S. 564-569.

1. Korrektur.
Erstellt am 04.08.1998

Friedrich Engels

Der Krieg gegen die Mauren

Geschrieben Anfang Februar 1860.
Aus dem Englischen.


["New-York Daily Tribune Nr. 5896 vom 17. März 1860]

<564> Nachdem nun der erste und möglicherweise zugleich der letzte Akt des spanischen Krieges in Marokko beendet ist und alle detaillierten offiziellen Berichte eingetroffen sind, können wir noch einmal auf diesen Gegenstand zurückkommen.

Am 1. Januar verließ die spanische Armee die Stellungen vor Céuta, um gegen das nur 21 Meilen entfernt liegende Tetuán vorzurücken. Obgleich Marschall O'Donnell vom Feind niemals ernstlich angegriffen oder aufgehalten wurde, brauchte er nicht weniger als einen Monat, um seine Truppen in Sichtweite dieser Stadt zu bringen. Das Fehlen von Straßen und die notwendige Vorsicht sind keine ausreichenden Motive für dieses langsame Marschtempo, das nicht seinesgleichen hat, und es liegt klar auf der Hand, daß die von den Spaniern ausgeübte Herrschaft über das Meer nicht in vollem Maße ausgenutzt worden ist. Es kann auch nicht als Entschuldigung gelten, daß für schwere Geschütze und Proviant eine Straße gebaut werden mußte. Beides hätte hauptsächlich auf Schiffen herantransportiert werden können, währenddessen die Armee, mit Proviant für eine Woche versehen und mit keinen anderen Geschützen als der Gebirgsartillerie (von Mauleseln auf dem Rücken getragen), spätestens in fünf Tagen die Höhen oberhalb Tetuáns erreichen und dort auf die Division des Generals Rios warten konnte, die damals ebenso wenig wie drei Wochen später hatte gehindert werden können, an der Mündung des Wad-el-Chelû zu landen. Die Schlacht vom 4. Februar hätte am 6. oder 7. Januar wahrscheinlich unter noch günstigeren Aspekten für die Spanier geschlagen werden können; dadurch wären mehrere tausend Mann, die durch Krankheit verloren gingen, verschont geblieben und Tetuán hätte bis zum 8. Januar genommen werden können.

<565> Dies scheint eine kühne Behauptung zu sein. O'Donnell brannte sicherlich genauso darauf, nach Tetuán zu gelangen, wie jeder seiner Soldaten; er hat Tapferkeit, Umsicht, Kaltblütigkeit und andere soldatische Tugenden bewiesen. Da er einen Monat brauchte, ehe er vor Tetuán stand, wie hätte er es in einer Woche erreichen können? O'Donnell hatte zwei Möglichkeiten, seine Truppen dorthin zu bringen. Erstens konnte er sich in der Hauptsache auf die Verbindung zu Lande stützen und die Schiffe als bloßes Hilfsmittel benutzen. Das hat er getan. Er organisierte einen regulären Transport auf dem Landwege für Proviant und Munition und führte bei der Armee eine beträchtliche Feldartillerie von Zwölfpfündern mit. Seine Armee sollte im Notfalle völlig unabhängig von den Schiffen sein; die Schiffe sollten lediglich als eine zweite Verbindungslinie mit Céuta dienen, zwar nützlich, aber keineswegs unentbehrlich. Dieser Plan erforderte natürlich die Organisierung eines ungeheuren Fahrzeugtrains, und dieser Train machte den Bau einer Straße notwendig. So ging eine Woche verloren für den Bau der Straße von den Stellungen bis zur Küste; und fast bei jedem Schritt wurde die ganze Kolonne - Armee, Train und alles übrige - angehalten, bis wieder ein Stück Straße für das Vorrücken am folgenden Tage fertig war. So hing die Marschdauer davon ab, wieviel Meilen Straße die spanischen Genietruppen von einem Tag zum anderen bauen konnten; und das scheint etwa eine halbe Meile pro Tag gewesen zu sein. Dadurch machten wiederum die für den Transport des Proviants notwendigen Hilfsmittel eine gewaltige Vergrößerung des Trains erforderlich, denn je länger die Armee unterwegs war, desto mehr mußte sie natürlich konsumieren. Aber die Armee litt dennoch Hunger, nachdem etwa am 18. Januar ein Sturm die Dampfer von der Küste abgetrieben hatte, und dies im Anblick ihres Depots bei Céuta; noch ein stürmischer Tag, und ein Drittel der Armee hätte zurückmarschieren müssen, um Proviant für die übrigen zwei Drittel zu holen. So kam es, daß Marschall O'Donnell es fertigbrachte, einen Monat lang 18.000 Spanier mit einem Tempo von zwei Drittel Meilen pro Tag an der Küste von Afrika entlangspazieren zu lassen. Nachdem dieses System der Verproviantierung der Armee einmal eingeführt werden war, hätte keine Macht der Welt die Dauer dieses beispiellosen Marsches wesentlich verkürzen können; aber war es nicht schon ein Fehler, es einzuführen?

Wäre Tetuán eine Stadt im Inland gewesen, einundzwanzig Meilen von der Küste entfernt und nicht vier, hätte es zweifellos keine andere Wahl gegeben. Die Franzosen stießen bei ihren Expeditionen in das Innere von Algerien auf die gleichen Schwierigkeiten und überwanden sie in derselben Weise, wenn auch mit größerer Energie und Geschwindigkeit. Den <566> Engländern wurde in Indien und Afghanistan diese Mühe erspart, da sie in diesen Ländern verhältnismäßig leicht Lasttiere und Futter für dieselben fanden; sie hatten leichte Artillerie, die keine guten Straßen benötigte, da die Feldzüge nur in der trockenen Jahreszeit durchgeführt wurden, in der Armeen quer durch das Land marschieren können. Es blieb den Spaniern und Marschall O'Donnell vorbehalten, eine Armee einen ganzen Monat hindurch an der Meeresküste entlangmarschieren zu lassen und in dieser Zeit die ungeheure Entfernung von einundzwanzig Meilen zurückzulegen.

Daraus ist ersichtlich, daß in der spanischen Armee sowohl die Einrichtungen als auch die Ideen recht altmodisch sind. Mit einer Flotte von Dampfern und Segeltransportschiffen in ständiger Sichtweite war dieser Marsch vollkommen lächerlich, und die Männer, die dabei durch Cholera und Ruhr auf der Strecke blieben, sind Opfer des Vorurteils und der Unfähigkeit. Die von den Genietruppen erbaute Straße war keine sichere Verbindung mit Céuta, denn sie gehörte den Spaniern nirgends, außer dort, wo sie gerade Rast machten. Hinter ihnen konnten die Mauren sie jeden Tag unbrauchbar machen. Um eine Botschaft oder einen Transport nach Céuta zu geleiten, war eine Division von mindestens 5.000 Mann erforderlich. Während des ganzen Marsches wurde die Verbindung mit diesem Ort lediglich durch die Dampfer aufrechterhalten. Und bei alledem war der Proviant, den die Armee mit sich führte, so unzureichend, daß schon nach zwanzig Tagen die Armee am Verhungern war und nur durch die Vorräte der Flotte gerettet werden konnte. Warum wurde dann die Straße überhaupt gebaut? Für die Artillerie? Die Spanier hätten genau wissen müssen, daß die Mauren keine Feldartillerie besaßen und daß ihre eigenen gezogenen Gebirgsgeschütze allem überlegen waren, was der Gegner gegen sie aufbringen konnte. Warum schleppte man dann diese ganze Artillerie mit, wenn sie in wenigen Stunden auf dem Seewege von Céuta nach San Martin (an der Mündung des Wad-el-Chelû oder Tetuán-Flusses) gebracht werden konnte? Um für alle Fälle gewappnet zu sein, hätte eine einzige Batterie Feldgeschütze die Armee begleiten können, und die spanische Armee müßte sehr schwerfällig sein, wenn sie diese nicht mit einer Geschwindigkeit von fünf Meilen pro Tag über jedes beliebige Gelände schaffen könnte.

Die Spanier verfügten über soviel Schiffsraum, um mindestens eine Division auf einmal transportieren zu können, wie die Landung der Division Rios bei San Martin bewiesen hat. Hätten englische oder französische Truppen den Angriff durchgeführt, so wäre diese Division zweifellos gleich zu Beginn in San Martin gelandet worden, wobei man vorher von Céuta aus einige Demonstrationen unternommen hätte, um die Mauren dorthin zu <567> zu ziehen. Eine solche Division von 5.000 Mann, hinter einfachen Wällen verschanzt, wie man sie in einer einzigen Nacht aufwerfen kann, hätte furchtlos den Angriff jeder beliebigen Anzahl von Mauren abwarten können. Bei günstigem Wetter hätte obendrein jeden Tag eine weitere Division gelandet und so die Armee in sechs oder acht Tagen vor Tetuán konzentriert werden können. Wir dürfen jedoch bezweifeln, ob O'Donnell es gern gesehen hätte, eine seiner Divisionen möglicherweise drei oder vier Tage lang isoliert einem Angriff auszusetzen - seine Truppen waren jung und im Kriege noch unerfahren. Er kann nicht dafür getadelt werden, daß er nicht so vorgegangen ist.

Aber er hätte zweifellos folgendes tun können. Wenn jeder Mann für eine Woche Proviant bei sich trägt, hätte er mit all seinen Gebirgsgeschützen, eventuell einer Batterie Feldgeschütze und soviel Vorräten, wie er auf dem Rücken seiner Maulesel und Pferde transportieren konnte, von Céuta abmarschieren und Tetuán so schnell wie möglich erreichen können. Unter Berücksichtigung aller Schwierigkeiten sind acht Meilen pro Tag gewiß wenig genug. Aber sagen wir fünf; das ergäbe vier Tagesmärsche. Rechnen wir zwei Tage für Gefechte, obgleich es recht magere Siege sein müßten, wenn sie nicht einen Gewinn von fünf Meilen Gelände einbringen. Das würde alles in allem sechs Tage ergeben, einschließlich aller Verzögerungen, die das Wetter verursacht, denn eine Armee ohne Train kann fast bei jeder Witterung täglich vier oder fünf Meilen zurücklegen. Auf diese Weise wäre die Armee in der Ebene von Tetuán angekommen, ehe die mitgeführten Vorräte verbraucht waren; für den Notfall standen die Schiffe bereit, um während des Marsches frischen Proviant heranzubringen, wie es ja der Fall war. Marokko ist hinsichtlich Gelände oder Wetter kein schlechteres Land als Algerien, und die Franzosen haben dort mitten im Winter und auch tief in den Bergen weit mehr vollbracht; und das ohne Dampfer, die sie unterstützen und versorgen konnten. Waren erst einmal die Höhen des Monte Negro erreicht und der Paß nach Tetuán in Besitz genommen, so war die Verbindung mit der Flotte an der Reede von San Martin gesichert, und das Meer konnte die Operationsbasis bilden. Auf diese Weise wäre durch etwas Kühnheit der Zeitraum, währenddessen die Armee keine andere Operationsbasis besaß als sich selbst, von einem Monat auf eine Woche reduziert worden, und der kühnere Plan daher auch der sicherere gewesen; denn je furchtbarer die Mauren waren, um so gefährlicher wurde der langsame Vormarsch O'Donnells. Und wenn die Armee auf dem Weg nach Tetuán geschlagen worden wäre, so hätte sie ihren Rückzug ohne Troß und Feldartillerie viel leichter durchführen können.

<568> O'Donnells Vorrücken vom Monte Negro, den er fast ohne Widerstand passierte, entsprach durchaus seiner bisherigen Langsamkeit. Wieder wurden Redouten aufgeworfen und befestigt, als ob ihm eine vorzüglich organisierte Armee gegenüberstünde. So wurde eine Woche vertan, obwohl bei einem solchen Gegner einfache Wälle genügt hätten; da keinerlei Gefahr bestand, daß er von Artillerie angegriffen wird, die auch nur sechs von seinen Gebirgsgeschützen ebenbürtig gewesen wäre, hätten für die Errichtung eines solchen Lagers ein oder zwei Tage genügen müssen. Am 4. griff er endlich das verschanzte Lager seiner Gegner an. Die Spanier scheinen sich bei dieser Aktion sehr tapfer gehalten zu haben; die Qualität der taktischen Maßnahmen können wir nicht beurteilen, da die wenigen Korrespondenten im spanischen Lager zugunsten von Schönfärberei und übertriebenem Enthusiasmus nichts über die trockenen militärischen Details berichten. So meint der Korrespondent der Londoner "Times": Was nützt es, wenn ich Ihnen ein Stück Landschaft beschreibe, das Sie sehen müßten, um seine Natur beurteilen zu können? Die Mauren wurden vollständig in die Flucht geschlagen, und am folgenden Tage ergab sich Tetuán.

Damit geht der erste Akt des Feldzugs, und wenn der Kaiser von Marokko <Sidi-Mohammed> nicht zu halsstarrig ist, höchstwahrscheinlich auch der ganze Krieg zu Ende. Die Schwierigkeiten, auf die die Spanier bis jetzt gestoßen sind - Schwierigkeiten, die durch das System ihrer Kriegführung vergrößert wurden -, zeigen jedoch, daß Spanien, falls Marokko durchhält, eine harte Nuß zu knacken haben wird. Es ist nicht der tatsächliche Widerstand der maurischen irregulären Truppen, die niemals disziplinierte Truppen besiegen werden, solange diese zusammenhalten und ernährt werden können; es ist die unkultivierte Natur des Landes, die Unmöglichkeit, etwas anderes zu erobern als die Städte und sich daraus zu versorgen; es ist die Notwendigkeit, die Armee auf eine große Zahl kleiner Stellungen zu zersplittern, die letztlich nicht ausreichen werden, eine regelmäßige Verbindung zwischen den eroberten Städten aufrechtzuerhalten, und die nicht mit Proviant versorgt werden können, wenn der größte Teil der Streitkräfte nicht dazu verwandt wird, die Vorratstransporte durch ein wegloses Land und ständig wieder auftauchende Scharen maurischer Plänkler zu geleiten. Es ist wohlbekannt, was es für die Franzosen bedeutete, während der ersten fünf oder sechs Jahre ihrer afrikanischen Eroberungen auch nur Blidah und Medeah, geschweige denn weiter von der Küste entfernte Stützpunkte mit Lebensmitteln zu versorgen. Bei der raschen Friktion europäischer <569> Armeen in diesem Klima sind sechs oder zwölf Monate eines solchen Krieges kein Spaß für ein Land wie Spanien.

Wenn der Krieg weitergeht, wird natürlich Tanger das nächste Angriffsobjekt sein. Der Weg von Tetuán nach Tanger führt über einen Gebirgspaß und dann ein Flußtal hinunter. Alles vollzieht sich im Binnenlande - es gibt keine Dampfer, die Vorräte herbeischaffen können, und keine Straßen. Die Entfernung beträgt etwa 26 Meilen. Wie lange wird Marschall O'Donnell brauchen, um diese Entfernung zu bewältigen. und wieviel Mann wird er in Tetuán zurücklassen müssen? Er soll gesagt haben, daß 20.000 Mann notwendig sind, um es zu halten; das ist aber offenbar sehr übertrieben. Mit 10.000 Mann in der Stadt und einer besonderen Brigade in einem verschanzten Lager bei San Martin müßte der Ort genügend gesichert sein; eine solche Streitkraft wäre immer stark genug, jeden Angriff der Mauren zurückzuschlagen. Tanger könnte durch Bombardierung vom Meer her genommen und die Besatzung gleichfalls auf dem Seeweg herangebracht werden. Das Gleiche gilt für Larache, Saleh, Mogador. Aber wenn die Spanier beabsichtigten, in dieser Art vorzugehen, warum dann der lange Marsch nach Tetuán? Soviel ist sicher: Die Spanier müssen in der Kriegführung noch viel lernen, ehe sie Marokko zum Frieden zwingen können, falls Marokko ein Jahr durchhält.