Inhaltsverzeichnis Artikel und Korrespondenzen von Januar bis Dezember 1859

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 13, 7. Auflage 1971, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1961, Berlin/DDR. S. 540-544.

1. Korrektur.
Erstellt am 04.08.1998

Karl Marx

Der Handel mit China

Geschrieben Mitte November 1859.
Aus dem Englischen.


["New-York Daily Tribune" Nr. 5808 vom 3. Dezember 1859]

<540> Zu einer Zeit, da höchst phantastische Vorstellungen über den Auftrieb in Umlauf waren, den der amerikanische und britische Handel ganz sicher durch die sogenannte Öffnung des "Reichs des Himmels" erhalten würde, unternahmen wir es, durch eine einigermaßen gründliche Übersicht über den chinesischen Außenhandel seit Beginn des Jahrhunderts zu beweisen, daß solche hochfliegenden Erwartungen keinen festen Boden unter den Füßen hatten. Ganz abgesehen vom Opiumhandel, der, wie wir bewiesen, im umgekehrten Verhältnis zum Absatz westlicher Fabrikate wuchs, erkannten wir als Haupthindernis für jede rasche Ausdehnung des Exporthandels nach China die ökonomische Struktur der chinesischen Gesellschaft, die auf der Vereinigung kleiner Agrikultur mit häuslicher Industrie beruht. Zur Bekräftigung unserer früheren Feststellungen können wir nunmehr auf das Blaubuch "Correspondence relating to the Earl of Elgin's special missions to China and Japan" verweisen.

Überall da, wo in den asiatischen Ländern der wirkliche Bedarf an Importgütern nicht der angenommenen Nachfrage entspricht - die in den meisten Fällen an Hand solch oberflächlicher Angaben wie des Umfangs des neuen Marktes, seiner Bevölkerungsdichte und des Absatzes, den ausländische Waren in einigen bedeutenden Seehäfen gefunden haben, berechnet wird -, sind Kaufleute in ihrem Eifer, sich ein größeres Gebiet für den Austausch zu sichern, nur zu geneigt, sich ihre Enttäuschung durch den Umstand zu erklären, daß künstliche Vorkehrungen, ersonnen von barbarischen Regierungen, ihnen im Wege stünden, die folglich durch Gewalt- <541> anwendung beseitigt werden könnten. Gerade diese falsche Vorstellung hat in unserer Zeit zum Beispiel den britischen Kaufmann dahin gebracht, bedenkenlos jeden Minister zu unterstützen, der verspricht, den Barbaren durch Überfälle nach Piratenart einen Handelsvertrag abzuzwingen. So bildeten die künstlichen Hindernisse, denen der ausländische Handel angeblich von seiten der chinesischen Behörden begegnete, faktisch den allgemeinen Vorwand, der in den Augen der Handelswelt jede Gewaltanwendung gegen das Reich des Himmels rechtfertigte. Die in dem Blaubuch Lord Elgins enthaltenen wertvollen Informationen werden in hohem Maße dazu beitragen, solche gefährlichen Vorstellungen bei jedem Unvoreingenommenen zu beseitigen.

Das Blaubuch enthält einen aus dem Jahre 1852 stammenden Bericht von Herrn Mitchell, einem britischen Vertreter in Kanton, an Sir George Bonham, aus dem wir folgende Stelle zitieren:

"Unser Handelsvertrag mit diesem Lande" (China) "ist jetzt" (1852) "seit fast zehn Jahren voll in Kraft. Alle erwarteten Hindernisse sind beseitigt worden. Tausend Meilen neuen Küstengebiets sind uns zugänglich gemacht und neue Märkte direkt an der Schwelle der Produktionsgebiete und an den günstigsten Punkten am Meer erschlossen worden. Doch wie hat sich das ausgewirkt auf die versprochene Steigerung der Konsumtion unserer Fabrikate? Ganz einfach so: Nach Ablauf von zehn Jahren zeigen uns die Statistiken des Handelsministeriums, daß Sir Henry Pottinger 1843 bei Unterzeichnung des Zusatzvertrages einen ausgedehnteren Handel vorfand, als ihn sein Vertrag Ende 1850 ausweist (!) - das heißt, soweit es sich um unsere einheimischen Fabrikate handelt, und das ist die einzige Frage, die wir jetzt erörtern."

Herr Mitchell räumt ein, daß sich der Handel zwischen Indien und China, der fast ausschließlich im Austausch von Silber gegen Opium besteht, seit dem Vertrag 1842 stark entwickelt hat, doch sogar hinsichtlich dieses Handel fügt er hinzu:

"Er entwickelte sich von 1834 bis 1844 in ebenso schnellem Tempo wie von 1844 bis heute, wobei er sich in letzterer Periode unter dem vermeintlichen Schutz des Vertrags entwickelt hat, während uns andererseits die Statistiken des Handelsministeriums die unumstößliche Tatsache vor Augen führen, daß der Export unserer Manufakturwaren nach China Ende des Jahres 1850 um fast eine dreiviertel Million Pfd.St. geringer war als Ende 1844."

Daß der Vertrag von 1842 nicht den geringsten Einfluß auf die Förderung des britischen Exporthandels nach China hatte, ist aus folgender Statistik zu ersehen:

<542>

Deklarierter Wert

Baumwollwaren

Wollwaren

andere Artikel

Insgesamt

1849

1.001.283

370.878

164.948

1.537.109

1850

1.020.915

404.797

148.433

1.574.145

1851

1.598.829

373.399

189.040

2.161.268

1852

1.905.321

434.616

163.662

2.503.599

1853

1.408.433

203.875

137.289

1.749.597

1854

640.820

156.959

202.937

1.000.716

1855

883.985

134.070

259.889

1.277.944

1856

1.544.235

268.642

403.246

2.216.123

1857

1.731.909

286.852

431.221

2.449.982

Vergleicht man nun diese Zahlen mit der chinesischen Nachfrage nach britischen Textilwaren im Jahre 1843, die sich nach Angaben von Herrn Mitchell auf 1.750.000 Pfd.St. beliefen, so wird man feststellen, daß in fünf von den letzten neun Jahren die britischen Exporte weit unter den Stand von 1843 sanken und 1854 nur 10/17 der Exporte von 1843 betrugen. Herr Mitchell erklärt diese überraschende Tatsache vor allem durch einige Gründe, die zu allgemeiner Natur sind, um irgend etwas Bestimmtes zu beweisen. Er schreibt.

"Die Chinesen sind so sparsam und hängen so am Hergebrachten, daß sie eben nur das tragen, was ihre Väter vor ihnen trugen, das heißt, nicht mehr als das Notwendigste, mag es ihnen auch noch so billig angeboten werden ... Kein Chinese, der von seiner Hände Arbeit lebt, kann es sich leisten, einen neuen Rock anzuschaffen, der nicht mindestens drei Jahre hält und während dieser Zeit nicht dem Verschleiß durch gröbste Plackerei standhält. Ein derartiges Kleidungsstück muß aber mindestens dreimal soviel Rohbaumwolle enthalten wie die schwersten Stoffe, die wir nach China exportieren; das heißt, es muß dreimal so schwer sein wie die schwersten Drilliche und Domestiks, die wir hier anbieten können."

Fehlende Bedürfnisse und die Vorliebe, sich nach altem Brauch zu kleiden, sind Hindernisse, denen der zivilisierte Handel auf allen neuen Märkten begegnet. Könnten die britischen und amerikanischen Fabrikanten ihre Drilliche nicht hinsichtlich der Festigkeit und Stärke den besonderen Anforderungen der Chinesen anpassen? Hier kommen wir nun zum eigentlichen Kern der Sache. 1844 sandte Herr Mitchell einige Muster chinesischen Tuchs von jeder Qualität mit dem entsprechenden Preisvermerk nach England. Seine Geschäftsfreunde erklärten, daß sie es zu den genannten Preisen in Manchester nicht produzieren und noch viel weniger nach China senden könnten. Woher kommt dieses Unvermögen des höchstentwickelten <543> Fabriksystems der Welt, Tuch zu unterbieten, das auf primitivsten Webstühlen mit der Hand gewebt wird? Die Vereinigung kleiner Agrikultur mit häuslicher Industrie, auf die wir bereits hingewiesen haben, löst das Rätsel. Wir zitieren abermals Herrn Mitchell:

"Wenn die Ernte eingebracht ist, machen sich im Bauernhaus alle zusammen, ob jung oder alt, ans Kämmen, Spinnen und Weben dieser Baumwolle; und mit diesem selbstgesponnenen Zeug, einem schweren und haltbaren Stoff, wie geschaffen für die grobe Behandlung, der er zwei oder drei Jahre lang ausgesetzt wird, kleiden sie sich, und den Überschuß bringen sie in die nächste Stadt, wo der Krämer es für die Stadtbevölkerung und die Bootmenschen auf den Flüssen kauft. Mit diesem selbstgesponnenen Zeug kleiden sich neun von zehn Menschen in diesem Lande, und die Erzeugnisse, die in der Qualität vom gröbsten Dungaree bis zum feinsten Nanking variieren, werden alle in Bauernhäusern hergestellt und kosten den Produzenten buchstäblich nur das Rohmaterial oder vielmehr den Zucker, ein Produkt seiner eigenen Landwirtschaft, den er im Austausch dafür gab. Unsere Fabrikanten brauchen sich nur einen Augenblick die bewunderungswürdige Ökonomie dieses Systems vor Augen zu halten und sein vorzügliches Zusammenspiel mit den anderen Arbeiten des Bauern, um sich mit einem einzigen Blick darüber klarzuwerden, daß sie als Konkurrenten durchaus keine Chance haben, soweit es sich um die gröberen Gewebe handelt. China ist vielleicht das einzige Land der Welt, wo der Webstuhl in jedem gut eingerichteten Bauernhaus zu finden ist. In allen anderen Ländern begnügen sich die Leute mit dem Kämmen und Spinnen, und dabei lassen sie es bewenden, das Garn aber überlassen sie dem berufsmäßigen Weber zur Tuchherstellung. Dem sparsamen Chinesen war es vorbehalten, die Sache bis zur Vollendung zu führen. Er kämmt und spinnt seine Baumwolle nicht nur, sondern webt sie auch selbst mit Hilfe seiner Frauen, Töchter und seines Gesindes und begnügt sich selten damit, ausschließlich für die Bedürfnisse seiner Familie zu produzieren. Er macht vielmehr die Herstellung einer gewissen Menge Stoff zur Belieferung der benachbarten Städte und Flüsse zu einem wesentlichen Bestandteil seiner Arbeiten im Laufe des Jahres.

Der Bauer aus Fukien ist somit kein bloßer Landwirt, sondern Ackerbauer und Handwerker in einer Person. Die Herstellung dieses Stoffes kostet ihn buchstäblich nichts weiter als das Rohmaterial. Er produziert es, wie gezeigt wurde, unter seinem eigenen Dache mit seinen Frauen und seinem Gesinde. Es kostet ihn weder zusätzliche Arbeitskräfte noch zusätzliche Zeit. Er läßt seine Leute spinnen und weben, während die Feldfrüchte reifen und nachdem sie geerntet sind und wenn die Außenarbeiten wegen Regenwetters unterbrochen werden müssen. Kurz gesagt, das ganze Jahr hindurch nutzt dieses Muster häuslichen Fleißes jede Unterbrechung zur Ausübung dieser Tätigkeit und verrichtet irgend etwas Nützliches."

Als Ergänzung zu Herrn Mitchells Ausführungen mag folgende Beschreibung dienen, die Lord Elgin von der Landbevölkerung gibt, die er auf seiner Reise den Jangtse-kiang aufwärts kennengelernt hatte:

<544> "Nach dem, was ich gesehen habe, glaube ich, daß die Landbevölkerung in China im allgemeinen rechtschaffen und zufrieden ist. Ich machte alle Anstrengungen, wenn auch nur mit unbedeutendem Erfolg, von ihnen genaue Auskünfte über die Größe ihrer Höfe, die Art ihres Grundbesitzes, die Steuern, die sie zu zahlen haben, und dergleichen Dinge mehr zu erhalten. Ich kam zu dem Schluß, daß sie in den meisten Fällen ihr Land, das von sehr begrenztem Ausmaß ist, gegen Entrichtung bestimmter, nicht übermäßiger jährlicher Abgaben als unbeschränkten Besitz von der Krone erhalten und daß diese günstigen Umstände, zu denen noch ihr emsiger Fleiß kommt, ihre einfachen Bedürfnisse sowohl hinsichtlich der Ernährung als auch der Kleidung vollauf befriedigen."

Es ist diese gleiche Einheit von Landwirtschaft und handwerklicher Industrie, die lange Zeit dem Export britischer Waren nach Ostindien widerstand und ihn immer noch hemmt; aber dort beruhte diese Einheit auf den besonderen Grundbesitzverhältnissen, die die Briten in ihrer Machtstellung als oberste Grundherren des Landes unterminieren konnten und auf diese Weise einen Teil der sich selbst erhaltenden hindustanischen Gemeinschaften gewaltsam in bloße Farmen verwandelten, die im Austausch für britische Stoffe Opium, Baumwolle, Indigo, Hanf und andere Rohstoffe produzieren. In China haben die Engländer diese Macht noch nicht ausüben können, und es wird ihnen wahrscheinlich auch niemals gelingen.