Inhaltsverzeichnis Artikel und Korrespondenzen von Januar bis Dezember 1859
Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 13, 7. Auflage 1971, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1961, Berlin/DDR. S. 508-524.
1. Korrektur.
Erstellt am 04.08.1998
Aus dem Englischen.
I
["New-York Daily Tribune" Nr. 5750 vom 27. September 1859]
<508> London, 13. September 1859
Zu der Zeit, da England allgemein dazu beglückwünscht wurde, den Himmlischen den Vertrag von Tientsin abgerungen zu haben, versuchte ich zu zeigen, daß Rußland tatsächlich die einzige Macht war, die aus dem räuberischen englisch-chinesischen Krieg Nutzen zog und daß die kommerziellen Vorteile, die sich aus dem Vertrag für England ergaben, ziemlich bedeutungslos waren, während dieser Vertrag in politischer Hinsicht, weit davon entfernt, Frieden zu schaffen, im Gegenteil die Wiederaufnahme des Krieges unvermeidlich machte. Der Gang der Ereignisse hat diese Ansichten vollauf bestätigt. Der Vertrag von Tientsin gehört schon der Vergangenheit an, und das Trugbild des Friedens ist der rauhen Realität des Krieges gewichen.
Lassen Sie mich zuerst die Tatsachen darlegen, wie sie in der letzten Überlandpost mitgeteilt werden. In Begleitung von Herrn de Bourboulon, dem französischen Bevollmächtigten Vertreter, brach der ehrenwerte Herr Bruce mit einer britischen Expedition auf, die den Peiho aufwärts fahren und die beiden Gesandten auf ihrer Mission nach Peking begleiten sollte. Die Expedition, die unter dem Kommando von Admiral Hope stand, bestand aus sieben Dampfern, zehn Kanonenbooten, zwei Truppen- und Proviantschiffen und aus einigen hundert Marine- und Geniesoldaten. Die Chinesen ihrerseits hatten Einspruch dagegen erhoben, daß die Mission gerade diese Route einschlug. Infolgedessen fand Admiral Hope die Mündung des Peiho mit Stangen und Pfählen blockiert und nachdem er neun Tage lang, vom 17. bis zum 25. Juni, an der Mündung dieses Flusses gewartet hatte, versuchte er, die Durchfahrt zu erzwingen, nachdem die <509> Bevollmächtigten am 20. Juni bei dem Geschwader eingetroffen waren. Admiral Hope hatte sich bei seiner Ankunft vor der Peiho-Mündung vergewissert, daß die Taku-Forts, die im letzten Krieg zerstört wurden, wiederaufgebaut waren, eine Tatsache, die er - en passant gesagt - schon vorher hätte wissen müssen, da sie in der "Peking Gazette" offiziell bekanntgegeben worden war.
Als die Briten am 25. Juni versuchten, die Einfahrt in den Peiho zu erzwingen, wurden die Taku-Batterien demaskiert und eröffneten, unterstützt von einer Mongolenstreitmacht von anscheinend 20.000 Mann, ein verheerendes Feuer auf die britischen Schiffe. Es kam zu einem Gefecht zu Lande und auf dem Wasser, das mit einer völligen Niederlage der Aggressoren endete. Die Expedition mußte sich zurückziehen, nachdem sie drei englische Kriegsschiffe, "Cormorant", "Lee" und "Plover", und auf britischer Seite 464 Tote und Verwundete verloren hatte, während von den 60 anwesenden Franzosen 14 getötet oder verwundet worden waren. Fünf englische Offiziere wurden getötet und 23 verwundet, und der Admiral selbst kam nicht unverletzt davon. Nach dieser Niederlage kehrten die Herren Bruce und de Bourboulon nach Schanghai zurück, während das britische Geschwader bei Tinghai gegenüber Ningpo vor Anker ging.
Als man in England diese unersprießlichen Nachrichten erhielt, bestieg die Palmerston-Presse sofort den britischen Löwen und erhob ein einstimmiges Gebrüll nach umfassender Rache. Die Londoner "Times" befleißigte sich natürlich, ihren Appellen an die blutigen Instinkte ihrer Landsleute den Anschein einer gewissen Würde zu verleihen, aber die niedrigere Sorte der Palmerston-Organe spielte in ganz grotesker Weise die Rolle des Orlando furioso. Hören Sie zum Beispiel den Londoner "Daily Telegraph":
"Großbritannien muß die Seeküste Chinas auf ihrer ganzen Länge angreifen, in die Hauptstadt eindringen, den Kaiser aus seinem Palast jagen und sich eine materielle Garantie gegen künftige Überfälle verschaffen ... Wir müssen jeden drachengeschmückten Beamten, der es wagt, unseren nationalen Symbolen mit Verachtung zu begegnen, mit der neunschwänzigen Katze behandeln ... Jeder einzelne von ihnen" (den chinesischen Generalen) "muß als Pirat und Mörder an die Nock eines britischen Kriegsschiffs geknüpft werden. Es wäre ein erfrischendes und heilsames Schauspiel - ein Dutzend beknöpfter Schurken mit den Visagen von Menschenfressern und der Kleidung von Hanswursten, die vor den Augen der Bevölkerung baumeln. So oder anders muß man Schrecken einflößen, denn Nachgiebigkeit haben wir schon mehr als genug geübt ... Man muß jetzt den Chinesen beibringen, die Engländer zu schätzen, die über ihnen stehen und die ihre Herren sein sollten ... Wir müssen versuchen, wenigstens <510> Peking zu besetzen, und wenn wir mutiger vorgehen, muß darauf die Eroberung Kantons für alle Zeiten folgen. Wir könnten Kanton ebenso behalten, wie wir Kalkutta besitzen, es zum Zentrum unseres Fernosthandels machen, den von Rußland erworbenen Einfluß an der tartarischen Grenze des Kaiserreiches auf diese Weise kompensieren - und den Grundstein für ein neues Dominion legen."
Lassen Sie mich nun von den Rasereien der Schreiberlinge Palmerstons zu den Tatsachen zurückkehren und, soweit es bei den gegenwärtigen dürftigen Informationen möglich ist, die wahren Hintergründe des unangenehmen Ereignisses aufdecken.
Auch wenn man davon ausgeht, daß der Vertrag von Tientsin die umgehende Einreise des englischen Gesandten nach Peking vorsieht, muß man doch vor allem die Frage beantworten, ob die chinesische Regierung einen Bruch dieses Vertrages, der ihr durch einen räuberischen Krieg aufgezwungen wurde, begangen hat, als sie sich dem gewaltsamen Eindringen eines britischen Geschwaders in den Peiho widersetzte. Wie aus den durch die Überlandpost übermittelten Nachrichten ersichtlich ist, protestierte die chinesische Regierung nicht gegen die Entsendung einer britischen Mission nach Peking, sondern dagegen, daß die britische Kriegsflotte in den Peiho eindringt. Sie schlug vor, Herr Bruce solle auf dem Landwege nach Peking reisen, ohne Begleitung durch eine Kriegsflotte, die von den "Himmlischen", denen das Bombardement Kantons noch in frischer Erinnerung war, nur als Instrument der Invasion angesehen werden konnte. Schließt das Recht des französischen Botschafters, sich in London aufzuhalten, das Recht ein, an der Spitze einer bewaffneten französischen Expedition die Einfahrt in die Themse zu erzwingen? Man wird sicher zugeben müssen, daß eine derartige Auslegung der Zulassung eines britischen Gesandten nach Peking durch die Engländer mindestens ebenso merkwürdig anmutet wie die von ihnen während des letzten chinesischen Krieges gemachte Entdeckung, daß die Beschießung einer Stadt dieses Reiches keinen Krieg gegen dieses Reich selbst bedeute, sondern nur einen lokalen Konflikt mit einer seiner Provinzen. Als Antwort auf die Proteste der "Himmlischen" haben die Briten nach ihrer eigenen Aussage "alle Maßnahmen getroffen, um im Bedarfsfalle den Zugang nach Peking mit Gewalt zu erzwingen", indem sie mit einem ausreichend starken Geschwader den Peiho aufwärts fahren. Selbst wenn die Chinesen verpflichtet gewesen wären, einen friedfertigen britischen Gesandten nach Peking zu lassen, so waren sie zweifellos berechtigt, sich der bewaffneten Expedition der Engländer zu widersetzen. Durch dieses Vorgehen haben sie nicht den Vertrag verletzt, sondern seine Verletzung vereitelt.
<511> Weiter. Selbst wenn den Briten durch den Vertrag von Tientsin das abstrakte Recht, eine Gesandtschaft zu unterhalten, gewährt wurde, so bleibt noch zu klären, ob nicht Lord Elgin auf den tatsächlichen Genuß dieses Rechts vorerst verzichtet hatte. Eine Durchsicht der "Correspondence relating to the Earl of Elgin special mission to China, printed by command of Her Majesty" wird jeden unvoreingenommenen Leser davon überzeugen, daß erstens die Zulassung des englischen Gesandten nach Peking nicht jetzt, sondern zu einem viel späteren Zeitpunkt erfolgen sollte; zweitens, daß sein Recht auf Residenz in Peking durch verschieden Klauseln eingeschränkt war; und schließlich, daß der diktatorische Artikel III im englischen Text des Vertrages, der sich auf die Zulassung der Gesandten bezog, auf Ersuchen des chinesischen Bevollmächtigten im chinesischen Text des Vertrages geändert worden war. Diese Diskrepanz zwischen den zwei Versionen des Vertrages wird von Lord Elgin selbst zugegeben, der jedoch, wie er sagt,
"durch seine Instruktionen gezwungen war, von den Chinesen zu verlangen, daß sie als gültige Fassung eines internationalen Abkommens einen Text annahmen, von dem sie nicht eine Silbe verstanden".
Kann man den Chinesen Schuld geben, weil sie auf Grund des chinesischen Textes und nicht der englischen Fassung des Vertrages gehandelt haben, die nach Lord Elgins Eingeständnis etwas von "dem korrekten Sinn der Übereinkunft" abweicht?
Abschließend möchte ich feststellen, daß Herr T. Chisholm Anstey, der ehemalige britische Generalstaatsanwalt in Hongkong, in einem von ihm an den Redakteur des Londoner "Morning Star" gerichteten Brief in aller Form erklärt:
"Der Vertrag, wie er auch immer sein mag, ist längst durch die Gewalttaten der britischen Regierung und ihrer Untergebenen gebrochen worden, zumindest in einem solchen Maße, daß dadurch die Krone Großbritanniens jeden Vorteil oder jedes Privileg verliert, das durch den Vertrag gewährt wurde."
England, das auf der einen Seite durch die Schwierigkeiten in Indien geplagt wird und auf der anderen Seite rüstet, um im Falle eines europäischen Krieges vorbereitet zu sein, wird durch diese neue chinesische Katastrophe, die wahrscheinlich von Palmerston selbst eingerührt wurde, großen Gefahren ausgesetzt. Das unmittelbare Ergebnis muß der Zusammenbruch der jetzigen Regierung sein, deren Haupt <Palmerston> der Urheber des letzten chine- <512> sischen Krieges wer, während dagegen ihre wichtigsten Mitglieder damals ein Tadelsvotum gegen ihren derzeitigen Chef abgegeben hatten, weil er diesen Krieg unternommen hatte. Auf alle Fälle müssen Herr Milner Gibson und die Manchesterschule sich entweder aus der gegenwärtigen liberalen Koalition zurückziehen oder - was recht unwahrscheinlich ist - im Verein mit Lord Russell, Herrn Gladstone und den Peeliten unter seinen Kollegen ihren Chef zwingen, sich ihrer eigenen Politik zu fügen.
II
["New-York Daily Tribune" Nr. 5754 vom 1. Oktober 1859]
London, 16. September 1859
Für morgen ist eine Kabinettssitzung anberaumt, um den Kurs zu beschließen, der hinsichtlich der chinesischen Katastrophe eingeschlagen werden soll. Die Elaborate des französischen "Moniteur" und der Londoner "Times" lassen keinen Zweifel an der Art der Beschlüsse, zu denen Palmerston und Bonaparte gelangt sind. Sie wollen einen neuen chinesischen Krieg. Nach Informationen, die mir aus authentischer Quelle zugegangen sind, wird Herr Milner Gibson in der bevorstehenden Kabinettssitzung zuerst die Stichhaltigkeit der für einen Krieg ins Feld geführten Argumente anfechten und zweitens gegen jede Kriegserklärung protestieren, die nicht vorher beide Häusern des Parlaments gebilligt worden ist. Sollte seine Auffassung durch Stimmenmehrheit abgelehnt werden, so wird er aus dem Kabinett austreten und damit wiederum das Signal zu einem neuen heftigen Angriff gegen die Regierung Palmerstons geben und zur Sprengung der liberalen Koalition, die seinerzeit den Sturz des Kabinetts Derby herbeigeführt hatte. Palmerston soll etwas nervös sein wegen des beabsichtigten Vorgehens von Herrn Milner Gibson, des einzigen seiner Kollegen, den er fürchtet und den er wiederholt als einen Menschen bezeichnet hat, der es besonders gut verstehe, "einem etwas am Zeuge zu flicken". Möglicherweise werden Sie gleichzeitig mit diesem Brief aus Liverpool die Nachrichten über die Ergebnisse der Kabinettssitzung erhalten. Inzwischen kann man sich über den wahren Sachverhalt der fraglichen Angelegenheit am besten ein Urteil bilden, nicht auf Grund des veröffentlichten Materials, sondern auf Grund dessen, was die Palmerston-Organe bei ihrer ersten Veröffentlichung der mit der letzten Überlandpost eingetroffenen Nachrichten absichtlich verschwiegen haben.
<513> Zunächst einmal verschwiegen sie die Meldung, daß der russische Vortrag bereits ratifiziert war und daß der Kaiser von China seine Mandarine angewiesen hatte, die amerikanischen Gesandten zu empfangen und in die Hauptstadt zu geleiten, um die ratifizierten Exemplare des Vortrages mit Amerika auszutauschen. Diese Tatsachen wurden mit der Absicht verschwiegen, den notwendig aufkommenden Verdacht zu entkräften, daß die englischen und französischen Gesandten und nicht der Pekinger Hof für die Schwierigkeiten verantwortlich seien, die sich ihnen bei der Erfüllung ihrer Mission in den Weg stellten und denen weder ihre russischen noch ihre amerikanischen Kollegen begegneten. Der andere, noch wichtigere Umstand, den die "Times" und die anderen Palmerston-Organe anfänglich verschwiegen hatten, ist die jetzt von ihnen offen zugegebene Tatsache, daß die chinesischen Behörden ihre Bereitschaft erklärt hatten, die englischen und französischen Gesandten nach Peking zu geleiten, daß sie tatsächlich bereit standen, sie an einer der Flußmündungen zu empfangen, und ihnen eine Eskorte anboten, wenn sie sich nur bereit erklären wollten, ihre Schiffe und Truppen zurückzulassen. Da nun der Vertrag von Tientsin keine Klausel enthält, die den Engländern und Franzosen das Recht zubilligt, mit einem Geschwader von Kriegsschiffen den Peiho aufwärts zu fahren, ist es offensichtlich, daß nicht die Chinesen, sondern die Engländer den Vertrag verletzt haben und daß die letzteren von vornherein entschlossen waren, kurz vor dem Zeitpunkt, der für den Austausch der ratifizierten Urkunden festgesetzt war, einen Streit vom Zaun zu brechen. Niemand wird auf die Idee kommen, daß der ehrenwerte Herr Bruce auf eigene Verantwortung handelte, als er auf diese Weise das vorgebliche Ziel des letzten chinesischen Krieges vereitelte; er führte im Gegenteil lediglich geheime Instruktionen aus London aus. Es stimmt zwar, daß Herr Bruce nicht von Palmerston, sondern von Derby entsandt worden war; aber in diesem Zusammenhang brauche ich doch nur daran zu erinnern, daß während der ersten Amtsperiode Sir Robert Peels, als Lord Aberdeen Außenminister war, Sir Henry Bulwer, der englische Gesandte in Madrid, einen Streit mit dem spanischen Hof vom Zaun brach, der seine Ausweisung aus Spanien zur Folge hatte, und daß im Verlauf der Debatten im Oberhaus über dieses "unliebsame Vorkommnis" bewiesen wurde, daß Bulwer, anstatt die offiziellen Instruktionen Aberdeens zu befolgen, nach den Geheiminstruktionen Palmerstons gehandelt hatte, der damals der Opposition angehörte.
Außerdem hat die Palmerston-Presse in diesen Tagen ein Manöver vollführt, das zumindest für diejenigen, die mit der Geschichte der englischen Geheimdiplomatie der letzten dreißig Jahre vertraut sind, keinen <514> Zweifel daran läßt, wer der wirkliche Urheber der Peiho-Katastrophe und des bevorstehenden dritten englisch-chinesischen Krieges ist. Die "Times" deutet an, daß die in den Taku-Forts aufgestellten Kanonen, die eine solche Verheerung unter dem britischen Geschwader angerichtet hatten, russischen Ursprungs waren und von russischen Offizieren befehligt wurden. Ein anderes Palmerston-Organ wird noch deutlicher. Ich zitiere:
"Wir sehen jetzt, wie eng die Politik Rußlands mit der Politik Pekings verflochten ist; wir entdecken große Bewegungen am Amur; wir beobachten die Operationen großer Kosakenarmeen weit über den Baikalsee hinaus in dem froststarren Traumland an den dämmrigen Grenzen der Alten Welt; wir verfolgen die Spuren zahlloser Karawanen; wir beobachten, wie ein russischer Sonderbeauftragter (General Murawjow, Gouverneur von Ostsibirien) mit geheimen Plänen aus dem fernen Ostsibirien nach der unzugänglichen chinesischen Hauptstadt unterwegs ist; und die öffentliche Meinung hierzulande kann sehr wohl bei dem Gedanken in Wallung geraten, daß ausländische Einflüsse mitschuldig sind an unserer Schmach und denn Tod unsere Soldaten und Matrosen."
Das ist ein alter Trick von Lord Palmerston. Als Rußland einen Handelsvertrag mit China abschließen wollte, trieb er China durch den Opiumkrieg seinem nördlichen Nachbarn in die Arme; als Rußland die Abtretung des Amur verlangte, brachte er dies durch den zweiten chinesischen Krieg. zuwege und jetzt, da Rußland seinen Einfluß in Peking festigen will, improvisiert er den dritten chinesischen Krieg. In all seinen Handlunge gegenüber den schwachen asiatischen Staaten, wie China, Persien, Zentralasien und der Türkei, verfuhr er stets und ständig nach der Regel, Rußlands Plänen scheinbar entgegen zu handeln, indem er nicht mit Rußland, sondern mit dem betreffenden asiatischen Staat einen Streit vom Zaun brach, um ihn dann durch räuberische Überfälle England zu entfremden und auf diesem Umweg zu den Konzessionen zu drängen, die er Rußland zu gewähren vorher nicht gewillt war. Sicherlich wird bei dieser Gelegenheit die gesamte bisherige Asienpolitik Palmerstons erneut überprüft werden, und ich verweise besonders auf die afghanischen Dokumente, deren Veröffentlichung das Unterhaus am 8. Juni 1859 angeordnet hatte. Sie werfen mehr Licht auf Palmerstons unheilvolle Politik und auf die Geschichte der Diplomatie in den letzten dreißig Jahren als alle bis dahin veröffentlichte Dokumente. Kurz gesagt geht es hier um folgendes: 1838 begann Palmerston gegen Dost Muhammad, den Herrscher von Kabul, einen Krieg, der zur Vernichtung einer englischen Armee führte und der unter dem Vorwand begonnen worden war, Dost Muhammad sei mit Persien und Rußland ein geheimes Bündnis gegen England eingegangen. Als Beweis für <515> diese Behauptung legte Palmerston 1839 dem Parlament ein Blaubuch vor, dessen Hauptinhalt die Korrespondenz des britischen Gesandten in Kabul, Sir A. Burnes, mit der Regierung in Kalkutta bildete. Burnes wurde in Kabul während eines Aufstandes gegen die britischen Eindringlinge ermordet, hatte aber aus Mißtrauen gegen den britischen Außenminister seinem Bruder in London, Dr. Burnes, Kopien einiger seiner offiziellen Briefe geschickt. Nach der von Palmerston besorgten Veröffentlichung der "Afghanischen Dokumente" im Jahre 1839 beschuldigte Dr. Burnes Palmerston, "die Korrespondenz des verstorbenen Sir A. Burnes verstümmelt und verfälscht" zu haben, und zur Bekräftigung seiner Behauptung ließ er einige der echten Schriftstücke drucken. Aber erst im vergangenen Sommer kam die Wahrheit ans Licht. Unter dem Kabinett Derby ordnete das Unterhaus auf Antrag von Herrn Hadfield an, alle afghanischen Dokumente vollinhaltlich zu veröffentlichen, und diese Anordnung wurde in einer Form ausgeführt, die auch dem Einfältigsten die Richtigkeit der Beschuldigung, die Dokumente seien im Interesse Rußlands verstümmelt und verfälscht worden, vor Augen führte. Auf der Titelseite des Blaubuchs steht folgendes:
"Zur Beachtung: Die Korrespondenz, die in früheren Ausgaben nur auszugsweise wiedergegeben wurde, wird hier vollinhaltlich veröffentlicht. Die ausgelassenen Stellen sind durch Klammern {} kenntlich gemacht."
Der Name des Beamten, der für die wahrheitsgetreue Wiedergabe bürgt, ist "J. W. Kaye, Sekretär der Abteilungen für politische und vertrauliche Angelegenheiten", der als der "zuverlässige Geschichtsschreiber des Krieges in Afghanistan" gilt.
Ein Beispiel mag vorläufig genügen, um die wirklichen Beziehungen Palmerstons zu Rußland zu veranschaulichen, gegen das er den afghanischen Krieg inszeniert haben will. Der russische Sonderbeauftragte Witkewitsch, der 1837 in Kabul eintraf, überbrachte Dost Muhammad einen Brief des Zaren. Sir Alexander Burnes gelangte in den Besitz einer Kopie des Briefes und schickte sie an Lord Auckland, den Generalgouverneur von Indien. In seinen eigenen Depeschen und in mehreren Dokumenten, die er beifügte, wird auf diese Tatsache immer und immer wieder hingewiesen. Aber die Kopie des Zarenbriefs war in den Dokumenten, die Palmerston 1839 vorlegte, völlig unterschlagen worden, und in jedem Schriftstück, das darauf Bezug nahm, wurden die notwendigen Änderungen vorgenommen, um die Tatsache zu vertuschen, daß der "Kaiser von Rußland" mit der Mission nach Kabul im Zusammenhang stand. Diese Fälschung wurde begangen, <516> um das Beweisstück für die Verbindung des Selbstherrschers mit Witkewitsch zu unterschlagen, den nach seiner Rückkunft nach Petersburg formell zu desavouieren Nikolaus für angebracht hielt. So findet man zum Beispiel auf Seite 82 des Blaubuchs die Übersetzung eines Briefes an Dost Muhammad, der jetzt folgendermaßen lautet, wobei die Worte, die Palmerston ursprünglich unterschlagen hatte, in Klammern gesetzt sind:
"Ein Abgesandter {des Zaren} von Rußland kam {aus Moskau} nach Teheran und war beauftragt worden, dem Sirdar von Kandahar <Kohal Dil Chan> seine Aufwartung zu machen und sich von dort zur Audienz beim Emir zu begeben. Er ist der Überbringer von {vertraulichen Botschaften vom Kaiser und von} Briefen des russischen Botschafters in Teheran. Der russische Botschafter empfiehlt den Mann als höchst vertrauenswürdig; er habe unbedingte Vollmacht, Verhandlungen {im Namen des Kaisers und des Botschafters} zu führen, usw., usw."
Diese und ähnliche Fälschungen, die Palmerston beging, um die Ehre des Zaren zu schützen, sind nicht das einzige Kuriosum, das durch die "Afghanischen Dokumente" enthüllt wird. Den Einfall in Afghanistan rechtfertigte Palmerston mit der Begründung, daß Sir Alexander Burnes ihn als ein geeignetes Mittel empfohlen hätte, um russische Intrigen in Zentralasien zu vereiteln. Sir A. Burnes hatte aber das gerade Gegenteil getan; und deshalb wurden in Palmerstons Ausgabe des "Blaubuchs" alle seine Einsprüche zugunsten Dost Muhammads verschwiegen und der Inhalt der Korrespondenz mit Hilfe von Verstümmlungen und Fälschungen in sein direktes Gegenteil verkehrt. Das ist also der Mann, der jetzt im Begriff ist, unter dem fadenscheinigen Vorwand, die russischen Pläne in jenem Gebiet vereiteln zu wollen, einen dritten chinesischen Krieg zu beginnen.
III
["New-York Daily Tribune" Nr. 5761 vom 10. Oktober 1859]
London, 20. September 1859
Daß es einen neuen Krieg im Namen der Zivilisation gegen die "Himmlischen" geben wird, scheint nunmehr für die englische Presse im allgemeinen eine ausgemachte Sache zu sein. Dennoch haben seit der Sitzung des Kabinetts am vergangenen Sonnabend gerade jene Zeitungen, die am meisten nach Blut geschrien hatten, ihren Ton merklich geändert. Zuerst <517> wetterte die Londoner "Times" offensichtlich in einem Rausch patriotischer Begeisterung, gegen den zwiefachen Verrat, begangen einerseits von feigen Mongolen, die diesen bonhomme <Biedermann> von einem britischen Admiral <James Hope> in eine Falle lockten, indem sie ihre Stellungen und ihre Kanonen geflissentlich tarnten, andererseits vom Pekinger Hof, der mit noch verworfenerem Machiavellismus jene mongolischen Ungeheuer zu ihrem verruchten Schabernack angestiftet hatte. Es ist merkwürdig, daß die "Times", obwohl aufgewühlt von den Wogen der Leidenschaft, es fertigbrachte, in ihrer Veröffentlichung der Originalberichte alle Stellen zu streichen, die für die bereits verurteilten Chinesen sprechen. Dinge zu verwechseln, kann das Werk der Leidenschaft sein, aber sie zu verstümmeln, scheint eher das Werk kühlen Verstandes. Wie dem auch sein mag, am 16. September, genau einen Tag vor der Kabinettssitzung, riß die "Times" das Steuer herum und hieb ohne viel Aufhebens ihrer janusköpfigen Beschuldigung den einen Kopf ab.
"Wir fürchten", schrieb sie" daß wir die Mongolen., die unserem Angriff auf die Forts am Peiho Widerstand entgegensetzten, nicht des Verrats bezichtigen können";
aber dann, um dieses unangenehme Zugeständnis wettzumachen, klammerte sie sich um so verzweifelter an "die willkürliche und perfide Vergewaltigung eines feierlichen Vertrags durch den Hof von Peking".
Drei Tage darauf, nachdem Kabinettssitzung stattgefunden hatte, fand die "Times" nach weiteren Erwägungen
"keinen Grund, daran zu zweifeln, daß, wenn die Herren Bruce und de Bourboulon die Mandarine ersucht hätten, sie nach Peking zu geleiten, es ihnen gestattet worden wäre, die Ratifikation des Vertrag vorzunehmen".
Was bleibt da noch vom Verrat des Pekinger Hofes übrig? Nicht einmal ein Schatten. Aber statt dessen hat die "Times" noch zwei Bedenken.
"Es ist", sagt sie, "doch wohl zweifelhaft, ob es als militärische Maßnahme klug war, mit einem solchen Geschwader zu versuchen, nach Peking zu gelangen. Es ist noch zweifelhafter, ob es als diplomatische Maßnahme wünschenswert war, überhaupt Gewalt anzuwenden."
Das ist nun das jämmerliche Ende des ganzen Entrüstungssturms, zu dem sich das "führende Organ" hat hinreißen lassen. Doch mit der ihr eigenen Logik laßt die "Times" die Gründe für den Krieg fallen, ohne den Krieg selbst fallenzulassen. Ein anderes offiziöses Regierungsblatt, der "Economist", der sich durch seine leidenschaftliche Rechtfertigung des Kantoner Bombardements auszeichnete, scheint jetzt, da Herr J. Wilson <518> zum Schatzkanzler für Indien ernannt worden ist, eine mehr ökonomische und weniger rhetorische Haltung zu den Dingen zu beziehen. Der "Economist" bringt zu dem Thema zwei Artikel, einen politischen und einen wirtschaftlichen. Der erstere schließt mit folgenden Sätzen:
"Unter Berücksichtigung aller dieser Umstände ist es offensichtlich, daß der Artikel des Vertrags, der unserem Gesandten das Recht einräumte, Peking zu besuchen oder dort zu residieren, der chinesischen Regierung buchstäblich aufgezwungen worden war; sollte man aber der Meinung sein, daß die Einhaltung dieser Bestimmung für unsere Interessen absolut notwendig sei, so glauben wir, daß es durchaus möglich gewesen wäre, Rücksicht und Geduld walten zu lassen, als man auf ihrer Durchführung beharrte. Man könnte zweifellos anführen, daß von solch einer Regierung wie der chinesischen Aufschub und Geduld als Zeichen ernster Schwäche aufgefaßt würden, und dies daher die schädlichste Politik sei, die wir verfolgen könnten. Aber wie weit sind wir berechtigt, auf Grund dieses Arguments von den Prinzipien, an die wir uns zweifellos gegenüber jeder zivilisierten Nation halten würden, bei der Behandlung dieser orientalischen Regierungen abzuweichen? Wenn wir ihnen auf Grund ihrer Furcht eine unangenehme Konzession entwunden haben, so mag es vielleicht die konsequenteste Politik sein, ihnen ebenfalls auf Grund ihrer Furcht die sofortige Erfüllung des Vertrags in der uns günstigsten Art zu erzwingen. Wenn wir das aber nicht fertigbringen, wenn in der Zwischenzeit die Chinesen ihre Furcht überwinden und mit einer gehörigen Demonstration ihrer Stärke darauf bestehen, daß wir mit ihnen über die Art und Weise beraten, wie unser Vertrag wirksam zu machen ist - können wir sie dann gerechterweise des Verrats bezichtigen? Praktizieren sie eigentlich nicht an uns unsere eigenen Methoden der Überzeugung? Die chinesische Regierung mag beabsichtigt haben - und höchstwahrscheinlich ist es so -, uns in diese mörderische Falle zu locken, und vielleicht niemals vorgehabt haben, den Vertrag zu erfüllen. Sollte sich das herausstellen, so müssen und sollen wir Wiedergutmachung fordern. Aber es könnte sich auch herausstellen, daß die Absicht, die Mündung des Peiho zu verteidigen, um es nicht erneut zu einem solchen gewaltsamen Eindringen wie im vorigen Jahr durch Lord Elgin kommen zu lassen, keineswegs von dem Wunsch begleitet war, die allgemeinen Artikel des Vertrags zu verletzen. Da die Feindseligkeiten ausschließlich von unserer Seite ausgingen und unsere Befehlshaber natürlich jederzeit in der Lage waren, sich aus dem mörderischen Feuer zurückzuziehen, das lediglich zur Verteidigung der Forts eröffnet wurde, so können wir den Chinesen nicht mit Bestimmtheit die Absicht nachweisen, den Vertrag zu verletzen. Solange wir für die vorsätzliche Absicht zum Vertragsbruch keine Beweise in Händen halten, haben wir unserer Meinung nach guten Grund, mit unserem Urteil zurückzuhalten, und sollten überlegen, ob wir nicht bei der Behandlung von Barbaren Prinzipien anwandten, die sich von den gegen uns angewandten kaum unterscheiden."
In einem zweiten Artikel zum gleichen Thema verweilt der "Economist" bei der direkten und indirekten Bedeutung des englischen China-Handels. <519> Im Jahre 1858 waren die britischen Exporte nach China auf 2.876.000 Pfd.St. angestiegen, während der Wert der britischen Importe aus China in jedem der letzten drei Jahre durchschnittlich über 9 Millionen Pfd.St. betragen hatte, so daß der gesamte direkte Handel Englands mit China auf ungefähr 12 Millionen Pfd.St. veranschlagt werden kann. Aber außer diesen direkten Handelsbeziehungen gibt es noch drei andere wichtige Handelsverbindungen, mit denen England in der Austauschsphäre mehr oder weniger eng verbunden ist, und zwar den Handel zwischen Indien und China, den Handel zwischen China und Australien und den Handel zwischen China und den Vereinigten Staaten.
"Australien", schreibt der "Economist", bezieht jährlich von China große Mengen Tee und hat nichts im Austausch anzubieten, wofür sich in China ein Markt fände. Auch Amerika bezieht große Mengen Tee und etwas Seide zu einem Wert, der den Wert seiner direkten Exporte nach China weit übersteigt."
Diese beiden Bilanzen zugunsten Chinas müssen von England wieder geglichen werden, das für diese Regulierung des Austauschs mit dem Golde Australiens und der Baumwolle der Vereinigten Staaten bezahlt wird. England muß daher, unabhängig von seinem Schuldensaldo gegenüber China, diesem Lande auch große Summen für das aus Australien importierte Gold und für die Baumwolle aus Amerika zahlen. Nun wird dieser Saldo, den England, Australien und die Vereinigten Staaten China schulden, von China zu einem großen Teil auf Indien übertragen zur Begleichung des Betrags, den China Indien für Opium und Baumwolle schuldet. Es sei en passant bemerkt, daß die Importe Indiens aus China bisher noch niemals den Betrag von 1 Million Pfd.St. erreicht haben, während die Exporte Indiens nach China fast 10 Millionen Pfd.St. einbringen. Aus diesen ökonomischen Beobachtungen zieht der "Economist" die Schlußfolgerung, daß jede ernsthafte Unterbrechung des britischen Handels mit China "eine Kalamität von größerer Tragweite wäre, als die bloßen Export- und Importzahlen es auf den ersten Blick vermuten lassen", und daß die Schwierigkeit infolge einer solchen Störung nicht nur im britischen Tee- und Seidenhandel fühlbar würde, sondern auch die britische Transaktionen mit Australien und den Vereinigten Staaten "beeinträchtigen" müßte. Der "Economist" ist sich natürlich der Tatsache bewußt daß während des letzten chinesischen Krieges dem Handel nicht so übel mitgespielt wurde, wie man befürchtet hatte, und daß er im Hafen von Schanghai überhaupt nicht beeinträchtigt worden war. Aber dann weist der "Economist" auf "zwei neue Merkmale der augenblicklichen Auseinandersetzung" hin, die die <520> Auswirkungen eines neuen chinesischen Krieges auf den Handel wesentlich modifizieren könnten. Diese beiden neuen Merkmale seien der "gesamtchinesische" und nicht "lokale" Charakter des bestehenden Konflikts und der "außergewöhnliche Erfolg ", den die Chinesen zum erstenmal über europäische Streitkräfte errungen hätten.
Wie grundverschieden ist doch diese Sprache von dem fröhlichen Kriegsgeschrei, das der "Economist" in der Zeit der Lorcha-Affäre anstimmte!
Wie ich in meinem letzten Brief bereits ankündigte, brachte Herr Milner Gibson in der Kabinettssitzung seinen Protest gegen den Krieg und seine Drohung vor, aus dem Kabinett auszutreten, sollte Palmerston entsprechend seinem vorgefaßten Entschluß handeln, den der französische "Moniteur" ausgeplaudert hatte. Im Moment verhinderte Palmerston jegliche Spaltung des Kabinetts und der liberalen Koalition durch die Erklärung, daß die für den Schutz des britischen Handels unentbehrlichen Streitkräfte in den chinesischen Gewässern zusammengezogen werden sollten, während vor dem Eintreffen ausführlicherer Berichte des britischen Gesandten kein Beschluß in der Kriegsfrage gefaßt werden sollte. Somit wurde die brennende Frage hinausgeschoben. Palmerstons wirkliche Absicht jedoch kann man zwischen den Zeilen seines Revolverblattes "The Daily Telegraph" entdecken, das in einer seiner letzten Nummern schreibt:
"Sollte irgendein Ereignis im Verlaufe des nächsten Jahres zu einer für die Regierung ungünstigen Abstimmung führen, so wird man sicherlich an die Wählerschaft appellieren ... Das Unterhaus wird das Ergebnis seiner Tätigkeit an dem Entscheid über die chinesische Frage prüfen, da zu den professionell Böswilligen unter Führung des Herrn Disraeli noch die Kosmopoliten gezählt werden müssen, welche erklären, die Mongolen seien vollkommen im Recht."
Ich werde vielleicht noch Gelegenheit finden, über die Klemme zu berichten, in der die Tories stecken, weil sie sich verleiten ließen, für Ereignisse verantwortlich zu zeichnen, die Palmerston geplant und zwei seiner Werkzeuge, Lord Elgin und Herr Bruce (Lord Elgins Bruder), ausgeführt hatten.
IV
["New-York Daily Tribune" Nr. 5768 vom 18. Oktober 1859]
London, 30. September 1859
In einem früheren Artikel behauptete ich, daß der Peiho-Konflikt kein unbeabsichtigter Zwischenfall sei, sondern daß ihn umgekehrt Lord Elgin <521> von langer Hand vorbereitet habe, wobei er nach geheimen Instruktionen Palmerstons handelte und Lord Malmesbury, dem Außenminister der Tories, das Projekt des edlen Viscount, der zu dieser Zeit Führer der Opposition war, anhängte. Zunächst einmal sind die Mutmaßungen, daß die "Zwischenfälle" in China auf Grund von "Instruktionen" des jetzigen britischen Premierministers entstehen, so wenig neu, daß sie schon während der Debatten über den Lorcha-Krieg von einer so gut unterrichteten Persönlichkeit wie Disraeli im Unterhaus angedeutet und merkwürdigerweise von keinem Geringeren als Lord Palmerston selbst bestätigt wurden. Am 3. Februar 1857 warnte Herr Disraeli das Unterhaus mit folgenden Worten:
"Ich kann mich des Gedankens nicht erwehren, daß die Vorfälle in China nicht auf den angeführten Vorwand zurückzuführen sind, sondern tatsächlich auf vor geraumer Zeit aus England erhaltenen Instruktionen. Sollte das der Fall sein, so ist meiner Ansicht nach der Zeitpunkt eingetreten, da das Haus seiner Pflicht nicht mehr genügt, wenn es nicht ernsthaft überlegt, ob es nicht Mittel besitzt, die Kontrolle über eine Politik auszuüben, deren Beibehaltung meiner Meinung nach für die Interessen unseres Landes verhängnisvoll wäre."
Und Lord Palmerston erwiderte gelassen:
"Der sehr ehrenwerte Gentleman sagt, der Verlauf der Ereignisse scheine das Ergebnis einer von der englischen Regierung vorher festgelegten Politik zu sein. Das ist zweifellos richtig."
Im vorliegenden Falle wird bereits eine flüchtige Durchsicht des Blaubuchs "Correspondence relating to the Earl of Elgin's special missions to China and Japan, 1857-59" zeigen, daß der Vorfall, der sich am 25. Juni am Peiho zutrug, von Lord Elgin bereits am 2. März vermerkt war. Auf Seite 484 dieser Korrespondenz finden wir die beiden folgenden Depeschen:
"Earl of Elgin an Konteradmiral Sir Michael Seymour
'Furious', 2. März 1859
Sir, mit Bezugnahme auf meine Depesche vom 17. v.M. an Ew. Exzellenz möchte ich mir die Feststellung erlauben, daß ich gewisse Hoffnungen hege, die von der Regierung Ihrer Majestät getroffene Entscheidung in der Angelegenheit des ständigen Aufenthalts eines britischen gesandten in Peking, von der ich Ew. Exzellenz gestern in einer Unterredung Mitteilung machte, könnte die chinesische Regierung dazu bewegen, den Vertreter Ihrer Majestät in geziemender Weise zu empfangen, wenn er sich zum Austausch der Ratifikationen des Vertrags von Tientsin nach Peking begibt. Indessen ist es zweifellos möglich, daß sich diese Hoffnung nicht erfüllt; auf jeden Fall <522> nehme ich an, die Regierung Ihrer Majestät wird wünschen, daß der Gesandte von einer achtunggebietenden Streitmacht begleitet wird, wenn er sich nach Tientsin begibt. Unter diesen Umständen gestatte ich mir, der Erwägung Ew. Exzellenz anheimzustellen, ob es nicht ratsam wäre, sobald sich eine Möglichkeit bietet, in Schanghai ein ausreichendes Kanonenbootgeschwader für dieses Unternehmen zu konzentrieren, da Herrn Bruces Ankunft in China wohl bald zu erwarten ist.
Ich habe usw.
Elgin and Kincardine"
"Earl of Malmesbury an Earl of Elgin
Außenministerium, 2. Mai 1859
Mylord, ich habe die Depesche Ew. Exzellenz vom 7. März 1859 erhalten und bin beauftragt, Sie davon zu unterrichten, daß die Regierung Ihrer Majestät die von Ihnen in einer Abschrift beigefügte Note billigt, in der Ew. Exzellenz den kaiserlichen Bevollmächtigten erklärte, die Regierung Ihrer Majestät würde nicht darauf bestehen, daß Peking für den ständigen Aufenthalt des Gesandten Ihrer Majestät vorgesehen wird.
Die Regierung Ihrer Majestät billigt auch Ihren Vorschlag an Konteradmiral Seymour, ein Kanonenbootgeschwader vor Schanghai zusammenzuziehen, um Herrn Bruce den Peiho aufwärts zu begleiten.
Ich verbleibe usw.
Malmesbury"
Lord Elgin weiß also schon vorher, daß die britische Regierung "wünschen wird, eine achtunggebietende Streitmacht" von "Kanonenbooten" solle seinen Bruder, Herrn Bruce, den Peiho aufwärts begleiten, und er befiehlt Admiral Seymour, alles "für dieses Unternehmen" vorzubereiten. Der Earl of Malmesbury billigt in seiner Depesche vom 2. Mai den Vorschlag, den Lord Elgin dem Admiral nahegelegt hat. Die ganze Korrespondenz zeigt Lord Elgin als den Herrn und Lord Malmesbury als den Lakaien. Während jener ständig die Initiative ergreift und nach den ursprünglich von Palmerston erhaltenen Instruktionen handelt, ohne auch nur auf neue Instruktionen au der Downing Street zu warten, gibt sich Lord Malmesbury damit zufrieden, "den Wünschen" nachzukommen, die ihm sein anmaßender Untergebener in den Mund legt. Er nickt zustimmend, wenn Elgin feststellt, sie hätten kein Recht, chinesische Flüsse zu befahren, da der Vertrag noch nicht ratifiziert sei; er nickt zustimmend, wenn Elgin meint, sie sollten bei der Ausführung des im Vertrag enthaltenen Artikels über die Gesandtschaft in Peking den Chinesen gegenüber große Nachsicht walten lassen; und ohne Zögern nickt er zustimmend, wenn Elgin, in direktem Widerspruch zu seinen eigenen früheren Feststellungen, das <523> Recht beansprucht, mit Hilfe eines "achtunggebietenden Kanonenbootgeschwaders" die Fahrt den Peiho aufwärts zu erzwingen. Er nickt ebenso zustimmend wie Dogberry zu den Ausführungen des Schreibers.
Die traurige Figur, die der Earl of Malmesbury abgibt, und seine unterwürfige Haltung sind leicht zu verstehen, wenn man sich an das Geschrei erinnert, das die Londoner "Times" und andere einflußreiche Zeitungen beim Amtsantritt des Tory-Kabinetts über die große Gefahr erhoben, die den glänzenden Erfolg in China bedrohe, den Lord Elgin unter Palmerstons Anleitung schon fast gesichert hätte, den aber die Tory-Regierung - wenn auch nur aus Trotz und um ihr Tadelsvotum anläßlich Palmerstons Bombardement von Kanton zu rechtfertigen - wahrscheinlich vereiteln würde. Malmesbury ließ sich durch dieses Geschrei einschüchtern. Überdies hatte er das Schicksal des Lord Ellenborough vor Augen und im Herzen, der es gewagt hatte, sich der Indienpolitik des edlen Viscount <Palmerston> offen zu widersetzen, und der zum Lohn für seinen patriotischen Mut von seinen eigenen Kollegen im Kabinett Derby geopfert worden war. Infolgedessen überließ Malmesbury die ganze Initiative Lord Elgin und setzte letzteren damit in den Stand, Palmerstons Plan auszuführen, während die Tories, dessen offizielle Gegner, die Verantwortung dafür trugen. Eben dieser Umstand hat die Tories gegenwärtig vor die unglückselige Alternative gestellt, entscheiden zu müssen, welcher Kurs in der Peiho-Affäre eingeschlagen werden soll. Entweder müssen sie mit Palmerston die Kriegstrommel rühren und ihn so im Amt halten, oder sie müssen Malmesbury, den sie während des letzten italienischen Krieges mit solch widerlichen Schmeicheleien überhäuften, den Rücken kehren.
Diese Alternative ist um so peinlicher, als der drohende dritte Krieg mit China in britischen Handelskreisen alles andere als populär ist. Im Jahre 1857 bestiegen sie den britischen Löwen, da sie von einer gewaltsamen Öffnung des chinesischen Marktes große Handelsprofite erhofften. Jetzt sind sie umgekehrt recht erbost darüber, daß alle Früchte des Vertrags plötzlich ihrem Zugriff entzogen werden. Sie wissen, daß die Lage in Europa und Indien, auch ohne weitere Komplikationen durch einen chinesischen Krieg großen Ausmaßes, schon bedrohlich genug aussieht. Sie haben nicht vergessen, daß 1857 die Einfuhren an Tee, dem Artikel, der fast ausschließlich aus Kanton, dem damals einzigen Kriegsschauplatz, exportiert wurde, um mehr als 24 Millionen Pfund fielen, und sie befürchten, daß diese Unterbrechung des Handels durch den Krieg jetzt auf Schanghai und <524> auf andere Handelshäfen des Reichs des Himmels übergreifen könnte. Nach dem ersten chinesischen Krieg, den die Engländer im Interesse des Opiumschmuggels unternommen hatten, und einem zweiten Krieg, der zu Verteidigung der Lorcha eines Piraten geführt wurde, fehlte zur Krönung des Ganzen nur noch ein zu dem Zweck improvisierter Krieg, China die Plage ständiger Gesandtschaften in seiner Hauptstadt aufzubürden.