Inhaltsverzeichnis Artikel und Korrespondenzen von Januar bis Dezember 1859

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 13, 7. Auflage 1971, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1961, Berlin/DDR. S. 487-489.

1. Korrektur.
Erstellt am 04.08.1998

Karl Marx

Politische Rundschau


["Das Volk" Nr. 16 vom 20. August 1859]

<487> London. Der Strike der Bauhandwerker oder, richtiger gesagt, der Lock-out der Baumeister dauert fort, ohne daß sich die gegenseitige Stellung beider Teile wesentlich verändert hätte. Am Dienstag hielten die Delegaten der Arbeiter ein Meeting ab, dem auch Abgeordnete aus den übrigen Gewerken beiwohnten, und auf dem einstimmig beschlossen ward, bei keinem Meister in Arbeit zu treten, der das Versprechen der Nichtteilnahme an der "Gesellschaft" verlange. Gleichzeitig hatte in der Freemasons Tavern eine Zusammenkunft der "assoziierten" Meister statt, zu der keine Zeitungsberichterstatter zugelassen wurden. Wie man nachträglich erfuhr, kamen die lichtscheuen Herren nach einer stürmischen Beratung dahin überein, daß kein Mitglied der Assoziation seine Werkstätte öffnen sollte, ehe die Bauarbeiter sich von der "Gesellschaft" förmlich losgesagt und ehe die "Hände des Herrn Trollope ihrem Strike ein Ziel gesetzt hätten". Der letztere Punkt dürfte wohl bald erledigt sein, denn Herr Trollope hat sich neuerdings in Unterhandlungen mit den Arbeitern eingelassen und auf das Positivste versichert, die Anklagen, welche gegen ihn erhoben worden (Wegschickung eines Arbeiters, der die Neunstundenpetition überreichte etc.), beruhten auf einem Mißverständnis. Was aber die andere Bedingung betrifft, so werden die "Ausgesperrten" sie keinesfalls eingehen, ohne durch die äußerste Not dazu gezwungen zu sein; sie fühlen, sich von der "Gesellschaft" lossagen, auf jede Organisation verzichten, das hieße sich zu förmlichen Leibeigenen der Kapitalisten machen und das bißchen Unabhängigkeit wegwerfen, das dem modernen Proletarier geblieben ist. Die brutale Halsstarrigkeit der Meister, die sich ihren "Händen" gegenüber dieselbe Autorität anmaßen wie der amerik[anische] Pflanzer seinem Sklaven gegenüber, hat die Mißbilligung selbst eines Teils der bürgerlichen Zeitungsschreiber erregt. Wir haben natürlich keine Ursache, mit den Meistern unzufrieden zu sein; tun sie doch, was in ihren Kräften steht, <488> um die ohnedies breite Kluft zwischen Arbeit und Kapital noch zu erweitern und jenen konzentrierten, bewußten Klassenhaß zu erzeugen, der die sicherste Bürgschaft für eine gesellschaftliche Umwälzung ist.

In London befinden sich im ganzen über 1.000 Bauwerkstätten. Davon sind bloß 88, aber die größten, gesperrt. Die Zahl der Lock-outs (der ausgesperrten Arbeiter) beläuft sich auf 19.000-20.000, nicht 40.000, wie man anfangs behauptet hatte. Aus allen Teilen des Landes strömen der "Gesellschaft" reiche Geldspenden zu, aber bis jetzt haben sich die brotlosen Arbeiter geweigert, Unterstützung zu ziehen. Ehre den Braven! Ob die Bourgeois in ihrem Klasseninteresse wohl einer ähnlichen Aufopferung fähig wären?

In den letzten Tagen der Session, die am Samstag zu Ende lief, beschäftigte sich das Unterhaus mit fast nichts anderem als Wahlskandalen, die wie Pilze aus dem Boden hervorschossen und alle Wände des Parlamentspalasts bedeckten. Es war ein greulicher Korruptionsgestank, der mit den Themsegerüchen vortrefflich harmonierte und die ehrenwerten Mitglieder zum Erbrechen hätte reizen müssen, wenn sie nicht an solche Dinge gewöhnt wären. Bald handelte es sich um Individuen, welche Herden britischer Wähler offen (und darin lag das Verbrechen) wie ebenso viele Schafherden gekauft oder verkauft hatten; bald um einen armen Wicht, der seinen teuerbezahlten Sitz freiwillig aufgab, weil er ihn nicht gegen eine Wahlpetition verteidigen konnte, was zum mindesten 3.000 Pfd.St. gekostet haben würde, - doch wenden wir uns ab. Wozu in dem Kot herumwühlen? Erwähnen wollen wir bloß noch, daß beinahe sämtliche Mitglieder, die der Bestechung überführt wurden, zur "liberalen" Partei gehören.

Über die Thronrede ist kaum etwas zu bemerken. Sie ist ein durchaus nichtssagendes Aktenstück. mit Rücksicht auf den projektierten europäischen Kongreß heißt es darin, ihre Majestät sei noch zu keiner bestimmten Entscheidung gelangt. Dies ist eine Lüge. Unmittelbar nach dem Abschluß des Friedens von Villafranca erklärte sich Lord Palmerston der russischen Regierung gegenüber bereit, den von Rußland vorgeschlagenen Kongreß zu beschicken. Er war also bereits vor 4 Wochen zu "einer bestimmten Entscheidung gelangt".

Paris. Wir verschonen unsere Leser mit einer Schilderung des Pariser Siegesfestes. Trotz der komplizierten Maschinerie, die man in Bewegung gesetzt hatte, um die Niederlage bei Villafranca vergessen zu machen, die Aufmerksamkeit der Pariser Bevölkerung zu zersplittern und die Kehlen der Interessenten zum Schreien zu bringen, soll der Kaiser persönlich so <489> wenig mit seinem Empfange zufrieden gewesen sein, daß er den verzweifelten Schritt der Amnestie tat, obgleich ihm seine dezembristischen Ratgeber ernstlich davon abrieten. Auch die Pariser Presse hat Amnestie erhalten, alle "Warnungen" sind zurückgenommen worden.

Von Berlin nichts als die alten öden Phrasen und Fortsetzung der trostlosen Agitation für Bundesreform unter preußischer Hegemonie. Die Verschmelzung der Gothaer mit der Demokratie ist nun eine vollendete Tatsache, wie man aus den folgenden Notizen ersehen wird. - Der Zustand des Königs hat sich nicht gebessert.

In Eisenach wurde am 14. August eine neue Versammlung "deutscher Patrioten" abgehalten, um mit hoher obrigkeitlicher Bewilligung die Gothaerei als alleiniges Mittel der Rettung zu proklamieren. Unter den versammelten Zelebritäten finden wir erwähnt: Herrn von Bennigsen aus Hannover; Zabel aus Berlin (siehst Du, wie Du bist?); Siegel, Redakteur der "Sächsischen Konstitutionellen Zeitung"; Titus aus Bamberg; Schulze aus Delitzsch usf. Das für die neugebildete deutsche Partei aufgestellte Programm enthält selbstverständlich: Bundesreform, preußische Hegemonie, Aufhebung der Bundestagsbeschlüsse gegen Presse und Vereinsrecht usw. Schließlich wurde Frankfurt, wahrscheinlich um der Paulskirche näher zu sein, als demnächstigen Versammlungsort gewählt.

Aus Hannover dagegen berichtet man, daß die dortige Regierung, um ihren preußenfreundlichen Patrioten, gegen die sie polizeilich einzuschreiten beginnt, Konkurrenz zu machen, [die] schleswig-holsteinische Frage wieder aufgenommen hat.