Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 13, 7. Auflage 1971, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1961, Berlin/DDR. S. 428-439.

1. Korrektur.
Erstellt am 04.08.1998

Friedrich Engels

Der italienische Krieg

Rückschau


["Das Volk" Nr. 12 vom 23. Juli 1859]

<428> Der Geheimgeneral hat schleunigst seine Garde nach Paris beordert, um an ihrer Spitze seinen triumphalen Einzug zu halten und dann auf dem Carrousel-Platz seine siegreichen Truppen vor sich defilieren zu lassen. Halten wir inzwischen nochmals Revue ab über die Hauptereignisse des Krieges, um das wirkliche Verdienst des Affen Napoleons zu beleuchten.

Am 19. April beging der Graf Buol die kindische Unvorsichtigkeit, dem englischen Gesandten <Lord Augustus Loftus> mitzuteilen, daß er am 23. den Piemontesen eine dreitägige Frist stellen, nach deren Ablauf aber den Krieg beginnen und einrücken lassen werde. Buol wußte zwar, daß Malmesbury kein Palmerston war, aber er vergaß, daß gerade die Zeit der allgemeinen Wahl heranrückte, daß die bornierten Tories aus Angst, sie möchten als "Österreicher" verschrieen werden, in der Tat Bonapartisten wider Willen wurden. Am 20. hatte die englische Regierung eiligst Herrn Bonaparte von dieser Mitteilung in Kenntnis gesetzt, und sofort begann die Konzentrierung französischer Truppen und wurde der Befehl erteilt zur Formierung der vierten Bataillone der Beurlaubten. Am 23. geben die Österreicher das Ultimatum wirklich ab - am Vorabend der meisten englischen Wahlen. Derby und Malmesbury beeilen sich, diese Tat für ein "Verbrechen" zu erklären, gegen das sie aufs allerenergischste protestieren. Bonaparte läßt seine Truppen die piemontesische Grenze überschreiten, noch ehe das Ultimatum abgelaufen; am 26. April betreten die Franzosen Savoyen und Genua. Die Österreicher aber, durch die Proteste und Drohungen der Tory-Regierung aufgehalten, geben noch zwei Tage zu und marschieren statt am 27. erst am 29. in Piemont ein.

<429> So hatte der Geheimgeneral volle neun Tage vor dem Einrücken der Österreicher Kenntnis von ihrer Absicht und brachte es durch den Verrat des englischen Ministeriums dahin, drei Tage vor ihnen am Platze zu sein. Aber nicht nur im englischen Ministerium, auch im österreichischen Armeekommando hatte der Geheimgeneral Bundesgenossen. Jedermann erwartete, und mit Recht, daß Heß den Oberbefehl über die italienische Armee übernehmen werde. Statt dessen behielt Gyulay, der 1848 und 1849 nirgends vor dem Feind war, das Kommando - ein total unfähiger Kopf ohne Verstand und Willenskraft, dieser Gyulay. Heß ist von bürgerlicher Abkunft und der reaktionären und jesuitenfreundlichen Adelsclique abgeneigt, die Franz Josephs Kamarilla bildet. Das Triumvirat Grünne-Thun-Bach hetzte den schwachen Franz Joseph, der mit Grünne zusammen einen wunderlichen und von Heß bitter kritisierten Operationsplan ausgearbeitet hatte, gegen den alten Strategiker; so blieb der hochadlige Schwachkopf Gyulay Obergeneral, und sein Operationsplan - Einfall in Piemont - wurde angenommen. Heß hatte zur strikten Defensive und zum Vermeiden jeder Schlacht bis an den Mincio geraten. Die österreichische Armee, zudem noch von Regenströmen aufgehalten, erschien erst gegen den 3. oder 4. Mai an Po und Sesia, und nun war es natürlich zu spät, einen Handstreich auf Turin oder eine der piemontesischen Festungen zu wagen. Die Franzosen waren massenhaft am oberen Po konzentriert; dies bot dem unfähigen Gyulay einen willkommenen Vorwand zur Untätigkeit. Um seine Ratlosigkeit recht zu dokumentieren, ließ er die forcierte Rekognoszierung von Montebello unternehmen. Der dadurch herbeigeführte Kampf wurde von dreizehn österreichischen Bataillonen gegen sechzehn französische ehrenvoll geführt, bis die zweite und dritte Division des Baraguay d'Hillierschen Korps auf dem Schlachtfeld erschienen, worauf die Österreicher, die ihren Zweck erreicht hatten, sich zurückzogen. Da aber auf diese Rekognoszierung von seiten der Österreicher weiter nichts erfolgte, so zeigt sich, daß die ganze Expedition ebensogut hätte unterbleiben können.

Der Geheimgeneral hatte inzwischen auf sein Kriegsmaterial und seine Kavallerie warten müssen und vertrieb sich die Zeit wahrscheinlich mit dem Studium seines geliebten Bülow. Über Aufstellung und Stärke der Österreicher vollständig unterrichtet, konnten die Franzosen leicht einen Angriffsplan entwerfen. Es gibt überhaupt nur drei Arten anzugreifen; entweder grade in der Front, um das Zentrum zu durchbrechen, oder durch Umgehung des rechten oder linken Flügels. Der Geheimgeneral entschloß sich, den feindlichen rechten Flügel zu umgehen. Die Österreicher standen <430> auf einer langen Linie vom Biella bis Pavia, nachdem sie das ganze Land zwischen Sesia und Dora Baltea ungehindert ausfouragiert hatten. Am 21. Mai greifen die Piemontesen die Sesialinie an und führen mehrere Tage lang kleinere Gefechte zwischen Casale und Vercelli, während Garibaldi mit seinen Alpenjägern, dicht am Lago Maggiore sich vorbeischleichend, das Varesotto insurgiert und bis in die Comasco und Brianza vordringt. Gyulay bleibt in seiner Verzettelung und schickt sogar eines seiner sechs Armeekorps (das neunte) auf das südliche Po-Ufer. Am 29. Mai sind endlich die Vorbereitungen so weit, daß der Angriff beginnen kann. Die Gefechte von Palestro und Vinzaglio, bei denen der größte Teil der piemontesischen Armee gegen einen Teil des siebenten Armeekorps (Zobel) engagiert war, öffneten den Alliierten die Straße nach Novara, das Gyulay ohne Widerstand räumen ließ. Sofort wurden die Piemontesen, das 2., 3., 4. französische Korps und die Garde dorthin dirigiert; das erste Korps folgte. Die Umgehung des österreichischen rechten Flügels war vollendet, die direkte Straße nach Mailand war offen.

Damit war aber auch den Armeen grade die Stellung gegeben, worin Radetzky 1849 den Sieg von Novara errang. In langen Kolonnen und auf wenigen Parallelstraßen wälzten sich die Alliierten dem Ticino zu. Der Marsch konnte nur langsam vonstatten gehen. Gyulay hatte fünf Armeekorps unter der Hand, selbst nach Abrechnung des verzettelten neunten Korps. Sobald der Angriff der Piemontesen einen ernstlichen Charakter annahm, und das tat er am 29. und 30. Mai, mußte Gyulay seine Truppen konzentrieren. Der Punkt, wo dies geschah, war ziemlich gleichgültig; an 140.000 - 150.000 Mann in einer konzentrierten Stellung marschiert man nicht vorbei; zudem kam es darauf an, nicht sich passiv zu verteidigen, sondern dem Feind einen a tempo Stoß beizubringen. Hätte Gyulay sich zwischen Mortara, Garlasco und Vigevano konzentriert am 31. Mai und 1. Juni, so konnte er einerseits der Umgehung seines rechten Flügels bei Novara selbst in die Flanke fallen, die feindlichen Marschkolonnen entzweischneiden, einen Teil derselben mit dem Rücken gegen die Alpen drängen und die Straße nach Turin in seine Hände bekommen. Andrerseits konnte er, wenn der Feind den Po unterhalb Pavia überschritt, immer noch rechtzeitig kommen, ihm den Weg nach Mailand zu verlegen.

Ein Anfang von Konzentrierung wurde wirklich gemacht. Ehe sie aber vollständig durchgeführt, war Gyulay durch die Besetzung von Novara irre geworden. Der Feind stand näher bei Mailand als er! Allerdings, das war aber gerade das Erwünschte; jetzt war der Moment zu dem a tempo Stoß gekommen; der Feind mußte sich unter den allerungünstigsten <431> Bedingungen schlagen. Aber Gyulay, so persönlich tapfer er sein mag, war moralisch feig. Statt rasch vorzugehn, ging er zurück, um seine Armee mit Gewaltmärschen in einem Bogen um den Feind herumzubringen und bei Magenta ihm wieder den direkten Weg nach Mailand zu verlegen. Die Truppen werden am 2. Juni in Bewegung gesetzt, und das Hauptquartier nach Rosate in der Lombardei verlegt. Dorthin kam um halb sechs Uhr morgens am 3. Juni der Feldzeugmeister Heß. Er stellte Gyulay zur Rede über den unverzeihlichen Fehler und ließ sofort alle Truppen halten, da er es noch für möglich hielt, den Stoß in der Richtung Novara auszuführen. Zwei ganze Armeekorps, das zweite und siebente, standen schon auf lombardischem Boden, sie waren von Vigevano auf Abbiategrasso marschiert. Das dritte Korps hatte den Befehl zum Halten gerade auf der Brücke bei Vigevano empfangen, es marschierte zurück und nahm Stellung auf dem piemontesischen Ufer. Das achte ging über Bereguardo, das fünfte über Pavia. Das neunte war immer noch weit ab und ganz außer Bereich.

Als Heß sich von der Dislokation der Truppen genau unterrichtet hatte, fand er, daß es zu spät sei, um in der Richtung Novara auf Erfolg rechnen zu können; jetzt blieb nur die Richtung Magenta übrig. Um zehn morgens gingen die Befehle an die Kolonnen ab, ihren Marsch auf Magenta fortzusetzen.

Auf diese Einmischung von Heß und den Verlust von 41/2 Stunden durch Halten der Kolonnen schiebt Gyulay die Schuld der verlornen Schlacht von Magenta. Wie unbegründet dieser Vorwand ist, geht aus folgendem hervor: Die Brücke bei Vigevano ist von Magenta zehn englische Meilen entfernt - ein kurzer Tagemarsch. Das zweite und das siebente Korps waren schon in der Lombardei, als der Befehl zum Haltmachen kam. Sie konnten also höchstens 7-8 Meilen im Durchschnitt zu marschieren haben. Trotzdem kam nur eine Division vom siebenten Korps bis Corbetta und 3 Brigaden vom zweiten Korps bis Magenta. Die zweite Division vom siebenten Korps kam am 3. nicht weiter als Castelletto bei Abbiategrasso; und das dritte Korps, das spätestens 11 Uhr morgens Befehl zum Aufbruch von der Brücke bei Vigevano erhielt, also noch ein sehr gutes Stück Tag vor sich hatte, scheint nicht einmal die fünf bis sechs engl[ischen] Meilen bis Abbiategrasso zurückgelegt zu haben. da es am folgenden Tage erst gegen 4 Uhr nachmittags bei Robecco (3 Meilen von Abbiategrasso) ins Gefecht kommen konnte. Hier liegt also offenbar ein Stopfen der Kolonnen auf den Straßen vor, das den Marsch verlangsamte infolge schlechter Arrangements. Wenn ein Korps 24 Stunden und darüber braucht, um 8-10 Meilen <432> zurückzulegen, so fallen 4-5 Stunden mehr wahrlich nicht in die Waagschale. Das achte Korps, über Bereguardo und Binasco dirigiert, hatte einen solchen Umweg zu machen, daß es selbst mit Benutzung der 41/2 verlorenen Stunden nicht rechtzeitig auf dem Schlachtfeld erscheinen konnte. Das fünfte Korps, das von Pavia in zwei wirklichen Gewaltmärschen heranrückte, griff am Abend des 4. Juni noch mit einer Brigade in die Schlacht ein. Was es an Zeit verlor, gewann es an Intensivität der Bewegung. Der Versuch, die Zersplitterung der Armee auf Heß zu schieben, fällt also vollständig zu Boden.

Die strategische Einleitung des Siegs von Magenta besteht also erstens in einem positiven Fehler, den Louis Bonaparte selbst beging, indem er einen Flankenmarsch im Bereich des Feindes ausführte, und zweitens einem Fehler Gyulays, der statt konzentriert über die langen Marschkolonnen herzufallen, seine Armee durch einen noch dazu erbärmlich angelegten Kontremarsch und Rückzug vollständig zersplitterte und seine Truppen ermüdet und ausgehungert ins Gefecht führte. Dies war die erste Phase des Kriegs. Über die zweite in der nächsten Nummer.

["Das Volk" Nr. 3 vom 30. Juli 1859]

Wir verließen unsern wirklichen geheimen Napoleon auf dem Schlachtfelde von Magenta. Gyulay hatte ihm den größten Gefallen getan, den ein General seinem Gegner tun kann; er hatte seine Kräfte so zersplittert herangeführt, daß er in jedem Moment der Schlacht in der entschiedensten Minderzahl war und selbst am Abend die Truppen nicht in der Hand hatte. Das erste und zweite Korps zogen sich nach Mailand zurück, das achte kam von Binasco, das fünfte von Abbiategrasso, das neunte wurde weit unten am Po spazierengeführt. Hier war eine Situation für einen General; hier galt es, mit den vielen frischen Truppen, die während der Nacht ankamen, hinein[zu]fahren zwischen die vereinzelten österreichischen Kolonnen, um einen wirklichen Sieg zu erfechten und ganze Abteilungen mit Fahnen und Artillerie zur Waffenstreckung zu zwingen! So handelte der vulgäre Napoleon bei Montenotte und Millesimo, bei Abensberg und Regensburg. Nicht so der "höhere" Napoleon. Der steht weit über solchem rohen Empirismus. Der weiß aus seinem Bülow, daß der exzentrische Rückzug der vorteilhafteste ist. Der würdigte also die meisterhaften Rückzugsdispositionen Gyulays vollkommen, und statt dreinzufahren, telegraphierte er nach Paris: Die Armee ruht aus und reorganisiert sich. War er doch <433> sicher, daß die Welt nicht so unhöflich sein werde, sein stümperhaftes Exerzitium von Magenta je anders denn als einen "großen Sieg" zu bezeichnen!

Freund Gyulay, der schon einmal mit so vielem Erfolg das Manöver versucht hatte, in einem Bogen um den Feind herumzumarschieren, Freund Gyulay machte dies Experiment noch einmal, und zwar diesmal im großen Maßstab. Er ließ seine Armee erst südöstlich an den Po marschieren, dann in drei Kolonnen auf drei Parallelstraßen den Po entlang bis gegen Piadena am Oglio, dann wieder nördlich nach Castiglione. Dabei beeilte er sich durchaus nicht. Der Weg, den er bis Castiglione zu marschieren hatte, betrug etwa 120 engl. Meilen, also 10 sehr bequeme oder 8 gute Tagemärsche. Am 14., höchstens am 15., konnte er also bei Castiglione in Stellung sein; aber erst am 19. befand sich ein ansehnlicher Teil der Armee auf den Höhen südlich des Gardasees. Indes Vertrauen erweckt Vertrauen. Marschierten die Österreicher langsam, so bewies der höhere Napoleon, daß er ihnen auch hierin überlegen sei. Der vulgäre Napoleon hätte nichts Eiligeres zu tun gehabt, als seine Truppen auf der kürzeren, direkten Marschstrecke nach Castiglione, die kaum 100 engl. Meilen beträgt, in Gewaltmärschen vorrücken zu lassen, um vor den Österreichern in der Stellung südlich vorn Gardasee und am Mincio anzukommen und womöglich den österreichischen Marschkolonnen wieder in die Flanke zu fallen. Nicht so der verbesserte Napoleon. "Immer langsam voran" ist sein Motto. Vom 5. braucht er bis zum 22., ehe er seine Truppen am Chiese konzentriert hat. 17 Tage auf 100 Meilen oder zwei kleine Stunden per Tag!

Das sind die kolossalen Strapazen, die die französischen Kolonnen auszuhalten hatten und die den englischen Zeitungskorrespondenten solche Bewunderung für die Ausdauer und unverwüstliche Heiterkeit der piou-pious <Infanteristen> einflößten. Nur einmal wurde ein Versuch zu einem Arrieregardengefecht gemacht. Es galt, eine österreichische Division (Berger) aus Melegnano zu vertreiben. Eine Brigade hielt die Stadt, die andre war bereits hinter dem Lambro, den Rückzug der ersten zu decken, und kam fast gar nicht ins Gefecht. Hier nun bewies unser Geheimgeneral, daß er, wenn es darauf ankomme, auch napoleonische Strategie kenne: Massen auf den entscheidenden Punkt! Demzufolge schickte er gegen diese eine Brigade zwei ganze Armeekorps oder zehn Brigaden; von sechs Brigaden angegriffen, hielt sich die österreichische Brigade (Roden) drei bis vier Stunden lang und zog sich erst, nachdem sie über ein Drittel ihrer Mannschaft verloren hatte, <434> unverfolgt über den Lambro zurück; die Gegenwart der zweiten Brigade (Boér) war hinreichend, die französische kolossale Übermacht aufzuhalten. Man sieht, der Krieg wurde von französischer Seite mit der größten Höflichkeit geführt.

In Castiglione tritt ein anderer Heros auf die Bühne: Franz Joseph von Österreich. Zwei würdige Gegner! Der eine hat überall verbreiten lassen, daß er der größte Schlaukopf aller Zeiten ist; der andre gefällt sich darin, sich für ritterlich auszugeben. Der eine kann gar nicht umhin, der größte Feldherr seines Jahrhunderts zu sein, weil er den Beruf hat, den Original-Napoleon zu travestieren - hat er doch dessen echten Trinkbecher und andre Reliquien mit ins Feld genommen; der andre muß den Sieg an seine Fahnen fesseln, weil er geborner "oberster Kriegsherr" seiner Armee ist. Passender konnte die Epigonenwirtschaft, die sich in den Zwischenakten zwischen den Revolutionen des neunzehnten Jahrhunderts breit macht, auf dem Schlachtfelde nicht vertreten sein.

Franz Joseph eröffnet seine Karriere als Obergeneral damit, daß er seine Truppen zuerst die Position südlich vom Gardasee einnehmen läßt, um sie dann sofort hinter den Mincio zu ziehen; kaum hat er sie hinter dem Mincio, so schickt er sie wieder zur Offensive vor. Ein solches Manöver mußte selbst einen verbesserten Napoleon überraschen, und sein Bulletin ist auch artig genug, dies offen einzugestehn. Da er sich am selben Tage mit seiner Armee gerade auf dem Marsche nach dem Mincio befand, so entstand eine Kollision beider Armeen, die Schlacht von Solferino. Wir enthalten uns, hier nochmal auf das Detail dieser Schlacht einzugehen, da wir dies schon in einer frühern Nummer dieses Blattes getan; um so mehr, als der österreichische offizielle Bericht absichtlich höchst konfus gehalten ist, um die wunderlichen Schnitzer des angestammten Kriegsherrn zu verdecken. So viel aber geht daraus mit Gewißheit hervor, daß am Verlust der Schlacht hauptsächlich schuld sind Franz Joseph und seine Kamarilla. Erstens wurde Heß absichtlich und planmäßig im Hintergrund gehalten. Zweitens drängte sich Franz Joseph an Heß' Stelle. Drittens waren eine Masse unfähiger und selbst einzelne im Punkt der Bravour zweifelhafte Leute durch den Einfluß der Kamarilla in wichtigen Kommandos verblieben. Aus allen diesen Umständen entstand, auch abgesehen vom ursprünglichen Plan, eine solche Verwirrung am Schlachttage, daß von Kommando, von Eingreifen der Bewegungen ineinander, von Ordnung und Konsequenz der Manöver gar keine Rede war. Besonders im Zentrum <435> scheint eine bodenlose Verwirrung geherrscht zu haben. Die drei Armeekorps, die hier standen (1., 5. u. 7.), führen so widersprechende und zusammenhangslose Bewegungen aus und kommen einander stets im entscheidenden Augenblick so sehr abhanden, während sie sich sonst immer im Wege sind, daß nur dies, aber dies auch mit Gewißheit, aus dem österreichischen Rapport hervorgeht: Hier ist die Schlacht weniger durch numerische Schwäche als durch schmählich schlechte Führung verlorengegangen. Nie unterstützte ein Korps das andere zur rechten Zeit; die Reserven waren überall, ausgenommen wo sie nötig waren; und so fielen Solferino, San Cassiano Cavriana, eins nach dem andern, während sie, alle drei zusammen ausdauernd und geschickt verteidigt, eine uneinnehmbare Stellung abgaben. So aber wurde Solferino, der entscheidende Punkt, schon um zwei Uhr und mit Solferino die Schlacht verloren gegeben; Solferino fiel durch konzentrischen Angriff, den nur Offensivstöße vereiteln konnten, aber diese grade fehlten; und nach Solferino fielen die andern Dörfer ebenfalls durch konzentrische Angriffe, denen unzulängliche passive Verteidigung entgegengesetzt wurde. Frische Truppen waren trotzdem noch da, denn die österreichischen Verlustlisten beweisen, daß aus 25 engagierten Linienregimentern acht (Roßbach, E[rz]h[erzog] Joseph, Hartmann, Mecklenburg, Heß, Grüber, Wernhardt, Wimpffen), also zwei Drittel, weniger als 200 Mann per Regiment verloren, also nur unbedeutend engagiert waren! Drei derselben sowie das Gradiskaner Grenzregiment verloren nicht 100 Mann per Regiment, und von den Jägern verloren die meisten Bataillone (fünf) unter 70 Mann per Bataillon. Da nun der rechte Flügel (Benedek, achtes Korps) gegen starke Übermacht alle seine Truppen ernstlich engagieren mußte, so fallen alle diese nur leichten engagierten Regimenter und Bataillone auf das Zentrum und den linken Flügel, und ein gutes Teil davon muß im Zentrum gestanden haben. Dies beweist, wie erbärmlich die Führung hier war. Die Sache ist übrigens sehr leicht aufgeklärt: Hier war Franz Joseph mit seiner Staatskamarilla in Person, hier mußte also alles planlos durcheinandergehen. Die 13 Batterien der Reserveartillerie taten keinen Schuß! Auf dem linken Flügel scheint eine ähnliche Abwesenheit der Führung geherrscht zu haben. Hier war es besonders die Kavallerie, welche, von alten Weibern kommandiert, nicht zur Aktion kam. Wo sich ein österreichisches Reiterregiment zeigte, machte die französische Kavallerie kehrt, aber von acht Regimentern kam bloß ein einziges Husarenregiment ordentlich und zwei Dragonerregimenter und ein Ulanenregiment einigermaßen zum Attackieren, Preußen-Husaren verlor 110, die beiden Dragonerregimenter zusammen 96 Mann; der Verlust von Sizilien-Ulanen <436> ist nicht bekannt, die übrigen vier Regimenter verloren zusammen nur 23 Mann! Die Artillerie verlor in allem nur 180 Mann.

Diese Zahlen beweisen mehr als alles andre die Unsicherheit und Unentschlossenheit, mit der die österreichischen Generale, vom Kaiser bis zum Korpskommandanten herab, die Truppen an den Feind führten. Rechnet man dazu die numerische Überlegenheit und den moralischen Aufschwung, den die Franzosen den bisherigen Erfolgen verdankten, so begreift man, wie die Österreicher nicht siegen konnten. Ein einziger Korpschef, Benedek, ließ sich nicht einschüchtern; er hatte den rechten Flügel ganz allein, und Franz Joseph hatte keine Zeit, sich einzumischen. Die Folge war, daß er die Piemontesen, trotz ihrer doppelten Überzahl, gehörig schlug.

Der höhere Napoleon war kein solcher Neuling im Kriegführen mehr wie Franz Joseph. Er hatte sich seine Sporen schon bei Magenta verdient und wußte aus Erfahrung, wie er sich auf dem Schlachtfeld zu benehmen hatte. Er überließ es dem alten Vaillant, die zu besetzende Frontlänge auszurechnen, wonach sich dann die Verteilung der einzelnen Korps von selbst ergab, und dann überließ er es den Korpschefs, sich weiter vorwärts zu arbeiten, denn daß sie ihre Korps zu führen verstanden, darüber konnte er ziemlich ruhig sein. Er selbst begab sich auf diejenigen Punkte, auf denen er sich in der Pariser " Illustration" vom folgenden Samstag am besten ausnehmen mußte, und erteilte von hier sehr melodramatische, aber auch sehr gleichgültige Detailbefehle.

["Das Volk" Nr. 14 vom 6. August 1859]

In Düsseldorf auf der Akademie war vor längerer Zeit ein russischer Maler, der später wegen Talentlosigkeit und Faulheit nach Sibirien relegiert wurde. Der arme Teufel schwärmte sehr für seinen Kaiser Nikolaus und pflegte begeistert zu erzählen: Kaiser sehr groß! Kaiser kann alles! Kaiser kann auch malen. Aber Kaiser haben keine Zeit zum Malen; Kaiser kaufen Landschaften und dann malen Soldaten hinein. Kaiser sehr groß! Gott ist groß, aber Kaiser ist noch jung!

Der höhere Napoleon hat das mit Nikolaus gemein, daß er der Ansicht ist, die Landschaften seien nur dazu da, um Soldaten hineinzumalen. Da er aber nicht einmal die Zeit hat, auch nur die Soldaten hineinzumalen, so begnügt er sich damit, für das Gemälde zu sitzen. Il pose. <Er wirft sich in Positur.> Magenta, Solferino und ganz Italien sind nur die Staffage, nur der Vorwand, um seine <437> interessante Figur bei dieser Gelegenheit in melodramatischer Haltung wieder in die "Illustration" und "Illustrated London News" zu bringen. Da dies mit einigem Gelde zu machen ist, so ist ihm dies auch gelungen. Er hat den Mailändern gesagt:

"Wenn es Leute gibt, die ihr Jahrhundert" (das Jahrhundert der Reklame und des Puffs <Humbugs>) "nicht verstehen, so gehöre ich nicht zu diesen Leuten."

Der alte Napoleon war groß, und der verbesserte Napoleon ist nicht mehr jung!

Diese letztere Einsicht, daß er nicht mehr jung ist, hat ihm denn auch den Gedanken eingegeben, daß es wohl an der Zeit sei, Frieden zu schließen. Er hatte es nun so weit gebracht, wie man es mit bloßen succès d'estime <Achtungserfolgen> bringen konnte. "In vier Gefechten und zwei Schlachten", mit einem Verlust von über 50.000 Mann im Gefecht allein, die Kranken ungerechnet, hatte er das Vorland bis zu den österreichischen Festungen erobert - das Gebiet, das Österreich selbst durch seine Festungsanlagen aller Welt erklärt hatte, nie ernsthaft gegen Übermacht verteidigen zu wollen, und das diesmal, nur um den Marschall Heß zu schikanieren, doch verteidigt worden war. Die via sacra <heilige Straße; hier: Straße des Sieges>, auf der der höhere Napoleon seine Armee bisher mit so klassischer Pomade und mit so zweifelhaften Erfolgen geführt hatte, war auf einmal mit Brettern zugenagelt. Jenseits lag das gelobte Land, das nicht die jetzige "Armee von Italien", sondern vielleicht erst ihre Enkel - und vielleicht auch diese nicht - sehen sollten. Rivoli und Arcole standen nicht auf dem Programm. Verona und Mantua standen im Begriff, ein Wort mitzusprechen, und die einzige Festung, in deren Inneres der höhere Napoleon bis jetzt mit militärischem Gefolge eingezogen, ist das Schloß von Ham - und er war froh genug, als er ohne kriegerische Ehren wieder abziehen konnte. Die Knalleffekte waren ohnehin pauvre <armselig> genug ausgefallen: grandes batailles <große Schlachten> hatte er gehabt, aber die grandes victoires <großen Siege> hatte ihm nicht einmal der Telegraphendraht geglaubt. Ein Krieg um verschanzte Lager, gegen den alten Heß, ein Krieg mit wechselnden Erfolgen und abnehmenden Chancen, ein Krieg, der ernsthafte Arbeit erforderte, ein wirklicher Krieg, das war kein Krieg für den Napoleon von der Porte Saint-Martin und von Astleys Amphitheater. Dazu kam noch, daß ein Schritt weiter auch einen Krieg am Rhein hervorgerufen hätte und daß damit Verwicklungen eintraten, die den heroischen Grimassen und melo- <438> dramatischen poses plastiques <plastischen Posen> sofort ein Ende machten. Mit solchen Dingen aber gibt sich der höhere Napoleon nicht ab - er schloß Frieden und fraß sein Programm.

Als der Krieg begann, provozierte unser höherer Napoleon sofort an die italienischen Feldzüge des vulgären Napoleons, an die via sacra von Montenotte, Dego, Millesimo, Montebello, Marengo, Lodi, Castiglione, Rivoli und Arcole. Vergleichen wir nun einmal die Kopie mit dem Original.

Der vulgäre Napoleon übernahm das Kommando von 30.000 halbverhungerten, barfüßigen und zerlumpten Soldaten zu einer Zeit, als Frankreich, mit zerrütteten Finanzen, in der Unmöglichkeit Anleihen zu machen, nicht nur zwei Armeen an den Alpen, sondern auch zwei Armeen in Deutschland zu erhalten hatte. Er hatte Sardinien und die übrigen italienischen Länder nicht für sich, sondern gegen sich. Die ihm gegenüberstehende Armee war der seinigen an Zahl und Organisation überlegen. Trotzdem griff er an, schlug Österreicher und Piemontesen in sechs rasch aufeinanderfolgenden Schlagen, in deren jedem er die Überzahl auf seiner Seite zu haben verstand, zwang Piemont zum Frieden, passierte den Po, erzwang den Übergang über die Adda bei Lodi und belagerte Mantua. Die erste Entsatzarmee der Österreicher schlug er bei Lonato und Castiglione und zwang sie bei ihrem zweiten Vorrücken durch kühne Manöver, sich nach Mantua hineinzuwerfen. Die zweite Entsatzarmee hielt er bei Arcole auf und hielt sie zwei Monate im Schach, bis sie, verstärkt, wieder vorging, um sich bei Rivoli schlagen zu lassen. Darauf zwang er Mantua zur Übergabe und die süditalienischen Fürsten zum Frieden und drang über die Julischen Alpen bis an den Fuß des Semmering vor, wo er den Frieden eroberte.

So der vulgäre Napoleon. Und wie der höhere? Er findet eine bessere und stärkere Armee vor, als Frankreich sie je hatte, und eine Finanzlage, die ihm wenigstens erlaubt, die Kriegskosten leicht durch Anleihen aufzubringen. Er hat sechs Monate Zeit, sich im tiefsten Frieden für seine Kampagne vorzubereiten. Er hat Sardinien mit starken Festungen und mit einer zahlreichen, vortrefflichen Armee für sich; Rom hält er besetzt; Mittelitalien wartet nur auf ein Signal von ihm, um loszuschlagen und sich ihm anzuschließen. Seine Operationsbasis liegt nicht an den Seealpen, sondern am mittleren Po, bei Alessandria und Casale. Wo sein Vorgänger Saumpfade hatte, da hat er Eisenbahnen. Und was tut er? Er wirft fünf starke Armeekorps nach Italien, so stark, daß er, mit den Sarden zusammen, den <439> Österreichern stets an Zahl bedeutend überlegen ist, so überlegen, daß er das sechste Korps noch der Touristenarmee seines Vetters für eine militärische Bummelei abgeben kann. Trotz aller Eisenbahnen braucht er einen vollen Monat, seine Truppen zu konzentrieren. Endlich geht er vor. Die Unfähigkeit Gyulays macht ihm ein Geschenk mit der unentschiednen Schlacht von Magenta, die sich in einen Sieg verwandelt durch die zufälligen strategischen Verhältnisse der beiden Armeen nach der Schlacht - Verhältnisse, an denen der höhere Napoleon ganz unschuldig und Gyulay allein schuld ist. Zum Dank läßt er die Österreicher entwischen statt sie zu verfolgen. Bei Solferino zwingt ihn Franz Joseph fast zu siegen; trotzdem ist das Resultat kaum besser als bei Magenta. Jetzt bereitet sich eine Situation vor, in der der vulgäre Napoleon erst seine Hülfsmittel entfaltet hätte; der Krieg spielt sich auf ein Gebiet, wo es etwas Wirklicheres zu tun gibt und nimmt Dimensionen an, bei denen ein großartiger Ehrgeiz seine Rechnung findet. An dem Punkt angekommen wo die via sacra des vulgären Napoleon erst beginnt, erst eine großartige Perspektive eröffnet, an dem Punkt - bittet der höhere Napoleon um Frieden!