Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 13, 7. Auflage 1971, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1961, Berlin/DDR. S. 420-422.
1. Korrektur.
Erstellt am 04.08.1998
Geschrieben am 15. Juli 1859.
Aus dem Englischen.
["New-York Daily Tribune" Nr. 5698 vom 28. Juli 1859, Leitartikel]
<420> Den Nachrichten zufolge, die wir mit der "Europa" erhielten, scheint es, daß die von Napoleon III. als eine der Grundlagen seines Friedens mit Franz Joseph angekündigte italienische Konföderation eine höchst unbestimmte und zweifelhafte Sache ist. Bis jetzt ist es lediglich ein Vorhaben, dem Österreich zugestimmt hat, das aber den italienischen Regierungen erst noch unterbreitet werden muß. Es hat den Anschein, als ob nicht einmal Sardinien, dessen König, nebenbei gesagt, beim Abschluß des Friedens offenbar nicht hinzugezogen wurde, beitreten möchte, obwohl sein König natürlich tun muß, was ihm befohlen wird. Inzwischen kursiert ein Gerücht, daß der Papst <Pius IX.>, der als Ehrenpräsident der Föderation vorgeschlagen wird, an Louis-Napoleon geschrieben habe, er wolle die katholischen Mächte um Schutz ersuchen - eine ziemlich zweifelhafte Zuflucht in einem Moment, da es gerade Frankreich ist, gegen das sie geschützt werden müßte. Was die kürzlich vertriebenen Monarchen von Toskana, Modena und Parma <Leopold II., Franz V. und Louise de Boubon> betrifft, so sollen sie anscheinend wieder auf ihren jeweiligen Thron gesetzt werden; unter diesen Umständen werden sie zweifellos bereit sein; jeder Konföderation beizutreten, die ihnen befohlen werden sollte. Doch von dem König von Neapel, nunmehr der einzige unabhängige Herrscher in Italien, hören wir überhaupt nichts; und es ist nicht ausgeschlossen, daß er rundheraus ablehnen wird. So ist es also noch fraglich, ob es überhaupt eine Föderation geben wird, und eine noch größere Frage, welcher Art sie sein wird, wenn sie doch zustande kommen sollte.
<421> Eine wichtige Tatsache ist nunmehr zur Gewißheit geworden: Österreich behält alle vier großen Festungen und der Mincio wird zur Westgrenze seines Territoriums. Damit hält es noch immer den Schlüssel zu Oberitalien in den Händen und kann jede günstige Gelegenheit ausnutzen, um das wieder zu erhalten, was es jetzt aufgeben mußte. Allein diese Tatsache zeigt, wie völlig unbegründet Napoleons Behauptung ist, daß er sein Ziel, Österreich aus Italien zu vertreiben, im Prinzip erreicht habe. Es ist in der Tat nicht übertrieben zu sagen, wenn Napoleon Österreich im Kriege geschlagen hat, so hat ihn Österreich beim Friedensschluß entscheidend geschlagen. Österreich hat auf nichts weiter verzichtet als auf das, was ihm abgenommen worden war. Frankreich hat für einen Aufwand von ungefähr hundert Millionen Dollar und für das Leben von ungefähr fünfzigtausend seiner Söhne die Kontrolle über Sardinien, viel Ehre für seine Soldaten und den Ruf eines recht glücklichen und einigermaßen erfolgreichen Generals für seinen Kaiser erlangt. Für den Kaiser ist dies viel, doch für Frankreich, das alle Kosten getragen und alle Verluste erlitten hat, ist dies wenig; und es überrascht nicht, daß in Paris Unzufriedenheit herrschen soll. Als Grund für diese plötzliche Beendigung des Krieges führte Napoleon an, daß er Ausmaße angenommen habe, die mit den Interessen Frankreichs unvereinbar wären. Mit anderen Worten, er hatte die Tendenz zu einem revolutionären Krieg, der die Möglichkeit einer Insurrektion in Rom und einer Erhebung in Ungarn einschloß. Es ist eine merkwürdige Tatsache, daß derselbe Napoleon kurz vor der Schlacht bei Solferino Kossuth in sein Hauptquartier einlud und ihn tatsächlich drängte, eine revolutionäre Diversion zugunsten der Alliierten zu unternehmen. Vor dieser Schlacht fürchtete er also die Gefahren nicht, die ihn unmittelbar hinterher in Schrecken versetzten. Daß die Umstände die Sachlage verändern, ist keine neue Feststellung, aber auf die jetzige Situation ist sie anwendbar. Es erübrigt sich, weitere Beweise anzuführen, daß dieser Mann ebenso selbstsüchtig wie skrupellos ist und daß er, nachdem er das Blut von fünfzigtausend Mann zur Befriedigung seiner persönlichen Ambitionen vergossen hat, bereit ist, jedem der geheuchelten Grundsätze abzuschwören und zu entsagen, in deren Namen er sie zur Schlachtbank geführt hatte.
Eines der ersten Resultate der jetzigen Regelung ist der erzwungene Rücktritt des Ministeriums Cavour in Sardinien. Obwohl Graf Cavour, einer der klügsten Männer in Italien, mit dem Friedensschluß ganz und gar nichts zu tun hatte, konnte er sich auf Grund der Entrüstung und Enttäuschung der Öffentlichkeit nicht halten. Es wird wahrscheinlich lange dauern, bis er wieder an die Macht gelangt. Und es wird lange dauern, bis <422> Louis-Napoleon selbst die Sentimentalen und Enthusiasten wieder dazu bringen wird, in ihm einen Verfechter der Freiheit zu sehen. Die Italiener werden ihn jetzt mehr hassen als alle anderen Vertreter der Tyrannei und des Verrats; und wir brauchen nicht überrascht zu sein, wenn die Dolche der italienischen Attentäter erneut versuchen, dem Manne das Leben zu nehmen, der Österreich beinahe genau so fest wie zuvor im Nacken Italiens sitzen ließ, während er versprach und vorgab, Italiens Unabhängigkeit zu erobern.