Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 13, 7. Auflage 1971, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1961, Berlin/DDR. S. 391-393.

1. Korrektur.
Erstellt am 04.08.1998

Karl Marx

Spree und Mincio


["Das Volk" Nr. 8 vom 25. Juni 1859]

<391> Voltaire hielt sich bekannt ich vier Affen in Ferney, denen er die Namen seiner vier literarischen Widersacher Freron, Beaumelle, Nonnotte und Franc de Pompignan beigelegt hatte. Kein Tag verging, ohne daß sie der Dichter mit eigner Hand fütterte, mit Fußtritten regalierte, an den Ohren zwickte, mit Nadeln in die Nasen stach, auf die Schwänze trat, in Pfaffenkapuzen steckte und in jeder erdenklichen Weise malträtierte. Diese Affen der Kritik waren dem Alten von Ferney zur Ableitung seiner Galle, Befriedigung seines Hasses und Beschwichtigung seiner Furcht vor den Waffen der Polemik ebenso notwendig, wie die Affen der Revolution es für Louis Bonaparte in Italien sind. Auch die Kossuth, Klapka, Vogt, Garibaldi werden gefüttert, mit goldenen Halsbändern versehen, hinter Schloß und Riegel gehalten, bald kajoliert, bald mit Fußtritten bedient, je nachdem der Haß oder die Furcht vor der Revolution in der Laune ihres Gebieters überwiegen. Die armen Affen der Revolution sollen auch ihre Geiseln sein, sie sollen dem Manne des zweiten Dezember den Waffenstillstand der revolutionären Partei garantieren, damit er ungehindert die Arsenale der orsinischen Bomben zerstören und den Feind, vor dem er so lange in den Tuilerien erzitterte, im eigenen Lager überfallen und erwürgen kann.

Das Kaiserreich muß wieder Frieden bedeuten, oder es verlohnt sich nicht der Mühe, so viel Schandtaten begangen, so viel Meineide geschworen und so viel Erniedrigungen erduldet zu haben, um es zu gründen. Ein Kaiserreich, das von revolutionären Bomben, geheimen Gesellschaften, übermütigen Bourgeois und zügellosen Soldaten unsicher gemacht wird, ist unerträglich. Marchons! <Vorwärts> Hier ist Ruhm, hier sind napoleonische Ideen, Freiheit, Nationalität, Unabhängigkeit, alles was ihr wollt, aber marchons, marchons!

<392> Die Idee, aus Italien eine Mausefalle der Revolution zu machen, ist raffiniert genug; nur läßt sie sich um deswillen nicht ausführen, weil jeder, der sich da fangen läßt, in demselben Augenblicke, wo er anbeißt, aufhört, irgendwelche Bedeutung für die revolutionäre Partei zu haben. Den Krater der Revolution dadurch schließen zu wollen, daß man die Herren Kossuth, Klapka, Vogt und Garibaldi kopfüber hineinwirft, ist wahrhaft kindisch und hilft nur den Ausbruch beschleunigen.

Wenn es auch mit ihrer Hülfe gelingen sollte, eine orsinische Bombe in Italien zu erlöschen, so platzt eine andere in Frankreich, in Deutschland, in Rußland, oder wo es immer sein möge; denn das Bedürfnis und die Naturnotwendigkeit der Revolution ist so allgemein, wie die Verzweiflung der niedergetretenen Völker, auf die ihr euren Thron erbaut, wie der Haß der ausgeplünderten Proletarier, mit deren Elend ihr ein so vergnügliches Spiel getrieben. Und erst dann, wenn die Revolution Elementarkraft geworden ist, unberechenbar und unvermeidlich wie der Blitz, dessen Donner ihr erst hört, wenn sein tödliches Geschoß unwiderruflich entsandt ist, erst dann ist ihr Ausbruch gewiß.

Wo und wie dieser Ausbruch erfolgen mag, ist von geringer Bedeutung. Die Hauptsache ist, daß er erfolgt. Diesmal scheint Preußen bestimmt zu sein, dem allgemeinen revolutionären Bedürfnisse wider Willen einen Ausdruck zu geben. Der Prinzregent, der selbständig "niemals etwas Dummes sagte und niemals etwas Weises tat", wird aus purer Liebe zum Konservatismus gezwungen, die revolutionäre Rolle ernsthaft aufzunehmen, mit der L[ouis] Bonaparte aus Furcht, Affektation und Kaprice nur ein kokettes Spiel treibt.

Preußens bewaffnet Vermittelung, d.h. seine Allianz mit Österreich, bedeutet die Revolution.

Die allgemeine Stimmung der Berliner Presse beweist, daß die Neutralität mit der Mobilisierung der Armee als eine unhaltbare Position aufgegeben worden ist. Ganz richtig bemerkt die "Nat[ional]-Z[ei]t[un]g, das Organ der liberalen Kabinettsanwandelungen:

"Neutralität mag unter den gegenwärtigen Umständen eine passende Rolle für Belgien, Holland oder die Schweiz sein; für Preußen ist Neutralität - Tod."

Wenn es Bonaparte gelingt, seine edelmütigen Absichten auf Italien zu realisieren, so würde nach demselben Blatte, selbst wenn der Krieg lokalisiert bleibt und keine direkte Gebietserwerbung für Frankreich daraus hervorgeht, nur ein französisches Militärprotektorat über die ganze Halbinsel die Folge davon sein. Hierdurch würde die russisch-französische Hegemonie über den <393> europäischen Kontinent, welche seit den letzten drei Jahren bereits so fühlbar gewesen sei, so sehr erstarken, daß sie in jedem Augenblicke zu der in St. Helena proklamierten Teilung der Herrschaft schreiten könne. Das neue Empire zeige ganz die Tendenzen des ersten und sei eben noch günstiger situiert, da es nicht von außen gedrängt werde und daher Zeit, Ort und Gelegenheit nach Gutdünken wählen könne, um seine Gegner zu isolieren und sie dann en detail zu vernichten. Um den Erfolg dieses mit so großem Geschick bisher betriebenen Schlachtplanes zu hintertreiben, sehe sich Preußen genötigt, mit Österreich zu gehen, keineswegs in der Absicht, für die Habsburger Politik Partei zu ergreifen, sondern für die eigene Existenz zu kämpfen.

Dieses ist ungefähr der Inhalt des angezogenen Artikels, welcher als Programm der Regentschaftspolitik betrachtet wird. An das Gelingen des letzten Vermittelungsversuches, mit dem Herr v. Werther beauftragt ist, glaubt kein Mensch. Sollte jedoch Napoleon in einen Frieden willigen, der im besten Falle dem Mißvergnügen seiner Offiziere und Soldaten neue Nahrung geben müßte, so braucht er nicht mehr bekämpft zu werden. Dann gilt von ihm, was Horace Walpole vom sardinischen Diplomaten Marquis de Very sagte: Er ist tot, aber er wünscht es noch für ein paar Tage geheimgehalten zu sehen. Auf lange Zeit würde ihm das nicht gelingen.

Wenn diese Vermittelung, die man wohl kaum im Ernst unternommen hat, fehlschlägt, dann werden die Schlachten zwischen napoleonischer Tyrannei und Habsburger Despotismus am Mincio, aber die Schlachten der Freiheit an der Oder und Weichsel geschlagen werden. Schon sind ungeheure Truppenmassen in Kalisch, zwei Meilen von der preußischen Grenze, konzentriert. Ein preußisches Armeekorps ist für den Durchmarsch zum Rhein in Hannover angekündigt, ein anderes bewegt sich nach Süden, und die Kommandeurs der verschiedenen Bundeskorps sind zu einer Militärkonferenz nach Berlin beschieden worden. Alle diese Maßregeln beziehen sich nur auf die Mobilisierung der Avantgarde. Die Armee, welche den Kampf gegen Frankreich und Rußland ausfechten muß, existiert noch nicht und kann nur aus dem Volke rekrutiert werden, nicht aus dem Volke, das die teutschen Gedichte des teutschen Ludwig deklamiert, sondern aus dem Volke, das sich mit der ganzen, vernichtenden Energie revolutionärer Begeisterung erhebt. Gelingt es nicht, diese Begeisterung zu wecken, dann beruhen die hohenzollernsche Mobilisierung, bewaffnete Vermittelung, Kriegserklärung, Kriegsführung usw. auf der kindlichen Berechnung des Negers der Goldküste, der seinem Gegner einen tödlichen Schlag zu versetzen glaubt, wenn er dahin gelangt, sich selbst an den Torpfosten seines Feindes aufzuhängen.