Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 13, 7. Auflage 1971, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1961, Berlin/DDR. S. 372-375.
1. Korrektur.
Erstellt am 04.08.1998
Geschrieben am 2. Juni 1859.
Aus dem Englischen.
["New-York Daily Tribune" Nr. 5665 vom 17. Juni 1859, Leitartikel]
<372> Bisher war es Garibaldi, der den Kriegsruhm davontrug; er scheint allerdings auch nicht vor jenem kühnen Draufgängertum zurückzuschrecken, vor dem Napoleon III. seine Soldaten warnt. Ganz plötzlich wurde dieser Freiwilligenführer zum Helden Italiens, obgleich die bonapartistische Presse auf dieser Seite des Atlantiks versucht, den Ruhm seiner Heldentaten ganz für ihren eigenen großen Helden in Anspruch zu nehmen. Die Lorbeeren des Freischärlergenerals haben anscheinend in der Brust Viktor Emanuels das Bestreben geweckt, ihm nachzueifern; und so kam es zum Gefecht von Palestro, von dem wir leider bisher nur telegraphische Berichte erkalten haben, und diese auch nur aus dem sardinischen Hauptquartier.
Danach scheint die 4. piemontesische Division unter Cialdini, die einige Tage zuvor die Sesia bei Vercelli überschritten und die Folgezeit mit Plänkeleien gegen österreichische Vorposten zugebracht hatte, am 30. Mai die befestigte Position des Feindes bei Palestro, Vinzaglio und Confienza angegriffen zu haben. Die Piemontesen schlugen die Brigade, die die Stellung besetzt hielt (höchstwahrscheinlich die Brigade des Generals Gablenz), aber wie berichtet wird, versuchte am nächsten Morgen (dem 31. Mai) eine Streitmacht von 25.000 Österreichern, die Position zurückzuerobern. Sie beabsichtigten, die rechte Flanke der Piemontesen zu umgehen, wobei sie ihre eigene Flanke dem Korps des Generals Canrobert (Division Trochu) aussetzten, das eine Brücke über die Sesia geschlagen hatte und sich jetzt näherte. Der Kaiser befahl sofort dem 3. Zuavenregiment, die Piemontesen zu unterstützen. "Obwohl sie ohne Beistand waren" griffen sie eine österreichische Batterie an, nahmen die sechs Geschütze und trieben die Bedeckungsmannschaft in einen Kanal, wo 400 von ihnen ertrunken sein sollen. Der König von Sardinien war im dichtesten Kampfgewühl und so darauf <373> versessen, den Feind niederzumetzeln daß "die Zuaven vergeblich versuchten, ihn zurückzuhalten". Dem Bericht zufolge wurden die Zuaven von General Cialdini persönlich angeführt. Schließlich mußten die Österreicher zurückweichen und 1.000 Gefangene und acht Geschütze in der Hand der Alliierten zurücklassen. "Die Verluste der Österreicher", sagen die Piemontesen, "waren sehr groß; die unserer eigenen Truppen sind noch unbekannt." Zur gleichen Zeit fand ein weiterer Kampf bei Confienza statt, in dem der Feind von der Division des Generals Fanti geschlagen wurde. Gegen 6 Uhr abends versuchten die Österreicher jedoch einen erneuten Angriff auf Palestro, aber mit ebensowenig Erfolg. Am 1. Juni marschierte General Niel mit dem vierten französischen Korps in Novara ein, anscheinend ohne auf Widerstand zu stoßen.
Seitdem durch den Frieden von 1849 das spada d'Italia in die Scheide zurückgesteckt wurde, haben wir keinen so verworrenen und widerspruchsvollen Bericht über eine Schlacht mehr lesen müssen. Und dabei haben wir in unserer Zusammenfassung noch einige der rätselhaftesten Stellen ausgelassen. Die Österreicher greifen mit 25.000 Mann an; werden diese sämtlich gegen Palestro vorgeschickt oder gehören zu ihnen die Truppen, die von Fanti bei Confienza geschlagen wurden? Da deren Stärke nicht im einzelnen angegeben wird, ist es sicher richtig, wenn wir unter Berücksichtigung der außerordentlichen Wahrheitsliebe der piemontesischen Berichte zu der Schlußfolgerung gelangen, daß sich die Gesamtzahl der Österreicher, die am 31. Mai im Kampf standen, auf ungefähr 25.000 belief. Wie stark die Kräfte waren, von denen sie geschlagen wurden, werden wir noch sehen. Als die Piemontesen in Gefahr geraten, befiehlt der Kaiser dem 3. Zuavenregiment anzugreifen. Cialdini führt sie, und der König stürmt mit ihnen vorwärts, dorthin, wo der Kampf am heftigsten tobt, während die Zuaven vergeblich versuchen, ihn zurückzuhalten.
Ein prächtiges Bild! Wie großartig die Rollen verteilt sind! Louis-Napoleon, "der Kaiser", befiehlt den Zuaven anzugreifen. Cialdini, der General, und ein Piemontese dazu, führt sie an - ein Piemontese führt die französischen Zuaven! "Der König" stürzt sich unter sie und kämpft unter dem Kommando seines eigenen Generals, wo der Kampf am heftigsten tobt. Aber es wird auch gesagt, der König habe die 4. piemontesische Division, nämlich die von Cialdini, selbst befehligt. Was wirklich aus der 4. Division geworden sein mag, während Cialdini die Zuaven anführte und der König sich in das heftigste Kampfgewühl stürzte, werden wir vielleicht nie erfahren. Aber das überrascht uns bei Viktor Emanuel nicht. Während der verhängnisvollen Schlacht von Novara hatte er ähnliche kindische Einfälle, vernach- <374> lässigte seine Division und trug so nicht wenig zu seiner eigenen Niederlage und zum Triumph Radetzkys bei.
Aus diesen verworrenen Nachrichten über ein Gefecht, dessen wirklicher Charakter erst sichtbar werden wird, wenn wir die offiziellen Berichte von den Franzosen und Österreichern erhalten, können wir jedoch einige nützliche Fakten entnehmen. Der äußerste linke Flügel der Alliierten war bisher von dem französischen Korps des Generals Niel gebildet worden; er stand an der Dora Baltea westlich von Vercelli. Als nächste standen bei Casale die beiden piemontesischen Divisionen (die 4. und 3.) unter Cialdini und Durando. Bei Alessandria und Valenza lagen die piemontesischen Divisionen Castelborgos (die 1. ) und Fantis (die 2.), die französischen Korps unter Mac-Mahon und Canrobert und die Garde, die das Zentrum bildeten. Östlich von Alessandria, bei Tortona, Novi und Voghera, standen Cucchiaris 5. piemontesische Division und das französische Korps unter Baraguay d'Hilliers.
Bei Palestro und Confienza (diese Orte sind kaum drei Meilen voneinander entfernt) finden wir jedoch nicht nur Cialdini, sondern auch Fanti im Kampf, und obgleich nichts von Niel gesagt wird, finden wir doch Canrobert dort. Außerdem kam auch das 3. Zuavenregiment zum Einsatz, das weder zu dem Korps Canroberts noch zu einem der drei anderen französischen Korps gehört. Schließlich erfahren wir, daß Louis-Napoleon sein Hauptquartier nach Vercelli verlegt hat und daß General Niel einen Tag nach der Schlacht Novara besetzte. Das zeugt von einer entschiedenen Veränderung in der Aufstellung der alliierten Armee. Der linke Flügel bestand zuvor aus Niels Korps, 26 Bataillone und aus Cialdinis Division, 14 Bataillone, insgesamt 40 Bataillone; jetzt ist er verstärkt worden durch Canroberts Korps mit 39 Bataillonen und Fantis Division mit 14 Bataillonen, macht zusammen 53 Bataillone; damit erhöht sich die Gesamtstärke dieses Teils der alliierten Armee auf 93 Bataillone. Davon waren zugestandenermaßen die zwei piemontesischen Divisionen, 28 Bataillone, die Division Trochu von Canroberts Korps, 13 Bataillone, insgesamt 25.000 Piemontesen und mindestens 11.000 Franzosen, mehr oder weniger an dem Gefecht von Palestro beteiligt. Das erklärt, wieso die 25.000 Österreicher zurückgeworfen wurden.
Aber diese Verstärkung des linken Flügels wurde offensichtlich zu einem anderen Zweck durchgeführt; das beweisen Niels Vormarsch auf Novara und auch die Verlegung von Louis-Napoleons Hauptquartier nach Vercelli. Außerdem läßt die Wahrscheinlichkeit, daß die Garde ihm dorthin gefolgt ist, wenig Zweifel hinsichtlich der Absichten der Alliierten. Die Garde verstärkt die Streitkräfte an der Sesia auf insgesamt 127 Bataillone, und wie bei Montebello können Truppen vom äußersten rechten Flügel rasch mit der <375> Eisenbahn herangebracht werden und rechtzeitig an einer größeren Aktion teilnehmen. Demnach bleiben zwei Möglichkeiten. Entweder setzt Louis-Napoleon die jetzt begonnene Truppenbewegung fort, indem er die österreichische Rechte völlig umgeht und die Masse seiner Armee auf der von Vercelli direkt nach Mailand führenden Straße zwischen Vercelli und Novara aufstellt, während er gleichzeitig die Österreicher durch Demonstrationen an der Po-Linie ablenkt. Oder er konzentriert bei eifrigen Demonstrationen gegen die österreichische Rechte seine Hauptkräfte bei Valenza, wo Baraguay, Mac-Mahon und die Garde mit 99 Bataillonen und Cucchiari, Durando und Castelborgo mit 42 Bataillonen stehen, die durch rasche Verlegung von Canroberts Korps und einigen Piemontesen nach diesem Standort verstärkt werden können, wodurch 170 Bataillone an einem Punkt vereinigt wären und das österreichische Zentrum überfallen könnten, um es zu zerschlagen.
Die Offenheit, mit der Canroberts Korps (von dem nach allem nur Trochus Division dort sein konnte) und Fantis Piemontesen an der Sesia aufmarschierten, während Louis-Napoleon unter ähnlicher Schaustellung sein Hauptquartier nach Vercelli verlegte, scheinen für die zweite Möglichkeit zu sprechen. Aber wir können nur Vermutungen anstellen.
Inzwischen sind die Österreicher offenbar noch an der Agogna, obgleich die Londoner "Daily News" von ihrem Rückzug über den Ticino berichtete. Ihre Truppen konzentrieren sich immer mehr auf einem kleinen Raum um Garlasco. Dann und wann strecken sie ihre Fühler aus, wie z.B. bei Montebello oder bei Palestro, achten aber darauf, sich nicht zu zersplittern. Ihre Stärke beträgt mindestens sechs Armeekorps mit 160 bis 200 Bataillonen (je nachdem, wieviele für Garnisonen abgezogen wurden). Die Kräfte scheinen also ziemlich gleich zu sein. Ein paar Tage noch, und die in den Wolken verborgenen Blitze müssen sich entladen.