Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 13, 7. Auflage 1971, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1961, Berlin/DDR. S. 358-360.

1. Korrektur.
Erstellt am 04.08.1998

Friedrich Engels

Der Feldzug in Italien


["Das Volk" Nr. 4 vom 28. Mai 1859]

<358> Der Feldzug in Italien, der nunmehr beinahe einen Monat gedauert, hat einen eigentümlichen und unerwarteten Verlauf genommen. Zwei große Heere, jedes nicht viel unter 200.000 Mann betragend, haben sich in den ersten Tagen des Mai angesichts einander konzentriert. Während die Vorposten auf Kanonenschußweite aneinandergerückt, beobachten sich die beiden Massen, strecken bald hier bald dort die Fühlhörner vor, geraten an einzelnen Punkten in leichten Konflikt, machen Frontveränderungen, verlängern den einen oder andern Flügel, aber in Masse aneinander kommen sie nicht. Diese Art der Kriegführung scheint dem modernen System der raschen Entscheidungsschläge unangemessen; es scheint im Rückschritt gegen die blitzschnellen Züge, die kurzen Feldzüge Napoleons.

Seit Napoleon haben zwei neue Elemente die Kriegführung bedeutend verändert. Das erste ist die bessere Deckung der Staaten durch verschanzte Lager und Festungsgruppen an geeigneten Terrainpunkten. Die Festungen der napoleonischen Zeit waren entweder zu unbedeutend, zu isoliert voneinander oder in strategisch zu indifferentem Terrain, um seiner Kriegführung große Hindernisse in den Weg zu legen. Ein Sieg im freien Felde oder ein Umgehungsmarsch drängte das feindliche Heer von seinen Festungen ab.

Was Befestigungen zu leisten vermögen, hat Danzig im Jahre 1813, das Festungsviereck in der Lombardei im Jahre 1848, Komorn 1849, Sewastopol 1855 bewiesen. Nun aber bildet die Stellung der Franko-Piemontesen hinter Po und Tanaro, zwischen Casale, Alessandria und Valenza, ein solches Gruppensystem von Festungen, das einer Armee Schutz auch schon gegen beträchtliche Übermacht gewährt. Hinter diese Stellung nun gelang es den Franzosen vor Ankunft der Österreicher so viel Truppen zu werfen, daß ein Angriff alle Aussicht auf entscheidenden Erfolg verlor und damit Zeit zur Heranziehung der übrigen französischen Truppen und zur Komplettierung <359> des Materials der Ausrüstung gewonnen wurde. Die österreichische Offensive kam somit bei Casale und Valenza zum Stehen, und da weder ein Frontangriff noch eine ernstliche Umgehung der Stellung möglich war, so blieb ihr nichts übrig als Demonstrationen auf den Flanken, westlich der Sesia und südlich vom Po, verknüpft mit Beitreibung der in diesen Bezirken für die Armee benutzbaren Hülfsquellen.

Das zweite Element, das die Kriegführung seit Napoleon bedeutend verändert, ist der Dampf. Nur durch Eisenbahnen und Dampfschiffe war es den Franzosen möglich, während der 5 Tage zwischen der Abgabe des österreichischen Ultimatums und dem Einrücken der Österreicher solche Massen von Truppen nach Piemont zu werfen, daß jeder österreichische Angriff auf die piemontesische Stellung ohne Resultat bleiben mußte, und während der folgenden Woche diese Massen so zu verstärken, daß am 20. Mai wenigstens 130.000 Franzosen zwischen Asti und Novi in Linie standen.

Die unter der industrieritterlichen Herrschaft eines Louis Bonaparte unvermeidliche Korruption und Unordnung in der Verwaltung läßt jedoch die französischen Feldzugsbedürfnisse nur langsam und mangelhaft ankommen. Einen vorteilhaften Kontrast hierzu bildet die Ordnung und Schnelligkeit, womit die österreichischen Armeekorps in voller Schlagfertigkeit nach Italien versetzt wurden. Bei Fortdauer des Krieges muß dies notwendig von Einfluß sein.

Die Österreicher können nicht vorgehen, weil sie auf die Stellung zwischen den piemontesischen Festungen gestoßen sind, die Franzosen nicht, weil ihre Kriegsausrüstung noch nicht vollständig. Daher die Stockung der Bewegungen und daher das unverdiente Interesse, das an dem kleinen Treffen von Montebello genommen wird. Die ganze Affäre beschränkt sich auf folgendes: Die Österreicher erhielten die Nachricht, daß die Franzosen ihren rechten Flügel in der Richtung nach Piacenza verschöben, welche Bewegung die Absicht vermuten ließ, zwischen Pavia und Piacenza den Po überschreiten und so die österreichische Stellung in der Lomellina in der Richtung auf Mailand umgehen zu wollen. Das österreichische fünfte Armeekorps (Stadion) sandte also 3 Brigaden über eine bei Vaccarizza (unterhalb Pavia) geschlagene Brüche über den Po zur Besetzung der Position vor der Stradella und zur Rekognoszierung gegen Voghera. Diese 3 Brigaden stießen bei Casteggio auf die Vorposten der Verbündeten und bei Montebello auf die erste Brigade der französischen Division Forey, die sie aus Montebello zurückwarfen. Die zweite französische Brigade kam bald darauf an, und die Österreicher wurden jetzt nach hartnäckigem Kampfe aus dem Dorfe vertrieben; einen Angriff auf Casteggio schlugen sie ab und trieben die Franzosen <360> in Unordnung auf Montebello zurück, das sie ohne Zweifel genommen haben würden (der größte Teil ihrer Truppen war noch gar nicht im Gefecht gewesen), wenn nicht inzwischen eine Brigade der französischen Division Vinoy angekommen wäre. Bei dem Anblick dieser Verstärkungen hielten die Österreicher in ihrem Vormarsch inne. Sie hatten ihren Zweck erreicht, sie wußten jetzt, wo die nächsten Truppenmassen des französischen rechten Flügels standen, und zogen sich unbelästigt aus Casteggio gegen den Po und nachher über denselben auf die Hauptarmee zurück, mit der Gewißheit, daß die Franzosen bis jetzt noch keine ernsthafte Bewegung gegen Piacenza unternommen. Die Österreicher haben vollkommen recht, sich auf dein linken Po-Ufer konzentriert zu erhalten, solange sie keinen überwiegenden Grund haben, ihre ganze Armee auf das rechte Ufer zuwerfen; jede Teilung der Armee, à cheval <eine Aufstellung zu beiden Seiten> des Flusses, wäre ein Fehler, und die Brücke von Vaccarizza, mit ihrem Brückenkopf, reicht hin, ihnen den Übergang in jedem Augenblick zu gestatten und einen französischen Vormarsch gegen die Stradella in die Flanke zu nehmen.

Garibaldi hat an der Spitze von 5.000 Freiwilligen den österreichischen rechten Flügel umgangen und steht nun auf lombardischem Boden. Die Österreicher sind nach den jüngsten Nachrichten bereits in seinem Rücken, und er läuft große Gefahr, abgeschnitten zu werden, was dem Befreier Bonaparte sicher sehr angenehm wäre.

Prinz Napoleon Plon-Plon hat den Auftrag erhalten, in Livorno (Toskana) ein Armeekorps zu organisieren, das den Österreichern in die Flanke fallen soll. Die französischen Soldaten ärgern sich, und die Österreicher lachen.

Am Samstag und Sonntag versuchten die Sardinier, sich auf dem linken Sesia-Ufer festzusetzen, wurden aber durch die Österreicher daran verhindert.