Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 13, 7. Auflage 1971, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1961, Berlin/DDR. S. 269-270.

Karl Marx

Frieden oder Krieg

Geschrieben um den 8. März 1859.
Aus dem Englischen.


["New-York Daily Tribune" Nr. 5593 vorn 25. März 1859, Leitartikel]

<269> An anderer Stelle bringen wir den kürzlich im "Moniteur" erschienenen Artikel, der orakelhaft jede Absicht seitens seines Meisters und Inspirators Louis-Napoleon, Europa in einen Krieg zu stürzen, ableugnet - ein Artikel, der anscheinend die Börsenkurse hochgetrieben und die Befürchtungen der Alten Welt halb zerstreut hat. Wer diesen Artikel jedoch aufmerksam liest, wird darin wenig Gewähr für die Hoffnungen finden, die er erweckt hat. Außer der einfachen Behauptung, daß die Verpflichtungen des Kaisers gegenüber dem König von Sardinien sich nicht weiter als auf Beistandszusicherungen gegen eine österreichische Aggression erstrecken - Zusicherungen, die Viktor Emanuel keinesfalls nötig hatte, da es seine Truppen waren, die zur Verstärkung der französischen und englischen Armee vor Sewastopol gesandt worden waren -, sehen wir in diesem Manifest weiter nichts als eine neue Verhöhnung der öffentlichen Meinung. Praktisch fordert es die Welt auf, im Interesse des französischen Usurpators zu vergessen, daß er es war und nicht die Zeitungen, der Europa am ersten Tag dieses Jahres mit einer an Österreich über dessen Gesandten gerichteten willkürlichen und prahlerischen Drohung beunruhigte und erschütterte, daß seine Presse, seine Pamphletisten, sein Vetter <Joseph-Charles-Paul Bonaparte>, seine Rüstungen und Materialeinkäufe die von ihm selbst vorsätzlich erregte Kriegspanik hochgepeitscht und verbreitet haben. Dieser Artikel enthält keine Zeile, keinen Satz, aus denen sich eine Minderung seiner Ansprüche oder seiner Intrigen in Italien oder in der Moldau-Walachei entnehmen läßt. Er kann beschlossen haben, vor der öffentlichen Meinung Europas (Italien ausgenommen, Frankreich nicht aus- <270> genommen) zurückzuweichen, er kann aber auch beschlossen haben, die Sprache des Friedens und der Mäßigung vorzutäuschen, um gewaltige Börsenspekulationen zu vertuschen oder um diejenigen, die er überfallen will, in eine trügerische und verhängnisvolle Sicherheit zu wiegen. Sein neues Manifest deutet mit keinem Wort an, daß irgendeine Mäßigung in der Haltung Österreichs, eine Klärung des diplomatischen Himmels diesen Wechsel, der sich mehr im Ton als in der Haltung zeigt, bewirkt und gerechtfertigt habe. Und wer es für unwahrscheinlich hält, daß jemand, der in Kürze seine Blitze zu schleudern gedenkt, mit solchen Friedensversicherungen hervortritt, den müssen wir daran erinnern, daß es derselbe Louis-Napoleon ist, der unmittelbar vor seinem verräterischen Meuchelmord an der Französischen Republik sich bei einem Republikaner über den Zynismus beschwerte, ihn für fähig zu halten, eine solche Gemeinheit zu beabsichtigen. Wir betrachten daher dieses Manifest Napoleons als "einen Beschluß, durch den nichts beschlossen ist". Es ist nur ein weißer Haufen, der sich als harmloses Mehl oder als ein mehliger Kater entpuppen kann; aber darüber kann allein die Zeit entscheiden.

Was die Kommentare der Londoner "Times" durch bewußte Zurückhaltung andeuten, ist noch bedeutungsvoller als das, was sie offen aussprechen. Louis-Napoleon kann nie wieder der Halbgott der Börse und des Bourgeois werden. Hinfort regiert er allein durch das Schwert.