Inhaltsverzeichnis Artikel und Korrespondenzen von Januar bis Dezember 1859
Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 13, 7. Auflage 1971, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1961, Berlin/DDR. S. 220-224.
1. Korrektur
Erstellt am 04.08.1998
Aus dem Englischen.
["New-York Daily Tribune" Nr. 5592 vom 24. März 1859]
<220> London, 4. März 1859
Ich beabsichtige heute, einen Überblick über die beiden Fabrikberichte zu geben, auf die in einem früheren Artikel hingewiesen wurde. Der erste Bericht stammt von Herrn A. Redgrave, dessen Fabrikdistriikt Middlesex (London und Umgebung), Surrey, Essex, Teile von Cheshire, Derbyshire und Lancashire und den East Riding (Yorkshire) umfaßt. Dort wurden während des Halbjahrs, das mit dem 31. Oktober 1858 endet, 331 Unfälle durch Maschinen verursacht, von denen 12 tödlich verliefen. Herrn Redgraves Bericht befaßt sich fast ausschließlich mit einem Punkt, nämlich mit den Unterrichtsklauseln für Kinder, die in Fabriken und Stoffdruckereien arbeiten. Bevor der Fabrikant ein Kind oder eine junge Person für dauernde Beschäftigung in einer Fabrik oder Stoffdruckerei einstellen kann, ist er verpflichtet, eine Bescheinigung von dem amtlich qualifizierten Arzt zu verlangen, der gemäß 7 Vict. c. 15. sch. A verpflichtet ist, diese Bescheinigung zu verweigern, wenn die vorgestellte Person
"nicht die gewöhnliche Körperkraft und das Aussehen eines Kindes von mindestens acht Jahren oder einer jungen Person von mindestens dreizehn Jahren hat, oder wenn sie wegen Krankheit oder körperlicher Gebrechen unfähig ist, täglich in der Fabrik während der vom Gesetz gestatteten Zeit zu arbeiten".
Kinder von acht bis dreizehn Jahren sind gesetzlich von einer Vollzeit-Beschäftigung ausgeschlossen und haben einen Teil ihrer Zeit dem Schulbesuch zu widmen; der Arzt ist daher nur ermächtigt, ihnen Halbzeit-Bescheinigungen auszustellen. Nun scheint es nach Herrn Redgraves Bericht, daß einerseits die Eltern, wenn sie für ihre Kinder Vollzeit-Löhne erhalten <221> können, bestrebt sind, sie vom Schulbesuch und halber Entlohnung abzuhalten, während andererseits die Fabrikbesitzer von den jugendlichen Arbeitern nur erwarten, daß sie kräftig genug sind, ihre jeweilige Arbeit zu leisten. Während die Eltern Vollzeit-Löhne wollen, sucht der Fabrikant den Vollzeit-Arbeiter. Die folgende Annonce, die im Lokalblatt einer bedeutenden Manufakturstadt in Herrn Redgraves Distrikt erschien und die einen sonderbaren Beigeschmack von Sklavenarbeit besitzt, zeigt, wie die Fabrikbesitzer sich dem Buchstaben nach an die Festlegungen des Gesetzes halten..
"Gebraucht 12 bis 20 Jungen, nicht jünger als was für 13 Jahre passieren kann ... Lohn 4 Schilling per Woche."
Tatsächlich ist der Fabrikherr gesetzlich nicht verpflichtet, sich eine Bescheinigung von authentischer Stelle über das Alter des Kindes zu verschaffen, sondern er benötigt nur ein Gutachten, das sich auf das Aussehen des Kindes stützt. Gegen das Halbzeit-System, das auf dem Prinzip beruht, daß Kinderarbeit nicht gestattet werden sollte, wenn das Kind nicht neben dieser Beschäftigung täglich eine Schule besucht, protestieren die Fabrikanten aus zwei Gründen: Sie erheben Einspruch dagegen, daß sie die Verantwortung für den Schulbesuch der Halbzeit-Kinder (Kinder unter 13 Jahren) tragen sollen, und sie finden es billiger und weniger mühsam, eine Reihe Kinder zu beschäftigen statt zwei Reihen, die jeweils im Wechsel 6 Stunden arbeiten. Das erste Ergebnis der Einführung des Halbzeit-Systems war daher die nominelle Verminderung der Zahl der in den Fabriken beschäftigten Kinder unter 13 Jahren um beinahe die Hälfte; von 56.455 im Jahre 1835 war sie 1838 auf 29.283 gesunken. Diese Verminderung war deshalb weitgehend rein nominell, weil die Gefälligkeit der amtlich qualifizierten Ärzte eine plötzliche Veränderung im jeweiligen Alter der jugendlichen Arbeiter des Vereinigten Königreichs bewirkte. Im gleichen Maße, wie die amtlich qualifizierten Ärzte durch die Fabrikinspektoren und Unterinspektoren strenger überwacht wurden und das wirkliche Alter der Kinder von den Standesbeamten leichter zu erfahren war, setzte nach 1838 eine entgegengesetzte Bewegung ein. Die Zahl der in Fabriken beschäftigten Kinder unter 13 Jahren stieg von 29.283, auf die sie 1833 gesunken war, 1850 wieder auf 35.122 und 1856 auf 46.071, wobei letztere offizielle Angabe weit davon entfernt ist, die wahren Ausmaße derartiger Beschäftigung zu zeigen. Auf der einen Seite gelingt es vielen amtlich qualifizierten Ärzten immer noch, der Wachsamkeit der Inspektoren zu entgehen, und auf der anderen Seite wurden viele tausend Kinder mit elf Jahren aus der Schule und dem Halbzeit-System durch die Änderung des Gesetzes in bezug auf Seidenfabriken herausgenommen,
"ein Opfer, das", wie einer der Fabrikinspektoren sagt, "den Fabrikbesitzern dienlich gewesen sein mag, das sich aber als schädlich für das soziale Wohlergehen der Seidendistrikte erwiesen hat".Obgleich wir daraus schließen können, daß die Zahl der jetzt in den Fabriken und Stoffdruckereien des Vereinigten Königreichs beschäftigten Kinder zwischen acht und dreizehn Jahren die Zahl der 1835 Beschäftigten gleichen Alters übersteigt, kann kein Zweifel darüber bestehen, daß das Halbzeit-System einen großen Teil dazu beitrug, Erfindungen zwecks Abschaffung der Kinderarbeit zu stimulieren. So stellt Herr Redgrave fest:
"Eine Gruppe von Fabrikanten, die Spinner von Wollgarn, beschäftigt tatsächlich heute selten Kinder unter dreizehn Jahren, d.h. Halbzeitler. Sie haben verbesserte und neue Maschinen verschiedener Art eingeführt, durch die eine Verwendung von Kindern ganz überflüssig wurde; als Beispiel will ich zur Illustration für diese Verminderung der Zahl der Kinder einen Arbeitsprozeß erwähnen, bei dem zu den bestehenden Maschinen ein Apparat, genannt Anstückmaschine, angeschlossen wurde, durch den die Arbeit von sechs oder vier Halbzeitlern, je nach der Beschaffenheit der einzelnen Maschine, von einer jugendlichen Person geleistet werden kann."
Wie die moderne Industrie, zumindest in den Ländern der Alten Welt, danach strebt, Kinder zur Lohnarbeit zu treiben, ist erneut durch jüngste Beispiele in Preußen illustriert worden. Das Fabrikgesetz Preußens vom Jahre 1853 ordnete an, daß nach dem 1. Juli 1855 kein Kind in einer Fabrik beschäftigt werden soll, ehe es sein 12. Jahr vollendet hat, und daß Kinder zwischen 12 und 14 Jahren nicht länger als 6 Stunden täglich beschäftigt werden und mindestens 3 Stunden täglich die Schule besuchen sollen. Dieses Gesetz begegnete einer solchen Opposition der Fabrikanten, daß die Regierung nachgeben mußte und es nicht in ganz Preußen, sondern probeweise nur in Elberfeld und Barmen einführte, zwei zusammenhängenden Fabrikstädten, die eine große Fabrikarbeiter-Bevölkerung haben, welche mit Spinnen, Kalikodrucken usw. beschäftigt ist. Im "Jahres-Bericht der Handels-Kammer" von Elberfeld und Barmen für 1856 werden der preußischen Regierung folgende Angaben gemacht:
"Besonders nachteilig auf den hiesigen Betrieb wirkte die durch die allgemeine Gewerbtätigkeit hervorgerufene Steigerung der Arbeitslöhne, sowie die erhöhten Preise der Steinkohlen und sämtlicher zum Betrieb erforderlichen Materialien, als Leder, Öl, Metalle und sonstige Zutaten. Neben diesen Übelständen äußert aber auch die strenge Durchführung des Gesetzes vom 16. Mai 1853 über die Beschäftigung der jugendlichen Arbeiter in den Fabriken fortwährend den nachteiligsten Einfluß. Es wird den Spinnereien dadurch nicht allein die erforderliche Anzahl von Kindern entzogen, sondern auch die frühere Heranbildung derselben zu geschick- <223> ten Kunstarbeitern unmöglich gemacht. Durch den Mangel an solchen jugendlichen Arbeitern kamen sogar in verschiedenen Etablissements Maschinen zum Stillstand, da deren Wartung nicht von Erwachsenen verrichtet werden konnte. Eine Modifikation jenes Gesetzes, wodurch die Schulpflichtigkeit der Kinder nach Maßgabe ihrer erworbenen Kenntnisse abgekürzt und alsdann deren Eintritt in die Fabriken erlaubt würde, erscheint daher sowohl für die bessere Subsistenz der zahlreichen Arbeiterfamilien als auch für die Fabrikbesitzer gleich wünschenswert."
Der letzte der Fabrikberichte, verfaßt von Herrn Baker, Inspektor für Irland, zeichnet sich aus durch eine Analyse der Ursachen, die zu Unfällen geführt haben, und durch einen Überblick über den Stand des Geschäftes. Zum ersten Punkt stellt Herr Baker fest, daß sich auf je 340 Personen ein Unfall ereignete, was eine Zunahme um 21 Prozent gegenüber dem vorhergehenden Halbjahr, das mit Ende April abschloß, bedeutet, und daß von den Unfällen, die sich en Maschinen ereigneten - nur 10 Prozent aller Unfälle stehen nicht mit Maschinen im Zusammenhang -, etwa 40 Prozent hätten vermieden und verhütet werden können durch geringfügige Ausgaben, die jedoch
"infolge der kürzlich erfolgten Gesetzesänderung jetzt sehr schwer zu veranlassen sein werden, da Vermahnungen allein nicht wirken".
Der Stand des Geschäftes, versichert Herr Baker, ist besser geworden, aber nach seiner Ansicht ist
"in einigen Fällen das Maximum schon erreicht worden, worüber hinaus die Fabrikation immer weniger profitlich wird, bis sie endlich ganz aufhört, Profit zu liefern".
Die Veränderungen in der Relation zwischen dem Preis des Rohstoffs und der Fertigwaren gemeinsam mit der Vermehrung der Maschinerie führt er mit Recht als eine der Hauptursachen dafür an, daß sich der Zyklus guter und schlechter Zeiten verkürzt. Herr Baker führt als Beispiel die Veränderungen im Kammgarn-Geschäft an:
"Während der gewinnreichen Jahre im Worsted-Geschäft 1849 und 1850 stand der Preis englischer Kammwolle auf 13 Pence und von australischer 14 bis 17 Pence per Pfund, und im Durchschnitt der zehn Jahre 1841 bis 1850 stieg der Durchschnittspreis englischer Wolle nie über 14 Pence und australischer über 17 Pence per Pfund. Im Anfang des Unglücksjahrs 1857 stand australische Wolle auf 23 Pence; sie fiel im Dezember, in der schlimmsten Zeit der Panik, auf 18 Pence, ist aber im Lauf des Jahres 1858 wieder auf 21 Pence gestiegen. Englische Wolle fing mit 20 Pence an, stieg im April und September 1857 auf 21 Pence, fiel im Januar 1858 auf 14 Pence, und ist seitdem auf 17 Pence gestiegen. so daß sie 3 Pence per Pfund höher steht als der Durchschnitt der angeführten zehn Jahre. Dies zeigt, daß entweder die Fallimente von 1857, die ähnlichen Preisen geschuldet waren, vergessen sind; oder daß nur knapp soviel Welle produziert wird, wie die vorhandenen Spindeln verspinnen können."
<224> Im ganzen scheint Herr Baker der Ansicht zu sein, daß Spindeln und Webstühle sich sowohl an Zahl als auch an Geschwindigkeit in einem Verhältnis vermehren, wie es die Produktion von Wolle nicht rechtfertigt. In England existieren in dieser Hinsicht keine zuverlässigen Statistiken, aber die landwirtschaftlichen Statistiken von Irland, welche die Polizeibehörde, und jene von Schottland, welche Herr Hall Maxwell zusammenstellt, genügen für alle praktischen Zwecke. Sie zeigen, daß, während 1857 in beiden Ländern einige Getreidearten und die tierischen Erzeugnisse im allgemeinen wesentlich zunahmen, Schafe eine Ausnahme bildeten; ihre Zahl war in Irland 1858 um 114.557 geringer als 1855; und obgleich 1858 eine Zunahme von 35.533 gegenüber 1857 erfolgte, war die Gesamtzahl um 95.177 geringer als selbst der Durchschnitt der drei vorangegangenen Jahre, hauptsächlich bei Mutterschafen. In Schottland sieht es nicht anders aus:
Zuchtschafe aller Altersstufen |
Schlachtschafe aller Altersstufen |
Lämmer |
|||
1856 |
2.714.301 |
1.146.427 |
1.953.832 |
||
1857 |
2.632.283 |
1.181.782 |
1.869.103 |
||
Abnahme |
82.018 |
Zunahme |
35.355 |
Abnahme |
86.729 |
Es zeigt sich nicht nur eine allgemeine Abnahme an Schafen in Höhe von 133.392, sondern auch, daß mehr Schafe für Ernährungszwecke aufgezogen wurden als zuvor. Hieraus ist zu ersehen, wenn wir das Gewicht eines Vlieses auf 7 Pfund veranschlagen, daß Irland, während es 1855 imstande war, 16.810.934 Pfund Wolle zu liefern, die Lämmer nicht gerechnet, 1858 nur 16.276.330 Pfund zu liefern vermochte, und daß 1857 die Verminderung der Wollproduktion in Schottland, ebenfalls ohne die Lämmer zu rechnen, 326.641 Pfund betrug. Der Totalausfall an Wolle in beiden Ländern war 861.245 Pfund oder beinahe genau der fünfundneunzigste Teil der ganzen heimischen Wolle, die schätzungsweise jährlich für den Verbrauch im Kammgarngeschäft benötigt wird.