Inhaltsverzeichnis Artikel und Korrespondenzen von Januar bis Dezember 1859

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 13, 7. Auflage 1971, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1961, Berlin/DDR. S. 189-194.

1. Korrektur
Erstellt am 04.08.1998

Friedrich Engels

Die deutschen Ressourcen für den Krieg

Geschrieben am 10. Februar 1859.
Aus dem Englischen.


["New-York Daily Tribune" Nr. 5582 vom 12. März 1859]

<189> Die kürzlichen Prahlereien Louis-Napoleons über die Stärke der Truppen, die er gegen Österreich zu führen vermag, haben bewirkt, daß in den Zeitungen Deutschlands ähnliche Untersuchungen erschienen, die sich mit den militärischen Ressourcen beschäftigen, welche voraussichtlich im Falle eines Krieges gegen ihn vereinigt werden können. Diese Angaben erheben jedoch im allgemeinen nur geringen Anspruch auf Genauigkeit oder Gründlichkeit im Detail, und wir sahen uns deshalb genötigt, hinsichtlich der Tatsachen und Zahlen, die wir nun unseren Lesern vorlegen wollen, zu authentischen und offiziellen Dokumenten zu greifen.

Die Armee Österreichs ist natürlich bei weitem die stärkste unter den Armeen, die in einem solchen Krieg gegen Frankreich zum Einsatz kommen würden. Ihre Infanterie besteht aus 62 Linienregimentern (jedes aus 1 Grenadierbataillon, 4 Linienbataillonen und 1 Depotbataillon zusammengesetzt) mit 310 aktiven und 62 Depotbataillonen, 14 Grenzregimentern (je 2 Feldbataillone und 1 Ersatzbataillon) mit 28 aktiven und 14 Ersatzbataillonen (neben einem zur Disposition gestellten Bataillon) und 32 Schützenbataillonen. Die Stärke der österreichischen Bataillone ist unterschiedlich, sie schwankt zwischen vier und sechs Kompanien. Bei vollem Bestand erreicht die Infanterie folgende Gesamtstärke:

Linie

370.000 Mann

Grenzregimenter

55.000 Mann

Schützen

  32.000 Mann

Insgesamt, einschließlich Depots

470.000 Mann

Die Linien- und Grenzregimenter sind mit glattläufigen Perkussionsmusketen bewaffnet, deren Schlösser eine sonderbare, nicht sehr bewunde- <190> rungswürdige Konstruktion aufweisen; es sind aber immerhin recht taugliche Musketen. In den Grenzregimentern besitzt jede Kompanie zwanzig gezogene Gewehre. Die 32 Schützenbataillone sind gänzlich mit gezogenen Gewehren ausgerüstet, doch ist deren Reichweite viel geringer als die des französischen Minié- oder des englischen Enfield-Gewehrs. Die Infanterie ist durchweg erstklassig, und die Soldaten können es mit allen anderen in Europa aufnehmen, obwohl bei einem Vergleich mit der englischen oder preußischen Infanterie, wo jeder Soldat eine gezogene Muskete mit großer Reichweite trägt, die schlechtere Bewaffnung sich nachteilig auswirken muß. Gegenüber französischen oder russischen Truppen bestünde dieser Nachteil nicht, wenn wir von den 20 Bataillonen französischer Jäger absehen und solange die Bewaffnung der französischen Linieninfanterie nicht geändert wird.

Die österreichische Kavallerie zählt 10 schwere und 24 leichte Regimenter, erstere mit 6, letztere mit 8 Eskadronen, außerdem 1 Depoteskadron pro Regiment. Eine schwere Eskadron hat 194, eine leichte 227 Mann. Mit einem solchen Bestand ist ein österreichisches Kavallerieregiment stärker als eine französische Reiterbrigade. Die ganze Truppe ist 67.000 Mann stark, außerordentlich gut beritten, und der größte Teil der leichten Kavallerie rekrutiert sich aus zwei Reiternationen, den Ungarn und den Polen. Es gibt keinen Zweifel, daß diese 67.000 Mann den 81.000 französischen Kavalleristen, die Louis-Napoleon aufstellen will, mehr als gleichwertig sein würden. Die österreichische Kavallerie ist im Augenblick zweifellos ohne jede Konkurrenz.

Die Artillerie besteht aus 12 Feldregimentern mit jeweils 13 Batterien zu je 8 Geschützen, 1 Küstenregiment und 1 Raketenregiment mit 20 Batterien, das sind insgesamt 1.248 Geschütze, 240 Raketenwagen und 50.000 Mann. Die Pioniere, Sanitätstruppen usw. belaufen sich auf weitere 20.000 Mann.

Die Friedensstärke der gesamten Armee einschließlich Train usw. würde 580.000 bis 600.000 Mann betragen. Davon sind gewöhnlich fast 200.000 Mann - und das trifft bis zu diesem Augenblick zu - beurlaubt, also stehen gegenwärtig 400.000 unter den Fahnen. Doch nicht nur sie, sondern auch noch 120.000 Mann der Reserve (die nach achtjähriger Dienstzeit entlassen werden und für zwei weitere Jahre dienstverpflichtet sind) können im Kriegsfall einberufen werden; und wenn wir den Behauptungen österreichischer Zeitungsschreiber glauben können, kann das ganze Heer in 14 Tagen unter Waffen stehen. Doch die Ressourcen des Kaiserreichs sind damit noch nicht erschöpft. Das Grenzgebiet ist vom Reservedienst ausgenommen, doch ist dort jeder Mann bis zum 60. Lebensjahr Soldat und jederzeit bereit, zu seinem Regiment gerufen zu werden. Dieses Gebiet lieferte 1848 die Truppen, die Radetzky in Italien und mit ihm die österreichische Monarchie retteten. <191> Es ist noch nicht vergessen, wie Bataillon auf Bataillon aus diesen zähen Slawonen formiert und nach Italien geschickt wurde, während die Armee, die zur gleichen Zeit Wien den Insurgenten entriß, sich aus dem gleichen Menschenschlag rekrutierte. Dieses Gebiet, dessen Kontingent für gewöhnliche Zwecke auf 55.000 Mann begrenzt ist, kann notfalls 200.000 Soldaten ins Feld schicken. Somit würde die österreichische Armee mit den Reserven und mit nur 80.000 Mann zusätzlich aus dem Grenzgebiet insgesamt 800.000 Mann zählen, zu denen noch über 100.000 Grenzsoldaten so schnell hinzukommen, wie die Bataillone aufgestellt werden können. Angenommen Österreich hätte das nötige Geld, dann wäre es allein völlig imstande, seine italienischen Besitzungen gegen das vereinigte Frankreich und Piemont zu verteidigen.

Als nächstes kommt Preußen. Die Infanterie dieses Königreichs besteht aus 36 Linien- und Garderegimentern mit 108 Bataillonen, 9 Reserveregimentern mit 18 Bataillonen, 8 Reservebataillonen und 10 Schützenbataillonen, alles in allem 144 Bataillone, deren Kriegsstärke etwa 150.000 Mann beträgt. Dazu kommt das erste Aufgebot der Landwehr <Landwehr: in der "N.-Y. D. T." hier und im weiteren Text deutsch> , 116 Bataillone mit etwa 120.000 Mann, zusammen 270.000 Mann. In Kriegszeiten werden aus den 8 Reservebataillonen 36 Depotbataillone für die 36 Linienregimenter formiert, und die 9 Reserveregimenter mit ihren entsprechenden 9 Landwehrbataillonen werden für den Garnisondienst bestimmt, so daß eine aktive Feldtruppe von 228 Bataillonen mit etwa 230.000 Mann verbleibt.

Die Kavallerie besteht aus 38 Linienregimentern zu je 4 Eskadronen, also 152 Eskadronen, und 34 Regimentern mit 136 Eskadronen des ersten Aufgebots der Landwehr, zusammen etwa 49.000 Mann.

Artillerie: 9 Regimenter mit jeweils 11 Batterien zu je 8 Geschützen und 4 Kompanien für den Festungsdienst - insgesamt 792 Feldgeschütze und 20.000 Mann.

Die Genietruppen, der Train usw. haben eine Gesamtstärke von 40.000 Mann.

Alles zusammengenommen verfügt Preußen über eine Armee von 380.000 Mann der Linie und des ersten Aufgebots der Landwehr, wovon mindestens 340.000 zum Felddienst tauglich sind. Das zweite Aufgebot der Landwehr ist nicht organisiert und allein für den Festungsdienst bestimmt. Im Falle eines Krieges jedoch könnte das zweite Aufgebot, soweit es die Infanterie und die Artillerie betrifft, in etwa vier Monaten auf einen erträglichen <192> Leistungsstand gebracht werden; die Kavallerie wird wohl kaum jemals zum aktiven Dienst fähig sein. Auf alle Fälle kann mit 100.000 bis 120.000 Mann aus dieser Quelle fest gerechnet werden, die wiederum die gleiche Anzahl Liniensoldaten vom Garnisondienst freisetzen. Die preußische Armee kann also 500.000 Mann auf die Beine bringen, wozu noch eine Menge ausgebildeter Leute kommen, für die im ersten Aufgebot der Landwehr kein Platz vorhanden war und die für neue Formationen verwendet werden könnten.

Infolge der kurzen Dienstzeit (drei Jahre) und der Tatsache, daß das ganze erste Aufgebot der Landwehr durchschnittlich vier bis fünf Jahre (mit wenigen und kurzen Unterbrechungen) nicht im Armeedienst stand, ist die preußische Armee, was die Soldaten angeht, bei Ausbruch eines Krieges der österreichischen nicht gleichwertig. Die Preußen haben jedoch einen besonderen Hang für das Militärische, und wenige Wochen aktiver Felddienst werden stets gute Soldaten aus ihnen machen. Preußen hat vor allem den ersten Monat oder die ersten zwei Monate eines Krieges zu furchten. Über die Hälfte der Armee besteht aus einer Miliztruppe; sie ist daher für einen Angriffskrieg wenig geeignet, doch wird sie um so besser in einem Verteidigungskrieg bestehen, denn mit Ausnahme der Schweiz ist die Armee nirgendwo eine so wirklich nationale Einrichtung wie in Preußen. Was die Bewaffnung betrifft, so sind die gesamten Garden und ein Bataillon jedes Linienregiments mit den neuen Zündnadelgewehren ausgerüstet, die eine Reichweite von 1.000 Yard haben und, das englische Enfield-Gewehr ausgenommen, weiter schießen als alle anderen im Gebrauch befindlichen Musketen Die übrigen Linientruppen sind mit der einfachen Muskete bewaffnet, derer Lauf jedoch durch ein sehr einfaches Verfahren nach dem Prinzip Miniés mit Zügen versehen wurde und die an Reichweite und Genauigkeit dem echten Minié-Gewehr wenig nachsteht. Wenn das erste Aufgebot der Landwehr einberufen wird, erhält es ebenfalls das Zünelnadelgewehr. Damit hat die preußische Infanterie, mit Ausnahme der britischen, die beste Bewaffnung von allen Infanterietruppen Europas.

Für die Armee des Deutschen Bundes stellt Österreich das erste, zweite und dritte, Preußen das vierte, fünfte und sechste Armeekorps. Das siebente Korps wird von Bayern gestellt. Bayern ist verpflichtet, ein einfaches Kontingent von 36.500 Mann und 17.800 Mann Reserve, insgesamt 54.300 Mann, aufzubringen. Doch die bayrische Armee ist wesentlich stärker, nämlich 54 Bataillone Infanterie mit 54.000 Mann, 56 Eskadronen Kavallerie mit 9.000 Mann, 224 Geschütze und 5.600 Mann Artillerie, außerdem Genietruppen usw., zusammen mehr als 72.000 Mann; dazu kommt die Reserve, <193> der alle entlassenen Soldaten vom 27. bis zum 40. Lebensjahr angehören und die für die Aufstellung neuer Formationen verwendet werden kann.

Das achte Korps umfaßt an Kontingent und Reserve:

Soldaten

Soldaten

Württemberg

21.000

Tatsächliche Armee

19.000

Baden

15.000

Tatsächliche Armee

15.000

Hessen-Darmstadt

  9.300

Tatsächliche Armee

  10.500

Geforderte Stärke

45.300

Tatsächliche Stärke

44.500

Das neunte Korps (Kontingent und Reserve) soll 36.000 Mann zählen; die Armeen, aus denen es sich zusammensetzt, umfassen tatsächlich 44.000 Mann.

Das zehnte Korps soll 42.000 Mann umfassen, und wir nehmen an, daß die ihm zugehörigen Armeen etwa diese Stärke erreichen werden. Die Reservedivision (Kontingente der kleinen Staaten) ist etwa 17.000 Mann stark. Eine allgemeine Zusammenfassung ergibt also:

Soldaten

Österreich

800.000

Preußen

400.000

Bayern

70.000

Achtes Korps

45.000

Neuntes Korps

44.000

Zehntes Korps

42.000

Reservedivision

     17.000

Insgesamt

1.418.000

Von dieser kolossalen Streitmacht befinden sich die 213.000 Mann der letzten fünf Gruppen ständig in Bereitschaft und bilden nur die reguläre Friedensstärke der entsprechenden Staaten nach Einberufung aller auf Urlaub befindlichen Männer. Diese Staaten könnten daher mit Leichtigkeit 100.000 bis 150.000 Mann mehr stellen, doch da für sie keine Formationen existieren, haben wir sie, ebenso wie das zweite Aufgebot der preußischen Landwehr, überhaupt nicht mitgezählt. Österreich kann mit Sicherheit innerhalb von vierzehn Tagen 700.000 Mann unter Waffen haben. In Preußen würde es noch weniger Zeit erfordern, durch Einberufung der Kriegsreserve (auf Urlaub befindliche Soldaten) die Linientruppen auf ihre volle Stärke von 225.000 Mann zu bringen. Deutschland kann also innerhalb von vierzehn Tagen etwa 1.150.000 Mann ins Feld führen, einen Monat später weitere 270.000, und dann sind noch das ganze preußische zweite Aufgebot, die ganze <194> bayrische Reserve und ungefähr 100.000 österreichische Grenzsoldaten verfügbar. Und erst wenn diese Reserven erschöpft sind, dann, und nur dann, werden außergewöhnliche Anstrengungen nötig sein.

Die Streitkräfte die Deutschland zur Verfügung stehen, sind demnach so gewaltig, daß sie, wenn sie unter einer einigen und festen Führung stehen, keinen von Frankreich, Italien und Rußland gleichzeitig geführten Angriff zu fürchten brauchen. Ob sie eine solche Führung haben werden, ist natürlich zweifelhaft; aber wenn in einem allgemeinen Krieg kleinliche Eifersüchteleien, Unentschlossenheit und Routine die Aktionen dieser Armeen beeinträchtigen und Niederlagen herbeiführen sollten, dann können die jetzigen Regierungen Deutschlands ihre Koffer packen, dann werden sie sich schleunigst aus dem Staube machen müssen. Das Deutschland von 1859 unterscheidet sich von dem Deutschland des Friedens von Basel und der Niederlagen von Jena, Austerlitz und Wagram wie das heutige Frankreich von dem revolutionären Frankreich des Jahres 1793; und wenn das Jahr 1848 nichts weiter erreicht hat, so hat es doch in allen Teilen des Landes ein deutsches Nationalgefühl erzeugt, sogar in denen, die früher französischer Sympathien bezichtigt wurden. Louis-Napoleon mag versuchen, in Italien den Befreier zu spielen, aber er darf dieses Spiel nicht am Rhein wagen; und selbst wenn er im Kriege Teilerfolge haben sollte, würde er nur eine Revolution in Deutschland hervorrufen, die seine schließliche Niederlage sichern und durch die Kraft ihres Beispiels seinen eigenen, schon wankenden Thron in Gefahr bringen würde.