Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 12, Berlin/DDR 1961. S. 644-648.

Karl Marx

[Das Projekt der Brotpreisregulierung in Frankreich]

Geschrieben um den 19. November 1858.
Aus dem Englischen.


"New-York Daily Tribune" Nr. 5507 vom 15. Dezember 1858, Leitartikel.

<644> Der Kaiser der Franzosen hat gerade die Ausführung eines seiner Lieblingsprojekte unternommen, nämlich die Regulierung des Brotpreises in seinem ganzen Reich. Diese Idee hat er schon 1854 in seiner Rede vor dem Corps législatif anläßlich der Kriegserklärung an Rußland mit Bestimmtheit angekündigt. Seine damalige Erklärung zu dieser Sache ist wert zitiert zu werden; wir geben sie wie folgt wieder:

"Vor allem empfehle ich Ihrer Aufmerksamkeit das jetzt von der Stadt Paris angenommene System, denn wenn es, wie ich hoffe, sich über ganz Frankreich erstrecken wird, wird es in Zukunft jene extremen Schwankungen des Kornpreises verhüten, die in Zeiten des Überflusses die Landwirtschaft wegen des niedrigen Weizenpreises darben lassen und in Jahren der Knappheit wegen der Verteuerung des Weizens den ärmeren Klassen so großes Leid bringen. Dieses System besteht darin, in allen großen Bevölkerungszentren ein Kreditinstitut, eine sogenannte Bäckerbank (Caisse de la Boulangerie) zu errichten, die während der Teuerungsjahre Brot zu einem unendlich niedrigeren Preise als dem offiziellen Marktpreis abgeben könnte unter der Bedingung, daß sein Preis in den Jahren des Überflusses etwas höher liegen wird. Da die guten Ernten im allgemeinen zahlreicher sind als die schlechten, ist leicht einzusehen, daß der Ausgleich zwischen beiden mit Leichtigkeit vorgenommen werden kann. Hinzu kommt der ungeheure Vorteil, daß man Kreditgesellschaften finden wird, die, anstatt am Steigen des Brotpreises zu verdienen, wie jedermann sonst an seiner Billigkeit interessiert sein würden; denn im Gegensatz zu dem, was es bisher gab, würden solche Gesellschaften in Zeiten der Fruchtbarkeit Geschäfte machen und in den Jahren der Teuerung Geld verlieren."

Das hier verfochtene Prinzip ist, daß Brot "unendlich" unter seinem Marktpreis in schlechten und nur "ein wenig" über demselben Preis in guten Zeiten verkauft werden soll, wobei sich der Ausgleich aus der Hoffnung ergeben müßte, daß die guten Jahre bei weitem die knappen überwiegen werden. <645> Als ein kaiserliches Dekret im Dezember 1853 die Bäckerbank in Paris gründete, wurde der Höchstpreis für ein Vierpfund-Brot auf 40 Centimes festgesetzt; die Bäcker wurden ermächtigt, für ihre Verluste Entschädigung von der Bank zu fordern; die Bank ihrerseits bildete ihren Fonds durch die Ausgabe von Obligationen, die von der Pariser Munizipalität garantiert wurden; diese wiederum bildete den Garantiefonds, indem sie neue Schulden einging und die Akzise-Abgaben für Konsumtionsgüter an den Toren von Paris erhöhte.

Eine gewisse Summe wurde außerdem direkt durch die Regierung aus der Staatskasse beigesteuert. Ende 1854 hatten die so von der Pariser Munizipalität eingegangenen Schulden zusammen mit dem Geld der Regierung schon eine Summe von achtzig Millionen Francs erreicht. Die Regierung sah sich dann gezwungen, ihre Schritte zurückzunehmen und den Höchstpreis für ein Laib Brot nacheinander auf 45 und 50 Centimes zu erhöhen. So hatte die Pariser Bevölkerung in Form der erhöhten Akzisen teilweise abzuzahlen, was sie am Brotpreis sparte, und das übrige Frankreich hatte eine allgemeine Armengebühr für die Metropole zu zahlen in Form der direkten Regierungssubvention, die der Munizipalität von Paris gewährt wurde. Das Experiment erwies sich jedoch als ein völliger Fehlschlag, da der Pariser Brotpreis während der schlechten Zeiten von 1855 bis 1857 über das offizielle Maximum gestiegen und während der reichen Ernten von 1857 und 1858 darunter gesunken war.

Keineswegs entmutigt durch das Mißlingen seines Experiments in einem verhältnismäßig kleinen Maßstab, hat es Louis-Napoleon jetzt unternommen, durch einen höchsteigenen Ukas das Bäckergewerbe und den Getreidehandel in ganz Frankreich zu organisieren. Vor einigen Wochen versuchte eine seiner Zeitungen in Paris, die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, daß eine "Getreidereserve" in allen bedeutenden Städten eine Notwendigkeit wäre. Das Argument war, daß in den schlimmsten Jahren der Knappheit das größte Defizit an Getreide gleich dem Verbrauch der Gesamtbevölkerung in 28 Tagen gewesen wäre und daß die Durchschnittszahl aufeinanderfolgender schlechter Jahre drei sei. Unter diesen Voraussetzungen wurde errechnet, daß "eine effektive Reserve für drei Monate alles sein wird, was nach menschlicher Voraussicht benötigt wird". Wenn diese Reserve sich nur auf Städte mit einer Mindestbevölkerung von 10.000 Einwohnern erstrecken soll, deren Gesamtbevölkerung in Frankreich (Paris ausgenommen) sich auf 3.776.000 Seelen beläuft, wenn jeder Mensch durchschnittlich in drei Monaten 45 Kilogramm Weizen verbraucht und der gegenwärtige Weizenpreis etwa 14 frs. je Hektoliter beträgt, dann würde eine solche Reserve entsprechend diesen Betrachtungen zwischen 31.000.000 und 32.000.000 frs. kosten! Nun, am 18. November veröffentlichte der "Moniteur" ein Dekret mit folgendem Wortlaut:

<646> "Art. 1. Die Reserve der Bäcker in allen Städten, in denen das Bäckergewerbe durch Dekrete und Verordnungen reguliert ist, soll jene Getreide- oder Mehlmenge betragen, die zur Belieferung des täglichen Bedarfs jeder Bäckerei während drei Monaten notwendig ist.

Art. 2. Innerhalb eines Monats von diesem Datum gerechnet sollen die Departementspräfekten, nachdem sie die Munizipalitäten konsultiert haben, entscheiden, ob die Reserven in Getreide oder Mehl angelegt werden sollen, und den Zeitraum festsetzen, innerhalb dessen sie zu beschaffen sind, ebenso den Anteil davon, der in öffentlichen Lagerhäusern aufbewahrt werden kann."

Diesem Dekret ist eine Liste der Städte beigefügt, "in denen das Bäckergewerbe reguliert wird" und die infolgedessen Reserven anzulegen haben. Die Liste umfaßt alle Städte Frankreichs mit einem gewissen Bedeutungsgrade, außer Paris und Lyon, in denen schon Reserven vorhanden sind und die folglich nicht unter die Bestimmungen dieses Dekrets fallen. Alles in allem gibt es nicht weniger als 161 Städte, und unter ihnen sind Marseille, Saint Quentin, Moulins, Caen, Angoulême, Dijon, Bourges, Besançon, Evreux, Chartres, Brest, Nîmes, Toulouse, Bordeaux, Montpellier, Rennes, Tours, Grenoble, Saint Etienne, Nantes, Orléans, Angers, Reims, Chalon, Metz, Lille, Douai, Valenciennes, Beauvais, Arras, Saint Omer, Calais, Boulogue-sur-Mer, Straßburg, Mülhausen, Rouen, Le Havre, Mâcon, Le Mans, Amiens, Abbeville und Toulon. Nach der letzten Volkszählung kann die Bevölkerung der 161 Städte jetzt mit etwa 8.000.000 angesetzt werden! Das ergibt dann 5.500.000 Hektoliter im Werte von 70.000.000 bis 80.000.000 Francs für die Reserven. Bei Übermittlung des Dekrets durch Rundschreiben an die Präfekten der Departements teilt der Minister für Landwirtschaft und Handel ihnen mit, daß sie, obgleich sie "die Bäcker nicht zwingen sollen, die ihnen durch das Dekret auferlegten Verpflichtungen übereilt zu erfüllen", sie den für die Ausführung dieser Maßnahme gestatteten Zeitraum "innerhalb vernünftiger Grenzen festlegen" müssen. Er überläßt es den Präfekten, aus örtlichen Rücksichten zu entscheiden, ob die Reserven in Getreide oder in Mehl angelegt werden sollen. Er teilt ihnen anschließend mit, daß die gegenwärtige Maßnahme, so umfassend sie auch ist, als erweiterungsfähig angesehen werden kann.

"Die Regierung übertreibt nicht, Herr Präfekt, die Bedeutung der Maßnahme, die ich beschrieben habe. Sie ist sich klar darüber, daß das Dekret nur einen kleinen Teil der Bevölkerung betrifft, und hat sich daher mit der Möglichkeit befaßt, ihren Aktionsradius zu vergrößern. Die Einwohner von Flecken und Dörfern backen ihr eigenes Brot und nehmen von ihrer Ernte die Menge Weizen, die für ihre Familien für die Dauer eines Jahres notwendig ist. Die Einmischung der Regierung würde, was diese Familien angeht, nutzlos und unmöglich sein. Aber in einer gewissen Zahl von Haupt- <647> städten der Departements und einer größeren Anzahl Arrondissements- und Kantonalzentren und sogar in großen Dörfern stellen die Bäcker einen bedeutenden Teil des konsumierten Brotes her und sind doch nicht irgendwelchen Regulierungen unterworfen und nicht verpflichtet, irgendwelche Reserven anzulegen. Ist es nicht möglich, die Bäcker solcher Orte unter dasselbe Regime zu bringen und ihnen dasselbe heilsame Gesetz der Klugheit aufzuerlegen? Die Regierung ist geneigt zu glauben, daß ihre Vorschriften in dieser Hinsicht keinerlei ernsten Einwänden begegnen würden."

Bevor er jedoch das ganze übrige Frankreich außer den kleinen Dörfern dem obigen Dekret unterwirft, gibt der Minister den Präfekten die Anweisung, die Munizipalitäten dieser Orte, die jetzt noch nicht in den Wirkungsbereich dieses Dekrets fallen, zu konsultieren. Er teilt dann den Präfekten mit, wie die Reserven eingelagert werden sollen:

"Die Bäcker müssen soweit als möglich die Nebenräume ihrer Läden ausnützen, da deren Überwachung leicht sein wird. Aber Sie müssen die Munizipalitäten auffordern, öffentliche Lagerhäuser einzurichten und den Bäckern zur Verfügung zu stellen, Lagerhäuser, die darauf berechnet sind, gegen Zahlung einer durch Tarif festgelegten Miete die Reserven aufzunehmen, die sie nicht selbst einlagern können. Ich zweifle nicht daran, daß die aufklärende Zusammenarbeit der Munizipalbehörden diese Maßnahmen leicht durchführbar machen wird."

Der Minister kommt schließlich zu der Lebensfrage, woher das Geld zur Durchführung des Dekrets genommen werden soll:

"Was die Realisierung des notwendigen Kapitals anbelangt, so bin ich überzeugt, daß die Bäcker die ernstesten Anstrengungen machen werden, um die Summen, die sie brauchen, zu beschaffen. Solch eine Kapitalsanlage bietet so große kommerzielle Vorteile und verspricht solche legitimen Profite zu bringen, daß sie kaum fehlgehen dürften, Kredit zu erhalten, besonders in einem Augenblick, da der Zinssatz so niedrig ist. Setzt es zuviel guten Willen der Kapitalisten in jeder Gemeinde voraus, wenn auf ihre Mitwirkung zugunsten der Bäcker gehofft wird? Würden sie nicht in den geschaffenen Reserven ein sicheres Pfand für ihre Vorschüsse finden - und ein Pfand, das eher dazu bestimmt ist, im Werte zu steigen als zu fallen? Ich werde glücklich sein, wenn die Bemühungen, denen Sie sich in dieser Sache unterziehen werden, von Erfolg gekrönt sein werden. Ich frage mich, ob die Munizipalitäten nicht, falls notwendig, in Nachahmung der Caisse de Paris Ressourcen schaffen und für Vorschüsse an die Bäcker verwenden könnten. Um solche Vorschüsse zu begünstigen und zu erleichtern und sie durch Zirkulation zu vervielfachen, könnten die Kornspeicher, die für die Aufnahme der Reserven bestimmt sind, den Charakter von Lagerhäusern für unverzollte Waren (magasins généraux) verliehen bekommen und könnten Pfandscheine ausstellen, die sicherlich von unseren Finanzeinrichtungen bereitwilligst akzeptiert werden würden, und besonders durch die Bank von Frankreich."

<648> Der Minister beendet sein Rundschreiben, indem er darauf hinweist, daß innerhalb von zwanzig Tagen die Präfekten ihn benachrichtigen sollen, was sie hinsichtlich der Ausführung des zweiten Artikels des Dekrets vorschlagen, und innerhalb eines Monats berichten sollen, was die Munizipalitäten der nicht in dem Dekret einbegriffenen Städte und Dörfer empfehlen.

Nun, wir beabsichtigen nicht, in diesem Augenblick auf die Frage der öffentlichen Kornspeicher einzugehen, aber die ungeheure Bedeutung dieses ökonomischen coup d'état bedarf keines langen Kommentars. Es ist wohlbekannt, daß der augenblickliche Getreidepreis in Frankreich verzweifelt niedrig ist und daß infolgedessen Zeichen der Unzufriedenheit unter der Bauernschaft wahrzunehmen sind. Durch die künstliche Nachfrage, die mittels der Drei-Monate-Reserve geschaffen wird, versucht Napoleon, die Preise künstlich zu steigern und so dem landwirtschaftlichen Frankreich den Mund zu stopfen. Andererseits proklamiert er sich selbst vor den Proletariern der Städte zu einer Art sozialistischer Vorsehung, wenn auch in einer ziemlich ungeschickten Weise, muß doch die erste fühlbare Auswirkung seines Dekrets sein, daß die Arbeiter gezwungen sein werden, mehr für ihr Brot zu zahlen als vorher. Der "Retter des Eigentums" zeigt der Bourgeoisie, daß nicht einmal die förmliche Einmischung seiner lächerlichen gesetzgebenden Organe, sondern ein einfacher persönlicher Ukas seinerseits alles ist, was notwendig, um mit ihren Börsen umzuspringen, über Munizipaleigentum zu verfügen, den Ablauf des Handels zu stören und ihre Geldgeschäfte seinen privaten Machenschaften zu unterwerfen. Schließlich muß die Frage noch vom rein bonapartistischen Gesichtspunkt aus betrachtet werden. Ungeheure Bauten für öffentliche Kornspeicher werden notwendig werden im ganzen Frankreich, und was für ein frisches Betätigungsfeld für Geschäfte und Plünderung werden sie öffnen! Eine unerwartete Wendung ist auch dem Getreidehandel gegeben. Was für Profite können vom Crédit mobilier und den anderen Spielpartnern seiner Kaiserlichen Majestät eingesteckt werden! Auf alle Fälle können wir sicher sein, daß der Kaiserliche Sozialist sich bei der Erhöhung des Brotpreises erfolgreicher erweisen wird, als er es bei den Versuchen gewesen ist, ihn zu senken.