Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 12, Berlin/DDR 1961. S. 507-511.

Karl Marx

Die britische Regierung und der Sklavenhandel

Aus dem Englischen.


["New-York Daily Tribune" Nr. 5366 vom 2. Juli 1858]

<507> London, 18. Juni 1858

In der Sitzung des Oberhauses am 17. Juni brachte der Bischof von Oxford die Frage des Sklavenhandels vor und übergab eine Petition der Pfarrgemeinde von St. Mary auf Jamaika, die gegen diesen Handel gerichtet ist. Sicherlich werden diese Debatten bei jedem nicht ausgesprochen voreingenommenen Gemüt den Eindruck erwecken, daß die gegenwärtige britische Regierung größte Zurückhaltung übt und die feste Absicht hat, jeden Vorwand für einen Streit mit den Vereinigten Staaten zu vermeiden. Lord Malmesbury ließ das "Kontrollrecht", soweit es Schiffe unter amerikanischer Flagge angeht, durch folgende Erklärung ganz und gar fallen:

"Die Vereinigten Staaten sagen, daß auf keinen Fall, zu keinem Zweck und unter keinerlei Verdacht ein Schiff, das die amerikanische Flagge trägt, kontrolliert werden darf außer von einem amerikanischen Schiff, es sei denn auf eigene Gefahr des Offiziers, der an Bord geht oder es zurückhält. Ich habe der Interpretation des Völkerrechts, die der amerikanische Staatssekretär für Auswärtiges gegeben hat, erst dann zugestimmt, als sie durch die Rechtssachverständigen der Krone gebilligt und bekräftigt worden war. Zugleich habe ich aber die amerikanische Regierung mit aller Deutlichkeit darauf hingewiesen, daß jeder Pirat und jedes Sklavenschiff der Erde die amerikanische Flagge, und keine andere, führen wird, wenn es bekannt wird, daß diese Flagge jede Missetat deckt; daß dies dem ehrwürdigen Banner Schande bringen muß; und daß ein halsstarriges Festhalten an ihrer jetzigen Erklärung, anstatt die Ehre des Landes zu verteidigen, das Gegenteil zur Folge hat; daß die amerikanische Flagge zu den übelsten Zwecken herabgewürdigt werden wird. Ich werde weiter den Standpunkt verfechten, daß in diesen zivilisierten Zeiten bei den zahllosen Schiffen, die den Ozean befahren, eine Seepolizei notwendig ist; und daß - wenn nicht in Gestalt einer völkerrechtlichen Regelung, so doch durch eine Vereinbarung zwischen den Nationen - festgelegt werden sollte, wie die Nationalität von Schiffen sowie ihr Recht, eine bestimmte Flagge <508> zu führen, festgestellt werden soll. Auf Grund des Tons meiner Erklärungen, auf Grund der Unterhaltungen, die ich mit dem hiesigen amerikanischen Gesandten geführt habe sowie der Bemerkungen, die in einem sehr geschickten, von General Cass über diesen Gegenstand verfaßten Schriftstück enthalten sind, habe ich die feste Zuversicht, daß irgendeine Regelung dieser Art mit den Vereinigten Staaten getroffen werden kann, die uns, zusammen mit den an die Offiziere beider Länder gegebenen Befehlen, in den Stand setzt, die Legalität der Flaggen aller Länder zu prüfen, ohne Gefahr zu laufen, das Land, dem ein Schiff gehört, zu beleidigen."

Auf den Bänken der Opposition wurde auch kein Versuch gemacht, das Recht Großbritanniens gegenüber den Vereinigten Staaten auf Visitation zu verteidigen, aber, wie Earl Grey bemerkte, hätten die Engländer Verträge mit Spanien und anderen Mächten zur Verhinderung des Sklavenhandels, und wenn sie berechtigte Gründe hätten für den Verdacht, daß ein Schiff sich an diesem abscheulichen Handel beteilige und zeitweilig von der Flagge der Vereinigten Staaten Gebrauch mache, in Wirklichkeit jedoch keineswegs ein amerikanisches Schiff sei, so hätten sie ein Recht, es einzuholen und zu durchsuchen. Wenn es jedoch die amerikanischen Schiffspapiere vorzeigen und dennoch voll von Sklaven sein sollte, so müßten sie es freigeben und den Vereinigten Staaten die Schande dieses frevelhaften Handels überlassen, Er hoffe und vertraue darauf, daß die Befehle an die englischen Kreuzer in dieser Hinsicht streng seien und daß jede Überschreitung dieser Bestimmung, die ihre Offiziere etwa dulden sollten, den Umständen entsprechend bestraft würde.

Nunmehr drehte sich die Erörterung ausschließlich um die eine Frage - und selbst diese scheint Lord Malmesbury schon aufgegeben zu haben - nämlich, ob Schiffe, die verdächtig sind, sich die amerikanische Flagge anzumaßen, dazu aufgefordert werden dürfen, ihre Papiere vorzuzeigen oder nicht. Lord Aberdeen leugnete geradezu, daß sich aus einer solchen Praxis irgendeine Kontroverse ergeben könnte, da die Instruktionen, nach denen die britischen Offiziere bei solcher Gelegenheit verfahren sollten - Instruktionen, die von Dr. Lushington und Sir G. Cockburn verfaßt worden sind -, seinerzeit der amerikanischen Regierung mitgeteilt und von Herrn Webster namens dieser Regierung gebilligt worden seien. Folglich, wenn in diesen Instruktionen keine Änderung eingetreten ist und wenn die Offiziere in den Grenzen dieser Instruktionen gehandelt haben, "könne die amerikanische Regierung keine Ursache zur Beschwerde haben". Es schien indessen ein starker Verdacht die Geister des angeborenen Menschenverstandes zu bewegen, Palmerston habe einen seiner üblichen Tricks angewandt und willkürlich eine Änderung der an die britischen Kreuzer erteilten Befehle vorgenommen. Man <509> weiß, daß Palmerston, obwohl er sich seines Eifers bei der Bekämpfung des Sklavenhandels rühmt, während der elf Jahre seiner Verwaltung der auswärtigen Angelegenheiten, die 1841 zu Ende gingen, alle bestehenden Verträge über den Sklavenhandel gebrochen und Maßnahmen angeordnet hatte, die durch die britischen Justizbehörden für verbrecherisch erklärt worden waren - eins seiner Werkzeuge brachte man deshalb tatsächlich vor Gericht -, hingegen einen Sklavenhändler unter den Schutz der Gesetze Englands gegen dessen eigene Regierung stellten. Er wählte den Sklavenhandel als sein Schlachtfeld und verwandelte ihn in ein reines Instrument zur Provozierung von Streitigkeiten zwischen England und anderen Staaten. Bevor er sein Amt 1841 verließ, hatte er Instruktionen erteilt, die, nach den Worten von Sir Robert Peel, "zu einer Kollision mit den Vereinigten Staaten hätten führen müssen, wären sie nicht widerrufen worden". Er hätte den Marineoffizieren wörtlich eingeschärft, "auf das Völkerrecht nicht zu sehr Rücksicht zu nehmen". Lord Malmesbury gab, wenn auch in sehr zurückhaltenden Worten, zu verstehen, Palmerston habe "britische Geschwader in die kubanischen Gewässer entsandt, statt sie an der Küste Afrikas zu lassen", und sie dadurch von einer Station, wo es ihnen vor Ausbruch des Krieges mit Rußland beinahe geglückt wäre, den Sklavenhandel zu ersticken, an eine Stelle versetzt, wo sie zu wenig anderem nützlich sein konnten, als einen Konflikt mit den Vereinigten Staaten vom Zaun zu brechen. Lord Wodehouse, Palmerstons eigener bisheriger Botschafter am Hofe von St. Petersburg, bemerkte in Übereinstimmung mit dieser Auffassung:

"Ganz gleich, was für Instruktionen gegeben worden sind, wenn die Regierung die britischen Schiffe ermächtigt, in solcher Anzahl in die amerikanischen Gewässer zu fahren, wird früher oder später ein Streit zwischen uns und den Vereinigten Staaten entstehen."

Doch, was auch immer Palmerstons geheime Absichten gewesen sein mögen, es ist augenscheinlich, daß die Tory-Regierung sie 1858 ebenso vereitelt wie 1842, und daß das Kriegsgeschrei, welches im Kongreß und in der Presse so kräftig angestimmt wird, dazu verurteilt ist, auf "Viel Lärm um nichts" hinauszulaufen.

Was die Frage des Sklavenhandels selbst anbelangt, so wurde Spanien vom Bischof von Oxford sowie von Lord Brougham öffentlich angeklagt, die Hauptstütze dieses schändlichen Handels zu sein. Beide appellierten an die britische Regierung, mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln dieses Land zu einer Politik zu zwingen, die mit den bestehenden Verträgen übereinstimmt. Schon 1814 gingen Großbritannien und Spanien einen all- <510> gemeinen Vertrag ein, in dem Spanien den Sklavenhandel unzweideutig verurteilte. 1817 wurde ein besonderer Vertrag geschlossen, durch den Spanien die Abschaffung des Sklavenhandels, soweit ihn seine eigenen Untertanen betrieben, für das Jahr 1820 festlegte und als Kompensation der Verluste, die seine Untertanen durch Ausführung dieses Kontrakts etwa erleiden könnten, einen Indemnitätsbetrag von 400.000 Pfd.St. erhielt. Das Geld wurde eingesteckt, aber kein Äquivalent dafür geboten. Im Jahre 1835 wurde ein neuer Vertrag eingegangen, durch den Spanien sich förmlich verpflichtete, ein genügend scharfes Strafgesetz zu schaffen, um es seinen Untertanen unmöglich zu machen, den Handel fortzusetzen. Wiederum hielt man es mit dem spanischen Sprichwort: "A la mañana" <"Bis morgen">. Erst zehn Jahre später wurde dieses Strafgesetz erlassen, aber durch einen eigenartigen Zufall wurde die grundlegende Klausel, auf der England bestanden hatte, ausgelassen, nämlich jene, die den Sklavenhandel zur Seeräuberei erklärte. Mit einem Wort, es wurde nichts getan, als daß der Generalkapitän von Kuba, der Minister in Spanien, die Kamarilla und - wenn das Gerücht stimmt - königliche Personen selber von den Sklavenhändlern eine Privattaxe erhoben, indem sie ihnen die Lizenz für den Handel mit menschlichem Fleisch und Blut für soundso viel Dublonen pro Kopf verkauften.

"Spanien", sagte der Bischof von Oxford, "kann sich nicht damit entschuldigen, daß dieser Handel ein System sei, das seine Regierung nicht unterbinden könne, denn General Valdez hat gezeigt, daß solch eine Ausflucht auch nicht mit einem Schein von Wahrheit vorgebracht werden kann. Bei seiner Ankunft auf der Insel rief er die Hauptkontrahenten zusammen, gab ihnen sechs Monate Zeit, um alle ihre Transaktionen im Sklavenhandel abzuschließen, und erklärte ihnen, daß er entschlossen sei, den Handel am Ende dieser Frist zu unterbinden. Was war das Ergebnis? 1840, dem Jahre, das der Statthaltertätigkeit des Generals Valdez vorausging, betrug die Zahl der Schiffe, die von der Küste Afrikas mit Sklaven nach Kuba kamen, 56. Im Jahre 1842, während General Valdez Generalkapitän war, waren es nur 3. 1840 wurden nicht weniger als 14.470 Sklaven auf der Insel gelandet, 1842 belief sich ihre Zahl auf 3.100."

Was soll England also mit Spanien machen? Seine Proteste wiederholen, seine Noten vervielfachen, seine Verhandlungen wiederaufnehmen? Lord Malmesbury stellt selbst fest, daß man alle Gewässer von der spanischen Küste bis Kuba mit den Schriftstücken bedecken könnte, die vergeblich zwischen den beiden Regierungen gewechselt worden sind. Oder soll England die Erfüllung seiner Forderungen, die durch so viele Verträge sanktioniert sind, erzwingen? Hier nämlich drückt der Schuh. Jetzt tritt die <511> unheilvolle Figur des "erhabenen Verbündeten" auf, der heute der anerkannte Schutzengel des Sklavenhandels ist. Der dritte Bonaparte, der Schutzherr der Sklaverei in allen ihren Formen, verbietet England, nach seinen Überzeugungen und Verträgen zu handeln. Lord Malmesbury, das ist bekannt, wird einer ungebührlich engen Verbindung mit dem Helden von Satory stark verdächtigt. Nichtsdestoweniger klagte er ihn in eindeutigen Ausdrücken als den Obersklavenhändler von Europa an - als den Mann, der den infamen Handel in seinen schlimmsten Formen unter dem Vorwand der "freien Auswanderung" der Schwarzen in die französischen Kolonien wieder aufleben ließ. Earl Grey ergänzte diese Anklage und erklärte, daß

"in Afrika Kriege unternommen worden sind, um Gefangene zu machen, die an die Agenten der französischen Regierung verkauft werden sollten".

Der Earl of Clarendon fügte hinzu, daß

"Spanien wie auch Frankreich Rivalen auf dem Negermarkt sind, die eine bestimmte Summe pro Mann offerieren; und es gibt nicht den geringsten Unterschied in der Behandlung dieser Neger, ob sie nun nach Kuba oder in eine französische Kolonie gebracht werden".

So also sieht die ruhmvolle Situation aus, in die England geraten ist, da es diesem Manne beim Sturz der Republik seine Hilfe geliehen hat. Die Zweite Republik hatte wie die Erste die Sklaverei abgeschafft. Bonaparte, der seine Macht einzig dadurch errang, daß er vor den niedrigsten Leidenschaften der Menschen zu Kreuze kroch, kann die Macht nur verlängern, indem er Tag für Tag neue Komplizen kauft. So hat er nicht nur die Sklaverei wiederhergestellt, sondern durch die Erneuerung des Sklavenhandels auch die Plantagenbesitzer gekauft. Alles, was das Gewissen der Nation erniedrigt, festigt seine Macht. Frankreich in eine Nation des Sklavenhandels zu verwandeln, wäre das sicherste Mittel, Frankreich selbst zu versklaven, das, als es noch sich selbst getreu, die Kühnheit hatte, aller Welt zuzurufen: Laßt die Kolonien untergehen, aber laßt die Prinzipien leben! Eines wenigstens hat Bonaparte erreicht: Der Sklavenhandel ist zum Schlachtruf zwischen dem kaiserlichen und dem republikanischen Lager geworden. Würde heute die Französische Republik wiederhergestellt, dann würde Spanien morgen gezwungen werden, den niederträchtigen Handel aufzugeben.