Karl Marx/Friedrich Engels - Werke. (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 12, Berlin/DDR 1961. S. 417-419.
Aus dem Englischen.
["New-York Daily Tribune" Nr. 5299 vom 15. April 1858]
<417> Paris, 27. März 1858
Die schwierigste Regierungsposition für einen Zivilisten ist die an der Spitze eines despotischen Militärstaats. Im Orient begegnet man dieser Schwierigkeit mehr oder weniger damit, daß man den Despoten in einen Gott verwandelt, wobei es die theokratischen Eigenschaften des Herrschers nicht zulassen, daß man an ihn den gleichen Maßstab anlegt wie an seine Krieger. Im kaiserlichen Rom entsprang die Vergöttlichung der Kaiser, obwohl sie nicht den gleichen Schutz gewährte, derselben Notwendigkeit. Nun, Louis Bonaparte ist ein Zivilist, obwohl er Herausgeber der Geschichte der Kanone war, aber er kann das römische Hilfsmittel nicht anwenden. Daher die sich anhäufenden Schwierigkeiten seiner Stellung. Im gleichen Maße, wie Frankreich des Jochs der Armee überdrüssig wird, wird die Armee kühner in ihrem Vorhaben, Bonaparte zu unterjochen. Nach dem 10. Dezember konnte sich Bonaparte einbilden, er sei der Erwählte der Bauernschaft, d.h. der Masse des französischen Volkes. Seit dem Anschlag vom 14. Januar weiß er, daß er der Gnade der Armee ausgeliefert ist. Nachdem er gezwungen worden war zuzugeben, daß er durch die Armee regiert, ist es ganz natürlich, daß diese versuchen wird, durch ihn zu regieren.
Die Einteilung Frankreichs in fünf Paschaliks war daher nur das Präludium für die Einsetzung Espinasses als Innenminister. Dem letztgenannten Schritt folgte die Übergabe der Pariser Polizei an Herrn Boittelle, der 1830 ein Unteroffizier gewesen war und mit Herrn de Persigny im gleichen Regiment in La Fère gedient hatte, und der beim Ausbruch der Julirevolution versucht hatte, seine Kameraden zu dem Ausruf zu veranlassen: "Es lebe Napoleon II.!" Die Einsetzung Boittelles wird bekräftigt durch die Ernennung Pélissiers, des Herzogs von Malakoff, zum Vertreter seiner kaiserlichen Majestät beim <418> Hof von Saint James. Diese Ernennung bedeutet eine Schmeichelei für die Armee und eine Drohung für England. Es stimmt, daß der "Moniteur" sich bemüht, sie in ein Kompliment für John Bull umzuwandeln, aber Veuillot vom "Univers", der bekanntlich petites et grandes entrées <freien Zutritt bei allen Gelegenheiten> zu den Tuilerien hat, sagte das Ereignis in einem grimmigen Artikel voraus, der diesen bedeutungsvollen Absatz enthielt.
"Der Stolz Englands ist verletzt. Die Wunde ist alt. Sie wurde auf der Krim an der Alma, bei Inkerman und auf dem Malachow-Hugel zugefügt, überall da, wo die Franzosen die ersten auf dem Schlachtfeld waren und am tiefsten in die Reihen des Feindes eindrangen. Saint-Arnaud, Bosquet, Canrobert, Pélissier, Mac-Mahon - das sind die Männer, die den Stolz Englands verletzt haben."
Mit einem Wort, Napoleon III. hat seinen Menschikow nach London geschickt, wobei er übrigens recht froh ist, ihn eine Weile loszuwerden, da Pélissier von dem Augenblick an, als seine Ernennung zum Oberbefehlshaber der fünf Paschaliks aufgehoben wurde, die Haltung eines Frondeurs angenommen hatte. Die Kurse der Pariser Börse fielen sofort, als die Nachricht bekannt wurde.
Pélissier hat mehr als ein Hühnchen mit England zu rupfen. Palmerston brandmarkte ihn 1842 vor seinen Wählern in Tiverton öffentlich als ein Ungeheuer und gab der Londoner Presse das Signal zu seiner allgemeinen Beschimpfung. Nach dem Krimfeldzug machte General de Lacy Evans im Unterhaus mehr als einmal Anspielungen auf Pélissier als den Haupturheber der Schande, welche die englische Armee vor Sewastopol erlitten hatte. Er wurde auch recht roh von der britischen Presse behandelt, die die Winke des Generals Evans weitschweifig erörterte. Schließlich nahm Pélissier bei einem Bankett für die Generale des Krimkrieges den ganzen Ruhm des Krimfeldzugs einfach für die französischen Adler in Anspruch und ließ sich nicht einmal dazu herab, John Bulls Mitarbeit zu erwähnen. Als Vergeltung zerhackte die Londoner Presse Pélissier erneut. Überdies ist es bekannt, daß seine Gemütsart völlig ungeeignet ist für die Rolle jener mythologischen griechischen Gestalt, die allein imstande war, die Wunden zu heilen, welche sie geschlagen hatte. Wir können uns jedoch nicht der Meinung jener Londoner Zeitungen anschließen, die sich zu einer römischen Denkart aufschwingen und die Konsuln auffordern, dafür Sorge zu tragen, "ne respublica detrimenti capiat" <"das der Staat keinen Schaden nehme">. Pélissier bedeutet Einschüchterung, aber er bedeutet nicht Krieg. Diese Ernennung ist ein bloßer coup de théâtre.
<419> Der breite Graben, der das perfide Albion von la belle France <dem schönen Frankreich> trennt, ist ihr Lacus Curtius, aber Bonaparte ist nicht der romantische Jüngling, der die gähnende Kluft schließt, indem er sich in den Abgrund stürzt und verschwindet. Er weiß von allen Männern Europas am besten, daß seine zerbrechliche Macht von dem Bündnis mit England abhängt, aber dies ist eine für den Rächer Waterloos fatale Wahrheit, die er so gut wie möglich vor seinen bewaffneten Myrmidonen verbergen muß, indem er mit John Bull hart umspringt und das Bündnis selbst in das Gewand eines Lehnsverhältnisses kleidet, welches von Frankreich aufgezwungen und von England angenommen worden ist.
Solcherart ist sein Spiel, ein höchst gefährliches Spiel, das leicht jenes Ende beschleunigen kann, welches es zu vermeiden trachtet. Wenn Pélissier bei seiner Einschüchterungsmission Mißerfolg erleidet, und er wird es sicherlich, dann ist die letzte Karte ausgespielt, und das Theaterspiel muß wirklichen Aktionen den Platz räumen, oder Bonaparte wird vor seiner Armee als ein überführter Betrüger dastehen, der hinter seinem napoleonischen Gebaren die traurige Figur des Londoner Konstablers vom 10. April 1848 verbirgt.
Im Grunde genommen war es nur das Bündnis mit England, das dem Neffen eine Zeitlang gestattete, den Onkel zu kopieren. Indem sie der Heiligen Allianz den Todesstoß versetzte und das europäische Gleichgewicht zerstörte, gab die enge Verbindung zwischen England und Frankreich Bonaparte, als dem kontinentalen Vertreter dieses Bündnisses, natürlicherweise den Anschein eines Schiedsrichters von Europa. Solange es ihm der Krieg gegen Rußland und der innere Zustand Frankreichs gestatteten, war er nur zu froh, sich mit seiner eher symbolischen als wirklichen Überlegenheit begnügen zu können. All dies hat sich geändert, seitdem der Frieden in Europa und die Armee in Frankreich herrscht. Jetzt verlangt die Armee von ihm den Beweis dafür, daß er die Diktatur in Europa wie ein wahrer Napoleon nicht in Treuhand für England, sondern trotz England ausübt. Daher seine Schwierigkeiten. Einerseits schüchtert er John Bull ein, andererseits gibt er ihm zu verstehen, daß er nichts Böses beabsichtigt. Er bittet ihn fast, aus Höflichkeit vor den Scheindrohungen seines "erlauchten Verbündeten" erschreckt zu tun. Das ist der rechte Weg, John Bull hartnäckig zu machen, der merkt, daß er nichts riskiert, wenn er sich heldenhaft gebärdet.