Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 12, Berlin/DDR 1961. S. 369-377.

Friedrich Engels

Der Entsatz Lakhnaus

Geschrieben am 14. Januar 1858.
Aus dem Englischen.


["New-York Daily Tribune" Nr. 5236 vom 1. Februar 1858]

<369> Endlich liegt uns die offizielle Depesche von Sir Colin Campbell über den Entsatz Lakhnaus vor. Sie bestätigt in jeder Hinsicht die Schlußfolgerungen, die wir aus den ersten inoffiziellen Berichten über dieses Unternehmen gezogen haben. Die jämmerliche Art des Widerstandes, den die Bewohner von Audh geleistet haben, geht aus diesem Dokument noch klarer hervor, während es andererseits scheint, daß Campbell mehr auf seine Fähigkeiten als General, als auf irgendeine von ihm oder seinen Soldaten bewiesene ungewöhnliche Tapferkeit stolz ist. In der Depesche wird die Stärke der britischen Truppen mit etwa 5.000 Mann angegeben, von denen ungefähr 3.200 Infanteristen und 700 Kavalleristen, das übrige Artilleristen, Marinetruppen, Pioniere usw. waren. Nach den Angaben begannen die Kämpfe mit dem Angriff auf Dilkuscha. Dieses Parkgelände wurde nach kurzem Kampf genommen. "Die Verluste waren ganz unbedeutend; infolge des hastigen Rückzuges waren die Verluste des Feindes ebenfalls gering." Unter diesen Umständen gab es wahrlich keine Möglichkeit, Heldentaten zu vollbringen. Die Audh-Leute zogen sich in solcher Hast zurück, daß sie sogar das Terrain von La Martinière hinter sich ließen, ohne sich die neue Verteidigungslinie, die dieser Stützpunkt bot, zunutze zu machen. Das erste Anzeichen eines zäheren Widerstands machte sich am Sikandar Bagh bemerkbar, einer Befestigung, die 120 Yard lang und ebenso breit, von hohen, mit Schießscharten versehenen Mauern umgeben und von einem verbarrikadierten, etwa 100 Yard entfernten Dorf, flankiert war. Dort wandte Campbell sogleich seine weniger schneidige, aber dafür vernünftigere Art der Kriegführung an. Die schwere Artillerie und die Feldgeschütze konzentrierten ihr Feuer auf die Haupt- <370> befestigung, während eine Brigade das verbarrikadierte Dorf angriff und eine andere alle feindlichen Gruppen zurücktrieb, die den Kampf auf offenem Felde wagten. Die Verteidigung war jämmerlich. Wollte man zwei befestigte Stellungen wie die eben beschriebenen nehmen, Stellungen, die sich gegenseitig durch Flankenfeuer decken und von mittelmäßigen Soldaten oder auch nur von herzhaften undisziplinierten Aufständischen besetzt sind, würde es einigen Kampf kosten, aber hier scheint es weder Mut noch Zusammenwirken und nicht einmal eine Spur von Verstand gegeben zu haben. Wir hören von keinerlei Einsatz der Artillerie bei der Verteidigung. Das Dorf (offenbar eine kleine Häusergruppe) wurde beim ersten Ansturm genommen. Die Truppen im offenen Felde wurden ohne Mühe auseinandergejagt. So war der Sikandar Bagh im Handumdrehen völlig isoliert, und als nach einstündiger Kanonade die Mauern an einer Stelle nachgaben, stürmten die Schotten durch die Bresche und machten alles nieder; nach Sir Colin Campbell sollen dort 2.000 tote Eingeborene gezählt worden sein.

Das Schah Nadschif war die nächste Stellung - ein zur Verteidigung eingerichteter ummauerter Platz mit einer Moschee als kleine Redoute; wieder eine von solchen Stellungen, wie sie sich ein Kommandeur tapferer, wenn auch wenig disziplinierter Truppen nur wünschen könnte. Diese Stellung wurde gestürmt, nachdem eine dreistündige Kanonade die Mauern durchbrochen hatte. Am nächsten Tage, dem 17. November, wurde die Offiziers- und Mannschaftsmesse angegriffen. Dies war eine Gebäudegruppe, die von einem Erdwall und einem steilen, zwölf Fuß breiten Graben umgeben war, mit anderen Worten, eine gewöhnliche Feldbefestigung mit einem unbedeutenden Graben und einer Brustwehr von problematischer Breite und Höhe. Aus diesem oder jenem Grunde erschien General Campbell diese Befestigung recht gefährlich, denn er entschied sich sofort, seiner Artillerie genügend Zeit zu lassen, sie zusammenzuschießen, bevor er sie stürmte. Demzufolge hielt die Kanonade den ganzen Vormittag bis um 3 Uhr nachmittags an, als die Infanterie vorging und die Stellung im Sturm nahm. Hier jedenfalls kein harter Kampf. Der Moti Mahal, der letzte Stützpunkt der Audh-Leute auf dem Wege zur Residenz, wurde eine Stunde lang beschossen; nachdem verschiedene Breschen geschlagen worden waren, wurde er ohne Schwierigkeit eingenommen; somit war der Kampf zum Entsatz der Garnison zu Ende.

Das ganze Unternehmen trägt den Charakter eines Angriffs gut disziplinierter europäischer Truppen, mit einer genügenden Anzahl von Offizieren, kriegserfahren und von durchschnittlicher Tapferkeit, gegen einen asiatischen Kriegshaufen, der weder Disziplin noch Offiziere, keine Kriegserfahrung und nicht einmal geeignete Waffen besaß und dessen Mut schon durch das <371> Bewußtsein der doppelten Überlegenheit gebrochen war, die seine Gegner als Soldaten über Zivilisten und als Europäer über Asiaten besaßen. Wir haben gesehen, daß Sir Colin Campbell anscheinend nirgends auf Artillerie gestoßen ist. Wir werden weiter sehen, daß der Bericht von Brigadegeneral Inglis zu dem Schluß führt, daß die große Masse der Aufständischen keine Feuerwaffen besessen haben konnte; und wenn es stimmt, daß 2.000 Eingeborene im Sikandar Bagh niedergemetzelt worden sind, ist es offensichtlich, daß sie sehr kümmerlich bewaffnet gewesen sein mußten, da sonst die größten Feiglinge diese Stellung gegen eine angreifende Kolonne behauptet haben würden.

Andererseits verdient die Führung des Kampfes durch General Campbell höchste Anerkennung seines taktischen Könnens. Da seine Gegner über keine Artillerie verfügten, mußte er gewußt haben, daß sein Vormarsch nicht aufzuhalten war; daher machte er von dieser Waffe vollen Gebrauch, indem er seinen Kolonnen erst den Weg frei machte, ehe er sie zum Angriff schickte. Der Angriff auf Sikandar Bagh und seine Flankenbefestigungen ist ein ganz ausgezeichnetes Beispiel, wie eine solche Aufgabe gelöst werden muß. Nachdem er einmal den jämmerlichen Charakter der Verteidigung erkannt hatte, machte er auch keine großen Umstände mit solchen Gegnern; sobald eine Bresche in der Mauer war, ging die Infanterie vor. Alles in allem nimmt Sir Colin Campbell seit Lakhnau den Rang eines Generals ein; bis dahin war er nur als Soldat bekannt.

Durch den Entsatz Lakhnaus sind wir endlich in den Besitz eines Dokuments gelangt, das die Vorgänge schildert, die sich während der Belagerung der Residenz abgespielt hatten. Brigadegeneral Inglis, der Sir Henry Lawrence im Kommando folgte, hat an den Generalgouverneur seinen Bericht erstattet; und nach General Outram und der mit ihm im unisono <Einklang> stehenden britischen Presse liege hier ein hervorragender Beweis von Heldenmut vor; in der Tat - so viel Tapferkeit, so viel Standhaftigkeit, solche Ausdauer in Mühsal und Beschwerden habe man noch niemals erlebt, und die Verteidigung Lakhnaus kenne keine Parallele in der Geschichte von Belagerungen. Der Bericht von Brigadegeneral Inglis erzählt uns, daß die Briten am 30. Juni einen Ausfall gegen die Eingeborenen unternommen hatten, die sich zu der Zeit gerade sammelten, daß sie jedoch unter so schweren Verlusten zurückgeschlagen wurden, daß sie sich von Anfang an auf die Verteidigung der Residenz beschränken und sogar eine andere Häusergruppe in der Nachbarschaft, in der sich 240 Faß Pulver und 6.000.000 Patronen für Musketen <372> befanden, aufgeben und sprengen mußten. Der Feind schloß die Residenz sofort ein, wobei er die Gebäude in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft besetzte und befestigte, von denen einige weniger als 50 Yard von den Verteidigungsanlagen entfernt waren und die niederzulegen Sir Henry Lawrence entgegen dem Rat der Pioniere sich geweigert hatte. Die britischen Brustwehren waren zum Teil noch nicht fertig, und nur zwei Batterien waren einsatzbereit, doch trotz des furchtbaren und anhaltenden Feuers, das 8.000 Mann "führten", indem sie "gleichzeitig die Stellung" beschossen, vermochten es die Briten, diese Brustwehren sehr bald fertigzustellen und 30 Geschütze in Stellung zu bringen. Das furchtbare Feuer muß eine sehr wilde und ungezielte Schießerei gewesen sein, die keineswegs die Bezeichnung Scharfschießen verdient, mit der es General Inglis würdigt; wie hätte sonst auch nur ein Mann in der Stellung am Leben bleiben können, welche doch nur von vielleicht 200 Mann verteidigt wurde? Die Beispiele, an Hand deren man die fürchterliche Wirkung dieses Feuers zu beweisen suchte, weil es Frauen und Kinder getötet und Männer an solchen Orten verwundet hatte, die man für gut gedeckt hielt, sind äußerst dürftige Beweise, da sie nur dann zutreffen, wenn das feindliche Feuer, anstatt auf bestimmte Objekte gerichtet zu sein, sich gegen die Befestigung allgemein wendet und daher nie die eigentlichen Verteidiger trifft. Am 1. Juli wurde Lawrence tödlich verwundet, und Inglis übernahm das Kommando. Zu dieser Zeit hatte der Gegner 20 bis 25 Geschütze in Stellung, "rings um unseren Stützpunkt verteilt". Sehr zum Glück für die Verteidigung, denn falls die Gegner ihr Feuer auf ein oder zwei Stellen der Schutzwälle konzentriert hätten, wäre die Stellung aller Wahrscheinlichkeit nach genommen worden. Einige dieser Geschütze waren an Punkten aufgestellt, "wo unsere eigenen schweren Geschütze ihr Feuer nicht erwidern konnten". Da nun die Residenz in beherrschender Position liegt, können diese Punkte nur so gelegen haben, daß die Belagerungsgeschütze nicht den Schutzwall, sondern nur die Dächer der innenliegenden Gebäude treffen konnten; dies war für die Verteidiger sehr günstig, da dies keinen großen Schaden anrichtete, und die gleichen Geschütze zum Beschießen der Schutzwehr oder der Barrikaden weit wirksamer hätten verwendet werden können. Insgesamt muß die Bedienung der Artillerie auf beiden Seiten erbärmlich gewesen sein, denn sonst hätte eine Kanonade auf so kurze Entfernung sehr bald ein Ende finden müssen, da die Batterien sich gegenseitig außer Gefecht gesetzt hätten; und warum dies nicht geschah, bleibt immer noch ein Geheimnis.

Am 20. Juli brachten die Audh-Leute eine Mine unter der Schutzwehr zur Explosion, die jedoch keinen Schaden anrichtete. Zwei starke Kolonnen <373> traten sofort zum Angriff an, während an anderen Stellen Scheinangriffe unternommen wurden; doch schon die Wirkung des Feuers der Garnison trieb sie zurück. Am 10. August ging eine weitere Mine hoch und sprengte eine Bresche,

"durch die ein Regiment in voller Ordnung hätte vorgehen können. Eine Kolonne stürmte auf diese Bresche, wobei sie durch Angriffe an den Flanken unterstützt wurde, doch an der Bresche selbst gingen nur wenige Feinde mit äußerster Entschlossenheit vor."

Diese wenigen wurden schnell durch das Flankenfeuer der Garnison vernichtet, während bei den Flankenangriffen Handgranaten und einige Schüsse die disziplinlosen Massen zurücktrieben. Die dritte Mine wurde am 18. August gesprengt; eine neue Bresche war entstanden, doch der Angriff war noch kraftloser als zuvor und wurde leicht zurückgeschlagen. Die letzte Sprengung und der letzte Angriff fanden am 5. September statt, doch wiederum trieben Handgranaten und Gewehrfeuer sie zurück. Von da an bis zum Eintreffen des Entsatzes scheint sich die Belagerung in eine bloße Blockade mit mehr oder weniger regelmäßigem Gewehr- und Artilleriefeuer verwandelt zu haben.

Dies ist in der Tat ein ungewöhnliches Unternehmen. Eine Menge von 50.000 oder mehr Menschen, zusammengesetzt aus den Einwohnern Lakhnaus und seiner Umgebung, darunter vielleicht 5.000 oder 6.000 ausgebildeten Soldaten, blockiert eine Truppe von etwa 1.200 bis 1.500 Europäern in der Residenz von Lakhnau und sucht sie zu vernichten. So wenig Ordnung herrschte unter der Belagerungstruppe, daß der Nachschub der Garnison mit Ausnahme ihrer Verbindungslinien mit Khanpur anscheinend nie ganz abgeschnitten war. Die Vorgänge, die sich unter dem Namen "Belagerung" abspielten, zeichnen sich durch eine Mischung von asiatischer Unwissenheit und Wildheit aus, mit hier und da einem Schimmer gewisser militärischer Kenntnisse, die durch das Beispiel und die Herrschaft der Europäer eingeführt worden waren. Offensichtlich gab es unter den Audh-Leuten einige Artilleristen und Sappeure, die wußten, wie man Batterien anlegt; doch ihr Einsatz scheint auf den Bau von Deckungen gegen das feindliche Feuer beschränkt gewesen zu sein. Sie scheinen diese Kunst, sich zu schützen, sogar zu großer Vollendung gebracht zu haben, und zwar so sehr, daß ihre Batterien nicht nur für die Kanoniere, sondern auch für die Belagerten sehr sicher gewesen sein müssen; bei solch einer Deckung konnte kein Geschütz mit einigermaßen Erfolg eingesetzt worden sein; dies war auch nicht der Fall. Wie ist sonst die unerhörte Tatsache zu erklären, daß 30 Geschütze von <374> innen und 25 von außen sich gegenseitig aus äußerst kurzer Distanz beschossen haben, einige nicht mehr als 50 Yard voneinander entfernt, wir aber trotzdem nichts von vernichteten Geschützen hören, oder davon, daß die eine Seite die Artillerie der anderen zum Schweigen gebracht hätte? Was das Gewehrfeuer anbetrifft, müssen wir uns zunächst fragen, wie es möglich war, daß achttausend Eingeborene in Gewehrschußweite von den britischen Batterien Stellung beziehen konnten, ohne von der Artillerie verjagt zu werden? Und wenn sie diese Stellung bezogen haben, wie war es möglich, daß sie nicht alles auf der Stelle getötet oder verwundet haben? Dennoch wird uns berichtet, daß die Eingeborenen standgehalten und sowohl am Tage als auch nachts geschossen haben, daß aber trotz alledem das 32. Regiment, das nach dem 30. Juni allerhöchstens 500 Mann zählen konnte und die Hauptlast der ganzen Belagerung zu ertragen hatte, bei ihrer Beendigung noch 300 Mann stark war? Wenn dies nicht ein genaues Gegenstück zu den "letzten zehn Überlebenden des vierten (polnischen) Regiments" ist, das in Stärke von 88 Offizieren und 1.815 Soldaten in Preußen einmarschiert war, was ist es dann? Die Briten haben vollkommen recht, daß es solch einen Kampf wie bei Lakhnau noch nicht gegeben habe - nein, ganz gewiß nicht. Trotz des bescheidenen, scheinbar einfachen Tons, in dem der Bericht von Inglis gehalten ist, zwingen uns seine seltsamen Bemerkungen über Geschütze, die so aufgestellt waren, daß sie nicht beschossen werden konnten, über 8.000 Mann, die erfolglos Tag und Nacht geschossen und über 50.000 Aufständische, die ihn blockiert hatten, über eine Plage von Kugeln, die solche Stellen trafen, wo sie nichts zu suchen hatten, und über Angriffe, die mit äußerster Entschlossenheit vorgetragen, jedoch ohne irgendeine Anstrengung abgewehrt wurden, zu der Feststellung, daß dieser ganze Bericht von haarsträubenden Übertreibungen strotzt und einer nüchternen Kritik keinen Augenblick standhalten kann.

Doch gewiß hatten die Belagerten außerordentliche Leiden zu erdulden? Man höre:

"Der Mangel an eingeborenen Dienstboten ist ebenfalls eine Ursache großer Entbehrungen gewesen. Mehrere Damen sahen sich genötigt, ihre Kinder zu hüten, ja, sie mußten sogar ihre eigenen Kleider waschen und ihre dürftigen Mahlzeiten ohne jegliche Hilfe zubereiten."

Erbarmen über die Leiden einer bedauernswerten Lakhnauer Dame! Wahrhaftig, in diesen Zeiten des Aufstiegs und Niedergangs, da Dynastien an einem Tage errichtet und gestürzt werden, da Revolutionen und kommerzielle Zusammenbrüche sich vereinen, um die Beständigkeit allen mensch- <375> lichen Glücks aufs glänzendste ins Wanken zu bringen, wird man von uns kein großes Mitgefühl erwarten, wenn wir hören, daß irgendeine Exkönigin ihre Strümpfe selbst stopfen und sogar waschen muß, ganz davon zu schweigen, daß sie ihr Hammelkotelett selbst zu braten hat. Aber eine englisch-indische Dame, eine jener zahllosen Schwestern, Kusinen oder Nichten von auf Halbsold stehenden Offizieren, Schreibern bei der indischen Regierung, Kaufleuten, Büroangestellten oder Abenteurern, eine dieser Damen, die Jahr für Jahr direkt vom Pensionat auf den großen Heiratsmarkt in Indien geschickt werden oder richtiger vor dem Aufstand geschickt worden sind, keine von ihnen mit mehr oder weniger Zeremoniell und oft weit weniger willig als die schönen Tscherkessinnen, die auf den Markt in Konstantinopel gehen - allein die Vorstellung, daß eine dieser Damen ihre Kleider selbst waschen und ihre dürftigen Mahlzeiten ohne jegliche Hilfe zubereiten muß, ohne jegliche Hilfe! Das Blut gerät einem dabei in Wallung! Völlig ohne "eingeborene Dienstboten" - ja, sogar gezwungen, die eigenen Kinder zu hüten! Es ist empörend, Khanpur wäre vorzuziehen gewesen!

Der Haufen, der die Residenz einschloß, mag 50.000 Mann gezählt haben; doch dann kann die überwiegende Mehrheit keine Feuerwaffen gehabt haben. Die 8.000 "Scharfschützen" mögen welche besessen haben, doch welcherart Waffen und Männer das waren, kann man aus der Wirkung ihres Feuers ermessen. Die fünfundzwanzig Geschütze in der Batterie sind erwiesenermaßen höchst erbärmlich bedient worden. Das Minieren geschah genauso blindlings wie das Schießen. Die Angriffe verdienen nicht einmal die Bezeichnung Rekognoszierung. Soweit die Belagerer.

Die Belagerten verdienen volle Anerkennung für die große Charakterfestigkeit, mit der sie nahezu fünf Monate ausgeharrt haben, während welcher Zeit sie zum größten Teil ohne jede Nachricht von den britischen Truppen waren. Sie kämpften und hofften trotz alledem, wie es Männern geziemt, wenn sie ihr Leben so teuer wie möglich verkaufen und Frauen und Kinder gegen asiatische Grausamkeit verteidigen müssen. Noch einmal, wir zollen ihnen unsere volle Anerkennung für ihre Wachsamkeit und Standhaftigkeit. Doch wer hätte nicht dasselbe getan nach den Erfahrungen der Übergabe von Khanpur durch Wheeler?

Was den Versuch anbetrifft, die Verteidigung Lakhnaus als eine Tat beispiellosen Heldentums darzustellen, so ist das lächerlich, besonders nach dem plumpen Bericht von General Inglis. Die Entbehrungen der Garnison beschränkten sich auf dürftige Deckung und darauf, daß man dem Wetter aus- <376> gesetzt war (was jedoch keine ernstlichen Krankheiten hervorrief); und was den Proviant betrifft, bestand der schlechteste, den sie hatten, aus "schlechtem Rindfleisch und noch schlechterem Mehl", ein weitaus angenehmerer Speisezettel, als belagerte Soldaten in Europa gewohnt sind! Man vergleiche die Verteidigung Lakhnaus gegen einen stumpfen und unwissenden Haufen Barbaren mit der Antwerpens 1831 und des Forts Malghera bei Venedig 1848 und 1849, ganz zu schweigen von Todtleben bei Sewastopol, der mit weit größeren Schwierigkeiten zu kämpfen hatte als General Inglis. Malghera wurde von den besten Pionieren und Artilleristen Österreichs angegriffen und von einer schwachen, aus ungeübten Rekruten bestehenden Garnison verteidigt; vier Fünftel von ihnen hatten keine bombensicheren Unterstände; in der Niederung trat die Malaria auf, die noch schlimmer war, als das indische Klima; etwa hundert Geschütze hielten die Belagerten unter Beschuß, und während der letzten drei Tage des Bombardements wurden in jeder Minute vierzig Schuß abgefeuert; und doch hielt das Fort einen Monat lang aus und hätte noch länger ausgehalten, wenn die Österreicher nicht eine Stellung erobert hätten, die den Rückzug unumgänglich machte. Oder nehmen wir Danzig, wo Rapp mit den kranken Überlebenden der aus Rußland zurückgekehrten Regimenter elf Monate lang ausgehalten hat. Man nehme tatsächlich jede beliebige bedeutende Belagerung in der neueren Zeit, und wir werden sehen, daß die Belagerten mehr Geschick, mehr Geist und genausoviel Kühnheit und Ausdauer gegen eine ebenso große Übermacht wie bei dieser Lakhnau-Episode bewiesen haben.

Obwohl die Aufständischen aus Audh im offenen Feld erbärmlich waren, bewiesen sie dennoch unmittelbar nach dem Eintreffen Campbells die Macht einer nationalen Erhebung. Campbell sah sofort, daß er mit seinen Truppen weder die Stadt Lakhnau angreifen noch sich behaupten konnte. Das ist ganz natürlich und wird auch jedem so erscheinen, der aufmerksam die französische Invasion in Spanien unter Napoleon studiert hat. Die Stärke einer nationalen Erhebung liegt nicht in regelrechten Schlachten, sondern im Kleinkrieg, in der Verteidigung von Städten und in der Unterbrechung der feindlichen Verbindungslinien. Dementsprechend traf Campbell die Vorbereitung für den Rückzug mit demselben Geschick, mit dem er den Angriff angeordnet hatte. Noch einige Stellungen um die Residenz wurden genommen. Sie dienten dazu, den Feind über Campbells Absichten zu täuschen und die Vorbereitungen zum Rückzug zu decken. Mit einem Wagemut, der einem solchen Feind gegenüber völlig gerechtfertigt ist, wurde die ganze Armee mit Ausnahme einer kleinen Reserve zur Bildung einer ausgedehnten Linie von Vorposten und Feldwachen eingesetzt, hinter der die Frauen, die <377> Kranken und Verwundeten und das Gepäck evakuiert wurden. Sobald diese einleitende Operation durchgeführt war, zogen sich die vorgeschobenen Posten zurück, wobei sie sich allmählich zu stärkeren Verbänden konzentrierten, von denen die vordersten jeweils hinter die nächste Linie zurückgingen, um wieder als Reserve für die Nachhut zu dienen. Ohne angegriffen zu werden, wurde das ganze Manöver in voller Ordnung durchgeführt; mit Ausnahme von Outram und einer kleinen Garnison, die im Alam Bagh zurückgelassen worden war (wir wissen im Augenblick nicht, zu welchem Zweck), marschierte die ganze Armee nach Khanpur und räumte somit das Königreich Audh.

Mittlerweile hatten sich in Khanpur unangenehme Ereignisse zugetragen. Windham, der "Held vom Redan", ein weiterer von jenen Offizieren, von denen uns erzählt wird, sie hätten ihr Können durch große Tapferkeit bewiesen, besiegte am 26. die Vorhut des Gwalior-Kontingents, wurde aber am 27. selbst von ihm schwer geschlagen; sein Lager wurde genommen und in Brand gesteckt, und er war gezwungen, sich in Wheelers alte Verschanzung bei Khanpur zurückzuziehen. Am 28. griffen die Aufständischen diese Stellung an, wurden aber zurückgeschlagen, und am 6. besiegte sie Campbell fast ohne eigene Verluste, nahm ihnen alle Geschütze und den ganzen Troß ab und verfolgte sie noch vierzehn Meilen. Es sind bisher nur wenige Einzelheiten über diese Ereignisse bekannt, doch so viel ist sicher, daß die indische Rebellion noch weit davon entfernt ist, unterdrückt worden zu sein und daß, obwohl die meisten oder alle britischen Verstärkungen in zwischen gelandet sind, sie doch auf fast unbegreifliche Weise verschwinden. Etwa 20.000 Mann sind in Bengalen gelandet, und noch immer ist die aktive Armee nicht größer als zur Zeit der Einnahme Delhis. Irgend etwas stimmt hier nicht. Das Klima muß furchtbare Verheerungen unter den Neuankömmlingen anrichten.