Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 12, Berlin/DDR 1961. S. 222-225.

Karl Marx

[Das neue Gesetz über die Bank von Frankreich]

Geschrieben am 2. Juli 1857.
Aus dem Englischen.


["New-York Daily Tribune" Nr. 5045 vom 20. Juni 1857, Leitartikel]

<222> Das neue Gesetz über die Bank von Frankreich und der Rücktritt des Grafen d'Argout, des Gouverneurs der Bank, sind ziemlich bemerkenswerte Ereignisse in der Finanzgeschichte des gegenwärtigen Kaiserreichs. Von Louis-Philippe 1833 an die Spitze der französischen Bankokratie gestellt, zeichnete sich Herr d'Argout durch die Beharrlichkeit aus, mit der er 23 Jahre lang an seinem Amt festhielt, und durch die umsichtige Klugheit, mit der er die Stürme von 1848 und 1851 überstand. Die Revolution von 1848 war nicht nur gegen Louis-Philippe gerichtet, sondern noch mehr gegen die Hautefinance <Hochfinanz>, die ihren Mittelpunkt in der Bank von Frankreich hatte. Diese Institution und an ihrer Spitze diese unpopuläre Figur schienen daher naturgemäß die ersten Ziele für einen revolutionären Angriff zu sein. Graf d'Argout unterschätzte die unmittelbaren Aussichten des Augenblicks und hielt sich für stark genug, die Bourgeoisie durch eine künstliche Verschärfung der finanziellen Krise zu einer Gegenrevolution treiben zu können. Zu diesem Zweck unterband er plötzlich die Gewährung von Krediten, auf denen die kommerzielle Tätigkeit in Paris zu beruhen pflegte; doch die ungeheure Gefahr, die er auf diese Weise absichtlich heraufbeschworen, schlug, anstatt die provisorische Regierung zu erschüttern, auf die Bank selbst zurück. An Stelle der zuversichtlich erwarteten Gegenrevolution kam es zu einem ungewöhnlichen Ansturm auf die Bank. Wenn d'Argout die Kräfte des Volkes falsch eingeschätzt hatte, so beurteilte er schärfer die Möglichkeiten der Regierung. Nicht nur nötigte er sie, den Noten der Bank Zwangskurs zu geben und demütig unter den ungünstigsten Bedingungen eine Anleihe bei <223> eben demselben Unternehmen aufzunehmen, das gerade von ihr vor nicht wiedergutzumachendem Ruin bewahrt worden war, er benutzte auch die Gelegenheit, die Profitquellen der Bank zu vermehren, indem er ihr das Privileg verschaffte, Noten von niedrigerem Nennwert auszugeben, und ihr Monopol auszudehnen, indem er die Emissionsbanken in der Provinz vernichtete. Vor 1847 hatte die niedrigste Banknote, die durch die Bank von Frankreich ausgegeben wurde, einen Wert von 500 Francs; 1848 wurde sie ermächtigt, Noten im Wert von 200 und 100 Francs auszugeben. An die Stelle der Provinzbanken, die des bisher genossenen Privilegs, Noten auszugeben, beraubt waren, traten neue Zweigstellen der Bank von Frankreich. Infolge dieser Veränderungen erreichte ihr gesamter Geldumlauf, der Ende 1847 nur 48.000.000 Dollar betragen hatte, Ende 1855 die Summe von 122.445.000 Dollar; ihre Bruttogeschäfte, die 1847 noch nicht 375.000.000 Dollar umfaßt hatten, waren bereits 1855 auf 940.600.000 Dollar gestiegen, wovon 549.000.000 Dollar aus der Geschäftstätigkeit der Zweigstellen herrührten; und ihre Aktien, die vor der Revolution gewöhnlich zu etwa 2.000 Francs notiert wurden, werden jetzt für 4.500 Francs verkauft. Vor 1848 war die Bank von Frankreich eher eine Pariser als eine französische Institution. Die neuen Privilegien, die ihr von der Revolutionsregierung verliehen wurden, verwandelten sie in ein privates Unternehmen ganz Frankreichs. So wurde das Monopol der Finanzaristokratie, das die Februarrevolution zu brechen suchte, dank der geschickten Geschäftsführung d'Argouts gerade vermittels dieser Revolution selbst erweitert, gestärkt und reorganisiert.

Die zweite große Katastrophe, der d'Argout begegnen mußte, war der coup d'état, dessen Erfolg in der Hauptsache davon abhing, daß gewaltsam die Schatzkammern der Bank, die seiner Obhut anvertraut waren, geöffnet wurden. Der geschmeidige Gouverneur drückte nicht nur bei Bonapartes Einbruchsdiebstahl ein Auge zu, er trug auch viel dazu bei, die Befürchtungen der kommerziellen Welt zu besänftigen, indem er in einem Augenblick auf seinem Posten ausharrte, als das Ausscheiden aller achtbaren oder achtbar sein wollenden Leute aus der Verwaltung ernsthaft drohte, den Usurpator zu kompromittieren. Als Belohnung für diese guten Dienste erklärte sich Bonaparte bereit, keinen Vorteil aus der Klausel in der letzten Neufassung der Banklizenz von 1840 zu ziehen, nach der die Satzungen 1855 hätten revidiert werden können. Wie sein Freund, der verstorbene Marschall Soult, bewies d'Argout niemals Treue gegenüber etwas anderem als Position und Gehalt. Daß sein Rücktritt als Gouverneur der Bank von Frankreich in diesem Augenblick erfolgt, kann nur mit demselben Grunde <224> erklärt werden, der nach volkstümlichem Glauben die Ratten veranlaßt, das sinkende Schiff zu verlassen.

Die Geschichte des neuen Bankgesetzes kennzeichnete es als eines jener dunkelsten Geschäfte, die die Zeit des gegenwärtigen Kaiserreichs charakterisieren. Während der Finanzkrise, die Ende 1856 in Europa ausbrach, wurde die Veränderung des bestehenden Bankgesetzes zuerst unter dem plausiblen Vorwand erörtert, daß die gewaltigen Transaktionen der Bank auf zu geringem Kapital basierten. Über sechs Monate wurden in Gegenwart Napoleons III. Geheimkonferenzen zwischen den Vertretern der Bank einerseits und den Großfinanziers von Paris, den Ministern und dem Staatsrat andererseits durchgeführt. Doch wurde der jetzige Gesetzentwurf dem Corps législatif erst am Vorabend seiner endgültigen Auflösung vorgelegt. Bei den Vorbesprechungen in den bureaux wurde er heftig angegriffen; der zur Prüfung des Gesetzentwurfes ernannte Ausschuß riß ihn buchstäblich in Fetzen, man drohte sogar, den Entwurf gänzlich abzulehnen. Doch Bonaparte kannte seine Kreaturen. Er gab ihnen durch einen Wink zu verstehen, daß der Entschluß der Regierung feststände, und daß sie sich entscheiden müßten, entweder das Gesetz anzunehmen oder bei den kommenden Wahlen aus ihren Pfründen entfernt zu werden. Um ihnen zu helfen, die letzten Reste ihres Schamgefühls loszuwerden, wurde die Erörterung des Gesetzes auf den letzten Tag der Sitzungsperiode verschoben. Mit einigen unbedeutenden Veränderungen wurde es dann natürlich angenommen. Welch einen Charakter muß ein Gesetz haben, das so vieler Winkelzüge bedurfte, um in einer Körperschaft, wie es das Corps législatif ist, durchzukommen?

In der Tat, selbst zur Zeit Louis-Philippes, als die Bank von Frankreich und die Rothschilds offenkundig das Recht hatten, gegen alle ihnen unbequemen Gesetzentwürfe ein Veto einzulegen, hätte kein Minister vorzuschlagen gewagt, daß sich ihnen der Staat völlig ergibt. Die Regierung verzichtet auf das Recht, das noch in der Lizenz von 1846 garantiert ist, das neue Bankgesetz vor dem Ablauf der Geltungsdauer zu ändern. Die Privilegien der Bank, die noch zehn Jahre in Kraft sind, werden großzügig auf einen weiteren Zeitraum von dreißig Jahren verlängert. Es wird der Bank gestattet, den Nennwert ihrer Banknoten auf 50 Francs zu senken; die Bedeutung dieser Klausel wird voll verständlich, wenn wir berücksichtigen, daß 1848 die Einführung von 200- und 100-Francs-Noten die Bank in die Lage versetzte, etwa 30.000.000 Dollar in Gold und Silber durch ihr eigenes Papiergeld zu ersetzen. Von den enormen Gewinnen, die der Bank mit Sicherheit aus dieser Veränderung zufließen, ist nicht der geringste Anteil der Nation vorbehalten, die im Gegenteil der Bank den Kredit bezahlen muß, der der letzteren im <225> Namen Frankreichs erteilt worden ist. Das Privileg, Zweigbanken in den Departements, in denen noch keine bestehen, zu errichten, verleiht man der Bank von Frankreich nicht als Konzession der Regierung an die Bank, sondern im Gegenteil, als Konzession der Bank an die Regierung. Die Erlaubnis, ihrer Kundschaft mehr als die gesetzlichen 6 Prozent Zinsen zu berechnen, ist durch keine andere Verpflichtung eingeschränkt als die, daß die so erzielten Gewinne dem Kapital der Bank und nicht ihren Jahresdividenden zuzuschlagen sind. Die Herabsetzung des Zinssatzes auf ihrem Kontokorrent beim Schatzamt von vier auf drei Prozent wird mehr als wettgemacht durch den Wegfall jener Klausel im Gesetz von 1840, nach der die Bank bei einem Kontostand von weniger als 80.000.000 [frs.] überhaupt keine Zinsen verlangen durfte, wobei übrigens der durchschnittliche Stand dieser Konten 82.000.000 [frs.] betrug. Nicht weniger wichtig ist schließlich, daß die neuerdings emittierten 91.250 Aktien mit dem Nominalwert von 1.000 Francs ausschließlich den Besitzern der 91.250 tatsächlich existierenden Aktien zugeschrieben werden; und während die Bankaktien an der Börse jetzt zum Kurs von 4.500 Francs gehandelt werden, sollen diese neuen Aktien zum Kurs von 1.100 Francs an die alten Aktionäre ausgegeben werden. Dieses Gesetz, das auf Kosten des Staates voll und ganz zum Vorteil der Bankokratie zugeschnitten ist, bietet den schlüssigsten Beweis für die Geldschwierigkeiten, in die sich die bonapartistische Regierung bereits getrieben sieht. Als Ausgleich für alle Konzessionen erhält diese Regierung die Summe von 20.000.000 Dollar, die die Bank in dreiprozentigen rentes <Staatsrenten> anlegen muß, die zu diesem Zweck zu schaffen sind und deren Mindestpreis auf 75 Francs festgelegt ist. Die ganze Transaktion scheint stark die auf dem europäischen Kontinent verbreitete Vorstellung zu unterstützen, daß Bonaparte bereits eine beträchtliche Summe aus den Schatzkammern der Bank entnommen hat und nun ängstlich bemüht ist, seine betrügerischen Transaktionen in ein mehr oder weniger respektables Gewand zu kleiden.