Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 12, Berlin/DDR 1961. S. 198-201.

Karl Marx

Die britischen Finanzaffären

Aus dem Englischen.


["New-York Daily Tribune" Nr. 5015 vom 16. Mai 1857]

<198> London, 1. Mai 1857

Die Untersuchung der Geheimnisse der Royal British Bank durch das Konkursgericht geht wohl zu Ende, und eine vollkommenere Enthüllung der Rücksichtslosigkeit, der Heuchelei, der Betrügereien und Schändlichkeiten, die sich hinter der vergoldeten Fassade einer ehrbaren Gesellschaft verbergen, ist vielleicht seit der Zeit, da Hudson, der Eisenbahnkönig, zu Fall kam, nicht dagewesen. Einer der Ehrenmänner, die schließlich an den Pranger der öffentlichen Meinung gestellt wurden, ist Herr Humphrey Brown, ehemals Mitglied des Parlaments für Tewkesbury, der in "Dod's Parliamentary Companion for 1855" geschildert wird "als ein Kaufmann", ein "tätiger Förderer der Eisenbahnen", ein "bekannter Eisenbahnstatistiker und Verkehrsfachmann", ein "Förderer von Freihandelsprinzipien im wahrsten Sinne" und ein "Liberaler obendrein". Unmittelbar nach dem Bankrott der Royal British Bank wurde bekannt, daß diese einflußreiche Persönlichkeit seinen Direktorposten dazu benutzt hatte, die Bank um einige 70.000 Pfd.St. zu beschwindeln, was ihn jedoch nicht hinderte, weiterhin seine üblichen Staatsfunktionen auszuüben. Humphrey Brown fuhr ruhig fort, im Unterhaus und auf den Richterstühlen der "Great Unpaid" zu erscheinen. Er gab sogar seinem hohen Gefühl sozialer Verantwortung öffentlichen Ausdruck, indem er als Friedensrichter einer Grafschaft die schwerste gesetzlich zulässige Strafe über einen armen Fuhrmann verhängte, der von ungefähr eine geringe Menge Kartoffeln veruntreut hatte, wobei er dem Angeklagten eine salbungsvolle Predigt über die Abscheulichkeit eines Vertrauensbruches hielt. Ein Blatt aus Tewkesbury hielt sich für berechtigt, bei dieser Gelegenheit jene Absonderlichkeit der britischen Institutionen zu mißbilligen, welche die großen Diebe zu Richtern über die kleinen macht. <199> Darauf drohte Herr Brown nicht nur, den unglücklichen Journalisten vor Gericht zu bringen, sondern auch der guten Stadt Tewkesbury auf immer den Rücken zu kehren, sollten ihre Einwohner es unterlassen, das Verbrechen gekränkter Unschuld durch einen feierlichen Akt der Reue zu büßen. Danach fand eine feierliche Prozession statt, die dem "Opfer einer gewissenlosen Verschwörung" ein Ehrengeschenk überreichte, das seine künstlerischen Mängel durch metallene Schwere aufwog, wenn man nach den Schilderungen geht, die zu dieser Zeit in den Zeitungen standen. Herr Brown hielt der Menge von seinem Balkon aus eine Rede, steckte das Ehrengeschenk ein, erklärte, nur der Eid, der ihn zur Verschwiegenheit in bezug auf die Affären der British Bank verpflichte, würde verhindern, daß seine Unschuld so klar erstrahle wie die Sonne am Mittag, und er schloß seine Rede, indem er sich als einen Menschen bezeichnete, gegen den mehr gesündigt würde als er selbst sündige. Bei den letzten Parlamentswahlen trat er erneut als Kandidat seines gemütlichen Wahlkreises in Erscheinung, aber das Kabinett, als dessen wackerer Parteigänger er sich immer erwiesen hatte, war so undankbar, ihn fallenzulassen.

Am 29. April fühlte sich dieser pompöse Ehrenmann schließlich vom Joch des Eides befreit, der bisher seine Lippen versiegelt und ihn dazu verurteilt hatte, die Schande schmachvoller Verleumdung zu ertragen, und der beauftragte Richter des Konkursgerichts diente ihm als Beichtvater. Für Aktiengesellschaften gilt es als allgemeine Regel, daß ihre Direktoren einen gewissen Teil ihrer Aktien besitzen sollen. Herr Brown kehrte die übliche Ordnung der Dinge um und wurde zuerst Direktor und dann Aktienbesitzer; doch als er die Aktien im Besitz hatte, ersparte er es sich, sie zu bezahlen. Er gelangte in ihren Besitz durch folgende sehr einfache Methode: Herr Cameron, der flüchtige Geschäftsführer der British Bank, händigte ihm zwanzig Aktien in Höhe von 1.000 Pfd.St. aus, während er (Brown) Herrn Cameron einen Schuldschein über den Betrag von 1.000 Pfd.St. übergab, wobei er sich hütete, jemals einen einzigen Shilling darauf zu bezahlen. Nachdem er im Februar 1853 Direktor geworden war, begann er im März seine Bankoperationen. Er deponierte bei der Bank die bescheidene Summe von 18 Pfd.St. 14 sh. und entlieh darauf an eben demselben Tage gegen einen Handwechsel den Betrag von 2.000 Pfd.St.; damit bewies er zugleich, daß er kein Neuling in der Leitung von Aktiengesellschaften war. Tatsächlich beehrte er mit seiner direktonalen Geschäftsführung, sowohl vor als auch nach seiner Verbindung mit der Royal British Bank, die privilegierte Australische Import- und Raffinerie-Kompanie, die Gesellschaft für wasserdichte Patentziegel und Fliesen und für gewöhnliche Ziegel und Fliesen, die Wandle <200> Wasserwerksgesellschaft, eine Grundstücksgesellschaft, eine Werftgesellschaft, mit einem Wort, Gesellschaften für alle vier Elemente. Auf die Frage von Herrn Linklater, dem Anwalt der Zessionare, was denn aus all diesen Gesellschaften geworden wäre, antwortete Brown treffend: "Sie sind inzwischen eingegangen." Sein Konto bei der British Bank, das er mit einem Guthaben von 18 Pfd.St. 14 sh. eröffnete, endete mit einer Schuld von 77.000 Pfd.St. Alle diese Darlehen wurden durch Herrn Cameron vergeben, ohne daß die Zustimmung der "anderen Direktoren eingeholt worden wäre".

"Der geschäftsführende Beamte der Gesellschaft", sagt Herr Brown, "ist nun mal derjenige, durch den alle Geschäfte erledigt werden. Das war das übliche Verfahren dieser Bank und", wie er belehrend hinzufügt, "es ist ein sehr gesundes Verfahren."

Offenbar spielte das ganze Unternehmen - Gouverneure, Direktoren, Geschäftsführer, Anwälte und Buchhalter - nach einem vorbedachten Plan einander in die Hände, und jeder gab sich den Anschein, als wüßte er nichts von dem Anteil der Beute, der jedem Partner zufiel. Ja, fast möchte Herr Brown andeuten, daß er als Direktor der Bank sich kaum seiner eigenen Handlungen als ihr Kunde bewußt war. Was die Kunden angeht, die nicht zum leitenden Personal gehörten, so scheint Herr Brown noch während seines Verhörs unter dem schmerzlichen Eindruck zu leiden, daß einige von ihnen es wagten, sich die Privilegien der Direktoren anzumaßen. So sagt er von einem gewissen Herrn Oliver:

"Ich möchte ohne Bedenken sagen, daß Oliver die Bank um 20.000 Pfd.St. beschwindelt hat. Das ist ein sehr harter Ausdruck, aber ich zweifle nicht daran, daß er berechtigt ist. Er war ein Schwindler."

Auf Herrn Linklaters Frage: "Was waren Sie denn?" entgegnet er gelassen: "Unglücklicherweise ein Direktor, der ungenügend informiert ist." Alle seine Antworten erfolgen in derselben ruhigen Art. Zum Beispiel gibt das lächerliche Mißverhältnis seiner Einlagen zu seinen erhaltenen Wechselkrediten Gelegenheit zu dem folgenden seltsamen Dialog zwischen ihm und Herrn Linklater:

Herr Linklater: "Gehörte es nicht zu den üblichen Geschäftsbedingungen der Bank, daß niemand ein Diskontkonto haben sollte, der nicht auch ein Girokonto hatte, und daß auf dem Girokonto immer ein Saldo von einem Viertel der auf Ihrem Diskont laufenden Wechsel beibehalten werden sollte?"

Herr Brown: "Das ist richtig, es war das Schottische System, wie man mir sagte."

Herr Linklater: "Und Sie selbst übernahmen dieses System nicht?"

Herr Brown. "Nein, es war nicht zuverlässig."

Immer wenn Herr Brown sich herabließ, der Bank Sicherheiten anzubieten, bestanden sie aus Schuldscheinen oder aus Schiffen, wobei er gleich- <201> zeitig große Sorge trug, sie bei anderen Leuten zu verpfänden; überhaupt verfügte er recht freizügig über die Sicherheiten, was der Richter unverblümt höchst "betrügerische Transaktionen" nannte. Im Grunde genommen hatte Herr Brown am 1. März 1856 sein Konto bei der Bank geschlossen, besser gesagt, das Direktorium hatte beschlossen, ihm nicht weiter die Aufblähung seiner Schulden zu gestatten. Doch bemerken wir, daß er am 7. Juni wieder 1.020 Pfd.St. herausbekommt. Auf Herrn Linklaters Frage, "durch welchen Hokuspokus er diese Sache zuwege gebracht hätte", antwortet er kaltblütig: "Das war nicht schwierig".

Dem folgenden Brief, den er an seinen Busenfreund, Herrn Cameron, gerichtet hat, kann man seine gemeine Ansicht über den Entrüstungssturm entnehmen, den die Enthüllungen über die Royal British Bank in der öffentlichen Presse erzeugt haben:

"Little Smith Street, Westminster, 5. Okt. 1856

Geehrter Herr Cameron! Da ich nicht weiß, wo Sie sich zur Zeit aufhalten, nutze ich die Gelegenheit, ihnen über ein Mitglied Ihrer Familie diesen Brief zu schicken. Da sich schlechte Nachrichten schnell verbreiten, nehme ich an, daß Ihnen die Schmähungen nicht fremd geblieben sind, mit denen wir in allen Zeitungen, den großen wie den kleinen, überhäuft werden und wovon Sie und ich den Löwenanteil abbekommen. Ich habe einigen Grund zu glauben, daß die äußerst heftigen Artikel in der 'Times' von einem oder zwei unserer Gesellschafter angestiftet worden sind, und zwar mit Hilfe des Buchhalters. Ich bin völlig in Unkenntnis darüber, was vor sich geht, abgesehen von den öffentlichen Berichten, aus deren Lektüre ich beinahe schließen muß, daß noch nie zuvor jemand einer Bank irgendwelches Geld schuldete und daß alle früheren Anzeigen irrtümlich erstattet wurden und daß die ganze Wut der 'Times' eigens dazu aufgespart wurde, uns persönlich zu kränken ... Ich bin mit keinem der anderen Direktoren zusammengekommen, seit die Bank ihre Tätigkeit einstellte, was recht stümperhaft geschah.

Ihr ergebener
Humphrey Brown"

Als ob "noch nie zuvor jemand einer Bank irgendwelches Geld schuldete"! Herr Brown betrachtet offenbar die ganze moralische Entrüstung, die sich gegen ihn und seine Kompagnons richtet, als bloße konventionelle Heuchelei. "Dieb ist alles!" Dies sagt Timon, und dasselbe sagt Herr Brown und scheint in tiefster Seele davon überzeugt, daß jedes Mitglied der sogenannten ehrbaren Gesellschaft dasselbe sagt. Es kommt nur darauf an, kein kleiner Dieb zu sein.